A préribe / Hinaus in die Prärie


Publiziert von ABoehlen , 22. November 2011 um 20:37.

Region: Welt » Ungarn » Nyugat-Dunántúl (Westtransdanubien)
Tour Datum: 3 Oktober 2011
Wandern Schwierigkeit: T1 - Wandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: H 
Zeitbedarf: 5:00
Aufstieg: 20 m
Abstieg: 20 m
Strecke:Körmend – Felsőberkifalu – Horvátnádalja – Alsóberkifalu – Körmend
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Mit der GYSEV/Raaberbahn nach Körmend
Unterkunftmöglichkeiten:Teke Panzió in Körmend
Kartennummer:Österreichische Karte 1:50'000, Blatt 5226 Kohfidisch und Körmend térkép von Hiszi-Map kft.

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Nach dem gestrigen, geschichtsträchtigen Ausflug ins Raabtal wollen wir heute die nähere Umgebung von Körmend erkunden. Beim ersten Blick auf die Karte könnte man zwar den Eindruck erhalten, diese Gegend sei wenig attraktiv – kaum Höhenlinien, also flaches Gebiet, und mehr oder weniger rechtwinklig angeordnete Strässchen und Wege. Mal schauen, wie sich das in der Realität präsentiert.

Das Frühstück ist wieder üppig, genauso wie gestern, und wiederum strahlt die Sonne zu den Fenstern herein und verspricht einen weiteren sonnigen Tag. Kaum zu glauben, was wir in diesen Ferien für ein Wetterglück haben!

Bevor wir zur Tour starten, gibt's noch verschiedenes zu erledigen: Bekanntlich haben wir gestern am Bahnhof einen Stapel Ansichtskarten erworben, noch fehlen uns aber die Briefmarken dazu. Heute ist Montag, das heisst, die Post hat offen und wir erfahren dort, dass der aktuelle Tarif für eine Postkarte oder Brief 220 Ft. beträgt, d.h. 10 Forint mehr als während unseren Ferien vor einem Jahr. Mit zusätzlichen 10er-Marken lassen sich aber die von damals übrig gebliebenen trotzdem noch verwenden und neue 220er kaufen wir natürlich auch noch. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass es auch eine «A-Post» gibt, die sich elsőbbségi nennt und in der niedrigsten Gewichtsstufe 240 Forint kostet. So frankiert ist ein Brief nach 2 Tagen in der Schweiz, während es mit dem Normaltarif schon mal eine Woche oder länger dauern kann. Aber bei Ferien-Ansichtskarten spielt das ja eigentlich keine Rolle.

Von der Post geht es anschliessend weiter zum SPAR, wo wir diverse Einkäufe tätigen und beim gemütlichen Zurückschlendern Richtung Unterkunft entdecken wir einen netten, kleinen Quartierladen in der Mátyás Király utca, wo wir auch noch ein paar Leckereien finden.

Etwa um 10.00 Uhr starten wir dann zur Tour, die uns über die Gleise der Raaberbahn hinweg in den nördlichen Teil der Stadt führt, in eine Zone die Kisamerika (kleines Amerika) genannt wird. Eine durchaus treffende Bezeichnung! Mit seinem hohen, pilzförmigen Wasserturm, den rechtwinklig angeordneten Quartiersträsschen und den breiten Hauptstrassen erinnert mich Körmend tatsächlich ein bisschen an Bilder, wie ich sie von Kleinstädten im Mittleren Westen kenne. Der Eindruck verstärkt sich noch, als die Mátyás Király utca am Ortsrand in einen staubigen Feldweg übergeht, der geradewegs in die weitläufigen Felder hinausführt. Beim durchwandern dieser dürren Maisfelder kommt man sich wirklich fast vor, als wäre man in der Prärie von Iowa oder Kansas unterwegs. Nur der am Horizont überall sichtbare Wald und die Alpenausläufer ganz im Norden passen nicht so ganz in dieses Bild!

Nach ca. 3 km geht es rechtwinklig nach links und bald umschliesst uns beidseitig dichte buschige Vegetation. Wenngleich die Felder hier in der Tiefebene für unsere Verhältnisse riesig wirken, so gibt es doch reichlich Brachland, welches Lebensraum für viele Tiere bietet. Viel zu sehen bekommen wir davon zwar nicht, aber durch das Rascheln im Unterholz längs des Weges verraten sich die Bewohner zumindest akustisch. Dann aber entdecken wir mitten auf dem Weg einen schönen Frosch, der nur überleben kann, weil sich an dauerhaft schattigen Stellen hier im Gebüsch einige Tümpel gehalten haben. Ansonsten ist die Landschaft ja völlig ausgedörrt, denn der letzte Regen liegt offensichtlich schon sehr lange zurück.

Ziemlich genau um 12.00 Uhr erreichen wir das verschlafen wirkende Dörfchen Felsőberkifalu (Oberbirking) und finden beim Kirchturm eine Sitzbank. Wie schon gestern taucht die Bank genau zur richtigen Zeit auf und es wird auch heute die einzige bleiben, der wir begegnen!

Nach dem Essen durchstreifen wir das Dorf und nehmen nördlich davon den nächsten Weg, der wieder ins weite Land hinausführt. Ein Paprikafeld passierend gelangen wir so in das Waldgebiet Francsics, an dessen Ende der Weg abrupt endet. Ein riesiger Acker erstreckt sich nun südwärts schier ins unermessliche und vermutlich wurde beim grosszügigen Umpflügen der Weg auch gleich «mitgenommen». Der Boden ist aber derart trocken, dass er fast steinhart ist, und wir ohne nennenswert einzusinken geradewegs über die groben Schollen hinweg marschieren können. So ähnlich muss wohl eine Wanderung in der Wüste sein!

Etwas nach Pt. 201 taucht der Weg schliesslich wieder auf und stetig südwärts erreichen wir einem unscheinbaren flachen Damm, der sich nur etwa zwei Meter über das Umland erhebt. Wer nicht weiss, dass sich hier ein Damm befindet, würde ihn vermutlich gar nicht als solchen wahrnehmen. Auf der Karte ist er aber deutlich erkennbar und lässt sich bis zur Staatsgrenze bei Pinkamindszent (Allerheiligen an der Pinka) verfolgen. Hier verlief einst die Güssinger Bahn, welche ab 1909 den Bezirkshauptort Güssing (Németújvár) mit Körmend an der Raabtalstrecke verband. Auch nach der Grenzziehung 1921, als der Bezirk Güssing zu Österreich kam, blieb die Bahn bestehen. Nach dem 2. Weltkrieg war allerdings Schluss. Wegen der Abschottung durch den Eisernen Vorhang war kein durchgehender Betrieb mehr möglich und auch der verbliebene Teil in Ungarn wurde schliesslich stillgelegt. Eine Wanderung auf diesem Damm wäre sicherlich interessant, ist derzeit aber vollkommen unmöglich, da alles mit dichtem Gestrüpp überwuchert ist. Ein solches Vorhaben müsste man wohl im Winter anpacken.

Wenig später erreichen wir die Raaberbahnstrecke und die Hauptstrasse, queren beide und biegen auf der Liszt Ferenc utca nach rechts ab, in den Ort Horvátnádalja hinein, der auf Deutsch Unternadelau hiess. Der Namensteil «Horvát» verrät uns, dass dies ursprünglich eine kroatische Siedlung war, während im benachbarten Magyarnádalja (Obernadelau) Ungaren siedelten. Aufmerksamen Kartenlesern wird auffallen, dass es hier im Grenzgebiet Burgenland/Ungarn zahlreiche Orte gibt, die mit Deutsch-, Kroatisch- und Ungarisch- (bzw. Német-, Horvát- und Magyar- ) beginnen und jeweils mindestens ein zugehöriges «Gegenstück» aufweisen. Über Deutsch-Bieling und sein verschwundenes «Gegenstück» Ungarisch-Bieling wurde ja bereits berichtet. Von den Kroaten war bisher nicht die Rede, was hiermit nachgeholt wird:
Während und nach den Türkenfeldzügen im 16. Jahrhundert wurden mehrere zehntausend bis hunderttausend Kroaten aus dem Grenzgebiet zwischen dem heutigen Kroatien und Bosnien-Herzegovina ins Gebiet des heutigen Burgenlandes und Westungarn umgesiedelt. Nach der Festlegung der neuen Grenzen 1919 kamen die meisten kroatischen Siedlungen ins Gebiet des Burgenlandes zu liegen, weshalb man ihre Bewohner bis heute Burgenlandkroaten nennt. Sie sprechen eine eigene Sprache, das Burgenlandkroatisch. Detaillierte Informationen gibt es auf der Seite des Burgenländisch-Kroatischen Kulturvereins: https://www.hrvatskicentar.at/de/povijest

Die Malom utca führt uns bald wieder in die Felder hinaus, wo der Weg wiederum in der Ackerkrume versandet. Also nochmals dasselbe Spiel: Quer durch das Erdreich, bis kurz vor Alsóberkifalu (Unterbirking) der Weg wieder auftaucht und zu einer teils ziemlich eingewachsenen Bahnlinie führt. Noch eine stillgelegte Bahn? Nicht ganz! Zwar wurde der Betrieb auf dieser Strecke, die von Körmend nach Zalalövő führt, 2006 eingestellt, jedoch wurde sie dieses Jahr durch die GYSEV übernommen, welche sie künftig zumindest wieder für den Güterverkehr nutzen möchte.

Alsóberkifalu grenzt direkt an Körmend und ist Ortsteil dieser Stadt. Für uns heisst das, dass es nun nicht mehr weit bis zur Unterkunft ist. Nebst der obligaten Dusche sind wir dort vorerst damit beschäftigt, die völlig verstaubten Schuhe und Kleider auszuklopfen. Die Präriewanderung hat ihre Spuren hinterlassen.

Noch ist der Tag aber längst nicht zu Ende. Schliesslich haben wir noch keine Bahnfahrt gemacht und das holen wir jetzt nach, indem wir ein weiteres Mal nach Szentgotthárd fahren, um im Vándor Fogadó gemütlich zu speisen. Nebst Pizza gibt es dort ja noch eine Vielzahl anderer leckerer Gerichte. Heute kommt Marshal máj (Schweinsleber nach Marsal Art) mit Zwiebeln, Speck und Bratkartoffeln auf den Tisch, bzw. für Stini Rántott csirkemell (gegrilltes Hühnerbrustfilet) mit Kräuterbutter und Bohnenbündel mit Reis. Begleitet wird das ganze von einem «Soproni» resp. einer Cola. Und Nachtisch gibt’s heute auch noch: Einen Gundel palacsinta. Die Österreicher nennen dies Palatschinke und bei uns müsste man wohl Crêpe sagen, damit ungefähr verstanden wird, was gemeint ist. Fehlt noch die Bedeutung des Namens «Gundel»: Károly Gundel (1883 – 1956) gilt als Gastronomielegende Ungarns. Er übernahm 1910 das Ausflugsrestaurant beim Budapester Zoo und verwandelte es innert Kürze zu einem Gourmettempel von Weltrang. Daneben entwickelte er berühmte kulinarische Kreationen, die bis heute seinen Namen tragen, unter anderem eben der Gundel palacsinta, mit einer Nuss-Rosinen-Rum-Füllung. Schmeckt köstlich!

Satt und müde lassen wir uns ab 21.06 Uhr von der Raaberbahn wieder nach Körmend zurückbringen. Es war ein kurzweiliger Tag, der uns gezeigt hat, dass es auch in einer scheinbar unspektakulären Gegend viel zu entdecken gibt.

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Tourengänger: ABoehlen, Stini


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T1
5 Okt 11
Abschied von Körmend · ABoehlen

Kommentare (4)


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bidi35 hat gesagt: interessant geschildert...
Gesendet am 22. November 2011 um 21:56
...ihr kennt wohl Ungarn bald besser als die Ungaren selber...

LG Heinz

ABoehlen hat gesagt: RE: interessant geschildert...
Gesendet am 24. November 2011 um 12:12
Danke, aber das glaube ich weniger, denn in meinem Ungarisch-Sprachführer steht eine interessante Aussage:
"Die Ungaren verstehen sich als weltmännisch und erwarten, dass man das weiss. Rechnen Sie damit, dass viele über Wirtschaft, Politik, Geschichte und Kultur in Europa und Übersee besser informiert sind als wir."

LG Adrian

Pfaelzer hat gesagt: Sehr schöner Bericht
Gesendet am 22. November 2011 um 22:06
Vielen Dank

LG
Wolfgang

ABoehlen hat gesagt: RE:Sehr schöner Bericht
Gesendet am 24. November 2011 um 12:13
Bitte, gerne geschehen! Es freut mich, wenn Berichte aus dieser Region auf Interesse stossen.

LG Adrian


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