Überraschend begeisternde Runde über den Gratzenkopf


Publiziert von Kaiserin , 14. Januar 2024 um 20:45.

Region: Welt » Österreich » Zentrale Ostalpen » Tuxer Alpen
Tour Datum:27 Dezember 2023
Schneeshuhtouren Schwierigkeit: WT6 - Anspruchsvolle alpine Schneeschuhtour
Wegpunkte:
Geo-Tags: A 
Zeitbedarf: 5:30
Aufstieg: 1300 m
Abstieg: 1300 m
Strecke:15,7 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Inntalautobahn A12, Ausfahrt Schwaz oder Wiesing. Von dort via B171 bis Buch fahren und dort Richtung Gallzein abbiegen. Den Berg einige Serpentinen hoch und im Ortsteil Hof im Ortszentrum (Volksschule, Kirche, Veranstaltungszentrum) parken (kostenlos).

Häufig ist es ja so, dass man am positivsten überrascht wird, wenn man letztlich gar nichts erwartet.

So in etwa war es bei Florian und mir bei unserer Schneeschuhtour auf den Gratzenkopf.  Der Gipfel ist eher unbekannt, selbst ein gewisser Herr Adelhoch wusste ihn nach meinem begeisterten Bericht nicht zu verorten, und das will schon was heißen! ;)   Wie sind wir nun auf dieses so unbekannte Ziel gestoßen?

Letztendlich war die Ausgangslage: erst gab’s viel Schneefall Anfang Dezember, danach sehr mildes Weihnachtstauwetter und Regen bis in höhere Lagen.   Wir wollten nach den Feiertagen, besonders bei der tollen Wettervorhersage, unbedingt was machen.  Das Brainstorming ergab: nordseitig wäre gut, und ein hoch gelegener Ausgangspunkt vorteilhaft.  Die Durchsicht des Skitourenführers liefert die Erkenntnis dass die Auswahl gar nicht mal so groß ist, zumindest wenn man wie wir von München aus startet.  Und dass die Ecke um Hochfügen herum vielversprechend sein könnte.  Komplett nordseitig ist aber fast nur der Gratzenkopf über den Proxenstand zu erreichen, und da ist der Startpunkt wiederum eher niedrig gelegen.  Nach einigem Hin und Her, und weil uns doch nichts wirklich Besseres einfällt, steht dann aber die Entscheidung dass es diese Tour werden soll.

 

Wir fahren also, wie in den beiden Beschreibungen die wir gefunden haben angegeben, hoch nach Gallzein, Ortsteil Hof, oberhalb von Schwaz.  Dort ist auch direkt Koglmoos ausgeschildert, eine Ansiedlung über die wir aufsteigen.  Leider ist hier alles aper, so dass ein wegloser Aufstieg über die Hänge keinen Sinn ergibt, und wir folgen dem asphaltierten Wirtschaftsweg, die Schneeschuhe am Rucksack, hoch zu besagter Siedlung.  Als wir nach einer knappen halben Stunde da ankommen staunen wir nicht schlecht.  Wir hatten nämlich eher eine Art Alm erwartet.  Stattdessen erreichen wir eine kleine Ansammlung von Häusern die derzeit massiv erweitert wird, inklusive großem Kran der dort aufgebaut ist.  Schön ist anders, aber wir wollen hier eh nicht bleiben.

 

Es geht ab hier nun nicht Richtung Schwaderalm weiter, sondern entlang des Wegs der grob erstmal in den Bereich des Mehrerkopfs leitet, quasi direkt nach Süden in den Wald hinein.  Der Weg ist nicht mehr asphaltiert, aber vorerst immer noch ein Wirtschaftsweg.  Wir haben weiterhin erstmal nach wie vor keinen Schnee, aber als der Weg sich verjüngt zu einem Pfad und wir höher kommen taucht auch so langsam der Schnee auf.  Und irgendwann, etwa auf 1300 m, brechen wir so oft ein dass es uns reicht und wir die Schneeschuhe anlegen.  Gut so, da werden die Rucksäcke leichter!

Auf etwa 1450 m treffen wir auf den nächsten Wirtschaftsweg.  Hier stehen Schilder, die allerdings nur den Weg zur Pirchneraste, einem anderen, höher gelegenen Ausgangspunkt, und nach Koglmoos, somit unseren Aufstiegsweg anzeigen.  Geradeaus weiter ist aber der Weg zu erahnen den wir auch auf unserer Karte eingezeichnet haben, und so halten wir weiter auf den Mehrerkopf zu.  Dann kurzzeitige Verwirrung als wir uns den Felswänden dieses Gipfels nähern, der vermeintliche Weg leitet nach rechts, aber wie ginge es dann weiter?  Der Blick in die Karte legt nahe dass wir nach links müssen um dort die Felsen zu queren.  Und siehe da, plötzlich setzt erneut ein Wirtschaftsweg an.  Wir sind also richtig.  Gut so.  Dieser Weg bringt uns nun ohne weitere Orientierungsschwierigkeiten ins Plumpmoos und somit in den Sattel der sich zwischen Mehrerkopf und Proxenstand auftut.

 

Bald darauf wird es aber wieder interessant.  Denn wir folgen, gemäß Beschreibung, dem Wirtschaftsweg der zur Proxenalm und somit in die Westflanke des Proxenstands führt.  So weit, so gut.  Angeblich geht’s alsbald über den bewaldeten Rücken auf den Proxenstand.  Nun, wir laufen ein Stück, bis wir einen freien, aber vergleichsweise steilen Hang mit Abfahrtsspuren erreichen.  Der Check ergibt dass wir an unserem Track schon vorbeigelaufen sind.  Wo wäre der nun hochgegangen?  Wir wissen es nicht.  Und beratschlagen uns kurz was wir jetzt machen - zurückgehen und suchen, oder einfach den Hang rauf?  Ganz günstig ist der Hang zumindest im linken bis mittleren Bereich aufgrund eines recht großen Schneemauls nicht, aber allzu lange müssen wir uns nicht unter diesem aufhalten weil es dann möglich sein müsste im etwas flacheren Gelände nach rechts in den wieder dünn bewaldeten Hang zu queren.  Gesagt, getan.  Steil geht es nun gut 200 Höhenmeter nach oben. Ganz schön schweißtreibend, der Hang ist durchgehend über 30° und in einem Teilbereich über 35° steil.

An dieser Stelle nochmal der Hinweis meinerseits dass die lawinensichere Aufstiegsroute irgendwo weiter nördlich hochgehen müsste.  Nur wo, das kann ich leider nicht beantworten.  Laut Kartenansichten ist das, was wir hochgegangen sind, auch die einzige waldfreie Passage da hoch.

 

Wir kommen nun also am Grat an, und rechts über uns, auf der ersten kleinen Anhöhe, ist ein Kreuz zu sehen.  Das muss der Proxenstand sein, also hoch!  Das Kreuz ist Baujahr 2023, somit nigelnagelneu und hübsch gestaltet.  Es stellt sich dann aber heraus dass der eigentliche Proxenstand doch der Gratabsatz noch weiter unten gewesen wäre, den hatten wir links liegen gelassen.  Egal, sagen wir, da kommen wir im Abstieg ja wieder vorbei.  Dachten wir da zumindest noch. ;)

Jedenfalls sind wir hier oben am Kreuz ganz begeistert.  Aus zwei Gründen: Zum einen ist der Blick nach Nordwesten ins Karwendel wirklich mit Premium zu bezeichnen.  Im Speziellen schaut man direkt ins Vomper Loch rein das sich von hier aus äußerst eindrucksvoll zeigt.  Besonders schön ist auch das Plateau davor zu erkennen.  Aber der Blick in die andere Richtung ist nicht minder begeisternd, präsentiert sich doch ein wundervoller winterlicher, bildhübscher Grat rüber zum Gratzenkopf vor uns.  Den wollen wir also rüber!  Sieht ordentlich alpin aus mit den Wechten.  Ich frage mich, ob man da wirklich rüber kommt.  Laut Beschreibung schon.  Nun denn, gehen wir’s an, eine lange Pause hatten wir hier ohnehin nicht vor.

 

Was nun folgt ist überraschend spannend, alpin und begeisternd.  Alle paar Meter stehen wir vor der Entscheidung: links rum (es ging insbesondere zu Beginn erstaunlich oft die Wechten links unterhalb im Hang zu unterqueren), rechts rum (aber dann in welchem Abstand zur Wechte?), oder oben drüber (so groß waren die Wechten häufig nicht, und ganz ehrlich, der Hang links wäre auch kein Absturzgelände gewesen, man wäre halt ein Stück gerutscht).  Eine Stelle am Grat ist ziemlich schmal, nicht viel breiter als ein Schneeschuh, der Rest ist breiter.  Bei den rechtsseitigen Querungen sollte man tunlichst nicht abrutschen, denn rechts in einem der Bäume zu landen wäre sicherlich auch nicht ganz so gesund.  Es geht also eher langsam, da vorsichtig, den Grat entlang zum Gratzenkopf.  Zwei Wechten müssen wir sogar abklettern da diese zum Grat hin auch einen Abbruch haben.  Gar nicht mal so leicht mit Schneeschuhen an den Füßen, vor allem weil der Schnee unterhalb einer Wechte so wahnsinnig weich ist und kaum Halt bietet.  Aber zum Glück ist der Schnee auf den Wechten fest genug dass man sich mit einem Griff rein gut festhalten kann.  Ich sag’s ja, langweilig war der Gratübergang wahrlich nicht!  Eine gute halbe Stunde sind wir damit beschäftigt, dann stehen wir auf dem Gipfel des Gratzenkopfs.  Die letzten 100 Höhenmeter hoch waren übrigens deutlich einfacher da es sich letztlich nicht mehr um einen Grat sondern um einen Gipfelhang handelt.  Hier war also bereits wieder Entspannung angesagt.

 

Der Gratzenkopf ist ein landschaftlich sehr schön gelegener Gipfel, man kann es nicht anders sagen.  Neben der schon angesprochenen Sicht rüber ins Karwendel hat man weiter östlich logischerweise das Rofan im Blick.  Ein echter Hingucker ist jedoch auch die eindrucksvolle Nordwand des Kellerjochs, die sich südlich direkt vor und über uns aufbaut.  Das Kellerjochmassiv hatte ich zwei Jahre zuvor aus der anderen Richtung, vom Sonntagsköpfl mal näher in den Blick genommen.  Dass es auf der Nordseite allerdings mit einem derart ausgeprägten Felsriegel gut 300 Meter abfällt war mir bis dato nicht wirklich bewusst.  Hier bekommt man dies sehr deutlich vor Augen geführt.

 

Während wir so dasitzen und neben der Brotzeit den Ausblick genießen, kommen wir auf das Thema Abstiegsroute zu sprechen.  Denn neben dem Rückweg über den Grat gibt es noch den Direktabstieg über den Osthang des Gratzenkopfs.  Laut meinem Skitourenführer stellt diese Route sogar die normale Aufstiegsroute dar - was eventuell sogar Sinn ergibt, denn in der Form wie sich der Grat uns dargestellt hat kann ich mir schwerlich vorstellen dass man da mit Skiern an den Füßen rüber käme.  Der Blick in den Hang wird aber durch den Blick in die Hangneigungskarte bestätigt: über gut 50 Höhenmeter ist die Karte rot eingefärbt.  Der Hang ist somit zunächst extrem steil.  Was machen wir also nun?  Der Grat wäre aussichtsreich und vor allem nun gespurt, andererseits könnten wir mit dem Ostabstieg eine Rundtour machen.  Nach einigen Abwägungen, und der Feststellung dass die Lawinenlage mit dem Gleitschneeproblem im Grunde ja günstig ist, entscheiden wir uns für für den Abstieg via Steilhang.

 

Dieser wird, mehr oder minder direkt nach Aufbruch vom Gipfel, direkt so steil dass selbst ein Abstieg längs des Hangs nicht mehr möglich ist.  Da hilft nur: umdrehen und rückwärts absteigen.  Dummerweise hatten wir weder mit dieser Variante geplant noch damit gerechnet dass wir einen derartigen Steilhang begehen würden.  Der Skitourenführer verlor nicht viele Worte über den Hang, stufte die Route auch nur als mittelschwer ein, sie klang also unverdächtig.  Im Grunde wären Steigeisen und Pickel angebracht gewesen.  Wir hatten nur die Gummispikes dabei, die wären keine große Hilfe gewesen.  Also haben wir uns langsam und vorsichtig, mit den Schneeschuhen Stufen schlagend und mit den Frontzacken Halt suchend, und mit beherztem Griff in den Schnee, den Hang runter gearbeitet.  Florian hat dabei gelernt dass eine Lage dünne Handschuhe eher nicht für Steilabstiege geeignet ist, der Arme hatte danach eine ganze Weile eiskalte Finger - und auch keine anderen Handschuhe dabei.  Vorteilhaft war lediglich dass der Schnee staubtrocken war, d.h. neben der Kälte wurden die Handschuhe wenigstens nicht nass, was das Problem mit der Kälte noch verschärft hätte.  Optimal war’s jedenfalls nicht ohne Ausrüstung, das nächste Mal wüsste ich was ich am Rucksack dran hätte.  Aber hinterher ist man immer schlauer.

Ich habe übrigens diesen Pieps Hangneigungsmesser an meinem Stock und habe mal zwischendrin im Steilhang gemessen - 42° hab ich an der Stelle erwischt.  Also wirklich grenzwertig steil mit Schneeschuhen an den Füßen.  Und ich habe mir durchaus die Frage gestellt ob man das mit Skiern an den Füßen aufsteigen kann?  Ich tippe mal dass dies nicht der Fall ist, lasse mich aber gerne eines Besseren belehren.

 

Nach besagten etwa 50 Höhenmetern legt sich der Hang sehr schnell wieder zurück und es wird deutlich flacher.  Entspannt können wir wieder vorwärts und sogar spaßig, da pulvrig, zu dem kleinen Sattel absteigen von dem aus wir anschließend Richtung Schwaderalm abbiegen.  Der Abstieg dorthin ist kurzzeitig nochmal steiler, aber definitiv unter 40 Grad, wir konnten alles vorwärts runter gehen.

An der Schwaderalm biegen wir am Wirtschaftsweg nach rechts ab um den Bucherbach zu queren.  Danach eröffnet sich ein Hang und somit die Möglichkeit eine Kehre der Straße abzukürzen, was wir auch machen.  Wieder am Wirtschaftsweg biegen wir links ab und kommen darüber entspannt zurück nach Koglmoos und somit auf unseren Aufstiegsweg.  Die Schneeschuhe haben wir wieder auf ziemlich genau 1300 m ausgezogen.

Der restliche Abstieg nach Hof ist dann nur noch Formsache und schnell erledigt.  Am Auto sind wir uns einig: das war eine überraschend großartige Tour!

 

Die Route wie begangen entspricht aufgrund des Gratzenkopf-Osthangs definitiv einer WT6.  Der Grat ist vielleicht noch WT5, aber auch nicht zu unterschätzen.  Es kommen dabei ca. 1300 Höhenmeter und 15,7 Kilometer Wegstrecke zusammen.


Tourengänger: Kaiserin


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