Durchs Kanonenrohr - mal wieder in der höchsten Felswand zwischen Alpen und Skandinavien


Publiziert von Nik Brückner , 1. August 2022 um 10:33.

Region: Welt » Deutschland » Westliche Mittelgebirge » Saar-Nahe-Bergland
Tour Datum:26 Juni 2022
Wandern Schwierigkeit: T6+ - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: D 
Zeitbedarf: 1:30
Aufstieg: 250 m
Abstieg: 250 m
Strecke:2 Kilometer
Unterkunftmöglichkeiten:In Bad Münster

Der 327 Meter hohe Rotenfels, oben eine sanfte bewaldete Fläche, bricht nach Süden, zur Nahe hin, in einer meist senkrechten, von tiefen, steilen und dunklen Tobeln durchfurchten Felswand ab. Diese ist mit über 200 Metern Höhe die höchste Felswand zwischen Alpen und Skandinavien. Während sie eine ganze Reihe von Kletterrouten bietet, ermöglicht sie Wanderern nur an wenigen Stellen einen Durchstieg - und keiner davon ist leicht.

In meinem ersten Tourenbericht zum Rotenfels, der die Beschreibung der beiden östlichen Routen enthält, schrieb ich "Es gibt noch eine weitere Aufstiegsmöglichkeit, weiter westlich". Ich war nun am Wochenende wieder am Rotenfels, um diese Route zu suchen, und für Euch zu begehen.


Man stellt das Auto am Besten auf dem Wanderparkplatz Luise-Rodrian-Haus (300 m) ab. Von dort sind es nur wenige Minuten bis zur Kante.

An dieser entlang führt ein aussichtsreicher, geländerbewehrter Wanderweg, der Normalwanderern spektakuläre Weit- und auch Tiefblicke bietet. Wer schwierigere Routen sucht, blickt tief hinunter, und hält Ausschau nach Abstiegsmöglichkeiten. Aber die tief durchfurchte, reich gegliederte Wand lässt kaum aufschlussreiche Blicke zu, und so ist auf Beschreibungen angewiesen, wer die drei bewanderbaren Routen sucht.

Die westlichste dieser drei Routen führt in den großen Trichter hinunter, dessen westliche Begrenzung die Bastei bildet. Dieser Trichter wird durch einen schmalen Schrofengrat in zwei Hälften geteilt, den mutige Wanderer dazu nutzen, spektakuläre Fotos von sich schießen zu lassen (Stichwort: Instagram). Deutliche Spuren zeugen von häufigen Begehungen. Links dieses Grats führt eine deutliche, helle Steilrinne geradewegs in den Trichter hinunter. Das ist der obere Teil des Abstiegs.
 
Dabei ist Vorsicht angesagt: Das Felsmassiv besteht aus Rhyolith, einem nicht gerade für seine Festigkeit bekannten Gestein. Der Rotenfels ist also brüchig, insbesondere bei Zugbelastung heißt es Aufpassen. Ein Helm ist hier unverzichtbar. Ich habe einige zementierte Standhaken und Bohrhaken gesehen, gefahrloses Klettern findet trotzdem anderswo statt.
 
Sofort befindet man sich in ernsthaftem, alpinem Gelände. Man steigt nun in der Rinne hinunter, die das Wasser aus- und glatt gewaschen hat. Dafür ist der Fels in der Rinne vergleichsweise fest und gut begehbar. Diese Rinne mündet weiter unten in eine weitere, von links kommende Rinne, die den Namen  "Kanonenrohr" trägt. Und bald wird auch klar, warum.

Man folgt nun weiter dem Kanonenrohr. Dieses ist hier oben noch mit grobem Schotter gefüllt. Bald gelangt man an eine erste, noch recht einfache Steilstufe. An einem Bäumchen geht es ein paar Meter über gut gestuften Fels hinunter. Gleich darauf folgt die zweite, ebenfalls noch einfache Kletterstelle. Man bleibt weiterhin in der Rinne, auch die nächsten Stufen werden nicht umgangen, sondern Gumpe für Gumpe in der Rinne abgeklettert.

Wenn unterhalb des Instagram-Grats mehrere Rinnen zusammenkommen, wird das Gelände kurz ein wenig flacher. Der Fels in der Rinne wird plattig, und man hat zum ersten Mal das Bobbahn-Feeling, das den unteren Teil der Route bestimmen wird. Ein bisschen weiter unten muss man dann achtgeben: nicht immer gut erkennbare Trittspuren führen nach rechts aus der Rinne heraus, und hinüber zu einer Stelle bei der Felswand, an der einige Bäumchen stehen. Die Spuren sind hier deutlicher, und führen bei diesen Bäumchen eine weitere Stufe hinunter. Es geht jetzt in einer schotterigen, wilderen Rinne weiter bergab, bis man plötzlich an einer etwa acht Meter hohen Steilstufe steht. 

Hier hat man im Prinzip drei Möglichkeiten: das plattige Kanonenrohr, das wir gerade verlassen haben, kommt von links, und bricht hier senkrecht ab. Der Fels ist schwarz, fest, aber so glatt, dass diese Möglichkeit die schwierigste ist. Unsere Rinne führt in die gleiche Gumpe hinunter, ist besser gestuft, aber vermutlich brüchig. Die dritte Möglichkeit führt hier ausgesetzt nach rechts, zum Ansatz des Glockengrats. Das war meine Variante.

Kurzer Einschub: Der Glockengrat ist von weiter oben gut zu identifizieren, anhand einer kleinen Glocke, die auf ihm installiert ist.

Zurück zu den Abstiegsmöglichkeiten: Man kann natürlich auch abseilen. Aber das kam nicht in Frage, schließlich wollte ich wandern, nicht seilen. Und dann habe ich vom Ansatz des Glockengrats aus noch eine (mögliche? fragwürdige?) Linksumgehung in Augenschein genommen: zuerst eine Rampe hoch, dann einen sicherlich brüchig-rutschigen Schrofenhang rechts hinunter, und schließlich über eine weitere schmale, stark bewachsene Rampe hinunter in die Gumpe. Müsste man mal ausprobieren.

Ich ging also auf Trittspuren vorsichtig nach rechts, zum Ansatz des Glockengrats. Von diesem geht es drüben ein paar Schritte hinunter, dann muss man nach links hinunter in die Gumpe. Dieses Gelände ist wohl das heikelste im gesamten Abstieg: Ein steiler Hang, der nach unten steiler wird, bedeckt von brüchigem, weichem Schotter, und durchsetzt von schütteren, trockenen Hälmchen. Ich hatte Glück, als ich kam, war der Schotter so weich, dass ich Tritte hineintreten konnte. So stieg ich, mich stets links haltend, zu einem kleinen Felsvorsprung hinunter, der zum Glück hielt. Von dort aus konnte ich ein kurzes, zugewachsenes Band erreichen, das mich auf den Grund der Gumpe hinunterbrachte (Brombeeralarm!).

Der eben beschriebene Abstieg ist der schwierigste bzw. heikelste Teil dieser Route. Vermutlich bezieht sich die Angabe einer IIIer-Stelle, die es hier geben soll, auf diesen Teil. Ich würde hier aber keine III vergeben - auf meiner Variante muss man nämlich kaum klettern, da ist T6+ die treffendere Bewertung.

Eventuell könnte man auch, anstatt sich links Richtung Felsvorsprung und Band zu halten, geradeaus absteigen. Dort wird das Gelände steiler und felsiger. Vielleicht ist ja auch das die IIIer-Variante. Aber ob's hält?
 
Nun steht man also im Grund der Gumpe, und kann sich alle Abstiegsmöglichkeiten nochmal in Ruhe ansehen. Vor allem aber den Weiterweg.

In der einzigen Beschreibung dieser Route, die ich finden konnte, heißt es nun "Man kann auch am Abbruch abseilen und durch die Schlucht bis zur Straße hinunterlaufen." Von laufen kann allerdings keine Rede sein. Vielmehr geht es nun die schon angesprochene Bobbahn hinunter: Das Kanonenrohr bildet von dieser Stelle ab bis fast hinunter zur Straße eine enge, halbrund ausgewaschene Röhre, in der es nun weitergeht. Abwechselnd relativ flach, und dann wieder meterhohe Steilstufen hinunter.
 
Das Kanonenrohr ist von hier ab kaum noch geschottert, sondern weitgehend sauber und glatt gespült. Dafür muss man die Steilstufen mit Hilfe verschiedener Klemm-, Stemm- und Spreiztechniken abklettern. Das heißt an einigen Stellen: eindrehen, die Hände in die Begrenzungswände stemmen, einen Fuß nach vorn, einen nach hinten, und runter. Die Steilstufen werden dabei in Abstiegsrichtung kleiner, sodass der Abstieg mit jeder dieser Stufen einfacher wird. Eine einzige, recht bald nach der heiklen Gumpe, musste ich rechts, nochmal in heiklem Gelände umgehen. Danach stieg ich mit großen Spaß die Rinne hinunter.

Das Kanonenrohr endet erst kurz vor der Straße in den Weinreben, bei einer rostigen Metallstange und einer kleinen Wellblechbrücke.

Abstieg durchs Kanonenrohr: dürftige Wegspuren, markiert, viele Kletterstellen, T6+/III, 45 Minuten


Über die Brücke wanderte ich nun nach links, zwischen den Weinreben hindurch, und stieg nach und nach links hinauf. Dabei behielt ich den markanten Spitzen Turm über mir im Blick. Ist man unter diesem durch, führen dürftige Trittspuren links hinauf zur Mittelwand. Man verlässt die Weinhänge, und steigt durch schütteres Buschwerk hinauf zu einer gut erkennbaren Querung direkt an einer Felswand.

Diese Pfadspur verbindet die östlichste der drei bewanderbaren Routen durch den Rotenfels (rechterhand, jenseits eines Schartls) mit der mittleren. Diese mittlere Route ist die landschaftlich schönste, die hatte ich mir für den Wiederaufstieg ausgesucht.

Die Querung führt auf einem zunächst guten Weglein entlang der Felswand nach links. Es geht zu einem schon von weitem deutlich sichtbaren Zaunpfahl hinüber.

Vom Zaunpfahl aus geht es auf dünnen Trittspuren rechts weiter. Man steigt steil hinauf zur Mittelwand, am Besten rechts eines kleinen Geröllfelds. Links oben rückt schon der markante Spitze Turm näher. Oben angekommen, wendet man sich nach links. Hier tun sich die nächsten beiden Rinnen auf. Die linke Rinne, unmittelbar rechts vom Spitzen Turm, ist die richtige. Steil geht's hinauf, das ist, vor allem im unteren Teil, eine II. Technisch die schwierigste Stelle dieser Route durch die Felswand.

Drüben geht's deutlich leichter aus der Scharte hinunter. Nächstes Etappenziel: Die markante bewachsene Rinne gegenüberDie Querung ist problemlos.

Auch in dieser Rinne wartet wieder viel Schutt. Das meiste kann man aber umkraxeln. In der Rinne geht's nun steil hinauf (I, I-II, je nach Routenwahl. Ich bin das auch schon im Abstieg gegangen). Der Ausstieg ist ein wenig unterhalb des höchsten Punkts der Rinne, über ein kleines Wandl zur Rechten. Dort geht es gut gestuft über halbwegs guten Fels hinaus (ein letztes Mal I). Ist man aus der Rinne heraus, befindet sich direkt gegenüber die Bastei, von wo aus man nun wahrscheinlich auf den letzten Metern beobachtet wird.

Über Schrofen geht's nun weiter hinauf. Das Gelände ist nun deutlich einfacher, aufpassen sollte man aber doch. Es bleibt relativ steil, und links geht's ordentlich runter. Die allerletzten Meter legt man auf einem Weglein zurück, das einen Aussichtspunkt mit Bank endet.

Aufstieg durch die Felswand des Rotenfels: Wegspuren, leichte Kletterei, T6/II, 30 Minuten


Aussichtspunkt - heißt, nach getaner Arbeit: Aussicht genießen. Und die ist toll hier heroben, logisch, die höchste Felswand zwischen Alpen und Skandinavien. Der Blick schweift von der nahen Gans ganz links über den Rheingrafenstein bis hinüber zum 22 Kilometer entfernten Donnersberg, zur Altenbaumburg davor und zur noch näher gelegenen Ebernburg. Dann übers Nahetal hinüber zum Lemberg, zum Gangelsberg und zum Welschberg.



Fazit

Die Begehung der Südwestwand des Rotenfels ist äußerst anspruchsvoll und auch bei Trockenheit nicht ganz ungefährlich. Die ist nur T6-Spezialisten mit Erfahrung anzuraten, die einen IIer in brüchigem Fels sicher klettern können. Auch ein gutes Gespür für die richtige Route ist in dem oft labyrinthisch unübersichtlichen Gelände notwendig.


Ausrüstung

Für die Durchsteigung der Wand am Rotenfels braucht man einen Schuh, der für T6/IIer-Gelände geeignet ist (am besten einen C-Schuh). Am Rotenfels braucht man zudem unbedingt einen Helm.

Der Rotenfels ist übrigens nicht ganzjährig begehbar. Er ist ein Naturschutzgebiet. Zum Schutz der Wanderfalken ist das Klettern im Wandteil westlich der Bastei ganzjährig untersagt, östlich der Bastei vom 1. Januar bis 30. Juni.

Tourengänger: Nik Brückner


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Kommentare (4)


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Sarmiento hat gesagt: Wunderbar
Gesendet am 1. August 2022 um 12:26
Wieder mal eine wunderbare Beschreibung von dir zu Kraxeleien außerhalb der üblichen Kraxel-Gebiete. :-)

Wann kommt eigentlich der Führer "Kraxeleien und Klettereien zwischen Garmisch und Oslo"? ;-)

Nik Brückner hat gesagt: RE:Wunderbar
Gesendet am 1. August 2022 um 13:34
Hahaha! Merci, Sarmiento! freut mich sehr, dass Dir der Bericht gefällt. Was den Führer angeht - da würd ich mal vermuten, dass die Zeit der gedruckten Bücher sich dem Ende zuneigt. Schließlich gibt es Hikr! ;o}

Herzlichen Gruß,

Nik

Bergmax hat gesagt: Kanonenrohr
Gesendet am 3. August 2022 um 22:00
Hallo Nik,

allerbesten Dank für diesen Bericht, auf den ich mich wirklich gefreut habe! Vielleicht werde ich mich auch mal in dieses beeindruckende "Rohr" wagen - aber wenn, dann sicher von unten nach oben.

Gratulation zu dieser Entdeckertour und viele Grüße aus dem Norden von Dänemark, wo es übrigens auch reichlich Kanonen (und eine kleine Auszeit vom Bergsteigen) gibt - Stichwort Hanstholm.

Max

Nik Brückner hat gesagt: RE:Kanonenrohr
Gesendet am 4. August 2022 um 08:49
Servus Max,

Freut mich, dass Du dich über den Bericht freust. Tja, von oben nach unten - ich wollte eigentlich nur den bequemer Weg zu der angeblichen IIIer-Stelle erkunden, und war dann selbst überrascht, dass ich komplett durchkam. Denn mein ursprünglicher Plan war es gewesen, die Runde genau andersherum zu gehen. Also, ich wäre sehr gespannt auf einen weiteren Bericht über diese Route!

Herzlichen Gruß nach Dänemark, wo es hoffentlich ein wenig kühler ist als hier. Uns werden für heute 38 Grad versprochen!

Nik


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