Pointe Francesetti (3.425 m) und der kalbende Gletscher


Publiziert von panodirk , 29. September 2022 um 14:57.

Region: Welt » Frankreich » Grajische Alpen » Charbonnel Gruppe
Tour Datum: 1 September 2022
Wandern Schwierigkeit: T5- - anspruchsvolles Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: F 
Zeitbedarf: 10:00
Aufstieg: 1610 m
Abstieg: 1610 m
Strecke:19 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Parkplatz L'Ecot oberhalb Bonneval-sur Arc, auf guter Straße zu erreichen, aber mittlerweile mautpflichtig (7 Euro für uns). Hier gibt es einen oberen Parkplatz Pont St-Clair, an dem beiden Evettes-Wege abgehen.
Zufahrt zum Ankunftspunkt:s.o.
Unterkunftmöglichkeiten:Refuge des Évettes (2.590 m)
Kartennummer:IGN 3633ET Tignes Val d'Isère

Wer kennt den Lac du Grand Méan? Obwohl ich schon öfter in der Gegend war, ist mir dieser See bisher kein Begriff gewesen. Einst war dort der riesige Glacier du Grand Méan, doch bei seinem traurigen rapiden Rückgang hat er dieses Kleinod hinterlassen. Ein See mit einem kalbenden Gletscher und mit Eisschollen - das alles in einer wild-romantischen Umgebung unter dem wilden Mont Séti und gegenüber des L'Albaron. Der See ist schnell vom Refuge des Évettes zu erreichen und so ist er mittags auch recht bevölkert, doch weiter oben in der Gletscherwelt ist man allein!
Apropos Gletscherrückgang: Betrachtet man alte Bilder vom Glacier du Grand Méan, steigt man in gerader Linie hinauf zum Col de la Disgrâce; das funktioniert heute nicht mehr - ein Felsriegel schiebt sich in den Weg.
Die Pointe Francesetti ist einer dieser vielen die 3.400er Marke überragenden Grenzgipfel, die eine phänomenale Aussicht bieten - und im Gegensatz zu seinen Nachbar ist dieser Punkt eher einfach erreichbar, zumindest der Fels im Gipfelhang ist sehr gutmütig.
Ist der Gletscher aper, kann man die Tour seilfrei, aber zwingend mit Steigeisen und Pickel durchführen (sonst wäre es ein L). Bei der Schwierigkeitsbewertung greife ich zu einem T5-. Obschon der Aufstieg auf unserer Variante technisch nicht besonders schwierig ist, gilt es ein sehr rutschiges Couloir zu überwinden und es gibt im oberen Gletscher kurz vor dem Pass mächtige Querspalten von links und von rechts, die Gletschererfahrung und sicheres Steigeisengehen unbedingt voraussetzen! Der Weg bis zum See ist T3 und der Gipfelgrat maximal T4-. Je nach Wegwahl könnte auch ein Helm sinnvoll sein, besonders in "unserem" Couloir.
Selten bin ich eine so abwechslungsreiche und schöne Tour gegangen wie diese. Hätte ich eines dieser Drei-Sterne-Bewertungskonzepte zur Hand, würde ich 4 geben! :-)

DIE TOUR
Da es sich um eine lange Tour handelt, empfiehlt sich ein früher Aufbruch am Parkplatz L'Ecot - Pont St-Clair (2.022 m). Wir sind gleich mal im Dunkeln gegen unsere Absicht auf dem Schluchtweg durch die Gorge de la Reculaz gelandet. Aber endlich mal ein Verhauer mit positivem Effekt: Der Weg ist kurzweiligund gut zu gehen und nirgends ausgesetzt. Ein paar Ketten erfordern kurz mal beide Hände (T3+) und schon ist man oben angekommen. Oben bedeutet in dem Fall, dass wir deutlich unterhalb des Refuge des Evettes herauskommen (den ersten Abzweig nach links nehmen!) und binnen Kurzem schon an der schönen Rundbrücke Pont de la Reculaz (2.499 m, 1:30 ab Parkplatz). So spart man sich den Umweg über die Hütte im Aufstieg!
Nach der Brücke geht man ein paar Minuten nach rechts auf die Plan des Evettes, Früher war der weitere Weg schwer zu finden, doch heute findet sich hier ein unmissverständlicher Wegweiser zum Lac du Grand Méan. Die ersten Meter auf Platten, dann auf guten Weg geht es zügig hinauf zum Panoramapunkt (2.876 m), an dem man den kalbenden Gletschersee erstmals bestaunen kann (knapp 1 Stunde ab der Brücke).
Ab hier wird es spannend und es gibt mehrere Optionen:
Option 1: Man umgeht den See rechts und steigt lange über den Felsrücken, um den oberen Gletscher zu erreichen. Wahrscheinlich ist dies die beste Option, vermeidet man so das rutschige Couloir, was wir gehen mussten. Doch man muss dazu den Abfluss des Sees überwinden (können). Wir hatten morgens keine Lust, die Füße nackig zu machen und Stöcke hatte ich auch keine dabei. Über die Steine zu hüpfen wäre lebensgefährlich geworden. Also Option 1 streichen und retour.
Option 2: Also doch den See links umrunden, was ja auch wunderschön ist. Der dritte oder vierte Eisrücken sieht dann doch stabil aus und wir können mit angeschnallten Steigeisen auf dem Gletscher losmarschieren.
Option 2a: Wir queren nur den Gletscher und versuchen, den Felsrücken aus Option 1 zu erklimmen. Wir haben verzichtet, da das Gelände sehr plattig und rutschig aussah.
Option 2b: Wir steigen den Gletscher hoch (links an der Barriere vorbei) und suchen rechts eine Quergang auf den von uns aus gesehen rechten Gletscherlappen. Die Option war uns zu unsicher - und das war auch gut so: diesen Quergang gibt es nicht mehr - der Gletscher ist unterbrochen bis oben hin.
Option 2c: Halbrechts zeigt sich ein steiler Eishang, den man hinaufgehen könnte. Könnte klappen, doch wir entschieden uns für Option 2d.
Option 2d: Einmal auf dem Glacier du Grand Méan, erkennt man in dem Felsriegel, der sich von rechts nach links zieht ein Couloir, das ebenfalls von rechts unten nach links oben hochzieht. Dieses hat sich zum Glück als gut begehbar herausgestellt. Im unteren Teil des Couloirs hat es noch Gletscher unter der dünnen Geröll- und Steinauflage und es ist höchste Vorsicht geboten, besonders bei Abstieg. Weiter oben montiert man am besten die Steigeisen kurz ab und steigt die sich immer mehr verflachende Rinne hinauf (nachmittags fließt hier Wasser) und geht an beliebiger Stelle wieder auf den Gletscher (ca. 3.050 m). Eher linkshaltend, aber den Faulschnee vermeidend geht es zunächst spaltenfrei hinauf. Weiter oben erschweren große Spalten (es handelt sich um A-Spalten!), die sich mal von rechts, mal von links bis über die Gletschermitte hinziehen, den Aufstieg. Kurz vor dem Pass muss man wie im Labyrinth von links nach rechts und wieder zurück laufen, um die Spalten zu umgehen. Eine Spalte ist auf festem Eis zu durchsteigen - sogar eine Stufe musste ich schlagen. Also wirklich nichts für Gletscheranfänger! - Nach dem ganzen Hin und Her standen wir trotzdem nach gut anderthalb Stunden am Col de la Disgrâce (3.232 m) und konnten glücklich die Steigeisen deponieren.
Ja, und wie (fast) immer wird im Piemont heftig Kaffee gekocht: Hier dampft und quillt es, während die Cumulusgarnierung in der Vanoise durchaus dezent bleibt. Jetzt geht es zügig immer auf der französischen Seite vom Grat erst steiler, nachher deutlich flacher bergauf. Ab und an gibt es Steinmänner, doch es gibt keinerlei Wegfindungsprobleme; noch nicht einmal klettern muss man! Es ist wohl auch möglich, den ganzen Schlussanstieg auf dem Grat zu bewältigen. Knappe 30 Minuten später stehen wir am Gipfel der Pointe Francesetti (3.425 m) und sind schlichtweg überwältig von diesem großartigen Alpinszenario mit umwerfenden Aussicht, welches uns erwartet!
Bei stabilem Wetter und aperen Gletscher darf man sich eine herrlich lange Gipfelrast erlauben - wie wir!
Den Abstieg bewältigten wir zunächst wie den Hinweg. Im Spaltenlabyrinth war wieder Vorsicht geboten. Im Couloir gab es viel Wasser, was uns etwas rechts auf die Platten ausweichen ließ. Im Ausstieg aus dem Couloir war nun das Geröll besonders weich und daher war jeder Schritt sehr genau zu setzen. Wieder zurück am See beim Steigeisenausziehen genossen wir die Nähe einer Steinbockfamilie mit kapitalem Bock und den nun tatsächllich live kalbenden Gletscher! - Alles in allem haben wir gut gebummelt und waren nach 3 Stunden zurück an der Brücke Pont de la Reculaz.
Hier entschieden wir uns für ein Belohnungsgetränk an der Hütte! Obschon es ja nur 90 Höhenmeter waren, kam die Hütte einfach nicht näher und das Belohnungsgetränk war somit noch 20 Minuten entfernt. Doch an der Refuge des Évettes (2.590 m) gibt es frisch gezapftes Cimes Blonde - war für ein wunderbares Getränk!
Auf der sonnigen Hüttenterrasse oberhalb des Cirque des Évettes könnte man ja ewig sitzen bleiben, so schön ist die Aussicht - Hauptdarsteller ist natürlich der L'Albaron! Doch irgendwann geht es auch hier weiter. Wir gingen nun den Normalweg, der aber so elendiglich flach verläuft, dass wir sowohl die offizielle Abkürzung von 2.469 m nach 2.332 m nahmen, als auch die inoffizielle auf ca. 2.280 m. So war es weniger als eine Stunde zurück zum Parkplatz!

Tourengänger: panodirk


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