Dort wo die Schweiz beginnt...


Publiziert von Henrik , 8. Juni 2009 um 19:41.

Region: Welt » Schweiz » Tessin » Locarnese
Tour Datum: 7 Juni 2009
Strecke:Camedo (EU) - Camedo (CH)
Zufahrt zum Ausgangspunkt:ÖV
Zufahrt zum Ankunftspunkt:ÖV
Unterkunftmöglichkeiten:http://www.osteria-gruetli.ch/
Kartennummer:ivs-gis

 
....dorthin bin ich heute morgen aufgebrochen. Eigentlich wollte ich das Wochenende im Tessin verbringen, fuhr wie üblich via Gotthard nach Bellinzona und kehrte um: es goss. Weitere Worte erübrigen sich; in der Tagesschau und am Radio wurden Rekordwerte vermeldet und auch Überflutungen, so auch zw. Locarno und dem Ziel meiner ursprünglichen Reise dem Valle Maggia. Aber der Sonntag liess das vergessen – ich fuhr in prächtigstem Wetter und knallblauen Himmel von Basel nach Camedo via Domodossola. Bestieg den Panorama-Express der Centovalli-Bahn (Betreiber dieser Komposition ist die SSIF - Società Subalpina Imprese Ferroviarie), die in vier Sprachen für den Zuschlag von 2 Franken werben (per Ansage), die während der Fahrt erhoben und einkassiert werden! Platz, vor allem für Langbeiner wie mich, gibt es allerdings nicht mehr als üblich auf dieser Linie zwischen Italien und der Schweiz, wo man fernab....der CH mit dem GA und dem Halbtax gültig reisen kann, wovon ich ausgehe, dass es eine innereuropäische Einzigartigkeit ist! Übrigens auch Haken für Mäntel und Jacken fehlen in diesem Zug....wie das ja auch beim TGV Lyria der Fall ist. Dafür ist beinahe für Rundumsicht gesorgt und bis an die Grenze wird auch eine rollende Railbar angeboten. Die Centovalli-Bahn wird von zwei Betreibern geführt – auch das ist wahrscheinlich eine Einzigartigkeit in Europa. Fusionsbemühungen sind zwar im Laufe der Geschichte bis heute angedacht worden, aber eher würde die FART (Ferrovie autolinee regionali ticinesi) mit der RhB zusammen gehen können wollen als...Nichtsdestotrotz wird gemeinsam gefahren und geteilt (Rollmaterial).
 
Nein, es folgt keine eigentliche Wanderung, sondern ein klitzekleiner Spaziergang, ein paar wenige Meter bestreiten von Italien in die Schweiz. In Camedo (EU) stieg ich aus, um in die CH zu gehen! Die beiden Grenzposten gleichen Namens, die durch zwei (!) Brücken (http://www.ti.ch/CAN/argomenti/Comstampa/archivio/2006/2006-04-12-DT-01.pdf) über den Ri della Ribellasca verbunden sind, wirken verlassen und sind es auch. Die dritte Brücke, die hier den andern Gesellschaft leistet, ist die der Centovalli-Bahn. Die Strecke hat eine vergleichsweise turbulente Geschichte hinter sich und fährt seit 27.11.1923 auf diesem Trassée – elektrisch (http://www.rail-info.ch/FART/daten.de.html ). Zwischen Camedo (EU) und Camedo (CH) [Dorf mit Kapelle im Centovalli, am linken Ufer der Melezza und 15 km w. von Locarno. 39 Häuser, 178 kathol. Viehzucht. Kastanienhandel. Periodische Auswanderung. Endpunkt der neuen Strasse, deren Fortsetzung auf italienisches Gebiet bis Domodossola geplant ist (Quelle: Geographisches Lexikon der SCHWEIZ, 1902-1910)] liegen keine 500 m! Schlagartig aber wechselt die Wahrnehmung für vieles, wohl auch deshalb, weil gewisse Prämissen so selbstverständlich sind und weil im globalen Dorf Nationales noch immer stark prägt – zum Glück. Nur schon allein, dass auf CH-Seite das „Chaotische“ scheinbar geordnet wirkt, macht einen Unterschied, der mir sehr wichtig ist. Doch deswegen bin ich ja nicht nach Camedo gefahren. Mein Ansinnen war der Sonntags-Brunch, den ich hoffte in der Osteria Grütli einnehmen zu können, nachdem ich hier am 25. Mai mit Claudia und ihren Eltern vorzüglichst abends getafelt hatte. Diesem „Speise-Tempel“ wollte ich meine Aufwartung machen. Zu den paar Höhenmetern gratuliere man mir – Camedo liegt auf 549m! Die wenigen Schritte vom bordeaux-roten verwaisten Zollgebäude der CH hinan zum Dorfende oder eben dort wo die Schweiz beginnt – so die Sichtweise der Wirtsleute - eröffnen Blicke auf den Gridone und den Pizzo Leone bzw. dessen Nachbarschaft, deren Kreten jetzt gerade wieder durch eine graue Wolkengruppe verdeckt sind. Die Osteria Grütli liegt an der internationalen Strasse – der teilweise durch eine Pergola gedeckte Garten mit den gelben Tischen und den grünen Stühlen, den Kräutergarten und der alten Kücheneinheit unter einer Plane wird nur erreicht, wenn eben diese an Wochenenden vielbefahrene Strasse hin und wieder halsbrecherisch gequert werden muss! Ist der Garten gut mit Gästen belegt, fragte ich mich schon bei früheren Besuchen, wer Vortritt geniesst bzw. wahrnimmt? Hier sitzt man medienwirksam gesprochen tatsächlich in der ersten Reihe und bekommt mit, wer in bzw. auf welchem Gefährt durch die Lande kutschiert: heute morgen waren es z. B. ein Ferrari, dann eine Armada von BMW Cabriolets der 70-er, dann zwei Harleys, ein sehr alter Käfer – die Vermutung liegt nahe, dass diese Strasse durchs Centovalli gleichermassen bei Oldtimern und Kurvenliebhabern beliebt und bekannt ist. Bikes gehören da dazu. Richtig – den Brunch gab es, und den Platz an der Sonne, und ein paar Einheimische auch, die schon an Gläsern mit Wein nippten: es war 10.30! Gegen halb zwölf setzte sich eine selbst deklarierte „Altersheim-unterwegs“-Gruppe aus dem Kanton Schwyz an zusammengestellten Tischen unter die Pergola und floh ins Restaurant über die Strasse....als es ein wenig zu nieseln begann! Kaum hörte es auf zu regnen, waren sie wieder am Langtisch zusammen. Ich genehmigte mir noch einen Weissen aus Loco, mit der Eidechse auf der Flasche, und bezahlte drinnen, wo ich mich für den wunderbaren Käse, den selbstgebackenen Zopf und den Wein bedankte und begab mich hinunter zum Bahnhof – um wieder nach Basel zu fahren. Der Bummler der FART brachte mich nach Locarno – dort stand der Basler IC für 13.45 parat, in der sonntäglichen Langformation, wieder als Krüsi-Müsi. In der 1. Klasse (GA-Nutzer) war ich bis Basel praktisch alleine unterwegs – ich las einen Kardiologie-Wälzer und kam innerlich reich befrachtet nach Hause.
 
Die Osteria-Grütli empfehle ich wärmstens – gut geeignet nach Erkundungen im Centovalli: http://www.osteria-gruetli.ch/ .


Noch etwas zu einem Rekordwert, den Camedo verzeichnete: vor fast genau 25 Jahren, am 10. September 1983, fielen in Camedo im Centovalli 414 Liter Regen innerhalb von 24 Stunden, was einer «Wasserhöhe» von rund 41 Zentimetern entspricht.
 
 
 
 

Tourengänger: Henrik


Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen


Kommentare (3)


Kommentar hinzufügen

bulbiferum hat gesagt: Hallo Henrik
Gesendet am 8. Juni 2009 um 21:14
Dein Bericht kam gerade zur richtigen Zeit, um einen hektischen Tag gerade zurücken und doch noch versöhnlich abzuschliessen.

Vielen Dank, Markus

MicheleK hat gesagt: Wie nah und wie fern
Gesendet am 9. Juni 2009 um 00:13
Hallo Hendrik,

schoen stellst du moderne mobilitaet dar, die einfach anmutende reise in die anderssprachige suedschweiz.

wie gluecklich soll man sich nennen dies zu kennen...

danke dies uns mitzuteilen.

Gruss.
Michele

Seeger hat gesagt: Pro Centovalli & Pedemonte
Gesendet am 9. Juni 2009 um 09:03
Ciao Henrik
Unglaublich humorvoll ist Dein Bericht. Irgendwie schräg und doch präzise beobachtet. So angeordnet, dass der Leser seiner eigenen Fantasie freien Lauf lassen kann. Danke Dir. Für die lauten Lacher wurde ich zur Rechenschaft gezogen :-)) Kardiologie-Wälzer :-)))
A presto
Andreas


Kommentar hinzufügen»