Novembertristesse? Ab in die Unterwelt!


Publiziert von lainari , 18. November 2021 um 21:57.

Region: Welt » Tschechien » České Švýcarsko
Tour Datum:17 November 2021
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CZ 
Zeitbedarf: 4:30
Aufstieg: 215 m
Abstieg: 215 m
Strecke:10 km + 2 km unter Tage
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Auto bis Stará Oleška oder Zug der ČD bis Veselé pod Rabštejnem
Kartennummer:1:50.000, KČT Nr. 12 Česke a Saské Švýcarsko

Geheimnisse der Böhmischen Schweiz
 
Vor einigen Jahren war ich auf dieser Tour zwischen Stará Oleška und Janská unterwegs. Zwei der damals beschriebenen Objekte wurden durch neue Erkenntnisse überprüfungsbedürftig - zum einen die Austria-Klamm und zum anderen das unterirdische Tanklager der Sowjetarmee. Zwecks Klärung des Sachverhaltes ging es am trübgrauen Morgen nach Stará Oleška (Alt-Ohlisch). Ich parkte dort auf einer Nebenstraße am Campingplatz.
 
Podzemní nádrže/sklad PHM (Unterirdisches Treibstofftanklager)
Zu Fuß gestartet, passierte ich den idyllischen Olešský rybník (Ohlischer Teich), der gesäumt von Naherholungsanlagen auch naturnahe Abschnitte aufweist. Einige unentwegte Angler warteten auf den großen Fang. Ich verließ die Örtlichkeit, in dem ich nach links auf einen gelb markierten Wanderpfad einschwenkte, der ins Tal der Olešnička (Goldbach) hinunterführte, die den Seeabfluss bildet. Mit sanftem Gefälle wanderte ich dort talwärts. Unterwegs war ein großer Kahlschlag zur Beseitigung von Borkenkäferschäden in Arbeit. Die gefällten Bäume mussten per Seilkran aus dem unbefahrbaren Tal geborgen werden. Im unteren Talabschnitt passierte ich den querenden geschlossenen Betonkanal, den ich bei meiner ersten Tour als Aquädukt eingeordnet hatte. Mittlerweile weiß ich, dass dies eine Rohrbrücke mit Kraftstoffleitungen zum unterirdischen Tanklager war. Am Talausgang traf ich in Janská (Johnsbach/Jonsbach) ein. 1944-Mai 1945 wurde hier unter dem Namen „Objekt Zechstein“ durch den Einsatz von Häftlingen und Zwangsarbeitern mit dem Stollenvortrieb zur Errichtung unterirdischer Produktionsanlagen der Weser Flugzeugbau Bremen (WFG) begonnen. Mit etwa 17.500 m² war bei Kriegsende ungefähr ein Fünftel der geplanten Anlagengröße erreicht. Die Anlage teilte sich in einen östlichen und westlichen Teil. In letzterem wurde später ein geheimes unterirdisches Tanklager der Zentralgruppe der Sowjetarmee angelegt. Ich bog nach links auf einen Flurweg (alte Straße nach Philippenau) ein und fand im Verlauf einige Hinweise auf die unterirdischen Anlagen. Am Hang abgestiegen, konnte ich einen Zugang ausmachen und stattete mich mit Helm und Geleucht aus.
Nun begann ich mit der Erkundung: 3 Stollen führten in etwa parallel bis 120 m in den Berg hinein. Diese waren durch drei etwa 280 m lange Querschläge verbunden. Es gab Hinweise, dass ursprünglich fünf Querschläge geplant waren. Die Anfänge dafür wurden abgeworfen. Ein langer Seitenflügel führte an anderer Stelle nach draußen (evtl. als Notausgang). Zusätzlich gab es noch einen längeren Stollen bis zur Rohrbrücke zum Zwecke der Bewetterung und für die Kraftstoffzuleitungen. In den Stollen waren einst 5 etwa 80 m lange Tanks, 1 etwa 50 m langer Tank und 6 etwa 30 m lange Metalltanks eingebaut. Der gelagerte Kraftstoff konnte wohl entweder im vor der Anlage gelegenen Objekt an Straßentankwagen abgegeben oder auf dem Anlieferungsweg wieder bergwärts zum Bahnhof Veselé pod Rabštejnem gepumpt werden.
Bei meiner Besichtigung traf ich in der Tiefe des Berges auf eine Gruppe von drei jungen Leuten, darunter eine Frau, die diskutierend an einer Stelle verharrten. Als ich nochmals vorbeikam, trug die Frau schon einige Textilien weniger und posierte in fluoreszierenden Leggings illuminiert von Streulicht vor dem dunklen Schlund des Stollens - Kunst oder merkwürdige Leute tun merkwürdige Dinge?
Wieder am Tageslicht begab ich mich zur Rohrbrücke und beschloss dem Leitungsverlauf zu folgen, der durch ein felsgesäumtes bewaldetes Seitentälchen ruppig anstieg. Würde man so etwas heute mit Technik hinbekommen? Eher nicht! Die Sowjets haben einfach 50 Leute mit Hacke und Spaten geschickt und die Rohre von Hand verlegt…
Auf der Hochfläche befand sich im Wald ein Zwischenlager in Form von drei Tanks, die als Wasserhochbehälter getarnt waren. Auf der Zufahrtsstraße waren einige Autos herangefahren und eine Gruppe von jungen Leuten, darunter eine Frau zogen sich um und legten offenbar Kampfanzüge an - Sport oder merkwürdige Leute tun merkwürdige Dinge? Jedenfalls waren sie leicht überrascht, als sich die Büsche teilten und ich ins Freie trat. Ich lief nun zum einstigen Bahnhof Veselé pod Rabštejnem (Freudenberg). Hier gab es zu Betriebszeiten des Tanklagers drei separate Lade- und Abstellgleise, einen Lokschuppen für eine eigene Rangierlok und eine Gleiswaage (geeignet auch für vierachsige Kesselwagen für ausgehende Sendungen). Dies bestätigte mich in der Annahme, dass die Kraftstoffe nicht nur per Bahn angeliefert, sondern fallweise nach einer Einlagerung auch weitertransportiert wurden. Alle anderen Hochbauten des Bahnhofes sowie alle Nebengleise sind heute abgebaut. Der aktuelle Haltepunkt liegt somit am durchgehenden Streckengleis. Auf dem blau markierten Wanderweg lief ich nach Stará Oleška zurück. Am Teich hatte einer der Angler vom Morgen ein kleines Lagerfeuer entzündet und tanzte rumpelstilzchenartig herum. An mich gewandt meinte er, ich sei wohl doch nicht bis Prag gelaufen (oder etwas in der Preisklasse) - Humor oder merkwürdige Leute tun merkwürdige Dinge?
 
Vlčí rokle (Wolfsschlucht/Austria-Klamm/Bendelklamm)
Vorbei am Campingplatz lief ich geradeaus auf der weiterführenden Straße und bog am Ortsausgang auf einen links daneben verlaufenden Pfad ab. Dieser führte mehr oder weniger an einer Taleinkerbung entlang. Später wurde rechts eine bewaldete Anhöhe sichtbar, die ich weglos erklomm. Nach einer Weile kam ich so zum Gipfel der Vyhlídka (Trommelstein), die bei gutem Wetter einen schönen Ausblick zum Rosenberg bietet. Der von mir gewählte Zugang „von hinten“ ist offenbar eine selten praktizierte Variante. Zurück am Weg hielt ich mich an einer Abzweigung links und später nochmals links und stieg in die Taleinkerbung der Olešnička ab. Die Vlčí rokle (Wolfsschlucht) wurde zusehends felsiger, wilder und sehenswerter. Vorsichtig kramte ich gedanklich im Rucksack nach den Silberkugeln…
Früher hatte ich in schriftlichen Quellen nur die vage Angabe gelesen, eine Austria-Klamm habe sich bei Alt-Ohlisch befunden. Nun hatte ich einen alten Kartenausschnitt gesehen, der sie oberhalb des Ortes verzeichnete. Da das Tal direkt am Ortsausgang auf Grund der Topographie und Bebauung nur schwer zugänglich war, bin ich auf das obere Ende ausgewichen. Der gewählte Weg führte instinktiv zum Erfolg. Ich fand eine steinerne Treppe der einstigen oberen Bootsanlegestelle vor. Der Bach wurde im Tal auf etwa 400 m Länge aufgestaut und darauf von 1900-1914 sowie 1922-1925 eine Kahnfahrt betrieben. Diese hatte zwei unterschiedliche Höhenniveaus, so dass unterwegs an einem Mittelwehr umgestiegen werden musste. Als Name der Kahnfahrt wurde fallweise Austria-Klamm oder Bendelklamm (nach dem Betreiber) verwendet, wobei Austria-Klamm in der ersten Republik und zunehmender Tschechisierung verpönt war. Durch Hochwasserereignisse, Krieg und die Wirtschaftskrise wurden die Aktivitäten unterbrochen bzw. beendet. Nach der politischen Wende war eine Restaurierung und Wiederinbetriebnahme vorgeschlagen worden, was mit Hinweis auf das Landschaftsschutzgebiet CHKO Labské pískovce von den Behörden abgelehnt wurde. Dies wird mich aber nicht davon abhalten, einmal im Sommer zum Canyoning herzukommen und die Schlucht vom Wasser aus zu betrachten. Ich stieg auf Wildspuren am Hang hinauf und lokalisierte abschließend unterhalb des ersten Hauses den Wehrrest/die Talstation der Kahnfahrt, wobei ich wegen heiklen Bedingungen nicht ganz hinunterstieg. Am Campingplatz von Stará Oleška endete schließlich meine heutige Spurensuche.
 
Die Gehzeit betrug pausenbereinigt 4 h 30 min.
Die Rundtour hat überwiegend die Schwierigkeit T1, die Leitungsverfolgung im Seitentälchen, der Aufstieg zur Vyhlídka und die Begehung der Vlčí rokle sind abweichend T3.

Tourengänger: lainari


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 54834.gpx Manuell gezeichnete Wegstrecke - ohne unter Tage

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Kommentare (7)


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F3ttmull hat gesagt:
Gesendet am 19. November 2021 um 12:14
Vielen Dank für die Lost Places, dann muss ich der Böhmischen Schweiz doch mal wieder einen Besuch abstatten. Mit dem Bus ab Hrensko kommt man ja relativ weit bis Jetřichovice, von dort dann ein relativ langer Rückmarsch nach Decin :)

lainari hat gesagt: RE:
Gesendet am 19. November 2021 um 18:12
Gern geschehen.
Vielleicht noch als Anregung: Ich würde die Erkundung nicht unbedingt in eine längere Wanderung einbetten, zumal sich die nahen Rabsteiner Fabriken mit dem unterirdischen Werkteil Ost (Museum) noch für einen Besuch anbieten. Mit ÖV-Anreise würde ich per Zug (mit dem Elbe-Labe-Ticket) über Děčín direkt nach Veselé pod Rabštejnem fahren. Die Rückfahrt dann als Rundreise von Česká Kamenice über Rumburk, Sebnitz nach Bad Schandau oder von Sebnitz über Neustadt nach Pirna.

F3ttmull hat gesagt: RE:
Gesendet am 19. November 2021 um 23:01
Super, dann mache ich das doch so :)

klemi74 hat gesagt:
Gesendet am 19. November 2021 um 18:47
...bei uns wäre mal wieder alles zugemauert, weil ja was passieren könnte - die Tschechen können mit einem "Betreten auf eigene Gefahr" scheints besser umgehen als wir...

lainari hat gesagt: RE:
Gesendet am 19. November 2021 um 20:33
So isses...
Zäune, verschlossene Türen, Verbotsschilder? Negativ Sir!

Obwohl, in meinem älteren Bericht (Werkteil Ost) hatte ich von Tunnelspechten und durchbrochenem Beton geschrieben.
Also wäre der Aufwand des Verschließens vermutlich eh sinnlos.

rojosuiza hat gesagt:
Gesendet am 19. November 2021 um 20:49
Denkwürdig: Merkwürdige Leute tun merkwürdige Dinge, hihi...

lainari hat gesagt: RE:
Gesendet am 19. November 2021 um 20:58
Wäre noch interessant zu wissen, wie diese Leute mich wahrgenommen haben ;-)


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