Rund um das Haberfeld


Publiziert von lainari , 10. Mai 2013 um 18:14.

Region: Welt » Deutschland » Östliche Mittelgebirge » Erzgebirge
Tour Datum: 9 Mai 2013
Wandern Schwierigkeit: T2 - Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: D 
Zeitbedarf: 2:15
Aufstieg: 50 m
Abstieg: 50 m
Strecke:8 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Auto oder Bus Linie 368 Glashütte-Kurort Altenberg bis Fürstenwalde (verkehrt nicht an Feiertagen/Wochenenden)
Kartennummer:1:33.000, SK Nr. 03 Osterzgebirge

In Erinnerung an „Oma Schulz“
 
Diese Woche hatte ich zufällig im Tagesanzeiger ein interessantes Interview mit Blanca Imboden zu ihrem bei Wörterseh erschienenen Buch „Wandern ist doof“ gelesen. In vielen der dort beschriebenen Dinge über die Motivation des Wanderns habe ich mich persönlich wiedergefunden. Hier innerhalb der Community wird sich sicherlich niemand ernsthaft über sein Tun erklären müssen, bestenfalls über Ausprägungen der individuellen Motivation wird Gesprächsstoff bestehen. Anders sieht es freilich aus, wenn man seine Beweggründe einem wenig- oder nichtwandernden Umfeld darstellen will. Wie erklärt Ihr Euch Personen, die Wandern möglicherweise gar als Form des Extremismus empfinden? Ich für meinen Teil versuche es so: Mit Wandern verbinden mich weder positive noch negative Kindheitserinnerungen. Wenn es mal vorkam war ich dabei und gut. Später bewegte mich das Militär mehr oder weniger sinnvoll durch das Gelände. Wenn es mal wieder weniger sinnvoll war, versuchte ich mich durch die Beobachtung der Natur, insbesondere der Jahreszeiten, abzulenken. Und als ich einen Zyklus fertig beobachtet hatte, war der Dienst vorbei. Dann durfte ich beruflich viele Jahre lang täglich (auch zu Fuß) draußen unterwegs sein. Auch hier gab es aufregende und weniger aufregende Zeiten. In stillen Minuten habe ich den Blick für die Natur weiter geschärft. Ich lernte lesen - die Natur, Spuren und die Menschen. Nun arbeite ich im Büro und musste folglich meinen Bewegungsdrang ins Private transformieren. Dieser Ausgleich verbessert jetzt meine Lebensfreude, jede Wanderung ist eine kleine Auszeit vom Alltag. Auf jeder Erstbegehung mache ich neue Entdeckungen und lerne dazu. Von jedem größeren Ausflug komme ich stärker zurück als ich losgegangen bin, auch wenn mein Körper bisweilen das Gegenteil vermeldet. Ich bin durchaus gern in Begleitung unterwegs, dies aber eher auf Genusstouren. Bei größeren Runden, und das ist die Mehrzahl, schätze ich den Vorteil der Freiheit allein zu sein, Rahmen und Tempo festlegen zu können, nicht kommunizieren zu müssen (eine Wohltat heutzutage), nicht abgelenkt zu sein und keine Zuschauer zu haben, wenn am Berg die Puste wegbleibt oder wenn ich Blasen verpflastern muss. Und was Wandern sonst noch bringt? Es erhöht den Genuss - zum Beispiel in einer Wirtschaft die Beine unter den Tisch zu stecken und eine Mahlzeit zu bekommen oder aber auch nach einer anstrengenden Tour wieder nach Hause zu kommen. Die Dinge bekommen ein anderes Gewicht - ich werde gelassener und lerne insbesondere unabänderliche Sachen so zu nehmen wie sie sind.
 
So, fertig philosophieren, nun zum praktischen Teil, sprich der heutigen Runde. Ein enges Schönwetterfenster und die feiertäglichen Umstände ließen nur eine Kurztour zu. Ich fuhr zum oberen Ortsende von Fürstenwalde und parkte an einer Weggabelung. Von hier lief ich Richtung Ort und passierte das Gasthaus. Wenige Meter Richtung Müglitz weitergegangen, bog ich auf einen Flurweg ab. Zwischen Wiesen und Feldern gewann ich etwas an Höhe bis es zum Schwarzbach hin wieder abfiel. Etwas entfernt kamen die Schwarzen Wiesen, auf tschechischer Seite Černá louka genannt, in den Blick. Dann erreichte ich das Schwarze Kreuz. An der tschechischen Grenze entlang, tauchte ich langsam in den Haberfeldwald ein, der karg und unwirtlich erscheint. Der Schwarzbach wurde im Verlauf immer schmaler, das Gelände unwegsamer, ein wahrer Schlängel- und Buckelpistenlauf begann. An einigen Stellen musste vor kurzem der letzte Schnee geschmolzen sein. Überall gab es Wasserlachen und es gurgelte und plätscherte allenthalben. Die Vegetation war noch recht spärlich. Nach einiger Zeit wurde auf tschechischer Seite eine Wiese sichtbar, hier bog ich bei einer Wegsperre aus großen Felsbrocken landeinwärts nach Deutschland. Nach links abgezweigt, kam ich nach 200 m zum Leichenstein, einem alten Sühne- oder Mordkreuz. Nun lief ich weiter durch den mystischen Wald. Viele Bäume haben eine sonderbare verkümmerte Wuchsform, was auf das raue Klima zurückzuführen ist.
 
Später gelangte ich zum Forsthaus Haberfeld. Hier wohnte seit 1978 einsam, allein und unter einfachsten Bedingungen eine Frau, die in der Umgebung gemeinhin als „Oma Schulz“ bekannt war. Im April vorigen Jahres ist sie verstorben. Hatte sie zunächst ein ruhiges Leben, änderte sich dies mit der politischen Wende. Autoschieber, Schmuggler, Schleuser und Migranten machten „ihren“ Wald unsicher. Oft kontaktierte sie den Grenzschutz und ihr waches Auge half, die Bösewichte dingfest zu machen. So wurden die Medien auf sie und ihre Lebensumstände aufmerksam. Man betitelte sie zum Beispiel als „Miss Marple vom Schleuserwald“. Mit ihrer wachsenden Popularität mochte sie sich gar nicht anfreunden. Auf meiner Tour 2011 hatte ich sie angetroffen, hier wirkte sie bereits kränklich und unzufrieden, so dass ich nach Austausch eines Grußes weitergezogen war. Auf eine Erwähnung im Bericht verzichtete ich damals mit Rücksicht auf ihre Abneigung gegen zunehmende Besucherzahlen. Nach ihrem Tode geriet sie ein letztes Mal in den Fokus der Presse, als man in das leerstehende Forsthaus eingebrochen hatte. Die Journaille stellte die Behauptung in den Raum, dass Beweismittel beseitigt wurden, da sie möglicherweise mit Kriminellen Geschäfte gemacht habe. Allein den Gedanken, dass sie für einen materiellen Vorteil gehandelt haben könnte, halte ich für völlig absurd.
 
Heute ist das alte Forsthaus nun verwaist. An ihm vorbei ging ich hinaus auf die freie Fläche, zu den wenigen verbliebenen Häusern von Rudolphsdorf. Hier ließ ich mich von meiner Karte und einem verblichenen Schild auf den Rudolphsdorfer Rundweg locken. Das Problem aber war, dass er in der Natur nicht mehr wirklich existent war. Stattdessen arbeitete ich mich an Wiesen- und Feldrändern entlang. Prächtige Sumpfdotterblumen ließen auf was schließen? Feuchtigkeit! Es schmatze mitunter recht stark beim Laufen und an einigen Stellen hatte ich das Gefühl als würde jemand meine Füße bei jedem Schritt festhalten. Die Hosen waren durch Spritzwasser später bis zu den Knien durchnässt. Am nächsten bewaldeten Graben lief ich wieder aufwärts zum Weg zurück. Danach kam das obere Ortsende von Fürstenwalde in den Blick, vor dem ich nach rechts zur Straße hin abbog. Pünktlich zur Rückfahrt hatte sich das Schönwetterfenster jetzt geschlossen. 

Tourengänger: lainari


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