Bau der Lötschberg- Alpenbahn vor 100 Jahren


Publiziert von rojosuiza , 1. Oktober 2021 um 12:50.

Region: Welt » Schweiz » Wallis » Oberwallis

Über das Lonzatal nachgedacht. Wie heisst es eigentlich, etc.  Was ich dabei gefunden habe, will ich den vielen Lötschberg-Rampen-Wanderern nicht vorenthalten.
 
Wer je die Südrampe gemacht hat, hat einiges vom alten Trassee selber gesehen und abgewandert, Viele wandern dort aber auch munter fürbass, ohne blassen Ahnung.


Auszug aus 'Schweizerische Bauzeitung, 1911:


 
 
 
Hell leuchtete der prächtige Morgenstern über dem Brigerberg, als nach fröhlich verbrachtem Abend und mehr oder weniger langer Nachtruhe 28 Mitglieder des bernischen Ingenieur- und Architekten-Vereins am Montag den 23. Oktober in aller Frühe das Städtchen Brig verliessen und dem Werkplatz der Lötschberg[1]Unternehmung zusteuerten. Sie folgten der freundlichen Einladung Direktor Dr. Zollingers zur Besichtigung der Bauten der Berner Alpenbahn. Bald schälte sich aus der Morgendämmerung hinter allerlei Material und Gebäuden provisorischen Charakters eine eigenartige Zugskomposition heraus. Vorn eine kleine aber kräftige Lokomotive, dann einige mit Zement beladene Wagen, darauf zwei offene Arbeiterwagen und zuletzt drei geschlossene Wagen mit Tischen und Bänken, teils sogar mit gepolsterten Lehnsesseln. Auf den letzten Wagen prangte die Aufschrift „ Unternehmung der Lötsch[1]bergbahn". Der grossen Freundlichkeit und dem generösen Entgegenkommen der letztern verdankten wir die Möglichkeit, in einem Tage so viel Schönes und Interessantes geniessen zu können. Bald hatte jeder den seinen Wünschen entsprechenden Platz eingenommen und vorwärts gings punkt 6'/a Uhr auf der Dienstbahn bergan. Diese mit 75 cm Spurweite gebaute Dienstbahn, an sich schon ein ganz bedeutendes und interessantes Bauwerk, zeigt auf beiden Rampen eine ganz verschiedene, durch die örtlichen Verhältnisse bedingte Anlage. Auf der langgestreckten Südrampe folgt sie so viel als möglich dem Tracé der fertigen Bahn, muss aber bei den grössern Tunnel- oder Brücken-Bauten, die noch nicht vollendet sind, Umwege machen, was für uns den Vorteil bot, dass wir sowohl die prächtige Gegend als die Konstruktion der einzelnen Kunstbauten vom Wagen aus besichtigen konnten. Die fertige Bahn wird auf der Südrampe entschieden weniger Genuss bieten als die provisorische Dienstbahn. Anders verhält es sich mit der Dienstbahn auf der Nordrampe, wo die fertige Bahn auf verhältnismässig kurzer Strecke eine grosse Höhendifferenz mit 27 %o Gefälle überwinden muss, während die Dienstbahn sich ein Gefälle von 60%o gestatten kann, was ihre Länge ganz bedeutend verringert. Sie ist denn auch unterhalb Kandersteg ganz unabhängig vom fertigen Tracé gebaut und weist kühne und romantische Kunstbauten auf, zu denen die Südrampe keine Gelegenheit bot. So fährt man gleich unterhalb Kandersteg über einen hölzernen, geschweiften Viadukt, der eine verzweifelte Aehnlichkeit mit der Berg- und Talbahn am letzten eidgen. Schützenfest hat.1) Schon vom Tale aus ist ersichtlich, dass der Bau der Südrampe an dem steilen Berghang, der verschiedentlich durch tief ausgewaschene Seitentäler zerschnitten ist, grosse Schwierigkeiten bieten muss. Diese Schwierigkeiten werden, wie sich bei näherer Beobachtung ergibt, noch dadurch erhöht, dass der Bergabhang zum grossen Teil nicht aus anstehendem Fels, sondern zum Teil aus Bergschutt besteht, der aus gewaltigen Blöcken zusammengesetzt ist, deren Standfestigkeit sehr fraglich erscheint. Daneben finden wir bis hoch hinauf Moräneablagerungen des Rhonegletschers. Aber auch der anstehende Fels bietet infolge seiner parallel mit dem Bergabhang verlaufenden Schichtung grosse Schwierigkeiten. Auf der Strecke Hohtenn bis Goppenstein, im wilden Lonzatal, erforderte der Kampf mit den Lawinen eine ganze Reihe höchst schwieriger Kunstbauten. Die Galerie unter der Rotlaui hindurch wird noch viel zu schaffen geben, hauptsächlich infolge des unsichern aus Bergschutt bestehenden Baugrundes. Um ' 211 Uhr nahmen wir Abschied von der Südrampe und unsern freundlichen Ciceroni und fuhren mit einem Tunnelzug in den Lötschberg hinein. Nach und nach lichtete sich der Nebel, der uns zuerst umfing und so gelangten wir schliesslich gegen die Mitte des Tunnels zuerst zu den Stellen, die eben fertig ausgemauert wurden, dann zum Vollausbruch und endlich zu Fuss durch den Rest des Richtstollens, durch mehr oder weniger tiefe Wassertümpel. Ein scharfer Wind blies von Kandersteg her. Die Luft erdröhnte vom Lärm der kleinen und grossen pneumatischen Bohrmaschinen, der Gänsemarsch geriet ins Stocken. Eine grosse Bohrmaschine versperrte den Weg, sodass einer nach dem andern darüber kraxeln musste. Jenseits begrüsste uns mit einem „freundlichen Lächeln", das zehn Bohrmaschinen übertönte, Rudolf von Erlach, der Oberingenieur der Nordrampe, unser geschätzter Kollege. Er verpackte uns in einen neuen Tunnelzug, Hess uns noch schnell ein stilvolles Tunnelkonzert, bestehend aus acht formidablen Sprengschüssen geben, dass der ganze Berg erzitterte und jedesmal alle Lampen auslöschten und vorwärts gings durch die Gerüstung, der fertigen Tunnelstrecke zu. Hier war die Luft vollständig klar und gestattete ans einen prächtigen Ueberblick auf grosse Strecken des gewaltigen Tunnelgewölbes. Da wir am Ende eines langen, aus 35 Wagen bestehenden Materialzuges fuhren, dessen PresslufÜokomotive eine helle von hjnten sichtbare Laterne hatte, konnten wir die in den Kurven liegenden Strecken des Tunnels sehr gut erkennen. Nach Inbetriebsetzung der Bahn wird jedoch in den Wagen von diesen Kurven wenig zu verspüren sein. Punkt 1 Uhr kamen wir am Nordportal wieder ans Tageslicht, nachdem wir den luftigen Gruss der Tunnelventilationsmaschine entgegengenommen. Schnell wurde in der praktisch angelegten geräumigen Badeanstalt eine Reinigungskur absolviert und fröhlich gings ins naheliegende Hotel Gemmi, wo unser ein einfaches aber wohlbereitetes Mittagsmahl wartete, das bei fröhlichster Laune genossen wurde. Dann gings wieder weiter der Nordrampe zu. Bis zur Abfahrt des uns wieder freundlichst gebotenen Zuges wurden die ausgedehnten Werkstätten und Installationsanlagen mit den gewaltigen Maschinen besichtigt, welche die frische Alpenluft in Fesseln schlagen und dem Tunnelbau dienstbar machen. Bald hatten wir Kandersteg, dessen Kirchlein von den modernen Hotelbauten fast erdrückt wird, hinter uns und hinunter gings auf den hohen Holzgerüsten in scharfen Kurven dem Blausee zu. Leider gestattete die Zeit nicht, die obern Teile der Nordrampe von nahem zu besichtigen. Wir mussten uns damit begnügen, von unten den vielverschlungenen, wunderbaren Wegen zu folgen, die einst die Züge nehmen werden. Aber schon das genügte, um uns die Ueber[1]zeugung beizubringen, dass die Arbeiten der Nordrampe wohl anders geartet, aber kaum weniger schwieriger zu bewältigen sind als diejenigen der Südrampe, und dass diese Strecke einst den Reisenden einen hohen Genuss vermitteln wird, ähnlich wie die Strecke der Gotthardbahn um das Dörfchen Wassen. Schnell wurde noch dem Blausee ein kurzer Besuch abgestattet und weiter gings Frutigen zu, wo bei einem fröhlichen Abendschoppen Ingenieur Tschanz, unser Präsident, Herrn Direktor Dr. Zollinger, der Unternehmung, sowie allen, die uns den hohen Genuss dieses denkwürdigen Tages vermittelt hatten, namens sämtlicher Teilnehmer den herzlichsten Dank aussprach. W.

Tourengänger: rojosuiza


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Kommentare (6)


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ABoehlen hat gesagt: Spannende und anschauliche Schilderung!
Gesendet am 1. Oktober 2021 um 13:46
> dass diese Strecke einst den Reisenden einen hohen Genuss vermitteln wird
Das hat der Autor dieser Zeilen genau richtig erkannt. Jedesmal – so auch gestern – erfreue ich mich an dieser Strecke und den Ausblicken, die sie bietet! Dies gilt für die Nord- wie für die Südrampe gleichermassen.

rojosuiza hat gesagt: Spannende Berg- und Talbahn im Norden
Gesendet am 1. Oktober 2021 um 14:29
Viel Genuss bereitet dem Nachfahren auch die Dienstbahn der Nordseite, man schaue und staune. Der Bericht aus dem Jahr 1911 hat nicht zu viel versprochen: 'Berg- und Talbahn wie am letzten Eidgenössischen Schützenfest':

[/eingestellte-bahnen.ch/die-dienstbahn-auf-der-bls-nordrampe...]

rojosuiza hat gesagt: Spannende Südrampe
Gesendet am 1. Oktober 2021 um 15:46

mb4 hat gesagt: Interessante Erzählung
Gesendet am 1. Oktober 2021 um 20:26
Damals waren Ingenieure und Professoren noch beachtet.
Damals hatte Zeit noch eine völlig andere Bedeutung.
Damals schaute man noch über den Tellerrand und den eigenen Zeit-Horizont hinaus.

Eine Exkursion im Dienstwagen.
Heute unvorstellbar.
Über die Bohrmaschine kraxeln.
Ein Konzert mit acht Sprengschüssen.
Um so etwas heute zu organisieren reicht nicht mal mehr Vitamin B+.

Erinnert mich an eine JO-Tour im Tessin.
Der Zug war voll.
Und wir mit Rucksäcken und Velos.
An der Stange stehen, den Wind im Haar und die vorbeiziehende Landschaft anschauen.
Zugegeben. In den Tunnels war es im offenen Postwagen etwas laut…

ChristianR hat gesagt:
Gesendet am 2. Oktober 2021 um 20:01

rojosuiza hat gesagt: RE:
Gesendet am 3. Oktober 2021 um 08:37
Où est-ce qu'on peut trouver l'horaire pour cette station?


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