Paris: Geschichtsträchtige Kirchen - und etwas Pech


Published by PStraub , 10 December 2024, 14h11.

Region: World » France » Île-de-France
Date of the hike:10 December 2024
Hiking grading: T1 - Valley hike
Waypoints:
Geo-Tags: F 

Schon lange wollte ich Saint-Denis im Norden von Paris besuchen, da es zu den Kirchen zählt, mit welchen die Gotik "erfunden" wurde. Allerdings galt die Gegend als "explosiv", so habe ich es lange aufgeschoben. Doch weil in diesen Tagen auch Notre-Dame nach (weitgehend) abgeschlossenem Wiederaufbau neu eröffnet wurde, ergriff ich die Gelegenhait und fuhr für zwei Tage nach Paris. 

Für den Besuch in Notre-Dame wollte ich eine Online-Reservation machen, aber deren Server war unter dem Ansturm zusammengebrochen. Als ich nach Stunden reinkam, waren die Tickets, falls es überhaupt welche gab, schon weg. So fuhr ich halt ohne Reservation, im Sinne von: Wenn es mit dem Eintritt nicht klappt, tant-pis, dann mach' ich halt was anderes.

Es ist ja nicht so, dass ich vorher noch nie in Paris gewesen wäre: Mein erster Besuch war 1969. Damals fuhr ich mit meinem R8 dorthin, natürlich alles über Land, Autobahnen gab es ja noch keine. Wer den Film Week End (1967) von Jean-Luc Godard gesehen hat, hat eine nur mässig überzeichnete Vorstellung davon, wie abenteuerlich die Fahrerei in Frankreich in jener Zeit war.

Da ich die erste Nacht in Paris im Auto übernachtet hatte - Autos hatten noch Sitze, welche man zu einer Art Bett umklappen konnte - erlebte ich das Erwachen der Stadt am frühen Morgen, wie es Jacques Dutronc (1968) in 'Il est cinq heures, Paris s'éveille' nicht völlig jugendfrei besungen hatte. Das Lied wurde gut 30 Jahre später zum französischen „Chanson des Jahrhunderts" gewählt.

Bei diesem und bei späteren Besuchen mit Irène habe ich die gängigen Kultur-Sehenswürdigkeiten wie Louvre, Versailles, die  Conciergerie, das bei unserem Besuch erst teilweise eröffnete und praktisch menschenleere Musée d'Orsay und viele weitere besichtigt. Bewusst nicht besucht habe ich den hässlichen Eiffelturm und die Zuckerbäcker-Stilsünde Sacré-Cœur.

Paris beherbergt zwar den UNESCO-Hauptsitz , hat aber selber nur ein eher "behelfsmässiges" Weltkulturerbe: das Seineufer von Paris.
Behelfsmässig, weil es sich aus einer ganzen Reihe von Bauten und Gebäudekomplexen zusammensetzt, deren Zusammenhang allenfalls ein örtlicher ist. Das ist neuerdings Mode. Doch was kann der kulturell Interessierte mit zusammengewürfelten Welterbestätten wie den Buchenwäldern in Europa (18 Länder!), den prähistorischen Pfahlbauten der Alpen (6 Länder) oder den Inkawegen in den Anden (6 Länder) anfangen? Der baugeschichlich wichtigste Bau darunter ist die Kathedrale Notre-Dame de Paris, mehr davon ganz unten.

Mein diesjähriger Besuch galt vier aussergewöhnlichen (Ex-)Kirchen, welche nur bedingt oder gar nicht als Weltkulturerbe zählen.

Basilika Saint-Denis

Erst fuhr ich mit der Metro nach Saint-Denis. Obwohl die Hauptstadt eines Départements, ist das Zentrum der Stadt Saint-Denis zwar einigermassen belebt, aber nicht gerade prächtig.
Wie derzeit in halb Paris stehen vor der Kirche und rundherum überall Absperrungen und Gerüste, nur die Westfassade war einigemassen zugänglich.

Der Auslöser für meine Reise war ja die (Ex-Abtei-)Kirche von Saint-Denis. Seit 1966 ist sie Sitz des damals neu geschaffenen Bistums Saint-Denis und somit eine Kathedrale. 

Das Département Seine-Saint-Denis steht symbolisch für vieles, was in Frankreich in den letzten 50 Jahren falsch gelaufen ist. Bandenkriminalität, Verwahrlosung, islamistische Agitation: Immigration ohne Integration.
Es entbehrt nicht der Ironie, dass ausgerechnet hier die Wiege der französischen Nation steht. 

Die Kirche der Abtei Saint-Denis diente seit 564 einigen merowingischen und seit Karl dem Kahlen bis 1830 fast allen französischen Königen und vielen Königinnen als Grablege. Entsprechend reich wurde die Abtei ausgestattet, sie hatte Besitz in halb Europa. Schliesslich musste ja jemand für das Seelenheil der Stifter beten. Das war nicht zuletzt bei den Merowingern, die sich gerne gegenseitig abschlachteten (siehe etwa hier), sicher nicht unbegründet. 

Unter Abt Suger erreichte Saint-Denis seinen grössten Einfluss. Suger vertrat als Regent den König während dessen Abwesenheit im 2. Kreuzzug.
Dieser Glanz sollte sich auch in einer entsprechenden Kirche wiederspiegeln. Deshalb liess er ab 1137 eine Kirche bauen, wie es sie bisher nie gegeben hatte: den ersten Bau, in welchem alle gotischen Stilelemente wie Spitzbogen, Chorumgang und Pfeiler zusammenfanden. 

Saint-Denis zählt mit Saint-Étienne in Sens zu den frühesten Bauten in gotischem Stil. Wie meist wurde beim Bau mit dem Chor begonnen, welcher in Sens noch deutliche romanische Elemente aufweist. Erst im Baufortschritt wird die Gotik dominant. Bei Saint-Denis und Notre-Dame ist das weniger ausgeprägt, Notre-Dame ist etwas jünger und der Chor von Saint-Denis wurde bereits im 13. Jh. umgebaut. 
Die Stil-Verwandschaft zwischen Sens und Saint-Denis ist nicht zufällig: Suger von Saint-Denis und Henri Sanglier von Sens waren miteinander befreundet und tauschten sich aus.

Es ist unklar, wieviel Originalsubstanz in Saint-Denis noch vorhanden ist, schliesslich wurde die Kirche mehrfach umgebaut und während der Französischen Revolution weitgehend verwüstet. Dabei wurden die Fenster und die meisten Skulpturen zerstört und die Königsgräber geplündert. Ausserdem wurde der vom Blitz beschädigte Nordturm in den 1840er Jahren abgetragen. Doch noch heute umgibt den Bau die Aura einer grossen Vergangenheit.
Seit 1996 steht Saint-Denis auf der Tentativliste Frankreichs zum UNESCO-Welterbe.

Ungewöhnlich am Bau ist, dass die Längsachse viermal ändert, der Chor ist schmaler und weicht gegenüber dem hinteren Schiff deutlich nach rechts ab. Was bewirkt, dass die Vierung alles andere als quadratisch ist.

Im Chor sind Grabplastiken von Königen gruppiert, die beim Wiederaufbau gerettet werden konnten. Die Krypta nimmt den ganzen Raum unter dem Chor ein. Sie besteht vor allem aus mächtigen Säulen, da diese das ganze Gewicht des darüber stehenden Baues aufnehmen müssen.

Von Saint-Denis fuhr ich zur Haltestelle Madeleine und besuchte die gleichnamige Kirche. 

La Madeleine

Die Kirche La Madeleine wurde auf einer leichten Anhöhe erbaut. Madeleine steht für Maria Magdalena, ein sonst eher in Südfrankreich beliebtes Patrozinium. 

Im klassizistischen Bau mit dem wuchtigen Säulenvorbau würde man kaum eine Kirche vermuten. Aber schliesslich wurde es nach einigen Wendungen doch noch eine. 
Mit dem Bau begann man 1764. Erst wurde der Eingangsbereich (Portikus) im griechischen Stil errichtet. Doch dann kam die Revolution, wo Kirchen eher abgefackelt als gebaut wurden - siehe oben. Darauf folgte Napoléon, welcher daraus eine Ruhmeshalle zu Ehren seiner Armeen machen wollte. Doch im Zuge der Restauration der Bourbonen-Monarchie wurde der Bau wieder eine Kirche - jetzt zu Ehren von Ludwig XVI. und Marie Antoinette, welche kurz zuvor den Kopf verloren hatten. 
So konfus wie die Baugeschichte ist auch das Stilgemisch: Aussen ein griechischer Tempel mit über 50 mächtigen Säulen, innen ein Mix aus Antike, Renaissance und allerlei anderem. Aber immerhin passt es irgendwie zusammen. Und die Lage ist toll.

Von dort wanderte ich die Rue Royale hinunter zur Place de la Concorde, dann durch den Tuilerien-Park zum Louvre und schliesslich der Seine entlang zur Île de la Cité. Wenn man nicht zu oft anhält, ist das in einer knappen Stunde gut zu machen.
Je näher ich Notre-Dame kam, umso dichter wurden die Menschenmassen. Der Platz vor der Kirche ist abgeriegelt, vor einem seitlichen Einlass stauten sich die Wartenden über Dutzende von Metern. Und die Schlange bewegte sich nur, wenn ab und zu Wartende diese verliessen.

So gab ich auf und wanderte den Boulevard St. Michel hinauf zum Pantheon.

Pantheon

Da ich schon daran war, Kirchen abzuklappern, war das Panthéon (eigentlich 'alle Götter') eine naheliegende Wahl. Wie der Invalidendom war der Bau als Kirche geplant, wurde aber im Zuge der Revolution "umgenutzt", der Invalidendom (teilweise) als Napoléon-"Heiligtum", das Panthéon als nationale Ruhmeshalle.

Der heutige Bau ist ein Stilmix aus Neo-Renaissance und Klassizismus mit weiteren Elementen. Das Besondere daran ist allenfalls seine Grösse. Und die chaotische Planung. 
Die Abtei Sainte-Geneviève war ein reiches und mächtiges Kanoniker-Kloster. Das sollte mit einer entsprechenden Kirche gezeigt werden. Begonnen hat die Planung um 1630, doch erst 1764 wurde der Grundstein gelegt. Als der Bau 1790 fertig war, waren die Auftraggeber weg - soweit sie nach am Leben waren.
Historisch bedeutender wären somit die Vorgängerbauten gewesen.

Die Anlage auf dem Montagne Sainte-Geneviève gab es seit dem 5. Jh., dort waren viele Merowingerkönige und die Pariser Schutzpatronin St. Genoveva begraben. Die Abtei war eine der Keimzellen der Pariser Universität, ihre Kirche und Notre-Dame waren die Promotionsorte der Universität.

Letzte Teile der von der Abtei erhaltenen Gebäude aus dem 13. bis 17. Jahrhundert wären im Lycée Henri IV auffindbar. Die gotische Stiftskirche wurde im 19. Jahrhundert abgebrochen, der Glockenturm blieb erhalten, kann aber, da Teil des Lycée-Gebäudes, nicht besucht werden.

Die Führer der französischen Revolution erklärten den Bau zur nationalen Ruhmeshalle.
An sich hatte ich mir darunter etwas vorgestellt wie die Ruhmeshalle in München oder die Walhalla in Donaustauf: Einen Saal mit Büsten und Gedenktafeln. Doch hier werden tatsächlich Leichen aufbewahrt.
Im Erdgeschoss sind die Wände mit historizierendem 19.-Jh-Firlefanz bemalt und in den Zwischenräumen stehen, na ja, grosse Skulpturen. Unten in der Krypta soll es tatsächlich Knochen von bedeutenden Personen haben. Ich fand das schon im Escorial gruselig, und dort sind sie weit älter.

Eigentlich das einzig Bemerkenswerte ist das Foucauldsche Pendel, dessen Aufhängung in der Kuppel in 63 m Höhe befestigt ist.

Emily soll gemäss Netflix zwar in Paris sein, ich habe sie aber nicht gesehen. Aber an ihrem - fiktiven - Wohnhaus bin ich vorbeigekommen. Es ist ganz in der Nähe des Pantheons und wurde zu einem Touristen-Hotspot.

Kathedrale Notre-Dame de Paris

Auch wenn ich es dieses Mal nicht einmal auf den Vorplatz geschafft habe, erwähne ich sie jetzt doch noch.
Zu den wichtigen Bauten innerhalb des Seineufer-Weltkulturerbes gehört die frühgotische Kirche Notre-Dame de Paris, die Kathedrale (= Sitz des Bischofs) des Erzbistums Paris. 
Am 15. April 2019 kam es bei Renovationsarbeiten zu einem Grossbrand, bei welchem der Bau schwer beschädigt wurde. Insbesondere die hoch komplexe Dachkonstruktion wurde völlig zerstört und der Dachreiter stürzte ins Langschiff hinunter.

Nach einem - auch politisch bedingten - Kraftakt wird die Basilika ab nächster Woche (15.12.2024) wieder als (fast) fertig wiederhergestellt für die Kirchgemeinde und für Besucher geöffnet. Ab dem 08.12. lief eine "Festwoche" mit Konzerten und so, der Eintritt war streng limitiert. Und der Ansturm gewaltig.

Mit dem Bau von Notre-Dame wurde 1163 begonnen. Der noch eher romanisch geprägte Chor wurde 1182 geweiht. Vierung, Langhaus und Westfassade folgten in rascher Folge. Schon 1250 war der Bau praktisch fertig - für die damalige Zeit eine enorm kurze Bauzeit. 
In die Fassaden der Querhäuser und in die Westfassade sind riesige Fensterrosetten mit Glasmalereien eingebaut. Diese Fassaden sind deshalb, eher untypisch für die Gotik, stark horizontal gegliedert.

Der Brand war - finanziell - ein Glücksfall. Für die Rekonstruktion wurde soviel gespendet, dass 140 Millionen Euro übrig blieben. Mit diesem Geld werden jetzt beim Brand unbeschädigte Fassaden renoviert, Teile des Baus werden deshalb noch auf lange Zeit von Gerüsten umstellt sein.

Auch innen war der Brand nicht nur schlecht: Da man die Mauern ohnehin von vom Feuer freigesetzten Blei befreien musste, strahlen sie, wie Fotos zeigen, jetzt in neuer Frische. 

Wie oben erwähnt, hatte ich es nicht geschafft, vorab ein Ticket zu organisieren. Vor Ort sah ich dann, dass es - trotz anderer Info im Internet - gar keine solchen gegeben hat. Am Montag sah ich die Warteschlange und gab auf. Am Dienstag versuchte ich es noch einmal. Bereits eine Stunde vor dem ersten Eintrittstermin reichte die Schlange schon wieder um den Block. Auffällig: Es waren vor allem Franzosen, die anstanden. Oder auf mitgebrachten Schemeln sassen.

So ging ich stattdessen zum Jardin du Luxembourg und flanierte dort etwas herum. Mit den kahlen Bäumen gib er derzeit nicht viel her, wird aber gerne von Joggern genutzt.

Dann wanderte ich kreuz und quer durch das Sorbonne-Quartier. Auffällig: Vor allen Eingängen stehen jetzt Sicherheitsleute und untersuchen die Taschen der Studenten. Was für ein Wandel innert weniger Jahre!

Schliesslich kam ich gleich gegenüber Notre-Dame am Seineufer an, sodass ich wenigstens die Südfassade sehen konnte. Zum Schluss besuchte ich noch den Jardin des plantes, wo bis zum 19. Januar eine Show unter dem Namen "Jurassique en voie d'illumination" läuft. Unzählige Pflanzen und Tiere des Mesozoikums sind in Originalgrösse und schreiend bunt aufgebaut. In der Dunkelheit sind sie von innen beleuchtet.

So habe ich zwar die Wiedereröffnung von Notre-Dame nur aus der Ferne miterlebt. Aber immerhin habe ich bei eher schmuddligem Wetter in zwei Tagen doch rund 20 km Stadtwanderung hinter mich gebracht.

Hike partners: PStraub


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Comments (1)


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Linard03 says:
Sent 13 December 2024, 19h33
Danke für den ausführlichen Bericht.

Die beschriebenen Kirchen / Gebäude sind mir wohl bekannt, habe ich doch 1984/1985 einige Zeit in Paris gelebt und gearbeitet ...
Auch danach bin ich jedes Jahr für eine Woche nach Paris gefahren.

Während dieser Zeit hatte ich Unmengen von Kirchen, Schlössern und viele andere Gebäude sowie Gärten in und um Paris besucht.

Jedenfalls interessant, wieder mal von meiner "2. Heimat" zu lesen ...


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