Bergbauhistorische Rundtour bei Bludná (Irrgang)


Publiziert von lainari , 28. Oktober 2017 um 17:34.

Region: Welt » Tschechien » Krušné hory
Tour Datum:18 Oktober 2017
Wandern Schwierigkeit: T2 - Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CZ 
Zeitbedarf: 4:00
Aufstieg: 210 m
Abstieg: 210 m
Strecke:12 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Auto bis Bludná
Kartennummer:1:50.000, KČT Nr. 4 Krušné hory Karlovarsko

Oktobersonne im Erzgebirge
 
Eine Woche anhaltend schönes Herbstwetter lässt mich meine Arbeit mitten in der Woche unterbrechen und zu einer lange geplanten bergbauhistorischen Rundtour in das Böhmische Erzgebirge starten. Das zu besuchende Areal auf dem Kamm zwischen dem Blatenský vrch (Plattenberg) und dem Božídarský Špičák (Gottesgaber Spitzberg) wurde früher bergbaulich als Hengst bezeichnet. Über 300 Jahre regelte das sogenannte Hengstkataster die Abgrenzung der einzelnen Bergreviere. Dabei wurden Bezeichnungen wie Großer Hengst, Vorder(er) Hengst, Hinter(er) Hengst, Ober(er) Hengst, Unter(er) Hengst, Alter Hengst, Jungenhengst, Hengst und Hengsterseifen verwendet, von denen einige auch auf sich im Verlauf bildende Ansiedlungen übertragen wurden. Die Region gehörte bis 1546 als Besitz der Herrschaft Schwarzenberg zu Sachsen. In der Folge des Schmalkaldischen Krieges gelangte sie an die Böhmische Krone.
 
Mein heutiger Startpunkt, die Wüstung Irrgang/Bludná bildet gleich mal eine Ausnahme, weil es von Anbeginn so genannt wurde. Die Ansiedlung von 1520 ist auch daher bemerkenswert, weil sie auf drei verschiedenen Grundherrschaften lag und somit keinen selbstständigen Ort bildete. Der Name Irrgang leitet sich nicht von einem Irrtum ab, sondern bezeichnet eine geologische Störungszone, in der sich Eisen (in Form von Hämatit) und Mangan abgelagert haben. Beides wurde in der Umgebung recht ertragreich gewonnen. Irrgang hatte vor dem II. Weltkrieg 20 Häuser mit 110 Einwohnern. Die Vertreibung der Sudetendeutschen leitete den Untergang der Siedlung ein.
 
Ich parke an einer Schutzhütte und laufe leicht fallend einen Flurweg hinunter. Links des Weges finde ich auf einer Haldenschüttung Fundamentreste von Einrichtungen der Grube Gustav, einer Eisenerzzeche, die bis nach dem I. Weltkrieg in Betrieb war. Unterhalb kreuzt der Blatenský příkop (Plattener Erbwassergraben). Ich biege nach links und gehe am Graben auf die Offenfläche hinaus bis zu einem aufgehobenen Fluter. Hier befand sich einst die Einschicht To(d)tenbach/Mrlina die nur ein einziges Wohnhaus, in der Nähe jedoch einige Bergwerksanlagen der Hilfe Gottes Zeche aufwies. Auf einem Flurweg gehe ich zurück und folge dem Graben einige Meter in die andere Richtung. An einem Pingenzug laufe ich talwärts und stoße nach links abgebogen wieder auf den ursprünglich begangenen Weg. Nach wenigen Metern wende ich mich schräg nach links und laufe auf einem Waldweg durch einen Jungwald. Eine hölzerne Abschrankung im Wald kündigt den Beginn der Grube Susanne an. Die langgestreckte Pinge wird im Tschechischen Pinka Zuzana oder (Stará) Důlní dílo Zuzana genannt. Hier entdeckte man einst ausstreichende Zinnerzgänge und brachte Schächte nieder. Auf heute noch sichtbaren drei, früher mögen es vier oder fünf Sohlen gewesen sein, folgte man horizontal der Gangstruktur und baute das Erz ab. Als man mitbekam, dass auch die Gebirgsdecken zwischen den Sohlen genügend erzhaltig waren, baute man sie von unten im Firstbau ab. So entstand eine offene Struktur von 0,5 m bis 5 m Breite und einer Länge von 400 m. Die heutige Tiefe beträgt etwa 15 m ist jedoch durch eingebrachten Abraum und Verbrüche nicht als original anzusehen. Einbauten von tschechischen Bergbaufreunden wie eine kleine Holzbrücke, einige Fixseile (Stahl), eine Holzleiter und einige Stufen deuten darauf hin, dass gelegentliche Besuche geduldet werden. Hier weise ich erneut auf die besonderen Gefahren des Altbergbaues hin, selbst außerhalb des markierten Bereiches sind durch Vegetation verdeckte offene Schächte anzutreffen! Etwa in der Mitte der Struktur ermöglicht mir ein Verbruch einen Abstieg auf den heutigen Grund (T3+). In einer stehengebliebenen Bergfeste besichtige ich von unten einen alten Förderschacht. Da der Boden trotz Wassereintritten an den Wänden relativ trocken ist, gehe ich davon aus, dass aus den verschütteten Sohlen eine Wasserableitung Richtung Schwarzwassertal vorhanden sein muss, denn sonst würde sich der Spalt der Pinge wegen der geologischen Situation sicher mit Wasser füllen. Ich arbeite mich wieder zur Oberfläche empor, mache dort eine kleine Pause und gehe zum Hauptweg zurück. Auf diesem wandere ich in das idyllische Tal der Černá (Schwarzwasser) hinunter.
 
An der Einmündung des Weges befand sich einst das Zentrum des abgetragenen Ortes Zwittermühl/Haje. Vor dem II. Weltkrieg waren 35 Häuser mit 265 Einwohnern vorhanden. Der Ort gründete sich einst um ein Pochwerk zur Verarbeitung von Zinnerz, was den deutschen Namen erklärt. Ab der 2. Hälfte des 16. Jh. wurde die Seifentätigkeit in Flussschottern und -sanden eingestellt und man ging zum Tiefbau über. Im Ort entstanden direkt am Talboden die Dreifaltigkeitszeche sowie höher am Hang die Segen Gottes Zeche, in denen zunächst Silber und Kobalt gewonnen wurden. Für die Jahre 1744-1770 wurde ein Ertrag von 8,5 t Kobalt und von 360 kg Silber dokumentiert. Ein großes Problem der Bergwerke war die Wasserhaltung. Auch ein tiefer Erbstolln brachte keine Linderung der Problematik in der 1821 fünf Sohlen umfassenden Grube. Ein noch tieferer Stollen aus dem Nachbartal mit 5 km Länge wurde nicht realisiert, stattdessen wurde ein tiefer Schacht niedergebracht, der im oberen Bereich ein Wasserrad zum Pumpenantrieb erhielt. Das Antriebwasser wurde in einem Kunstgraben herangeführt, der heute noch teilweise sichtbar ist. Dieser ist beidseitig mit Grenzsteinen mit der Inschrift „KK“ abgemarkt, was ich als Kühbachel-Kunstgraben interpretiere. Nach diesem Ausbau wurden in der Grube ab der 2. Hälfte des 19. Jh. etwa 10 t Wismut pro Jahr gewonnen. Nach dem II. Weltkrieg wurde die Grube eilends entwässert und fahrbar gemacht, um Uran zu gewinnen. Dies geschah unter der Führung des Bergbaubetriebes aus Jáchymov. Mangels geeigneten Arbeitskräften wurden deutsche Kriegsgefangene und politische Gefangene der Tschechoslowakei als Zwangsarbeiter eingesetzt. Im Wettrennen der Aufrüstung der Atommächte zählte einzig die Ausbeute, es gab so gut wie keinen Arbeitsschutz, es gab wenig technische Unterstützung und die Arbeitsbedingungen waren prekär. Zwischen 1952-1956 kamen die Gewinnungsarbeiten zum Erliegen, der Ort wurde geschliffen und sämtliche Untertageanlagen verwahrt. Es hat den Anschein, als wolle man dieses Kapitel lieber dem Vergessen preisgeben. Nach Besichtigung der verbliebenen Reste gehe ich talaufwärts an der Straße entlang.
 
Nach einer Weile passiere ich den einstigen Standort der Einschicht Seifner Mühle/Sejfský mlýn von der so gut wie keine Spuren mehr zu sehen sind. Nur 200 Meter weiter befand sich ein Areal der Intensivnutzung. Im 16. Jh. entstand an dieser Stelle die Glück mit Freuden Zeche, in der zunächst Silber und Kobalt gewonnen wurden. Auch hier wurde ein Umfang von 5 Sohlen erreicht, was zu Problemen mit der Wasserhaltung führte. Lösung war ebenso wie in Zwittermühl ein Schacht mit Wasserrad und Pumpe sowie ein Kunstgraben zu dessen Antrieb. Die am Hang davon noch sichtbar sein sollenden Spuren habe ich nicht untersucht. 1850-1870 arbeitete vor Ort eine Papiermühle, um 1890 wird hier eine Siedlung Vogeldorf mit 7 Häusern und 65 Einwohnern erwähnt. Bereits früh um 1890 kam es im Bergwerk zum Uranabbau. Nach der Jahrhundertwende wurde dieser an die französische Banque du Radium zur Produktion von Engrais Radioactifs B. D. R., einem radioaktiven Düngemittel geliefert. Dieses Wissen führte auch hier zu einem Uranabbau für militärische Zwecke zwischen 1947-1949. Die Halden davon sind entlang der Straße noch zu entdecken. Sämtliche Untertageanlagen wurden später verwahrt und alle Gebäude entfernt.
 
An der Straße weitergewandert, komme ich nun in die einstige Ortslage der Streusiedlung Seifen/Sejfy/Ryžovna. Um 1530 entstand sie als Großer Hengst, später wurde sie Hengsterseifen genannt. Der endgültige Name etablierte sich erst im 18. Jh. mit der Gestaltung der politischen Bezirke. 1920 wurde in Laut-Transformation der tschechische Name Sejfy verfügt, nach dem II. Weltkrieg folgte darauf Ryžovna. Der Kern des Ortes mit einst 76 Häusern und 460 Einwohnern wurde nahezu entvölkert und weitestgehend abgetragen. Heute habe ich noch 7 Häuser gezählt. Ich halte mich bergwärts über den Gebirgskamm und biege kurz darauf an einer alten Kaserne nach rechts ab. Hier verbirgt sich ein alter Steinbruch, in dem das nicht gerade erzgebirgstypische vulkanische Gestein Trachyt abgebaut wurde. Heute ist hier ein Naturschutzgebiet. Ich nutze kurzzeitig einen Lehrpfad und erreiche bei der Örtlichkeit Na radaru wieder die Kammhöhe. Ab der alten Radaranlage der Tschechoslowakischen Armee wandere ich auf einem herrlichen Flurweg durch die faszinierende Erzgebirgslandschaft zurück zum Ausgangspunkt in Bludná und genieße dabei den herrlichen Herbsttag. Ich passiere die beiden noch vorhandenen Häuser und komme zur Schutzhütte zurück, wo ich meine Mittagspause einlege. Zufrieden trete ich mit vielfältigen Eindrücken und neuen Erkundungsabsichten für das nächste Jahr meine Rückfahrt an.
 
Die pausenbereinigte Erkundungszeit betrug 4 h. Die Tour ist größtenteils als T1 zu bewerten, die Begehung des Pingenzuges am Blatenský příkop als T2.
Der fakultative Abstieg in die Pinka Zuzana hat die Schwierigkeit T3 +.
Etwaige Nachahmer sollten unbedingt folgendes mitbringen: Kenntnisse über die Gefahren des Altbergbaues und über die Standsicherheit des Gebirges, gutes räumliches Beobachtungsvermögen sowie Helm und Geleucht!

Tourengänger: lainari


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