Český Ráj - Unterwegs im Böhmischen (Burgen-) Paradies


Publiziert von lainari , 3. Oktober 2016 um 17:00.

Region: Welt » Tschechien » Jičínska pahorkatina
Tour Datum:29 September 2016
Wandern Schwierigkeit: T2 - Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CZ 
Zeitbedarf: 5:45
Aufstieg: 450 m
Abstieg: 450 m
Strecke:17 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Auto bis Zásadka oder Boseň
Kartennummer:1:50.000, KČT Nr. 19 Český Ráj

Felsenburgen-Marathon
 
Ein schöner Herbsttag soll mir dazu dienen, eine neue Landschaft in Tschechien zu entdecken. Das heutige Ziel ist das Český Ráj (Böhmisches Paradies). Diese Region wird von zwei Gebirgen bedeckt, dem schmalen Band des Kozákovský hřbet und dem großräumigen Jičínska pahorkatina, einer Sandsteinplatte, die fallweise von vulkanischen Erhebungen durchdrungen wurde. Meine Tour setzt wenige Kilometer östlich von Mnichovo Hradiště (Münchengrätz) zur Umrundung des 463 m hohen Mužsky an. Die Anreise verläuft entspannt. Einzig eine kleinräumige Umleitung, ein totes Reh auf der Straße, Spurrinnen und die tiefstehende Sonne stets von vorn fordern vom Kraftfahrer erhöhte Aufmerksamkeit. Ein günstiger Ausgangspunkt befände sich am Ortsende von Boseň. Hier steht ein gebührenpflichtiger Parkplatz zur Verfügung. Als ich eintreffe ist der Kiosk, wo es möglicherweise das Ticket gäbe, geschlossen. Auch sonst ist niemand aufzutreiben, der mir ein Solches verkaufen könnte. Da ich mein Auto nicht teuer irgendwo auslösen möchte, fahre ich ins benachbarte Zásadka und stelle mich an einer Kreuzung neben bereits parkende Wagen. Entlang eines Sträßchens laufe ich leicht steigend aufwärts. Dann biege ich nach links auf einen rot markierten Wanderweg ab. Im leichten Auf und Ab geht es durch den Wald. Nach einem stärkeren Anstieg folgt links der Abzweig zur Felsenburg Klamorna.
 
Klamorna
Auf der rechten Seite ist die Felszunge durch eine erweiterte Spalte vom Plateau abgetrennt. Links scheint sie von einer natürlichen Kluft begrenzt zu sein. Auf dem Weg zur Spitze werden neben einem Steinbruch einige Vertiefungen von Gebäuden einer Wirtschaftsburg sichtbar. Der Hauptteil der Burg weist einige Felsengemächer, zwei davon mit jeweils einem mittig platzierten Stein, auf. Diese Steine werden fallweise als steinerne Tische bezeichnet, was jedoch nicht die ursprüngliche Funktion gewesen sein dürfte. Auf den Felsgipfeln sind einige Balkenfalze sichtbar und es gibt eine 5 m tiefe Zisterne. Der Platz blickt Ausgrabungen zu Folge auf eine mit Unterbrechungen 5000-jährige Siedlungsgeschichte zurück. Eine erste Befestigung datierte dann um 900. Als Nutzungszeit der Burg, deren Spuren heute zu sehen sind, wurde das 13.-15. Jahrhundert ermittelt. Fast alle der auf der Tour besuchten Burgen müssen als ein Verteidigungsraum und nicht als Einzelbauten verstanden werden. Gleichzeitige Entstehung, Bauweise und ähnliche Nutzungsdauer deuten auf eine größere Bedrohung hin, die diese Bauwerke abwehren sollten. Kein Burgname außer Valečov ist im Übrigen historischen Ursprungs. Gegenüber dem Burgzugang befindet sich die Ruine des leicht befestigten, abgelegenen Gutshofes Píčův statek, der erstmals 1554 urkundlich erwähnt wurde. Seine Nutzung endete in den Jahren nach dem II. Weltkrieg. Nach kurzer Laufzeit erreiche ich nun das Areal der Felsenburg Drábské světničky.
 
Drábské světničky
Ein Abstieg in einen Felsenkessel führt mich zum Eingang der Burganlage. Über eine Treppe geht es zu den einzelnen Burgfelsen hinauf, die wiederum durch Treppen, Stege, eine Brücke und Leitern verbunden sind. Die sprachlos machende Anlage weist insgesamt 30 (In Worten: Dreißig!) Felsengemächer auf. Allerdings sind nicht alle davon erreichbar und zugänglich. Als Nutzungszeit wurde auch hier das 13.-15. Jahrhundert ermittelt. Verschiedentlich werden die Hussiten als Erbauer genannt, was aber unzutreffend sein dürfte. Der Aufbau der Burg bestand aus Balkenkonstruktionen mit Holz- oder Lehmfachwerkwänden. Die Felsengemächer waren jeweils in das Bauwerk integriert. Bei meinem Rundgang treffe ich erstmals auch auf andere Ausflügler. Der Ort scheint ein Besuchermagnet zu sein, was sich leider in fortschreitender Erosion bemerkbar macht. Am Turmfelsen lege ich eine Frühstückspause ein. Weitergelaufen, passiere ich die sehenswerte Felsengasse Studený průchod. Zwischen etwa 20 m hohen Felswänden hat sich ein bisweilen nur schulterbreiter Durchgang gebildet, in den kaum Tageslicht hinein dringt. Der weitere Wegverlauf führt vorbei am Gasthaus Na Krásné vyhlídce (An der schönen Aussicht). Ab hier verläuft der Wanderweg immer an der Abbruchkante des Sandsteinplateaus, wo man wegen der Bewaldung für einen freien Ausblick immer auf Sichtfenster angewiesen ist. Später ist ein schmaler Kamm ausgeprägt, an dem mindestens zwei Einkerbungen künstlich zu Halsgräben aufgeweitet wurden. Somit ist das Areal von Staré Hrady erreicht.
 
Staré Hrady
Der Burgfelsen weist nur ein Felsengemach auf und ist durch eine Holzabschrankung abgesperrt. Als Nutzungszeit der Anlage wurde ebenso das 13.-15. Jahrhundert ermittelt. Nun schließt sich ein steiler Abstieg über eine Treppenanlage an. Später komme ich an den Ortsrand von Příhrazy. Hier gibt es ein altes Ferienheim, ein altes Freibad und einen Biergarten. Über eine Treppenanlage muss ich in der Folge wieder mühevoll an Höhe gewinnen. Auf der Hochfläche wechsele ich von der roten auf eine blaue Wanderwegmarkierung und beschreite einen Stichweg zur einstigen Burg Hynšta.
 
Hynšta
Für diese recht kleine Anlage ist eine Nutzung im 13. Jahrhundert nachgewiesen. Auf dem Burgfelsen zeichnet sich schwach ein Gebäudegrundriss ab und auch die Spalte über dem Zugang zum Felsenkeller sollte einst überbaut gewesen sein. Der Keller wurde im Verlauf als geheimer Treffpunkt und Gebetsraum (tsch.: modlitebna) der Böhmischen Brüder (Brüder-Unität) genutzt. Auf der Anhöhe lege ich meine Mittagsrast ein. Der Weiterweg erfolgt zum Teil in einer Tallage als auch im leichten Auf und Ab. Unterwegs nehme ich den Abstecher zum Obětní kámen (Opferstein) mit. Nach einem kurzen Marsch entlang eines Sträßchens biege ich danach nach links auf die rote Markierung ab und komme anschließend in das Areal der Valečovské skalní byty.
 
Valečov
Die Valečovské skalní byty sind Felsengemächer im Stile von Drábské světničky. Da die Erbauung der nahen Burg Valečov erst in der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts in einem abweichenden Stil mit gemauerten Bauteilen erfolgte, nehme ich an, dass die Felsenwohnungen die frühe Urburg Valečov darstellen. Nach Errichtung der Burg wurden sie als befestigtes Heerlager/Wirtschaftsburg genutzt. Von den rund 60 zählbaren Bauwerken, war etwa die Hälfte zu Wohnzwecken geeignet. Es gab im Areal eine Bäckerei, eine Schmiede, diverse Ställe und Speicher. Nach dem Ende der herrschaftlichen/militärischen Nutzung bezogen arme Leute die Behausungen. Erst 1892 wurden die letzten von ihnen zwangsweise in Armenhäuser der angrenzenden Gemeinden umgesiedelt. Das Gelände diente 2015 als Filmkulisse für Aufnahmen zu „The Musketeers“. Unmittelbar angrenzend komme ich zur Burg Valečov. An einem Kiosk muss zur Besichtigung eine Eintrittskarte (50 Kč) erworben werden. Der Bewirtschafter ist ein sprichwörtliches Original. Er kramt einen deutschsprachigen Erklärungszettel für mich hervor und weist mir den Weg. Der als Burg genutzte Felsstock ist mit Treppen und Räumlichkeiten ausgehöhlt worden. Oben befand sich rechts ein massiv gemauerter Burgteil und links, heute fehlend, ein hölzerner mit Lehmfachwerkwänden. Beide hatten wegen einer späteren Erbteilung eigene Hofeingänge. Burgherren waren anfänglich lokale Adlige (Valečovští z Valečova). Ich genieße den Aufenthalt auf dem Burgplateau in herrlicher lauer Herbstluft und steige anschließend ab. Über den Parkplatz laufe ich nach Zásadka zurück.
 
Die pausenbereinigte Gehzeit betrug 5 h 45 min.
Der absolvierte Weg (Burgen, Kamm, Felsengasse) ist teilweise mit T2 zu bewerten, die übrige Strecke mit T1.

Tourengänger: lainari


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Kommentare (2)


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Dodovogel hat gesagt:
Gesendet am 3. Oktober 2016 um 21:36
Super Tour! Muss ich mir merken. Vor einer Woche war ich in Liberec und habe dieses Paradies nur von der Autobahn gesehen.

lainari hat gesagt: RE:
Gesendet am 4. Oktober 2016 um 09:54
Danke! In der recht großräumigen Region Český Ráj gibt es noch so einige lohnenswerte Ziele zu entdecken, wenn nur das Wetter und das Zeitmanagement immer so passen würden ;-)


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