Zurück in Pakistan...


Publiziert von lorenzo , 20. Juli 2024 um 23:52.

Region: Welt » Pakistan » Baltistan
Tour Datum:14 Juni 2024
Wandern Schwierigkeit: T4 - Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: PK 
Zeitbedarf: 17 Tage
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Flug Zürich-Istanbul-Islamabad-Skardu (Emirates, Etihad, PIA, Turkish Airlines). Jeep Skardu-Hushe-Skardu. Jeep Skardu-Deosai Plains-Skardu. Auto Skardu-Raikhot Bridge, Jeep Raikhot Bridge-Tato.
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Auto Raikhot Bridge-Babusar Top-Naran-Kaghan-Islamabad. Flug Islamabad-Istanbul-Zürich.
Unterkunftmöglichkeiten:Mehrere Hotels in Skardu. Little Karim Hotel in Hushe. Mehrere Hotels in Raikhot Bridge/Fairy Meadows. Zahlreiche Hotels in Islamabad.
Kartennummer:Google Maps; M. Beek, Pakistan - Land-Geschichte-Kultur-Trekking, Beek Verlag 2019.

Bismillah Al Rahman Al Rahim
Mona war vor rund 50 Jahren mit ihrem damaligen Freund mit einem VW-Bus von der Schweiz über den Balkan, die Türkei, Syrien, Irak, Iran und Afghanistan, und zuletzt über den Khyber Pass nach Peshawar in Pakistan gefahren, wo sie ihre 2-jährige Reise durch den Orient über Lahore nach Indien und Nepal fortsetzten, und ich war vor 25 Jahren mit meiner damaligen Freundin während 3 Wochen durch Pakistan gereist. Vor etwa 5 Jahren planten wir, für ein Trekking dorthin zurückzukehren, liessen uns aber trotz vielversprechenden Angeboten von Baltistan Adventure durch Warnungen vom EDA, die dieses u.a. im Gefolge einer Entführung eines Schweizer Paars 2011 und eines Überfalls des Nanga Parbat Basislagers im Diamirtal 2013, angeblich beides durch die Taliban, verlauten liess, verunsichern und davon abhalten. Stattdessen entschieden wir uns für ein unverfänglicheres Trekking im Khumbu Valley in Nepal, von wo die Meldungen über Aktivitäten der Maoisten hierzulande inzwischen wieder etwas verklungen waren. Mitte März 2020 zurück von einem gelungenen Trekking zum Gokyo Ri im noch vom schlimmen Erdbeben von 2015 gezeichneten Kathmandu - von der WHO war gerade der weltweite Lockdown wegen Covid-19 verhängt worden -, schafften wir es gerade noch auf eine der letzten Maschinen, bevor der internationale Flugverkehr vollständig lahmgelegt wurde. In Kloten war nicht einmal mehr der Zoll besetzt, und in menschenleeren Zügen gelangten wir durch das gespenstisch ausgestorbene Mittelland nach Hause.

Ermutigt durch pakistanische Freunde in der Schweiz, die unsere Bedenken zu entkräften verstanden, nahmen wir nochmals einen Anlauf, traten erneut in Kontakt mit Baltistan Adventure, und planten mit dessen CEO Muhammad ein vergleichsweise leichtes und kurzes mehrtägiges Trekking von Hushe zum Laila Peak Base Camp und weiter zum Gondogoro La (5650m) und zurück. Dabei träumten wir davon, den unvergleichlich spitzen und schönen Laila Peak und die 4 Achttausender rund um Concordia wenigstens einmal im Leben von Weitem zu sehen. In den Jahrzehnten seit unseren letzten Besuchen war in Pakistan viel Wasser den Indus hinunter geflossen, und hatten sich korrupte und Militärregimes abgelöst. 1979 wurde der volksnahe Zulfikar Ali Bhutto, 2007 seine Tochter Benazir Bhutto, beide von der PPP, ermordet, und 2011 der Al-Qaida-Führer Osama Bin Laden im Auftrag von US-Präsident Barack Obama. 2022 wurde der volksnahe Premierminister Imran Khan von der PTI wegen fadenscheinigen Korruptionsvorwürfen inhaftiert, was von Anfang den Anschein eines Regime Change, wie ihn die USA bereits u.a. 1953 im Iran, 1954 in Guatemala, 1973 in Chile, 2014 in der Ukraine und 2019 in Bolivien zur Durchsetzung ihrer hegemonialen Interessen und zur Sicherung ihrer Ansprüche auf die globalen Rohstoffreserven durchgeführt hatten, machte. W.I. Lenin hatte schon 1916 in Zürich beschrieben, wie imperialistische Mächte in ihren Kolonien 
die Bevölkerung mit Hilfe der lokalen Eliten unterdrücken und ausbeuten und sich ihre Rohstoffe aneignen.

Über Istanbul, wie einst auch heute noch das westliche Tor zum weiten Orient, sichtbar u.a. an der oszillierenden Tafel der "Departures" und "Arrivals", erreichten wir Islamabad, wo wir vom Team von Baltistan Adventure herzlich empfangen wurden. Nur wenige Stunden später flogen wir, begleitet vom Assistant Guide Rahi, dem Bruder von Muhammad, W am Nanga Parbat vorbei, der als einziger Gipfel aus der dichten Wolkendecke ragte, nach Skardu. Hier wurden wir in der hoch gelegenen Mountain Lodge untergebracht, die uns eine eindrückliche Sicht über die Stadt und auf die Indusebene gewährte. Guide Ali gab uns die vom Organisator zur Verfügung gestellten warmen Armeeschlafsäcke und Grödel für die oberen Etappen. Am 3. Tag fuhren wir mit Ali und Rahi in einem Jeep dem Indus und dem Shyok River entlang, an dessen Ufern die Bergbevölkerung einfache Dörfer und bewässerte Terrassenfelder gebaut, und Pappelhaine und -alleen gepflanzt hat, über Khaplu zum Hushe Valley. Durch dieses holperten wir, plötzlich über grünen Getreideterrassen den imposanten Masherbrum, einen der höchsten und schwierigsten Siebentausender, vor den Augen, nach Kanday, wo wir im Haus der Familie der beiden Brüder zu einem feinen pakistanischen Mittagessen eingeladen wurden. Danach ging es, immer stolperiger, weiter nach Hushe (3050m) und zum Hotel des legendären, 2022 verstorbenen Little Karim, der 1978 zum Beweis seiner Stärke Chris Bonington, der ihn als zu schmächtig für den Tragdienst befunden hatte, kurzerhand auf seine Schulter gehoben und und vorgeführt, und 1985 einen Deltasegler für Jean-Marc Boivin auf den Gasherbrum II getragen hatte. Wir packten unsere Sachen von unseren Reisekofferm inTreckingtaschen um. Nach einem Rundgang durch das Dorf und entlang raffiniert bewässerter Getreide- und Gemüsefelder, bei dem Rahi vielen alten Bekannten begegnete, mit denen er sich auf Balti, einer Art "Ur-Tibetisch" und gänzlich verschieden von der Landessprache Urdu, unterhielt, gingen wir zeitig zum Schlafen, um uns weiter zu akklimatisieren und für den morgigen Beginn unseres Trekkings gerüstet zu sein.

Gondogoro
Am 4. Tag starteten wir hinter etwa einem Dutzend Trägern, die je 
zwei schwer bepackte Esel und Pferde mit sich führten, von denen eines während einer Pause auf einer Weide genug vom Lastentragen hatte und das Weite suchte und nicht mehr eingefangen werden konnte, und dem Koch Hussain mit seinem Gehilfen, Richtung  Norden. Zuerst auf einem Fahrweg, dann auf einem guten Weg z.T. durch lichten Mischwald entlang dem Hushe River, der auf beiden Seiten von zahllosen namenlosen Gipfeln, denen die Aiguilles von Chamonix und die beiden Drus höchstens bis zum Bauchnabel reichen, gesäumt wird, gelangten wir, überwältigt von den vielen Eindrücken und nur einmal von leichtem Regen gestreift, nach ca. 6h zum 1. Camp Saicho (3320m) an der Gabelung der Weiterwege nach N zum Gondogoro La und nach ESE zum K7 Basecamp. Früher eine ebene Wiese, habe eine Erd- und Gerölllawine diese infolge starken Regens vor einigen Jahren in ein Trümmerfeld verwandelt, wie uns Ali erklärte. Im Nu hatte das Team die Zelte aufgebaut, auch unseres mit bequemen Schlafmatten, und schon hantierte Hussain in der Küche. Mit einfachsten Mittlen und rohen Zutaten zauberten er und sein Gehilfe ein feines Menu, wie wir es dann auch an den folgenden Tagen mittags und abends vorgesetzt bekamen, hervor. Obwohl wir die Pfadizeit längst hinter uns haben, überstanden wir unsere erste Nacht im Zelt ohne grössere Probleme.

Auch das Frühstück, wie es uns am 5. Tag erstmals serviert wurde, liess nichts zu wünschen übrig, indem sowohl für den Geschmack als auch genügend Kalorien gesorgt war. Letztere konnten wir auf dem langen, nicht enden wollenden Anstieg über die östliche Moräne des mächtigen Gondogorogletschers dann auch mehr als gebrauchen. Der Weg, der an mehreren namenlosen Massifs du Mont Blanc vorbeiführt, war meistens angenehm zu begehen, nur an einigen Stellen in den Randfelsen oder bei Moränenabbrüchen, die wohl durch den Rückgang des Gletschers entstanden sind, war er ausgesetzt oder rutschig. Bei wechselnder Bewölkung und einmal kurzen Regenschauern erreichten wir nach rund 8h das auf einer idyllischen Wiese gelegene 2. Camp Dalsangpa (4150m) mit einem Bach und einem See in der Nähe. Einige Yaks weideten dort friedlich, und auf der anderen Seite donnerten hin und wieder Eislawinen und Felsstürze nieder. Die Höhe machte sich bemerkbar, und ohne Sonne wurde es sofort spürbar kälter. Der 6. Tag war für die Akklimatisation vorgesehen, als wir aber vormittags Richtung Gondogorogletscher gehen wollten, begann es zu regnen und zu schneien, so dass wir wieder umdrehten. Erst am Nachmittag hellte es auf, so dass wir es noch einmal wagten. Im N gewahrten wir E vom gewaltigen Masherbrum - Allahu Akbar! - den schwierig zu überschreitenden Masherbrum La, der hinüber nach Urdukas am Baltorogletscher führt, und vom Übergang von der Moräne zum Gletscher konnten wir im NE zwischen den Wolken kurz einen Blick auf unser Ziel Gondogoro La erhaschen, von dem uns aber noch lange Gletscheretappen zum 3. Camp in Khuispang (4650m) und zum 4. High Camp (5200m), sowie ein bis zu 45 Grad steiler Geröll- und Firnanstieg zum Pass trennten (jeweils 6-8h, T5 und L). Währenddessen verharrte der begehrte Laila Peak zu unserer grossen Enttäuschung hartnäckig in den Wolken. Und Steinböcke oder sogar einen Schneeleoparden, die sich laut Ali oft auf den Grasplanggen über den Moränen bewegen, sahen wir leider ebenso wenig. 

Auch am 7. Tag war das Wetter durchzogen, und mangels Handyempfang und Satellitentelefon verfügten wir über keine brauchbare Prognose für die nächsten Tage. Das Hushe Rescue Team, dem wir in Saicho begegnet waren, und das den Pass jeweils mit Fixseilen versichert, war zudem auch noch nicht wieder erschienen. Drei Träger, darunter einer, der einmal am Masherbrum La nach Mineralien gesucht hatte und sich auszukennen schien, meinten, dass das Wetter nicht gut werde, und auch Ali schloss aus dem veränderten Gesang der Vögel und der Beobachtung, dass die Yaks bereits am Tag vorher eine tiefer liegende Weide aufgesucht hatten, auf unbeständiges Wetter. So entschieden wir uns bis um 10 Uhr schliesslich schweren Herzens, den Aufstieg abzubrechen und umzukehren. Beim Abstieg trafen wir zuerst die weiter unten weidenden Yaks, die uns in unserem Entscheid bestärkten, dann bei inzwischen erneutem Regen den Träger Taki aus Hushe, dem ich einmal für eine pakistanische Expedition zum K2 einen Beitrag gespendet hatte, wofür er sich bedankte, wobei er mir stolz berichtete, dass zwei einheimische Summiterer den Gipfel hatten erreicht können. Er war mit einem mexikanischen Backpacker unterwegs, mit dem er in einer Höhle übernachtete, um ihm in den nächsten Tagen den Laila Peak zu zeigen. In Saicho, wo wir wieder übernachteten, und die Träger, die uns verweichlichte Banausen stets freundlich, zuvorkommend und mit Nachsicht behandelt hatten, mit wohlverdienten Tips bedachten, begegneten wir nochmals dem Hushe Rescue Team, das sich nun doch noch in Richtung Gondogoro La aufzumachen schien (später in Islamabad berichtete uns dann Muhammad, dass ein Spanier am auch für uns vorgesehenen Tag den Pass erreicht hatte, hoffentlich bei gutem Wetter und klarer Sicht!). In Hushe packten wir unsere Sachen wieder um. Dann fuhren wir mit dem Jeep, vorbei an Machulo, wo ein 2-tägiges Trekking zum K2 View Point am Machulo La abzweigt, das beim herrschenden Wetter aber auch keinen Sinn gemacht hätte, zurück nach Skardu und dort zum zentral gelegenen Dewan E Khas Hotel.

Skardu-Deosai
Am 9. Tag erholten wir uns im Hotel und planten nach dem Abbruch des Trekkings mit Ali ein Alternativprogramm, das aus einem Besuch des Bazars am Nachmittag, einer Fahrt zu den Deosai Plains am nächsten, einem 3-tägigen Ausflug nach Fairy Meadows und daneben aus der bereits ursprünglich geplanten Rückfahrt über den Babusarpass nach Islamabad bestand. Mit nur vagen Einkaufsideen im Kopf liessen wir uns auf dem Bazar von Stand zu Stand, und von Store zu Store treiben, fanden hier etwas wie z.B. Haarspangen, einen Nagelknipser oder Landkarten, anderes wie z.B. flache Aluminiumplatten, wie sie der Koch Hussain zum Backen von Chapatis über der Gasflamme verwendet hatte, um dies auch zuhause auf dem Elektroherd ausprobieren zu können, dagegen nirgends. Wegen ihrem hohen Verschleiss an Wanderschuhen kaufte Mona in einem Schuhshop ein Paar solid aussehende Scarpa, bei denen sich aber - wohl weil sie schon 10 Jahre in der Auslage gestanden hatten - zuhause nach nur wenigen Aarespaziergängen die Sohlen unreparierbar lösten...Ich fand dafür einen schönen und warmen Schal aus Pashminawolle für meine immer frierende Mutter, und schliesslich deckten wir uns auch noch mit den legendären getrockneten  Balti-Aprikosen, wunderbar duftenden Gewürzen, Nüssen und Honig ein.

Anderntags fuhren wir mit Rahi und einem Fahrer in einem Toyota Prado Land Cruiser zum Sadpara Lake, der Skardu zur Bewässerung sowie Energie- und Trinkwasserversorgung dient, und dann, vorbei am Dorf Sadpara, das für seine grossen Bergsteiger berühmt ist, und am Sadpara Check Post, wo die Eintrittsgebühren für ausländische Touristen innert eines Jahres von 1000 Rupien auf 40 Dollar erhöht worden waren, weiter hinauf zum Deosai National Park auf rund 4000m, bestehend aus den Deosai Plains, dem nach Tibet "second highest plateau in the world". Zahlreiche Prados, aber auch kleine, wenig geländetauglich scheinende Suzukis, vornehmlich mit Touristen aus dem Punjab, mühten sich auf den verschlammten Strassen, auf denen an den vorangehenden Tagen mehrere Fahrzeuge hatten evakuiert werden müssen, weshalb wir vom Plan einer Weiterfahrt direkt über Astore zur Raikhot Bridge schon vorgängig wieder abgekommen waren. Bei einer Rest Area machten wir Halt und vertraten uns trotz Wind und Regen entlang einem Fluss 
kurz die Beine. Obwohl die Plains später im Jahre viel grüner und von Kuh-, Schaf- und Ziegenherden belebt und bei Sonne und blauem Himmel viel schöner seien, waren wir beeindruckt von ihrer unermesslichen Weite. Kein Wunder, dass die Amerikaner hier in den 90er Jahren, obwohl die Hochebene bereits zu einem Nationalpark erklärt worden war, eine US-Airbase bauen wollten, um China und Russland besser überwachen und ggf. angreifen zu können, was von der damaligen pakistanischen Regierung aber zum Glück abgelehnt wurde. Nach einem heissen Chai in der Deosai Top&Sadpara Broque fuhren wir auf der langen und löchrigen Strasse zurück nach Skardu.

Raikhot Bridge-Fairy Meadows
Am 11. Tag verabschiedeten wir uns von Ali, der die Führung eines Trekkings von Askole nach Concordia in Aussicht hatte, und fuhren mit Rahi, der von nun an unser Guide war, und einem anderen Fahrer in einem Toyota Corolla, neben Daewoo, Isuzu und Suzuki die häufigste Automarke in Pakistan, durch das wilde Industal und zuletzt südlich am Haramosh vorbei, einem der 63 Siebentausender des Karakorums, der aber von Wolken verhüllt war, nach NW zum Karakorum Highway. Diesem folgten wir, weiter dem Indus entlang, nach S, wobei wir am The Three Mountains Junction View Point, wo die drei höchsten Weltgebirge Hindukush, Karakorum und Himalaya aufeinandertreffen, vorbei kamen, die Stadt Jaglot und die Abzweigung nach Astore passierten, und deutlich mehr von den legendären Lastwagen begegneten, als vorher, bis zur Raikhot Bridge (1200m). Wüstenhafte Hitze umfing uns, als wir aus dem klimatisierten Wagen stiegen und unser Zimmer im etwas heruntergekommenen Raikhot Sarai Hotel bezogen, wo der Ventilator wie in Skardu nur zwischen den jeweiligen Stromausfällen funktionierte. Das Essen war aber so gut, dass wir uns das kleine Fläschchen Wein, das Mona aus dem Flugzeug mitgeschmuggelt hatte, teilten - endlich wieder ein Schluck Alkohol! -, und abends liess es sich auf der von jungen Fröschen bevölkerten Veranda hoch über dem stetig dahinfliessenden Indus, der Lebensader Pakistans, bei kühlendem Talwind und zirpenden Zikaden trefflich wegtreten:


Des Ganges Ufer hörten des Freudengotts
Triumph, als allerobernd vom Indus her
Der junge Bacchus kam mit heilgem
Weine vom Schlafe die Völker weckend.

 

(F. Hölderlin, aus "Dichterberuf")
 

Nach einer heissen Nacht mit Fliegenplage fuhren wir mit einem Jeep, der vorher von Experten noch einer eingehenden Fahrzeugprüfung unterzogen wurde, auf einer der laut einer Deklaration der WHO von 2013 gefährlichsten Strassen der Welt, unter tatsächlich gehörigen Strapazen für Psyche und Rücken, und mit einem Schleudertrauma stets in Griffnähe, hinauf Richtung Tato. Der Fahrer war aber gnädig und hielt auf unser Zeichen für eine Verschnaufpause, oder um die trotz allem spektakulären Eindrücke, etwa von der tiefen Schlucht des unteren Raikhot Rivers, oder vom plötzlich hinter einer Kurve auftauchenden, zwischen erdbraunen Hügeln und strahlend blauem Himmel weiss leuchtenden Nanga Parbat einzufangen, immer wieder an. Welche Wohltat, schliesslich in Tato doch noch unversehrt dem Jeep entsteigen und sich wieder auf eigenen Füssen fortbewegen zu dürfen. Ein einzigartigen Weg führte uns, immer der alles überragende Nanga Parbat vor Augen, entlang dem oberen Raikhot River durch einen von erfrischenden Bächen durchflossenen Kiefernwald und zuletzt über die W-Moräne hinauf nach Fairy Meadows. Während dem Aufstieg begegneten wir, anders als noch vor 25 Jahren, als hier noch kaum jemand unterwegs gewesen war, zahlreichen Trägern mit Eseln, Maultieren und Pferden, und vielen Touristen v.a. aus dem Punjab, aber auch aus Belutschistan und Sind. Oben angekommen, bezogen wir unser grosszügig eingerichtetes Zimmer in den Fairy Meadows Cottages, wo auch eine grosse Gruppe von Pharmaziestudierenden der Punjab University of Lahore mit ihrem Professor residierte, mit dem sie Heilpflanzen suchten und bestimmten, um sie dann zuhause im Labor zu analysieren, sowie eine deutsche Trekkinggruppe, die sich für das Concordiatrekking akklimatisierte. Sie wurde von einem Pakistani geführt, der sein beinahe perfektes Deutsch mit Youtube-Videos gelernt hatte, da ihm das Goethe-Institut und die NUML (National University of Modern Languages) in Islamabad zu teuer gewesen seien. Von der Veranda aus hatten wir freie Sicht auf den unvergleichlichen Traumgipfel Nanga Parbat, und im spartanisch eingerichteten Essraum konnte man die Fotos seiner Pioniere, darunter W. Merkl, A. Drexel, K.M. Herrligkofer, H. Buhl und R. Messner bewundern.

Als wir uns am nächsten Tag mit einer anderen Gruppe, bestehend aus einer Italienerin aus Turin und einer Argentinierin aus Rosario, geführt von einem Guide aus dem Hunza Valley, auf den Weg Richtung Base Camp machten, hatte sich der Himmel nach einer kalten Nacht und einem klaren Morgen leider schon überzogen, und immer wieder hüllten Quellwolken die Gipfel der Chongra Peaks - die die Italienerin mit dem Peakfinder ausmachen konnte -, des Raikhot Peak, des Diamir und des Mazeno Peak ein. Auf dem abwechslungsreichen Weg entlang der W-Moräne des Raikhotgletschers bekamen wir trotzdem eine Ahnung von den für uns ungewohnten Dimensionen dieses Massivs. Die Italienerin erzählte dabei von einer Bekannten, die gerade mit einer italienisch-pakistanischen Frauenexpedition zum K2 unterwegs war - Rahi berichtete später, dass diese mit dem Gipfelaufstieg begonnen habe -, während die Argentinierin die 100%-ige Inflation unter dem neuen Präsidenten J. Milei und durch den Einfluss von Black Rock beklagte. Vorbei am Beyal Camp gelangten wir zuerst zum Glacier View Point, wo man wie von der Bettmeralp statt auf den Aletsch- auf den mächtigen Raikhotgletscher blickt, und wir einen ersten Halt machten. Dieser war in den letzten Jahren sichtlich zurückgegangen bzw. abgesunken, indem Länder wie Pakistan und Nepal besonders stark von der Klimaerwärmung betroffen sind. Dies zeigte sich u.a. auch am Bergsturz von Attabad 2010 der zur Bildung eines riesigen Sees geführt hatte, oder an der Überschwemmungskatastrophe 2022. Wozu natürlich der Fussabdruck von Reisen wie der unseren auch beiträgt, was jedoch gegen die wirtschaftlichen Vorteile, die der Tourismus der lokalen Bevölkerung bringen kann, abgewogen werden sollte. Vom Glacier View Point aus führte der Weg zuerst nahe dem Gletscher und über mehrere, z.T. viel Schmelzwasser führende Seitenbäche talaufwärts, und wand sich dann über mit weiss-gelben Alpenrosen übersäten Almen, wo noch Pferde grasten, hinauf zum Base Camp. Inzwischen hatte sich der Himmel zugezogen, und Windböen und kurze Regenschauer sorgten für eine ungemütliche Stimmung. Ich machte trotzdem einen Abstecher zum Grab von A. Drexel, der während der Nanga Parbat Expedition von 1934 auf der Märchenwiese vermutlich an Höhenkrankheit verstorben und hier begraben worden war. Dort befindet sich seit 2003 auch eine zum damaligen 50. Jubiläum der Erstbesteigung durch H. Buhl 1953 v
on Italienern angebrachte Erinnerungstafel, und inzwischen auch eine für den 2008 in der Raikhotwand verunglückten Karl Unterkircher. Mögen sie in Frieden ruhen. Auf dem Rückweg kehrten wir im Beyal Camp zu einem Imbiss ein, bei dem uns der Betreiber aus Tato erzählte, dass er hier oben arbeite, weil er als Geologe keine anständig bezahlte Stelle gefunden habe. Entsprechend würde er zum Arbeiten lieber in die Schweiz kommen, weshalb ihm Mona empfahl, am besten eine Schweizerin zu heiraten...

Nach einer erneut kalten Nacht neigten sich die schönen Tage auf Fairy Meadows bereits wieder ihrem Ende zu. Wir besuchten noch den Reflection Lake, ein Must für jeden Besucher, bevor wir mit dem Rückweg nach Tato begannen. Um von dort die Horrorstrecke nicht nochmals im Jeep erdulden zu müssen, hatten wir schon am vorletzten Tag mit dem Fahrer vereinbart, dass wir zu Fuss hinuntergehen würden. In der grössten Mittagshitze war es dann soweit, und wir trotteten, immer wieder von überholenden und entgegenkommenden Jeeps und ihren unsäglichen Staubwolken drangsaliert, los und die unsägliche Schotterstrasse hinunter. Kühlung brachten zuerst noch einige Bäche, und weiter unten waren wir dann um die länger und breiter werdenden Schatten froh, während der warme Wind die Situation wie ein heisser Sandsturm eher noch verschlimmerte. Schon waren unsere Trinkvorräte beinahe aufgebraucht, als uns ein Punjabi aus einem haltenden Jeep einen halben Liter Mineralwasser in die Hand drückte. Was für eine Labsal! Wie an den beiden vorangehenden Tagen bekamen wir aber auch heute den Haramosh, der sich immer noch hinter Wolken versteckte, nicht zu Gesicht. Schliesslich erreichten wir, zuletzt mit einigen Abkürzungen, unser Raikhot Sarai Hotel doch noch, und ich durfte mich abends und nachts trotz Ventilator wieder am Gesang des Indus und der Zikaden freuen.

Alhamdulellah
Noch blieben uns zwei Tage, die für die Rückfahrt nach Islamabad vorgesehen waren. Mit einem Fahrer, der um 3 Uhr morgens mit seinem Toyota in Skardu gestartet war, fuhren wir durch das wüstenartige Industal über Jalipur Richtung Chilas bis zum Zero Point, wo das Babusar Valley nach SSW abzweigt. Durch dieses ging es zuerst nur wenig ansteigend bis zum Ort Babusar, und erst ab dort in zahlreichen Kehren, wie wir sie auch von den Alpenpässen kennen, steil und zuletzt zwischen meterhohen Schneemauern hindurch bis zum höchsten Punkt, dem Babusar Pass oder Top (4173m). Wie auf Deosai oder Fairy Meadows wimmelte es auch hier von Touristen vornehmlich aus dem Punjab, deren Sommerferien gerade angefangen hatten, und die, wie wir es bei uns auch tun, der Hitze ihres Unterlandes zu entkommen versuchten und die Schönheit ihrer Berge erleben wollten, die aber wegen einer grauen Wolkendecke nicht so recht zur Geltung kommen wollte. Auch das unter Pakistani vielgerühmte Naran-Kaghan Valley mit dem Lulusar Lake vermochte uns nicht wirklich zu begeistern - dazu müsste man wohl von der Hauptstrasse nach E oder S in den Lulusar-Dudipatsar oder den Saif ul Malook National Park abzweigen -, so dass wir nach Rücksprache mit Rahi und dem Fahrer, dem wir nicht zu viel zumuten wollten, beschlossen, hier auf eine Übernachtung in einem Hotel zu verzichten, und direkt weiter über Balakot, Manshera und Abottabad nach Islamabad zu fahren. Während der Fahrt, immer mit schriller, aber irisierender Babystimme von Tablas getriebenem Bollywood- , Hindi- oder Paki-Pop, um wach zu bleiben, fiel uns, wie auch bereits rund um Skardu, der miserable Zustand der Strassen in den Bergen auf -  der von Rissen und Absenkungen geprägte Abschnitt zwischen Les Haudères und Arolla ist dagegen vergleichsweise harmlos -, während die Autobahn zwischen Manshera und Islamabad einem perfekt ausgebauten Highway in nichts nachsteht. Da würde man es gerne sehen, wenn von den Milliarden, die in korrupte Taschen fliessen, grosszügig in den Strassenunterhalt (und andere Infrastrukturprojekte) investiert würde. Ungewohnt für uns waren auch die zahlreichen Restaurant, die Tische und Stühle für ihre Gäste mitten in fliessendem Wasser von Bächen und kleinen Flüssen aufgestellt hatten. Nach später Ankunft um 23 Uhr und einem wie immer feinen und bekömmlichen pakistanischen Essen kamen wir im Grand Hotel Islamabad unter. Dort begleitete uns Muhammad a
m nächsten und vorletzten Tag bei "nur" 35 Grad persönlich durch die weitläufige, aber wenig ansprechende Stadt. Nach langem Herumirren fanden wir schliesslich doch noch einen Uhrmacher, der mein zerrissenes Uhrband ersetzen konnte, und weil die Zeit noch reichte, besuchten wir die monumentale Faisal Masjid, neben der Sultan-Ahmed-Moschee in Istanbul, der Al-Azar Moschee in Kairo und den Moscheen von Mekka und Medina eine der grössten der islamischen Welt, wo sich an diesem Samstagabend die halbe Stadt zu versammeln schien. Nach einem letzten gemeinsamen Take away im Hotelzimmer und einer kurzen Nacht, begleitete uns Mohammed frühmorgens zum Flughafen, wo wir uns von ihm verabschiedeten. Und mit ihm von all den grösstenteils in Armut lebenden, grossartigen und gläubigen Menschen, die wir hier kennen lernten, denen vom BSP nur 30% bleibt, während die restlichen 70% für das Militär ausgegeben werden, und die sich deshalb Imran Khan anstelle eines weiteren korrupten Regimes zurückwünschen. Manche von ihnen, die alle fünfmal am Tag zum Ruf des Muezzins beten, checkten neben uns bei einem eigens dafür eingerichteten Schalter Richtung Mekka und Kerbala zur Hajj ein.


Inschallah
Obwohl der Juni für Trekkings auch geeignet sei, wurde uns empfohlen, ein nächstes Mal besser von Juli bis September zu kommen, indem in diesen Monaten das Wetter trockener und stabiler sei. Interessierten können wir Baltistan Adventure, an die wir uns auch in Zukunft wenden werden, nur wärmstens weiter empfehlen. Ebenso das lesenswerte Buch von Michael Beek, der diesem - unserer Ansicht nach zurecht - die folgende Einsicht von Alexander von Humboldt vorangestellt hat - notabene über einem Foto vom Gondogoro La hinunter zum Gondogorogletscher, auf dem auch der elegante Laila Peak zu sehen ist:

 

Die gefährlichste aller Weltanschauungen 
ist die Weltanschauung der Leute,
welche die Welt nicht angeschaut haben.


Tourengänger: lorenzo


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