Barrancas Blancas Este (6040m) - Genießen auf 6000er Art


Publiziert von Kris , 6. Januar 2024 um 20:41.

Region: Welt » Chile » Atacama
Tour Datum:19 November 2023
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Hochtouren Schwierigkeit: L
Wegpunkte:
Geo-Tags: RCH 
Zeitbedarf: 9:00
Aufstieg: 1000 m
Abstieg: 1000 m

Um etwa 2.30 Uhr klingelt mein Wecker. Aber eigentlich bin ich schon ein paar Minuten früher wach und schäle mich widerwillig aus dem Schlafsack. Die Nacht ist klar & ruhig. Ich zwänge mich in meine neu erworbenen La Sportiva Olympus Mons, da wir zum nächtlichen Frühstückssnack bereits in voller Montur antanzen sollen. Ein mancher mag die Schuhe überkandidelt empfinden, nach meinen kalten und tauben Füßen in Nepal wollte ich aber auf Nummer sicher gehen. Und bin damit nicht der Einzige in der Gruppe. Die Auswahl des Schuhwerks zeigt allerdings eine große Range auf. Von Nepal Cube bis Olympus Mons ist hier alles dabei. 

Nach zwei Toasts mit Käse und Salami (wie jeden Morgen) heißt es, die bereits gepackten Rucksäcke zu schultern und Abfahrt. Wir fahren in der Dunkelheit gen Westen, aus der Richtung aus der wir ursprünglich kamen und biegen irgendwann in eine gut sichtbare Fahrspur nach links ab. Eduardo lässt Joe Satriani auf der E-Gitarre spielen. Ich hoffe derweil das meine nicht wirklich eingelaufenen Schuhe mir keine Probleme bereiten. Eduardo hat die besten Gebietskenntnisse und führt daher unsere vierköpfige Fahrzeugkolonne an. Wahnsinn, wie er hier im stockfinsteren Dunkel den richtigen Weg findet, denn nachdem wir eine kleine Bergwachthütte passiert haben verlieren sich eigentlich alle Spuren. Ziel ist es dennoch, so weit wie möglich bergauf zu fahren. Ich habe da auch nichts dagegen. Nach einigem Hin und Her erreichen wir ca. die 5000er Marke. Hier ist Schluss. 

Wir stehen an der Ost-Seite des Barrancas Blancas-Massivs und machen unsere Stöcke und Handschuhe bereit, es ist ca. 4 Uhr morgens. Ich starte am Ende der Schlange und fühle mich nach den ersten Metern zum "Reinkommen" gut und fit. In stetem Tempo geht es voran. Lob an meine neuen Handschuhe (
Rab 8000er Mitts), in denen ich sogar geschwitzt habe in der nächtlichen Kälte. In den Pausen sind diese natürlich so klobig, dass man sie ausziehen muss um an den Rucksackinhalt zu gelangen, daher ist man um die starke Wärmefunktion der Handschuhe nicht böse. Auch hier zeigt sich wieder die Range in unserer Gruppe. Von "alle paar Meter stehen bleiben" bis "ich hüpfe herum wie ein junges Reh" ist alles dabei. 

Der Weg ist dabei an sich, natürlich gerade im Dunklen wenig spannend. Es gibt keinerlei technische Schwierigkeiten, es ist nicht mal sonderlich steil. So habe ich zur Ablenkung Podcast auf den Ohren. Irgendwann wird es dann hell. Wir machen nochmal eine Pause, es ist immer noch kalt wenn man sich der dicken Handschuhe entledigt. Es wird eine Weile dauern, bis sich die Umgebungsluft aufwärmt. Aber ein paar Fotos lasse ich mir nicht nehmen. Wir sind jetzt auf ca. 5400m, noch immer ca. anderthalb tausend Meter unterhalb des Ojos , der linkerhand neben uns thront. 

Wir queren unterhalb eines steileren Kammaufschwungs entlang, hier ist es - das sieht man nun - dann doch leicht ausgesetzt. Den nächsten Aufschwung nehmen wir direkter. Es wird nun doch zünftig anstrengend. Nun wir sitzen wir bereits im Tageshellen auf etwa 5600m und der Blick wendet sich ins offene, mondähnliche Gebiet um uns herum. Surreal. Hinter uns wartet dann nun die steilste Stelle und auch wenn der Berichtstitel "Genuss" verspricht. Die nächste Zeit bis zum Gipfel fühlt sich dann doch nicht mehr so an. Die Gruppe zieht sich nun endgültig komplett auseinander. Ich befinde mich irgendwo im Mittelfeld und muss trotzdem alle paar Höhenmeter durchschnaufen. 

Wir sind froh, als das steilste Stück geschafft ist. Da hinten wartet doch der Gipfel? Wie immer: Fehlanzeige. Über einen sehr langgestreckten Rücken und wahlweise über Schnee oder Geröll geht es nun auf den vermeintlichen Höhepunkt zu. Dann geht es noch um 1,2 oder zwölf Ecken und Winkel. Der Frust steigt, und die Freude auch, als es dann endlich geschafft ist. Der sicherlich sehr selten begangene Ostgipfel des Barrancas Blancas Massivs auf ca. 6040m. Wir befinden uns damit quasi vis-a-vis mit dem benachbarten Cerro Vicunas (6067m). 

Mittlerweile ist es warm. Irgendwann entledige ich mich meiner dicken Daunenjacke. Es ist windstill. Nach den Strapazen der letzten Tage ist uns der Wettergott hold. Lange nehmen wir uns Zeit, das nun noch surrealere Panorama zu genießen. Man kann kaum glauben, dass dies noch Planet Erde ist. Keiner von uns ist höhenkrank, die gute Akkli an der Laguna Verde zahlt sich aus. Es sind aber noch nicht alle oben. Nach etwa einer halben Stunde gibt es eine Nachzüglerin, die die Tour mit ihrem Vater angetreten ist. Dieser fehlt auch noch. Wird er es schaffen? Es wäre - nach einer abgebrochenen Lenin Expedition - sein Lebenstraum nochmal auf einem 6000er Gipfel zu stehen. Er wird es schaffen, und es wird emotional. Nicht nur weil sich das Gespann nun in den Armen liegt, sondern auch weil einer unserer Guides den Gipfel, den ersten hohen seit dem Tod seines Vaters - diesen ebenjenem widmet.. aufgrund der perfekten Bedingungen, für die weitere Akkli und da wir keinen Zeitstress haben entscheide ich mich, möglichst lange auf dem Gipfel zu bleiben und nicht schon abzusteigen. Wir fahren ohnehin erst zurück ins Camp , wenn alle wieder beisammen sind. So kommt es das ich insgesamt zweieinhalb Stunden dort oben über 6000 die Aussicht genieße. Das titelgebende Genießen: es ist hier. Auch wenn es kein prominenter Gipfel ist, das wird man dennoch nicht vergessen.

Irgendwann muss aber jeder Abstieg begonnen werden. Die Gruppe zieht sich sofort wieder auseinander, manche sind wirklich fertig. Wir nehmen nicht erneut den Aufstiegsweg sondern wählen die steilere Direttissima. Rutschend will jeder Schritt gut gewählt werden. Eine Verstauchung oder Bruch kann hier keiner gebrauchen. So rutsche ich mittlerweile allein vor mich hin, bis der Hang in ein kleines Tal ausläuft. Hier wird dann wieder nach Gusto der beste Weg gesucht. Irgendwann in einer Pause überholt mich der Expeditionsleiter, der mir auch nochmal sagt, dass wir Zeit haben. Die letzten werden noch mehr als ein Stündchen länger benötigen. 

Als unsere Fahrzeuge dann in Reichweite kommen, bin ich dann aber auch froh. Als die letzten Meter geschafft sind, lege ich mich mit entsprechendem Sonnenschutz auf den Boden und genieße die Zeit bis wir zurück ins Camp fahren. Dort wird ein Gipfelbier genossen, bevor es morgen heißt, hier die Zelte abzubauen. Wir stürzen uns ins nächste Abenteuer, ins Ungewisse. Den kleinen (meistens) "Genuss-6000"er, nimmt uns aber keiner mehr aus dem Tourenbuch. Disclaimer: die Gehzeiten sind mit vielen Pausen berechnet.


KONDITION 4/5
ORIENTIERUNG 3/5
TECHNIK 2/5
EXPONIERTHEIT 2/5

Tourengänger: Kris


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Kommentare (1)


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georgb hat gesagt:
Gesendet am 7. Januar 2024 um 11:19
Sehr schöne Eindrücke und Bilder. Danke fürs Mitnehmen auf 6000m!


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