Vom Grimsel nach Grindelwald - Lauteraarhorn


Publiziert von nepeak , 7. Juni 2022 um 05:18.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Frutigland
Tour Datum:10 August 2021
Wandern Schwierigkeit: T4 - Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: ZS+
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Zeitbedarf: 3 Tage
Strecke:Grimselpass - Grimselsee - Unteraargletschter - Finsteraargletscher - Aarbiwak (Nacht 1) / Strahlegg-Gletscher - ca 3000müm-Kurve - Pt. 3918 - Lauteraarhorn - Pt. 3918 - Strahlegg-Gletscher - Aarbiwak (Nacht 2) - Strahlegg-Gletscher - Strahleggpass - Gaag - Obers Ischmeer

Es gibt bekanntere 4000er als das Lauteraarhorn, dafür hat dieser Berg so seine Ecken und Kanten, ein ungeschliffener Diamant inmitten der Alpen, ein Juwel, der erarbeitet werden muss, aber jede Anstrengung, jeden Tropfen Schweiss und jede Sekunde in und um diesen Berg in einem unvergesslichen Abenteuer mündet. Es ist wohl einer, wenn nicht der entlegenste 4000er der Schweizer Alpen und versteckt sich meist hinter dem Schreckhorn. Und genau da wollten wir hin! Mein Vater und ich haben schon viele Touren gemeinsam gemacht und einige entlegene Hütten und Biwaks besucht, doch mit dem Aarbiwak und einer Besteigung des Lauteraarhorns wollten wir unserer gemeinsame Bergkarriere vorerst ein Krönchen aufsetzen. Es sei erwähnt, dass mein Vater gegen 70 geht und in den Schweizer Alpen ziemlich viel erlebte, bestieg und gesehen hat. Kein einfaches Unterfangen, da noch einen Gipfel zu finden, der für beide gleich spannend ist, wir aber im Lauteraarhorn gefunden haben.
 
So bin ich vor drei Jahren auf das Aarbiwak gestossen mit dem Ziel, das Lauteraarhorn zu besteigen. Eine gute Wahl, wie sich heraus stellte, da mein Vater glücklicherweise selbst noch nie auf diesem Gipfel stand. Vor zwei Jahren musste aufgrund schlechtem Wetter die Tour verschoben werden, letztes Jahr konnte sie aus persönlichen Gründen nicht realisiert werden. So stieg natürlich die Nervosität im dritten Planjahr, endlich ins Aargebiet zu reisen und dieses Juwel zu besteigen. Obschon der Sommer stets schlechtes Wetter mit sich brachte und selbst im Flachland selten sowas wie Hitze aufkam, hatten wir diesmal wirklich sehr viel Glück, dass just die ersten drei Schönwettertage auf das geplante Zeitfenster fiel.
 
Tag 1 - Aufstieg Aarbiwak
Das Aarbiwak ist derart entlegen, dass man zwingend das erste Postauto über den Grimselpass erwischen muss. Aufgrund des Neubaus einer neuen Staumauer starteten wir im Sommerloch und hatten bereits die ersten paar Höhemeter bis zum Tunnel inne, dem Eingangstor in diese wunderschöne Umgebung. Eine Umgebung, die durch Weitläufigkeit besticht. Das merkt man bereits, wenn man dem See entlang läuft. Man kommt gut voran und macht nebenbei stolze 300hm, bis man dessen Ende im Tal erreicht. Wo andere das Ende Ihres Weges in der Lauteraarhütte sehen, ist es für die Aarbiwak-Aspiranten bloss ein Zwischenziel. Dem Hüttenweg  folgend steigen wir hoch, um nach ca 100hm die Höhe haltend zum Gletscher zu queren. Etwas mühsam, da die Grasbüschel den steinigen Untergrund meist verdecken und die Schritte dadurch oft ins Ungewisse gehen. Später erfahren wir von zwei Berggänger, die die "Abzweigung" verpassten und folglich über die Lauteraarhütte kehrten, um nördlich über die Leitern wieder abzusteigen. Durchaus eine Variante für die Über-Ambitionierten.
 
So stiegen wir an einer geeigneten Stelle auf den Gletscher und folgten der Moräne  über den Unteraargletscher weiter ins Gebirge, um bald südöstlich auf den Finsteraargletscher zu queren. Stetig steigt man weiter in diese teils surreale Landschaft ein, die letzte Zivilisation ist schon weit weg und das Lauteraarhorn wird immer grösser, je näher man kommt. Die Querung auf dem Gletscher erfolgte ungefähr über Pt 2284. Kamen wir auf eine kleine Anhöhe auf der Moräne, so präsentierte sich uns ein skurriles Bild: Nur grosse Steinblöcke liegen auf dem Finsteraargleschter, kein Schutt nix. Sehr spezielle Ansicht, erweckt den Eindruck, als ob einige Riesen mit Murmeln spielten, die nun daliegen. Selbsterklärend folgt man dem Gletscherverlauf weiter westlich und quert diesen langsam auf die nördliche Seite, um bei ca Höhe 2520 auf die Moräne zu steigen um die letzten Höhemeter zum Biwak in einem weiten Rechts-Bogen zu bewältigen. Wir waren erwartungsgemäss nicht die einzigen Gäste, doch es hatte genug Platz für alle. Das Biwak ist top eingerichtet und hat sogar kühle Getränke. Pandemiebedingt war es nicht voll ausgebucht, aber sehr gut belegt.
 
Da bereits 1730Uhr war, machten wir uns ans Kochen. Die Pasta ging dann auch runter wie Butter und ich bemerkte meinen akuten Flüssigkeitsmangel, als ich eine Tasse Tee nach der anderen trank. Die zwei Liter Wasser für den Biwak-Anstieg war wohl doch zu wenig. Der Abend wurde mit einigen Fotos und baldiger Bettruhe um ca 2100Uhr beendet, denn um 0200 war bereits wieder Tagwache angesagt.
 
Tag 2 - Gipfeltag
Das erste Mal erwachte ich bereits um 0100 Uhr, danach war bloss noch etwas Rumgedöse angesagt. Die Nervosität schien durch meinen Körper zu kriechen, obschon ich versuchte, zur Ruhe zu kommen, um nochmals einzuschlafen, was aber nicht so richtig wollte. Entsprechend war ich froh, als ich dann um 0200 Uhr von meinen Mitstreitern erste Bereit-mach-Geräusche vernahm. Endlich ging es los. Gemütlich frühstückten wir, machten uns bereit und liefen um 0240 Uhr los. Draussen war absolute Dunkelheit und entsprechend hat mich der Sternenhimmel umgehauen. Einfach unglaublich, was da alles leuchtet. Als Städter geniesst man solche Himmelsblicke umso mehr.
Gemütlich steigen wir quer nordwärts auf die Moräne und später auf den Strahlegg-Gletscher ab und folgen bergwärts bis ca zur Höhenkurve 3000. Dort ist rechterhand ein Strassenschild mit einem Pfeil angebracht, das den Weg/Einstieg weist. Abwechselnd über Stein und Schnee gewinnen wir Höhenmeter, bis wir nur noch im Schnee empor steigen. Die Unterlage ist festgefroren, ich steige in die Schritte meines Vordermannes und bin mit mir beschäftigt. Meine Blicke schweifen dabei immer wieder ins umliegende Panorama, welches allmählich von der Morgensonne beschienen wird und staune ab dieser wunderbaren Gegend. Dabei merke ich nicht, wie schnell wir Höhe gewinnen, so dass schon bald der Grat in Sichtweite ist und wir damit dem Gipfel schon ziemlich nahe sind. Auf dem Grat eröffnet sich das Panorama ostseitig und der Grimselsee, an dem wir gestern zum Biwak aufstiegen, zeigt sich auch. Es fühlt sich an, als ob man an der Rinne zum Dach der Welt steht.
 
Nun ging es kletternd und kraxelnd weiter, was mir grossen Spass bereitete. Teils ziemlich ausgesetzt und mit ordentlich Luft unter dem Hinter packten wir die letzten Höhemeter an, ehe wir auf dem Gipfel standen. Wow, was für ein Gefühl. Nur schon beim Schreiben dieser Zeilen werde ich emotional. Das Finsteraarhorn auf Augenhöhe, Schreckhorn als Nachbar und dann die Blicke in die Berner und Walliser Alpen sowie in die Tiefe zur Schreckhornhütte und zur Lauteraarhütte, und das alles bei fast windstillem, wolkenlosen Wetter. Ehe ich verschnaufte, folgte auch schon mein Vater. Mit fast 70 Jahren steht er nun auf dem Lauteraarhorn und wir können gemeinsam dieses irre Gefühl miteinander teilen. Einfach unglaublich, ein sehr spezieller Moment.
 
Wir können uns kaum sattsehen von diesem Panorama und ich fühle mich fast ein bisschen wie im Himalaya. Nach kurzer Verköstigung und einigen Fotos machen wir uns auf den Rückweg. Kraxelnd lassen wir Meter um Meter hinter uns, ehe wir östlich von P 3918 wieder auf den mittlerweile aufgeweichten Schnee tiefe Furchen spuren uns talwärts graben. Immerhin: so kommt man zügig vorwärts und die Höhenmeter purzeln nur so dahin. Im unteren Bereich müssen wir uns durch ein kleines Labyrinth schiefgeschichteten Zacken wähnen, ehe wir auf dem Strahlegggletscher anlangten. Ab da ging es in gemütlichem Tempo zum Biwak zurück, wobei wir auf ca 2700m bereits auf die Moräne querten, um dieser in direkter Linie den Steinmandlis folgend zum Biwak gelangten. 1440 kamen wir an, nach genau 12h unterwegs.
 
Die Nachmittagssonne wärmte uns und die kühlen Getränke gingen ziemlich locker über die Gurgel. Wir tauschten uns noch mit den morgigen Gipfel-Aspiranten aus, ehe wir uns wieder ans Kochen machten. Im Laufe der Tour kam das Thema Übermüdung und "Schlafen um 2000Uhr" auf, was ich der Meinung war, könne ich nicht. Denkste, 20.15 war Feierabend, Schotten dicht, Ende, Aus, Fertig.
 
Tag 3 - Abstieg via Schreckhornhütte
0400 läutete der Wecker. Der Abstiegstag stand an. Über das Strahlegghorn soll es nach Grindelwald gehen. In der Dämmerung stiegen wir wieder dem Strahlegggletscher empor. Allmählich erkannten wir, dass wir gestern einen Wahnsinnstag einzogen: Das Lauteraarhorn war der ganze Morgen in Wolken gehüllt, die Gipfelgänger taten uns leid, vorallem die zwei Frauen, die ihren letzten Schweizer 4000er bestiegen. Am hintersten Ende des Gletschers wechselten wir in den Fels, wo in leichter Kletterei (3) der Strahleggpass erklommen wurde. Hier luftete es ziemlich heftig und kleine Schauer prasselten auf uns hinab, so dass wir entschieden, das Strahlegghorn auf unbekannt zu verschieben. Im nassen Fels auf einen in Nebel gehüllten Gipfel zu steigen sagte uns zu wenig zu.
 
So stiegen wir Richtung Gaag und dort über wenig Fels und in einem bis fast an den Gletscher runter reichenden Schneefeld in grossen (Ski-)Schritten auf das Obere Ischmeer. Dem Gletscher nördlich folgend und nach einem kurzen Aufstieg gelangen wir zur Schreckhornhütte, wo wir eine grosszügige Pause einlegten. Danach nahmen wir den Hüttenabstieg in Angriff. Mittlerweile war es kurz nach 1000 Uhr und die Temperaturen sehr angenehm. Der Abstieg war ein grandioses Finishing der gesamten Tour. Erst im T4-Bereich über Leitern und exponierte Stellen, an Hängen entlang und über Bäche, bevor man in sanfteres Gelände gelangte. Immer wieder hielten wir inne und kehrten unsere Blicke zurück ins Tal, wo das Finsteraarhorn allmählich hinter dem Gletscher verschwand. Eine einmalige Kulisse, dessen Ruhe und Sinnlichkeit beim Restaurant Bäregg jäh gebrochen wurde. Wir kehrten ein und liessen die Tour nochmals Revue passieren. Danach ging es weiter zur Pfingstegg, wo ich von der geballten Zivilisation und dem Tourismus sprichwörtlich überrollt wurde. Wir sparten uns die letzten Höhemeter, die wir mit der Luftseilbahn zurück legten, bevor uns der Zug wieder nach Hause brachte.
 
Sehr zu empfehlen, in diesem fantastischen Gebiet drei Tage zu verbringen.

Tourengänger: nepeak


Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen


Kommentar hinzufügen»