Sarek Durchquerung Staloluokta --> Kvikkjokk


Publiziert von Tasaio , 17. Januar 2012 um 23:02. Text und Fotos von den Tourengängern

Region: Welt » Schweden
Tour Datum: 8 August 2010
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: S 
Zeitbedarf: 7 Tage
Aufstieg: 4625 m
Abstieg: 4895 m
Strecke:Staloluokta --> Kvikkjokk
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Bus von Kiruna nach Ritsem, umsteigen in Gällivare
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Bus von Kvikkjokk nach Kiruna, umsteigen in Jokkmokk
Unterkunftmöglichkeiten:Zelt :) STF-Fjällstation in Kvikkjokkk
Kartennummer:BD10

“To all passengers to the Sarek: it has rained a lot the last days, so the rivers will be dangerous to cross… but don’t worry, just be happy!“

Der Sarek-Nationalpark wird gerne als die letzte Wildnis Europas bezeichnet und ist ein einzigartiges Schutzgebiet oberhalb des Polarkreises im schwedischen Teil Lapplands. Wege gibt es dort keine. Ab und zu mal ein Elchpfad bei dem man hofft nicht am Ende das Skelett seines Erstbegehers zu finden, eingekeilt im dichten Gestrüpp…

Der Gedanke diese Tour ohne Hütten und 3 Tage Fußmarsch bis zum nächsten Hilfstelefon anzugehen geisterte schon seit einigen Jahren in unseren Köpfen. Nachdem wir zwei Mal auf dem Kungsleden die nötige Fjäll-Erfahrung gesammelt hatten, wollten wir mehr!
Die Planung begann bereits im Winter mit der Definition der ungefähren Strecke um die ungefähre Zeit mit Reservetagen einzuplanen. Dann folgt eine lange Wartezeit bis die unabdingbaren Sommerbusfahrpläne veröffentlicht werden. Ab dann heißt es die Fahrt zu planen: Von Frankfurt nach Stockholm und dann Kiruna mit dem Flugzeug (jeweils mit Übernachtung), ab da mit dem Bus nach Gällivare und dann nach Ritsem. Von dort aus mit dem Helikopter nach Staloluokta - Gesamtdauer: 2,5 Tage! Parallel dazu wurde die Streckenplanung verfeinert. Mit Karte (BD10), Google Earth und der wenigen aber recht brauchbaren deutschsprachigen Literatur konnte die Strecke genau abgesteckt werden. Eines wussten wir jedoch schon im Voraus, vor Ort würden wir uns auf die Witterungsverhältnisse einstellen müssen und ggf. die Route ändern. Dementsprechend waren Alternativrouten und Ausstiegspunkte ein weiterer wichtiger Bestandteil der Organisation. Wenige Wochen vor dem Start (bis zum Vorabend) kam dann die Ausrüstungsphase in der das vorhandene Material geprüft und zum Teil gegen noch leichteres und effizienteres getauscht wurde. Zusätzlich kamen auch noch ein paar neue Bestandteile dazu wie der Watstock ohne den Flussüberquerungen fast unmöglich sind oder der erweiterte erste Hilfe Kasten. Letzter Punkt: Essen! Auch hier musste minutiös auf optimale Ernährung bei erhöhter Anstrengung unter unvorhersehbaren Wetterverhältnissen geachtet werden, und das bei minimalem Gewicht. Woran nicht gespart wurde, war das Kilo besten Italienischen Espressos und der Schweren Photoausrüstung!

Anreise
Die Anreise mit dem Flugzeug ist eine Alternative zur langen Bahnfahrt mit dem berüchtigten Höllenexpress von Stockholm nach Kiruna, doch auch hier verliert man viel Zeit durch Warterei da Anschlußflüge nicht existent sind! Auch in Kiruna mussten wir eine Zwangspause einlegen die wir effizient nutzten und zudem noch die LKAB Mine in -500m Tiefe mit dem Bus besichtigten (ja der Bus fuhr mit uns IN den Berg auf -500m...entlang der über 27 km voll ausgebauten Straßen in der Mine)! Am nächsten Tag ging es dann endlich mit dem ersten Bus los, den wir fast verpasst hätten, konnten dies aber dank eines Gewaltmarsches in aller Früh vereiteln… puh! In Gällivare warteten wir mitsamt des Anschlußbusses auf die Bahn die große Mengen anderer Outdoorverrückter (die meisten wohl Kungsledenwanderer) ausspuckte – ein weiterer Bus musste her. Auf der Fahrt gab der Busfahrer die letzten Infos zu Gute und erklärte nebenbei, dass die Situation im Sarek sehr bescheiden sei… „but don’t worry, be happy“! Endlich in Ritsem am Landeplatz angekommen war es auch schon höchste Zeit das Antibrumm auszupacken, da wir wärmstens von den “Kolleschens” empfangen wurden. Nach einiger Zeit kam auch der Helikopter und ersparte uns den mehrtägigen Fußmarsch nach Stàloluokta. Die letzte Formalität vor Ort unter Menschen war die Route von Veteranen absegnen zu lassen. Die Hüttenwärtin organisierte uns zwei „alte Hasen“ des Sareks und einen einheimischen Sami die uns mit letzten Tips versorgten und uns zur Umgehung der schwierigsten Watstelle überredeten – Die Südliche Rapandalen-Route konnten sie uns jedoch nicht ausreden. Generell waren die Verhältnisse aber viel besser als erhofft.

Staloluokta – Alkavare (1,5 Tage) 31km
Anfangs hatten wir geplant Südlich dem Padjelantaleden zu folgen und ab Tuottar den Weg nach Norden zu verlassen doch das gute Wetter ermutigte uns zu der kürzeren und weglosen Direktroute. Erst einem Trampelpfad folgend ging es durch einen Birkenwald und endete nach 3 km an einer Furt. Das war dann schon mal der falsche Weg… Ab dort ging es 10km gerade aus bis zum Ziel, dem westlichen Ende des Alàjàvrre Sees. Durch die vielen kleinen Hochmoore war das Gelände zwar wenig bewachsen doch immer wieder mussten wir einen anderen Weg durch festeres Gelände suchen. Die warmen Temperaturen hatten zudem den Moskito und Knot Populationen ein exponentielles Wachstum beschert, sodass hunderte summende und stechende Begleiter “Kolleschens” stets an unserer Seite waren. Neee wat war dat schön! Je Höher wir anstiegen desto weniger wurden unsere neuen Freunde und wir suchten uns einen gemütlichen Platz um unser Abendessen zu kochen. Dieser war auch schnell gefunden und als alles aufgebaut war, fing es auch prompt an zu Regnen… Der Schauer war nur von kurzer Dauer und die Nässe hielt sich in Grenzen, zu diesem Zeitpunkt waren Tasaios silikongeflickte Schuhe auch noch recht Wasserdicht! Nach ein paar weniger Km erreichten wir endlich den See auf dem Hochplateau wo wir am Hang ein paar ebene m² fanden. Als dann alles aufgebaut war drückten sich Nebelschwaden (passend von uns der Nebel des Todes getauft) über den Pass, für uns das Zeichen uns in die warmen Daunenschlafsäcke zu verkriechen.
Am nächsten Morgen wurde der erste Blick aus dem Zelt mit strahlendem Sonnenschein begrüßt, doch frischer Wind und deutlich niedrigere Temperaturen als am Vortag bestimmten die Kleiderordnung. Nach langer Zeit (3 Jahre) konnten wir wieder auf altbewährtes zurückgreifen und erfreuten uns an einem leckeren Millupa Griesbrei und dem ersten Kaffee des Tages/Urlaubs. Als wir dann zu See hinunterliefen, bemerkten wir auf einmal was fehlte. Kein Summen, kein Stechen; de Kolleschens waren weg! Am Wasser angekommen wurden wie Zeuge eines Massensterbens, die ganze Oberfläche war übersät mit Mückenkadavern – die kalten Fänge des Nebels des Todes hatten ihren Tribut gefordert (wie schade)! Wenige Zeit später waren wir Abmarschbereit um unser nächstes Ziel, die Alkavare Kapelle, anzusteuern. Erst an den Hängen des Sees entlang, dann weiter durch zerklüftetes Gelände mit kleineren Tümpeln, war die Strecke erstaunlich gut zu gehen. Zwischendurch nahmen wir unsere morgendliche Proteine zu uns, hielten aber an dem Ziel fest, die Mittagspause auf der Ost-Seite des Nuortap Rissàvàrre Berges zu machen von dem wir erste Ausblicke auf das Etappenziel bekommen würden, und in Ruhe die genaue Routenführung planen könnte. Als wir die Seenplatte verließen suchten wir uns einen Weg der dem für uns besten Distanz/Höhenmeter Verhältnis entsprach. Neben einem kleinen Bach (auf dieser Seite war das Wasser etwas knapp und das finden war nicht ganz so leicht) wurde dann recht spät gekocht. Wir hatten generell geplant Mittags nur Outdoor-Nahrung zu essen, die mit kochendem Wasser aufgegossen werden und danach ziehen musste. Das sparte Zeit, reduzierte maßgeblich die Materialschlacht und ermöglichte auch im Regen schnell und ohne Zeltaufbauen eine stärkende, warme Mahlzeit zu sich zu nehmen. Tief im Tal rauschte der Miellädno; unser nächstes Problem! Vor ein paar Jahren wurde die Brücke weggeschwemmt und durch drei Boote ersetzt… davon gingen 2 unter… im Normalfall ist dann das letzte Boot auch noch auf der anderen Seite und man muss durch den langen, hüfttiefen Ablauf des Alkajàvrres waten. Das war soweit unser Stand der Dinge und die Information war auch schon 3 Jahre alt. Es ist generell sehr schwierig verlässliche Informationen über die jeweilige Situation im Sarek zu bekommen, was die Planung im Vorraus ziemlich kompliziert macht da man andauernd Alternativen in betracht ziehen muss – selten verläuft dort eine Tour so wie sie auf der Karte geplant war. Man muss sich hier immer vor Augen halten, dass man an Start eine begrenzte Anzahl an Tagen zur Verfügung hat und ein ungefähres Ziel, alles was dazwischen befindet muss vor Ort flexibel gestaltet werden… Doch zurück zu unseren Booten, hier hatten wir Glück. Von weitem konnten wir eine rostige Metallstruktur ausmachen; die Reste der Brücke? Es war zumindest einen kleinen Umweg wert. Vor Ort angekommen war unsere Freude groß da die Brücke wieder aufgebaut worden war, nur das Verbotsschild milderte den Jubel. Die Verankerungen waren neu in Beton gegossen worden und alles schien stabil, sodass wir einzeln die Grenze der zwei Nationalparks überschritten. Nun waren wir nach 4 Tagen Reise endlich im Sarek angekommen. Am nördlichen Ufer ging es dann weiter in Richtung Kapelle wobei wir erst den Gàinàjjågåsj durchwaten mussten – die erste Überquerung dieser Tour! Oberhalb des Etappenziels schlugen wir unser Zelt auf, es war sechs Uhr. Über und thronte der Alkavare im warmen Licht der späten Sonne. Wir brauchten uns gar nicht anzuschauen, dieser Berg würde heute noch bezwungen werden!
Mit leichtem Gepäck waren wir wenige Zeit später auf dem Weg die letzten 700 Höhenmeter des Tages zu meistern. Die karge Bergvegetation erleichterte unser vorankommen. Nachdem wir den ersten Sockel erreicht hatten wurde der Boden immer Steiniger, doch immer noch schafften es (bis fast zum Gipfel) kleine Hochmoore uns den Weg zu versperren. Auf dem Weg zum zweiten Sockel bemerkten wir eine kurze Bewegung vor uns, Stop! Innerhalb weniger Sekunden war die Nikon schussbereit. Eine Familie Polarhühner lag regungslos zwischen den Steinen, fast unsichtbar. Auf der unmotivierten Flucht schafften sie es immer noch hier und da einen Grashalm zu picken… Langsam verschwanden auch die letzten Gräser und die Geröllhänge wurden immer wieder von Schneefeldern unterbrochen. Passend zu den letzten Sonnenstrahlen erreichten wir schließlich den Gipfel. Nach ein paar Fotos begannen wir mit dem Abstieg den wir noch vor Einbruch der Dunkelheit beendeten. Zur Feier des Tages gab es Spaghetti Bolognese mit echtem Hack (gefriergetrocknet).

Vom Alkavare ins Sarvesvagge (1 Tag) 12km
Tags darauf war es im Zelt schon dunkler als an den Vortagen und unser Verdacht auf schlechteres Wetter bestätigte sich mit dem ersten Blick nach draußen. Dunkle Wolken zogen über uns hinweg und der am Vortag noch so einladende Gipfel stand bedrohlich mittendrin. Der Sarek zeichnet sich besonders durch seine unberechenbaren Wetterlage aus die von Tal zu Tal von Sonnenschein zu Schneesturm nicht unterschiedlicher sein könnten. Die Bergbesteigung am Vortag bei gutem Wetter hatte sich als richtige Entscheidung erwiesen. Beim Frühstücken entdeckten wir ein Zelt unmittelbar neben der Kapelle, dessen Eigentümer uns einen Besuch abstattete und uns erklärte, dass es nach 7 Tagen trockenen Wetters allerhöchste Zeit war den Sarek wieder zu verlassen da dieses Glück nicht anhalten konnte! Das sollte dann auch die einzige menschliche Begegnung während der Tour fernab der Wege sein. Am Nordufer des Sees entlang fanden wir schnell einen Rentierpfad der uns ins Alggavàgge führte. An dieser Stelle war die Durchquerung des 2km breiten Tals undenkbar; das Flußdelta inmitten der Sümpfe war nicht gerade einladend. Folglich mussten wir weiter nach Osten um eine Stelle zu suchen an der das Tal enger wurde und die Vegetation spärlicher. Dort mussten wir nur noch einen breiteren und geraden Flussabschnitt finden um möglichst wenig Strömung und eine minimale Wassertiefe zu haben (die zwei Eigenschaften lassen sich selten kombinieren). Eine geeignete Stelle war nach einiger Zeit ausgemacht und jeder machte sich auf seine Weise bereit das trübe, sedimenthaltige Gletscherwasser zu bewältigen. Tasaio, dessen Wanderschuhe keine Gore-Tex Membran hatten (danke an dieser Stelle für die gute Beratung im Laden), entschied sich für Sandalen und musste zügig vorankommen, um nicht allzu sehr auszukühlen. Die Regenhose (für den Trick müssen die Reisverschlüsse auch wasserdicht sein) über hohes wasserdichtes Schuhwerk mit Schnellspannern zugeschnürt erlaubt ein paar trockene Schritte auch durch tiefes Wasser und gibt ein großes Maß an Stabilität. Doch das wichtigste Utensil bleibt der Watstock: 2m lang, stabil - das dritte notwendige Bein.
Von der anderen Seite aus verließen wir das Haupt-Tal um in das Niejdariepvàgge abzubiegen, dem Verbindungsweg zum Sarvesvàgge. Nach einigen Höhenmetern und einem besseren Einblick auf die Route studierten wir etwas genauer den Weg der vor uns lag, Auf der momentanen Bachseite hätten wir drei Gletscherabflüsse zu bewältigen, und das an einem sonnigen Nachmittag (das Wetter hatte sich gebessert) an dem die Schneeschmelze am stärksten war. Wir mussten also auf die andere Seite des in Kaskaden verlaufenden Gebirgsstroms der sich über Jahrtausende durch das erzhaltige Gestein gefräst hatte. Wir machten erst mal Mittag! Nach ein paar fruchtlosen Versuchen eine passierbare Stelle zu finden, erblickte Tasaio eine Engstelle über einem Wasserfall und schaute sich diese ohne Gepäck etwas näher an. „das passt, das ist nur ein kleiner Sprung… OK, dann spring zurück und hol deine Sachen… zurück? Ups! Was 30cm Höhenunterschied ausmachen können. De facto hatten wir ein Problem! Erst einmal wurde das gesamte Material in Ufernähe gebracht und dann über Alternativen nachgedacht. Werfen war bei über 25kg utopisch, also versuchten wir die Rucksäcke über die Watstöcke rutschen zu lassen doch war das Gewicht auch hier zu groß, folglich mussten kleine Pakete gemacht werden, die einzeln hinüber gereicht wurden… zuletzt noch ein Sprung, der die Meisterung dieser Prüfung besiegelte! Der Aufstieg bis zur Wasserscheide ging auf der Seite größtenteils über einen breiten Sockel und vereinfachte das Vorankommen über den durch Eisdruck gepflasterten Boden. Einige Stunden später gab es kaum einen Stein, der nicht durch Frostsprengung gelitten hatte. Die geologische Vielfalt, die sich in den vielen Farbvariationen wiederspiegelt ,war an keinem anderen Ort so beeindruckend wie hier. Doch neben Geröll- und Eisfeldern schafften es Moose und kleine Blumen selbst in dieser lebensfeindlichen Umgebung zu überleben. Als wir endlich wieder bergab gehen konnten, war die Erleichterung bald das Lager aufschlagen zu können nicht unerheblich. Der Blick in das breite Tal der Sarvesvágge ließ uns die Entscheidung der Wegänderung nicht bereuen und die saftigen Wiesen unter uns, durchlaufen von kleinen Bächen sollten eine der gemütlichsten Schlafunterlagen der gesamten Durchquerung werden. Das Lager wurde aufgebaut, Essen gekocht, der Bach gestaut, ein Moor geflutet… was man halt so ohne Kartenspiel macht! Ab diesem Abend waren die freilaufenden Rentiere unsere ständigen Begleiter und da sie nicht stachen war dieser Teil der Fauna weitaus willkommener…


Durch das Sarvesvàgge (1 Tag) 16km
Bei schönstem Sonnenschein Starteten wir Tags auf in den Morgen der mit der hier noch Trivialen Durchquerung des Sarvesjåhkkå begann. Schon 10 km weiter ist der Wasserlauf so durch Schmelzwasser angeschwollen, dass jede Überquerung ein kräftezehrendes und gefährliches Unterfangen ist. Die Etappe gehörte zu den schönsten des ganzen Urlaubs da nirgends eine so große Vielfalt geboten wurde wie hier. Wir waren im Schnee und Geröll der Wasserscheide gestartet, um durch die immer dichter werdende Vegetation letztendlich in den von Birkenwald umgebenen Sümpfen im Deltabereich im Rapandalen zu landen. Doch nicht nur das Tal sondern auch die Berge drumherum variierten von großen massiven, alleinstehenden Gipfeln über die Abbruchkanten von Hochplateaus immer wieder unterbrochen durch enge Seitentäler und reißende Bäche die in beeindruckenden Kaskaden talabwärts rasten. So langsam hatten wir auch Wat-Routine bekommen und schafften es zügig, alle nassen Hindernisse zu überwinden. Durch das gute Wetter der Vortage, kam uns der Wasserstand sehr entgegen was alles vereinfachte. Dennoch, auch bei Top Voraussetzungen, wäre die Durchquerung des Sarvesjåhkkå im Deltabereich wie anfangs geplant, eine äußerst respektvolle Angelegenheit gewesen. Wir hatten mittlerweile auch gelernt die von weitem klein aussehenden Rinnsale nicht zu unterschätzen; wenn man davor steht siehts meistens ganz anders aus. Besonders das kilometerweit hörbare Rauschen gab einen gewissen Aufschluss über die tatsächlichen Wassermassen.
Anfangs führte der Weg über kurzes Gras welches rasch immer höher wurde, dort scheuchten immer wieder Lemminge auf die sich quiekend ins nächste Loch retteten. Langsam kamen kleine Inseln Weidengebüschs hinzu, die schnell an Größe, Höhe und Undurchdringlichkeit gewannen. Diese Pflanze hat erstaunliche Eigenschaften, nebst ihrer Robustheit gegen Tritte und Schläge, wächst sie nicht gerade hoch sondern formt durch Zick-Zack Wucherung perfekte Fußangeln. Nach einer Weile wichen auf die Uferböschung aus und konnten sogar ab und zu über eine Sandbank laufen. Der restliche Weg war jedoch ein ständiger Kampf zwischen Gebüsch und Steinen umgeben von Mooren. Als am Abend die Sonne unterging und unsere Trittsicherheit langsam abnahm erreichten wir das auferlegte Ziel in einem Birkenwald am Rande des Infernos.

Das Inferno (1 Tag) 8,5 km
Das südliche Ufer des Rapandalen wird von manchen als Naturerlebnis ohne Gleichen beschrieben, andere nennen es einfach nur Inferno! Die tieferen Lagen sind durch Sümpfe geprägt; will man diese umgehen (und man will definitiv), muss man durch den Wald. Der sogenannte Wald ist die Mutter aller Birkenurwälder, deren üppige Vielfalt das Vorankommen fast unmöglich macht. Auch die Elchpfade sind zwar hilfreich verlieren sich aber in den unpassendsten Momenten. Ein Vorankommen von 500m pro Stunde lässt einem viel Zeit dieses Naturerlebnis ohne Gleichen richtig zu genießen… was haben wir den Autor dieses Buches an diesem Tag verfluchen können! Verlässt man den Wald bergauf dann quert man die steilen Flanken des Bielloriehppe Massivs, deren Hauptunterschied das Fehlen von Bäumen ist. Neben Geröllfeldern gedeiht das Weidengestrüpp an dieser Stelle besonders gut. Nun ist es ja so, dass ein Ausflug in Nordschweden ohne Regentag nicht authentisch wäre, doch musste dieser Fall gerade hier eintreffen? Kurz nach dem Start regnete es sich so richtig ein. Der komplette Gore-Tex Schutz hielt anfangs das Wasser noch ab, doch die Sümpfe verlangten uns schon früh ihren Tribut ab, sodass wir schon anfangs nasse Schuhe hatten. Hier lernten wir noch eine weitere Eigenschaft des Weidengestrüpps kennen; Ist es erst mal mit Wasser aufgesogen gibt es dieses beim Vorbeigehen gerne ab… und es kann viel aufsaugen! Konnten wir erst einmal den Wald verlassen hatten wir eine phantastische Aussicht auf den Rapandalen, den Platz mit der größten Großwildkonzentration Schwedens. Dumm nur, dass bei Regen alles in der Wald flüchtet! Immerhin sahen wir einen Schwan – genau dafür waren wir in den Sarek aufgebrochen! Die Geröllfelder, die sich nun vor uns auftaten waren so glitschig, dass unser Vorrankommen nochmals gebremst wurde. Und die Stürze im Gestrüpp häuften sich je weiter der Tag voranschritt. Am späten Nachmittag kamen wir endlich in Sichtweite der Lavnem Antenne, Verbindungsstation zum Notfalltelefon und erster möglicher Zeltplatz. Die zwei letzten Kilometer wurden etwas einfacher und als wir müde fast am Ziel waren, tat sich vor uns eine Schlucht mit passendem Gletscherbach auf. Wir entschieden uns an einem weniger steilen Abschnitt für die Durchquerung. Ohne Motivation wurden die Regenhosen festgezurrt, viel konnte sowieso nicht mehr nass werden. Der erste Schritt war knietief… egal Augen zu und durch. Auf der anderen Seite suchten wir uns einen passenden Platz und Bauten unser Zelt in den Böen des aufziehenden Sturms auf, selbst unsere Watstöcke wurden als zusätzliche Ankerpunkte in den Boden gerammt. Als das Zelt stand machte ich mich nochmal bis zum Bach auf um unsere Wasserreserve aufzufrischen. Total durchfroren kroch ich danach in den grünen Tunnel und brauchte mich nur noch in meinen Schlafsack zu schleppen; alles war schon aufgestellt! Vielleicht nur eine kleine Geste, die aber bei einem gewissen Erschöpfungsgrad umso schwerer fällt, dennoch ungemein aufbauend ist. Dementsprechend ist es umso wichtiger ein eingespieltes und verlässliches Team zu haben. Einmal aufgetaut mit einer warmen Mahlzeit im Bauch konnten wir endlich aufatmen, das Inferno war bezwungen! Die durchnässten Kleider hatten wir einfach vor das Zelt geworfen, mit Glück würden sie Trocknen, schlimmer konnte es eh nicht werden. Schnell fiel der Schlaf über uns her, aus dem wir die ganze Nacht immer wieder rausgerissen wurden, da teilweise die Böen das Zelt niederdrückten. Doch das Zelt hielt Stand ...

Durch das Gadokvàgge (1 Tag) 11 km, zum Observatorium (1 Tag) 21 km
Der Regen hatte sich in Schneefall verwandelt und die gefühlte Außentemperatur war weit unter dem Gefrierpunkt, was das Herauskriechen aus den Daunen sehr verlangsamte. Als wir schließlich abmarschbereit waren brach der Himmel immer weiter auf. Wind und Sonne trockneten die am Rucksack befestigten nassen Sachen in Rekordzeit. Das Gelände war viel flacher und das Weidengestrüpp wurde immer niedriger.
Mittags suchten wir uns einen riesigen Felsen in dessen Schutz wir einen wohlverdiente Pause einlegten. Das Panorama welches sich dort vor uns auftat war atemberaubend, das Tor zum Sarek. In einem riesigen Delta mündet der Rappaädno im Laitàvrre See. Auf einer Linie flankiert und unterbrochen durch den Skierfe, den Tjahkkelij und den Soubbattjåhkkå; steinerne Wächter, welche die Grenze des Nationalparks bilden dazu noch eine Herde Rentiere im Vordergrung und das Bild war perfekt! Am Nachmittag besserte sich das Gelände immer mehr und das Etappenziel, die Brücke über den Gadokjåhkkå wurde schnell erreicht. Diesmal suchten wir uns ein windgeschütztes Lager und wurden den ganzen Abend von sehr neugierigen und zutraulichen Rentieren bewacht! Nichts hätte uns diese Nacht aufwecken können.
Fünf Kilometer weiter erreichten wir am nächsten Morgen den Fuß des Pårte Massivs. Das schöne Wetter ermunterte und die klassische Route über den Grad bis zum Observatorium zu sehen. Die knapp 1000 Höhenmeter waren mit Leichtem Gepäck und vollem Bauch in Rekordzeit bewältigt. Die folgende Wanderung über den Grad war… steinig. Im Grunde besteht der gesamte Berg nur aus losem Geröll und das kilometerweit! Zwischen Eisfeldern und bizarren Steinstrukturen durchquerten wir diese farbenfrohe Steinwüste bis wir den letzten Aufstieg zum Axel Hamberg Observatorium erreichten, welches über dem Bårddejiegna Gletscher thront angingen. So langsam konnten wir keine Steine mehr sehen. Die skurrilen Installationen der 1911 gebauten Station laden zum Rätselraten über ihre Funktion ein. Nach kurzer Suche und ausgiebigen Fotos, fanden wir auch als erste Besucher des Jahres unseren zweiten Cache. Der Abstieg und Rückweg durch die Trümmerfelder zehrte sehr an unseren Nerven und forderte ein hohes Maß an Konzentration um Stürze zu vermeiden. Endlich hatten wir in der Dämmerung unser Gepäck wieder auf dem Rücken und Stiegen bis zur ersten ebenen Stelle ab. Beide träumten diese Nacht von Steinen!

Bis zum bitteren Ende (1 Tag) 22 km
Bis nach Kvikkjokk waren es noch knapp 22km und uns war von vornerein klar, dass wir wenige Kilometer vor unserem Endziel, Bier, Duschen und Rentier-Burgern mit Pommes nicht nochmal Rasten würden. Mit nur noch knapp 22kg Gepäck waren wir nun auch schneller unterwegs und das Training der letzten Tage, unterstützt durch eine optimierte Ernährung, ließ uns sehr schnell im guten Gelände bis zum (verlassenem) Samendorf Pårek kommen. Von dort aus schafften wir uns einen Weg durch das Gewirr der kleinen Trampelpfade bis wir auf dem richtigen Weg waren. Ein kleiner Pfad bringt einen die letzten Kilometer bis zum Kungsleden. Sogar Holzplanken über den Morast gab es hier… und kleine Brücken. Nach einer Weile kamen uns die ersten Menschen seit Tagen entgegen, nicht unbedingt  Sarekdurchquerer aber gut ausgerüstete Outdoor-Liebhaber die am Rande des Nationalsparks etwas Abenteuer Fernab des Königwegs schnuppern wollten. Bisweilen war jeder Versuch einen Lemming zu fotografieren fehlgeschlagen aber an diesem Tag trafen wir auf ein sehr kooperatives Exemplar welches uns schöne Bilder bescherte. Die Rentiere hingegen waren allesamt seltsam in diesem Bereich. Das erste war eher ein zerzaustes Schaf und die zwei nächsten hatten einen riesen Spaß durch den Sumpf mit Vollgas zu rennen. Das letzte (wir waren gerade am Essen) hüpfte gemütlich um eine Kurve und erspähte uns, blieb 2 Sekunden versteinert stehen, machte eine 180 Grad Wende bei der es beinah gestolpert wäre und verschwand als wäre der Teufel höchstpersönlich hinter ihm her. Ungläubig sahen wir uns an. Die spinnen doch die Rentiere! Schließlich passierten wir die Parkgrenze die durch eine Infotafel gekennzeichnet ist. Dort war zu lesen: „… und große Sarek-Elche…“ Ja, und ein Naturerlebnis der besonderen Art, speziell im Regen… ach ihr könnt uns mal alle! Endlich trafen wir auf die Autobahn, ähh Kungsleden. Wenn mal einmal im Sarek war kann man nicht wieder auf die Wege zurück. Vielleicht auf sehr abgelegene, aber die Hauptwege gehen gar nicht mehr. Das ist der Preis! Viele Wanderer sind natürlich auch hier um die Schönheit der Natur zu genießen, doch es gibt auch viele die, durch den allgemeinen Outdoortrend beflügelt, sich auf eine harte zwischenmenschliche Prüfung einlassen. Besonders die verschiedenen Pärchen bei denen vorneweg ein überaus glücklicher Mensch den Weg öffnet, gefolgt von seiner komplett entgeisterten und genervten Freundin. Besonders spannend wird es an dem Tag wo sie merken, dass die Flanellhemden die nächste Brut nicht werden abhalten können! Klar muss jeder mal klein Anfangen und seine Erfahrungen sammeln, aber lieber aus Überzeugung und nicht weil man auf der Trendsportwelle reitet… Am frühen Abend kamen wir in Kvikkjokk an. Einiges hatte sich hier an der Fjällstation geändert. Die Sami-Familie die früher das ganze leitete war durch ein trendigeres Team ausgetauscht worden und im Eingangsbereich konnte man in den bequemen Sesseln der Lounge auf den Fachbildschirm starren. So gab es auch keinen Grund mehr in dieser flairlosen Umgebung mit seinen Mitmenschen zu reden… Schade! Wir nutzten den nächsten Tag um unseren Cache zu warten und eine Backup-Box anzubringen. Dann, am Abend, kam fast zufällig Da-Miche (Tasaios Nachbar) mit Freundin durch die Tür herein, hocherstaunt, dass wir schon da waren. Er hatte sich als erste Tour den Kungsleden rausgesucht und erst nach aller unabhängiger Planung hatten wir bemerkt, dass unsere Wege zusammenliefen! Zusammen tranken wir noch ein paar Bier, machten noch eine Wanderung und nach 2 Tagen waren wir froh endlich wieder Richtung Kiruna (mit Zwischenstopp in Jokkmokk und Gällivare) zu fahren. Dort angekommen mussten wir noch 1,5 Tage Totschlagen und kamen auch in den Genuss betrunkener Minenarbeiter aber das ist eine andere Geschichte… Irgendwann saßen wir dann im Flieger nach Frankfurt und waren glücklich endlich anzukommen. Jetzt nur noch die Caches der letzten Wochen loggen, die 1500 Fotos sortieren und die nächste Tour angehen...


Fazit
Als Fazit zur Tour gibt es schon ein paar Dinge zu bemerken. Ganz klar, Gewicht sparen bleibt immer das Hauptthema. Wir hatten definitiv zu viel zu essen dabei, für die nächste Tour werden wir auf 800g/Tag-Person runter gehen können. Das absolute No-Go war das Outdoorkissen mit Loch. Das gängige Material war schon durch die vorherigen Touren optimiert und mit etwas Luxus ergänzt worden, darunter auch der Hautdesensibilisator gegen Mückenstiche. Die Erste-Hilfe-Tasche war zwar schwer aber nicht  rationalisierbar, wie vieles, das wir nicht gebraucht haben aber im Notfall unabdingbar gewesen wäre. Zu dem kommen fast 3 kg Fotoausrüstung, 1 kg Kaffee und Anti-Brumm-Spray, ohne die keine Tour starten kann. Bei der Planung war ebenfalls der Zeitfaktor ungewiss. Am Ende waren wir zu schnell unterwegs und wir hätten diese Tage mit einbauen sollen. Wir hatten zwar geplant wie man die Tour kürzen kann jedoch nicht wie man sie verlängert. Safari und Gipfeltouren sind eine gute Ergänzung, mit passendem Equipment auch eine Gletschertour…! Ob sich der Flug nach Kiruna gelohnt hat ist eine andere Frage. Mit dem „Höllenexpress“, der Zugverbindung von Stockholm aus, wären wir letztendlich schneller gewesen. Besonders die Planungsphase vorab hat wenig Platz für böse Überraschungen gelassen und man muss sich über Alternativrouten und Notfallpläne im klaren sein. Bricht man sich das Bein muss man 3 Tage alleine überleben können, bis der andere mit dem Rettungsheli zurückkommt... solange sind Schmerzmittel, etc... ausgelegt! Man muss bei der Planung sehr pragmatisch sein und wissen worauf man sich einlässt (auch wenn es ja meistens gut abläuft) dann kann man in ruhe den Urlaub genießen! Insgesamt war die Tour aber ein voller Erfolg der sich hoffentlich wiederholen wird. Wer nun Blut geleckt hat und selbst den Norden erforschen will dem kann ich nur dieses kleine Handbuch in Deutscher Sprache für den Sareks empfehlen.

Tourengänger: Tasaio, Elminster


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Geodaten
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Kommentare (1)


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TeamMoomin hat gesagt: Super geniale
Gesendet am 18. Januar 2012 um 12:44
Tour habt ihr da gemacht, da kriegt man gleich Heimweh! Der Sarek muss echt was ganz spezielles sein, da möchte ihc auhc gerne mal hin. den Dovrefjäll in Norwegen kann ich auch nur empfehlen.

Grüsse

Oli und Moomin


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