Süphan (4058m) - einsamer Tanz auf dem Vulkan


Publiziert von Riosambesi , 21. September 2017 um 19:55.

Region: Welt » Türkei
Tour Datum:19 September 2017
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: TR 
Zeitbedarf: 9:00
Aufstieg: 1780 m
Abstieg: 1780 m
Strecke:17km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Frankfurt – Wien – Budapest – Belgrad – Sofia – Istanbul – Ankara – Diarbakir – Tatvan – Adilcevaz. Auf der Uferstraße noch knapp 20km weiter, dann links über eine Piste nach Harmantepe und noch so weit wie möglich auf dem nun tief zerfurchten Weg.
Kartennummer:openandromaps

Die Polizeistation von Adilcevaz gleicht einer Festung: Mauern mit Stacheldraht umgeben
das Gelände, schwer bewaffnete junge Männer in Kampfanzügen bewachen das Tor.
Spricht hier jemand englisch? Abweisendes Kopfschütteln. Schließlich tritt doch ein
Uniformierter mit schütterem Haar ans Tor und fragt, um was es gehe. Es geht um eine
Genehmigung für die Besteigung des Vulkans Süphan. Er erhebt sich über dem Vansee -
dem "kurdischen Meer" - im Südosten der Türkei.
Wir gehen in den Hof der Anlage, wo man schnell einige klapprige Stühle für uns aufstellt.
Der Mann mit dem schütteren Haar stellt sich als Offizier M. vor. Er erklärt in leidlich gutem
Englisch, dass nur in Anwesenheit eines Bergführers das vorgeschriebene Formular
ausgestellt werden könne.
Hierzulande ist man vorsichtig: Immer wieder verunglücken ausländische Touristen am
Süphan. Sie lösen aufwändige Suchaktionen aus, deswegen muss sich jetzt jeder vor dem
Aufstieg registrieren lassen.
Bei türkischem Mokka und süßen Keksen warten wir, bis der bestellte Führer kommt, ein
Kurde mit dem eingängigen Namen Hakki. Der Mittvierziger leitet die Mittelschule von
Adilcevaz. Wann immer es geht, steigt er auf Berge. Er hat bereits Expeditionen auf den
Pik Lenin geleitet - ein Siebentausender in Tadschikistan.

Ein Paradies mit Tücken
Dann geht alles ganz schnell: Keine zwei Stunden später fahren wir in der
Abenddämmerung mit einem Kleinwagen am Seeufer entlang. Von hier aus sieht man die
breite Südseite des Süphan.
Die traumhafte Landschaft aus zerklüfteten Bergen und Vulkanen mit großen Kraterseen
könnte ein Paradies für europäische Trekkingtouristen sein. Doch der immer wieder
aufflammende Kurdenkonflikt schreckt sogar viele türkische Wanderer ab. Derzeit
beschränken sich die PKK-Aktivitäten aber auf die Grenzregionen im äußersten Südosten
des Landes - rund150 km Luftlinie von hier.
Über eine holprige Piste, die stellenweise mit knietiefen Rinnen durchfurcht ist, quält sich
das Auto langsam bergauf. Wir passieren den kleinen Ort Harmantepe, der im Winter oft
wochenlang von der Außenwelt abgeschnitten ist. Die Kinder, die sonst von Montag bis
Freitag in der Schule von Adilcevaz wohnen, können dann an Wochenenden nicht zu ihren
Familien gebracht werden.
Schließlich erreichen wir auf rund 2400 m Höhe das sogenannte Basecamp. Eigentlich ist
es nur eine kleine ebene Fläche am Fuß der aufsteilenden Osthänge. Gefahren durch
vulkanische Aktivitäten sind nicht zu befürchten, denn der letzte Ausbruch fand vor mehr
als 10.000 Jahren statt.
Zum Vergleich: Der Ararat, mit 5137 m der höchste Berg der Türkei, erlebte vor nicht
einmal 200 Jahren die jüngste Eruption. Doch der ist zurzeit für Zivilisten tabu. Die PKK
hat dort feste Stellungen, die Armee greift sie aus der Luft an.
Derlei Probleme existieren momentan am Süphan nicht. Der Reiz an dessen Besteigung
liegt einerseits an einer atemberaubenden Aussicht vom Gipfel in die kurdische
Gebirgslandschaft. Andererseits kann man hier einen Viertausender ohne
Gletscherkontakt begehen. In den Alpen erfordern Berge dieser Höhe grundsätzlich eine
Hochtourenausrüstung: Steigeisen, Seil, Helm und Eispickel. Trotz Klimawandel und
Gletscherschmelze dürfte sich an diesem Umstand mittelfristig nichts ändern.

Aufbruch in der Dunkelheit
Hakki bereitet Tee auf einem Gaskocher zu und erzählt von seinen beiden Töchtern. Das
Smartphone klingelt. Seine Miene wird ernst, denn offenbar reagiert die Gattin etwas
ungehalten über die spontane Bergtour. Der Spagat zwischen Arbeit, Familie und
Bergsteigen falle ihm nicht immer leicht, erklärt er anschließend.
Nachts um 2:30 Uhr weckt uns ein schriller Klingelton. Im schwachen Schein der
Stirnlampen steigen wir kurz darauf über mäßig steile Hänge. Flache Sträucher wachsen
zwischen den Steinen. Einen Bergweg gibt es nicht, nur gelegentlich helfen schwache
Steigspuren bei der Orientierung. Als zwei Stunden später die Morgendämmerung einsetzt
und einen verheißungsvoll wolkenfreien Himmel erkennen lässt, werden die gewellten
Geländestrukturen des weiten Hanges deutlich. Hinter uns schimmert die glatte
Oberfläche des salzhaltigen "Van Gölü", der etwa sieben Mal so groß ist wie der
Bodensee.
Bei kurzen Verschnaufpausen erzählt Hakki von seinen Erfahrungen als Bergführer. Oft
führt er Gruppen mit mehr als zwanzig Teilnehmern hier herauf. Meistens sind es seine
Landsleute, europäische Touristen kommen seit einiger Zeit nur noch sehr selten. Heute
wird uns während der gesamten Tour kein einziger Mensch begegnen.
Was ich über den türkischen Staatschef denke, möchte er wissen. Ich antworte mit
ironischem Unterton, dass Recip Tayyip Erdoğan nicht mein Präsident sei und mir ein
Urteil nicht zustehe. "Und Kanzlerin Merkel?" fragt er interessiert. "Nicht so schlimm, wie
sie in manchen türkischen Zeitungen dargestellt wird", ist meine Antwort. Er selbst sieht
die Lage in der Türkei pragmatisch. Die Situation sei nicht optimal, aber es könne
schlimmer sein. Immerhin leben in seiner Heimatstadt Adilcevaz Türken und Kurden
friedlich miteinander. An den Schulen wird in beiden Sprachen unterrichtet, Türkisch ist
allerdings ein Pflichtfach.

Der gefährlichste Abschnitt der Tour
Mittlerweile haben wir deutlich an Höhe gewonnen. Es gibt keinerlei Vegetation mehr und
dicke Gesteinsbrocken bedecken den Grund. Nun folgt der heikelste Abschnitt des
Aufstiegs: Ein Steilhang aus grobem Geröll und Felsen in Größe von Kleinwagen
umschließt in einem weiten Ring den Gipfelkrater. Nach einer kurzen Stärkung aus
Keksen steigen wir vorsichtig über die instabilen Felstrümmer. Hakki warnt: Hier hätten
sich schon manche die Knochen gebrochen. Helikopter des türkischen Militärs kommen
dann oft erst nach langen, schmerzhaften Stunden. Manchmal kann man sie wegen des
schwachen Mobilfunksignals noch nicht einmal erreichen. Immerhin übernimmt der Staat
die Kosten für die Bergung.
Die Geländekante am oberen Rand des Steilhangs rückt langsam näher, doch der
ersehnte Gipfel ist noch immer weit entfernt. Mittlerweile sind einige Wolken aufgezogen,
die aber harmlos aussehen. In den letzten Jahren ist das Wetter vor allem im Sommer
unsteter geworden. Jetzt muss man häufiger mit unwetterartigen Gewittern rechnen, heute
bleiben wir aber von derlei Ungemach verschont.
Auf rund 3900 m Höhe flacht der Hang plötzlich ab. Ein riesiges Trümmermeer, das den
großen Kraterkessel vollständig bedeckt, tritt ins Blickfeld. In Schattenlagen hält sich noch
etwas Schnee. Die letzten Gletscherreste und Toteisfelder sind allerdings vor einigen
Jahren geschmolzen.
Wie ein Tänzer bewegt sich Hakki leichtfüßig über die wackeligen Gesteinsbrocken. Jeder
meiner Schritte erfordert dagegen volle Konzentration. Zwei scheinbar gleich hohe
Erhebungen bilden die höchsten Punkte des Vulkans. Unser Ziel ist der Südgipfel, auf
dem von weitem sichtbar die türkische Fahne weht.
Als wir schließlich dort ankommen, entdecken wir auch ein Gipfelbuch. Praktisch alle
Einträge sind in kurdischer oder türkischer Sprache verfasst. In der Ferne sind die hohen
Berge, die den Van Gölü umgeben, gut zu sehen. In unmittelbarer Nachbarschaft befindet
sich der Nemrut Daği (2940 m), ein Vulkan mit einem der größten Kraterseen der Erde.
Etwa 150 km südlich beginnt der Nordirak, rund 100 km im Osten verläuft die türkischiranische
Grenze.

Abstieg in der Mittagshitze
Nach 20 Minuten beginnen wir mit dem Abstieg. Der erfolgt auf einer ähnlichen Route.
Hakki schichtet im Abstand von etwa 50 Metern kleine Steinmännchen auf - eine
Orientierungshilfe für künftige Gipfelstürmer. Mit abnehmender Höhe wird es immer heißer,
die Mittagssonne brennt selbst im Herbst noch intensiv. Wir stoppen nur noch gelegentlich,
um kleine Steinchen aus den Schuhen zu entfernen. Der letzte Abschnitt kommt uns
endlos lange vor, bis schließlich das Auto wieder erreicht ist.
Während der Rückfahrt regeln wir noch die Bezahlung, die seinem Wunsch entsprechend
in Euro-Banknoten erfolgt. Er muss noch den Polizisten melden, dass wir unversehrt
zurückgekehrt sind. Ich lasse einen Gruß an den Offizier mit dem schütteren Haar
ausrichten. Mit letzter Kraft schaffe ich es in das Hotel am Busbahnhof von Adilcevaz. Die
Unterkunft hat eine Gemeinsamkeit mit dem Süphan: Besucher kommen nur selten.

Tourengänger: Riosambesi


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Geodaten
 37265.gpx Süphan

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