Public Footpath und National Rail: Englische Eigenheiten am Weg zum ehemaligen Bahnhof «Kirrin»


Publiziert von ABoehlen , 21. Dezember 2014 um 10:29.

Region: Welt » United Kindom » Hampshire
Tour Datum:28 September 2014
Wandern Schwierigkeit: T1 - Wandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: GB 
Zeitbedarf: 5:30
Aufstieg: 50 m
Abstieg: 25 m
Strecke:Hythe Pier - Hythe - Marchwood - Birchlands Farm - Yew Tree Heath - Beaulieu Road Station, 14 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Mit der Hythe Ferry von Southampton nach Hythe
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Mit South West Trains nach Beaulieu Road
Unterkunftmöglichkeiten:White Lodge Garden Room in Brockenhurst
Kartennummer:Ordnance Survey OL22 New Forest (1:25'000)

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Wie gestern gibt es heute ein «heisses» Frühstück, welches wiederum ausgezeichnet mundet. Draussen scheint bereits die Sonne und laut Wetterbericht soll es heute sehr warm werden. Ideale Verhältnisse also, um eine grössere Tour in Angriff zu nehmen.

Dazu begeben wir uns zum Bahnhof, wo wir Tickets nach Southampton Central lösen. Der Zug fährt um 09.57 ein; es ist ein Dieseltriebzug des Anbieters «CrossCountry», der bis Manchester fährt. Wir bleiben allerdings nur bis zur nächsten Station hier drin, was 13 Minuten beansprucht. Nach dem obligaten WC-Besuch (gratis zu benützen, wie überall sonst auch – trotzdem sauber!), versuchen wir herauszufinden, wie wir am besten zum Town Quay kommen, wo die Fähre nach Hythe fährt. Zu Fuss wäre es wohl nicht allzu weit, aber nicht ganz einfach ohne Stadtplan. Daher möchten wir lieber den Bus benützen. Nur welcher ist es? Im Gewusel auf dem südlichen Bahnhofsvorplatz ist das nicht so einfach herauszufinden. Daher frage ich den Fahrer eines Busses, der schon eine Weile dort steht, aber keine Nummer oder Fahrziel angeschrieben hat. Und siehe da, es ist der richtige! Um 10.34 Uhr fährt er los, kreuz und quer durch die Stadt bis zur Endstation, die am Town Quay liegt. Das ganze hat nur £ 1.00 gekostet!

Von hier aus legen die Fähren nach der Isle of Wight und nach Hythe ab. Ein aufmerksamer Passant zeigt uns, wo wir Tickets lösen können. Dazu begeben wir uns in einen Raum, wo ein Typ hinter einem Tisch steht, und – nachdem wir unseren Wunsch vorgebracht haben – mehrmals nachfragt, ob wir wirklich nur eine einfache Fahrt lösen wollen. Offenbar ist das völlig aussergewöhnlich! Aber wir wollen ja von Hythe aus wandern und daher brauchen wir ganz sicher keine Rückfahrt.

Das Ticket, das wir kriegen ist ein Stück Papier, wo er manuell den Preis drauf kritzelt; dies ist pro Person £ 4.60. Wir müssen nun noch ca. 10 Minuten warten, dann legt die Fähre an und wir können einsteigen. Unsere Tickets müssen wir dabei wieder abgeben; schade, hätten sich gut gemacht im Reisetagebuch!

Die Fähre brummt dann bald los. Es hat nicht viele Leute und so kann man gut fotografieren. Die gewaltigen Schiffskolosse, die hier vor Anker liegen oder reingeschippert kommen, sind überaus beeindruckend. Das ist alles ganz anders, als auf einem Schweizer See!

Nach ca. 15 Minuten sind wir auf der anderen Seite des Southampton Water am Pier in Hythe. Dieser ragt rund 600 Meter weit in die See hinaus, weil nur dort das Wasser tief genug ist, dass die Schiffe anlegen können. Die Pier ist mit Holzplanken belegt und es verkehrt eine kleine Eisenbahn darauf, der Hythe Pier Train, elektrisch betrieben durch eine Stromschiene. Wir aber gehen zu Fuss und geniessen das Panorama hinüber nach Southampton.

Am Festland angekommen, gehen wir erst einige Minuten durchs sonntäglich ruhige Dorf, dann biegt ein Public Footpath ins Grüne ab und wir wandern nun längere Zeit unter Bäumen im Übergangsbereich zwischen dem brettebenen Grasland am Meer und dem Hügelland, welches in Richtung New Forest sachte ansteigt. Bei der Veal's Farm erreichen wir die Hythe Road, der wir nun bis Marchwood folgen. In diesem Dorf möchte ich den Bahnhof aufsuchen.

Die Bahnlinie, die bei Totton von der Hauptstrecke abbiegt und bis nach Fawley führt (Fawley Branch Line), wird heute nur noch für den Güterverkehr benutzt. Während 40 Jahren, bis 1966, verkehrten aber auch Personenzüge und daher existieren Bahnhöfe in den Dörfern, die sie durchquert. Jener in Marchwood wurde bei den Dreharbeiten der Fünf Freunde-Serie in den Jahren 1977 und 1978 verschiedentlich benutzt, zumeist als Bahnhof «Kirrin», aber in der Episode «Five go off to camp» auch als nicht näher spezifizierter Bahnhof in der Nähe des Zeltplatzes bei Olly's Farm.

Der Bahnhof und der Gleisverlauf sind auf Anhieb wiederzuerkennen, aber da die Anlage nicht mehr benutzt wird, ist alles stark eingewachsen. Von der Main Road her ist kein direkter Zugang möglich, dafür über die nächste Strasse, genannt Plantation Drive. Das Quartier, das sie erschliesst war im übrigen 1978 noch nicht vorhanden, denn dort lag der Bahnhofsvorplatz und der Eingang. Zu diesem ursprünglichen Eingang gelangt man heute nur noch, wenn man einem Bretterzaun entlang durchs Gebüsch kriecht.

Auf der anderen Seite, beim Bahnsteig, fällt als erstes das tief unten montierte Stationsschild «Marchwood» auf, welches auch für die Filme benutzt wurde – dort natürlich mit dem angepassten Namen «Kirrin». Bemerkenswert ist, dass die Anlage, trotz viel Vegetation ringsum, immer noch recht gepflegt wirkt. Bei uns wäre in solch einer Situation garantiert alles versprayt und versifft…

Die abwechslungsreiche Geschichte dieses Bahnhofes ist in dieser vierteiligen Dokumentation beschrieben und reichhaltig illustriert: http://www.disused-stations.org.uk/m/marchwood/index.shtml

Nach diesen sehr interessanten Erkundungen gehen wir nun ein Stück der Dorfstrasse entlang zurück, bis zum Pub beim Pt. 12, wo ein Public Footpath nach Süden abbiegt. Hier lohnt es sich, diesen Begriff kurz zu erläutern:

Anders als z.B. in der Schweiz, Italien oder Deutschland gibt es in England kein allgemeines Betretungsrecht von Wäldern, Wiesen, Fusswegen etc. Der Grund ist, dass alles Land einen Eigentümer hat und grundsätzlich nur diesem zugänglich ist. Eine Ausnahme ist das so genannte Access Land, wo sich jedermann frei bewegen kann. Das Gebiet des New Forest ist zum grössten Teil solches Access Land. Dort wo wir uns jetzt befinden, gilt aber das normale Recht. Demnach darf sich die Öffentlichkeit prinzipiell nur auf den so genannten Public Footpathes bewegen. Die Wegerechte, die ihnen zugrunde liegen, sind zumeist uralt und der Verlauf normalerweise unveränderlich. Im Gelände sind sie meist mit hölzernen Wegweisern gekennzeichnet, auf denen «Public Footpath» steht und sonst nichts. Es handelt sich also nicht um markierte Wege wie bei uns, sondern einfach um jene Wege, die jedermann benutzen darf. Was das so alles bedeuten kann, werden wir jetzt sehen:

Bereits nach knapp 100 Metern scheint der Weg an der sehr stark befahrenen A326 zu enden («A» bezeichnet in England eine Hauptstrasse, keine Autobahn, diese heissen «M»). Natürlich geht es auf der anderen Seite weiter, denn der Weg ist ja viel älter als die Strasse, aber eine Brücke, Unterführung oder auch nur einen Zebrastreifen gibt's nicht. Das heisst, es gilt einen guten Moment abzuwarten und hinüberzuhuschen. Überhaupt muss man wissen, dass die Strassen in England normalerweise eingezäunt sind (die, die es nicht sind, sind als unfenced roads auf der Karte speziell gekennzeichnet). Überall, wo ein Public Footpath so einen Zaun quert, ist eine Holzkonstruktion zum Überklettern oder eine Art Tor vorhanden. So sieht man auch sofort, ob man noch auf dem richtigen Weg ist. In unserem Fall sind diese Durchgänge allerdings teilweise ganz enorm mit dornigem Zeugs eingewachsen. Dies zeigt, dass diese Verbindungen längst nicht alle auch genutzt werden, wobei das Wegerecht deswegen vermutlich nicht erlöschen dürfte.

Bei der Birchlands Farm sind es nicht dornige Ranken, die für Probleme sorgen, sondern massenhaft Brennnesseln, und ich stelle wieder mal fest, dass die sonst praktischen Wanderhosen hier überhaupt nicht schützen. Autsch! Dicke Jeans wären für solches Gelände definitiv besser geeignet!

Nun haben wir das Gröbste aber hinter uns, denn beim Hanger Corner beginnt am cattle grid der open forest und somit das Access Land. Zeit also für eine wohlverdiente Pause.

Nach einem kleinen Imbiss mit Nüssen und Orangensaft queren wir die Heide und beim Pt. 7 den Beaulieu River. Es geht nun durch sehr einsames Land, wo sich nach allen Richtungen Heidekraut und Ginsterbüsche erstrecken. Nach dem Aufstieg zum Black Down, der mit seinen 31 m in dieser flachen Landschaft sehr auffällig wirkt, erreichen wir kurz nach 16.00 Uhr unser Ziel, den Bahnhof «Beaulieu Road».

Laut Fahrplan fährt der Zug um 16.50 Uhr, d.h. wir haben genügend Zeit, uns um Fahrkarten zu kümmern. Der Automat sei am Perron gegenüber, steht auf der Infotafel. Mit diesem Ding kann man aber keine Fahrscheine lösen, sondern nur ein Permit To Travel. Die Beschreibung ist knapp gehalten und das ganze ist recht rätselhaft. Man müsse so viel Geld einwerfen, wie das Ticket dorthin, wo man hinwolle, kosten würde und dort am Bahnhof dann diesen «Permit» in einen ordentlichen Fahrschein umtauschen. Allerdings wissen wir gar nicht, wie viel die Fahrt nach Brockenhurst kosten würde, daher lassen wir mal £ 2.00 hinunter und warten, was der Automat nun ausspuckt.

Es erscheint ein Papier mit der Bezeichnung «Permit To Travel», dem Stationsnamen und dem eingeworfenen Betrag, sowie folgendem Text:
This is not a fare ticket and must be exchanged for one at the first opportunity. Valid for TWO hours from the time shown.

Der Sinn dahinter erschliesst sich mir leider nicht. Ist man aber in diesem Punkt offenbar in England noch nicht so weit wie bei uns, wo man auch an den kleinsten Stationen «richtige» Fahrkarten lösen kann, so scheint mir, verfolgt man bezüglich Rollmaterial eine deutlich intelligentere Philosophie als wir. Beim Warten auf unseren Zug lässt sich das gut beobachten: Auffällig sind erstmal die sehr hohen Bahnsteige, was aber nicht weiter erstaunt, denn hier im Mutterland der Eisenbahn wurden sie erfunden:

Den Bahnsteig haben die ihre Bequemlichkeit liebenden Engländer erfunden. Das Einsteigen in die Wagen geht leichter und schneller, wenn es in gleicher Höhe erfolgt.
Andreas Hemberger: Die Eisenbahnfibel, Bamberg 1954

Was diese simple Aussage bedeutet, sehen wir hier: Alle Fahrzeuge sind hochflurig konzipiert und dennoch kann man ebenerdig einsteigen. Bei uns hingegen werden seit längerem teils sehr unpraktische Niederflurfahrzeuge gebaut, mit flachen und unruhig laufenden Drehgestellen und vielen Stufen oder gar Treppen in den Zügen, nur um auch bei unseren niedrigen Perrons einen ebenerdigen Einstieg zu ermöglichen.

Die Züge sind nicht nur stufenlos, sondern auch komplett durchgängig begehbar, egal wie viele Einheiten zusammen gekoppelt sind. Möglich machen dies Stirntüren mit versenkbaren Faltenbalgübergängen neben den Führerständen, wie sie in der Schweiz zuletzt bei den Hochleistungstriebwagen der 60-er Jahre eingebaut waren. Man stelle sich vor, wie man bei uns mit solch einer Einrichtung z.B. eine vierteilige Lötschberger-Komposition aufwerten könnte!

Eine weitere Besonderheit ist die Stromversorgung. Erst bei genauem Hinschauen fällt einem z.B. hier in Beaulieu Road auf, dass beide Gleise aus je drei Schienen bestehen, statt wie gewohnt aus deren zwei. Bei einer Zugsdurchfahrt sehen wir den Grund: Von der dritten Schiene wird der Fahrstrom gewonnen, weshalb sich eine aufwändige Oberleitung erübrigt. Dies bedingt natürlich, dass man das Verbot, Bahngeleise nicht zu überqueren auch wirklich ernst nimmt (was man ja grundsätzlich IMMER sollte!), sonst wird man «gegrillt»!

Schliesslich fährt unser Zug ein – ein Class 444 und einer der wenigen, der diese einsam gelegene Haltestelle bedient - und wir können gemütlich nach Brockenhurst zurückfahren. Wir zeigen der Kontrolleurin unseren «Permit» und fragen, ob wir diesen am Schalter in Brockenhurst umtauschen können. Sie bejaht das und die Sache ist für sie in Ordnung. Angekommen stellen wir aber fest, dass der Schalter leider schon geschlossen ist, wohl weil heute Sonntag ist. Somit behalten wir halt diesen ungewöhnlichen «Fahrschein» als Andenken. Nebenbei: Ein Test am Automaten ergab, dass der effektive Fahrpreis höher wäre als unsere £ 2.00, nämlich etwas über £ 3.00!

Nach dem Duschen und Waschen begeben wir uns zum chinesischen Take-away in der Ortsmitte und bestellen eine Menu mit diversem Fleisch, Gemüsen und Reis, welches wir anschliessend in der Unterkunft verspeisen. Die Getränke hole ich beim «Tesco». Diese Stärkung haben wir nach diesem erlebnisreichen und teils recht anstrengenden Tag verdient! Auch wenn das nur ein T1 war und die Höhendifferenzen bescheiden, so wurden wir dennoch ziemlich gefordert!

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Tourengänger: ABoehlen, Stini


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