Mittlerweile waren wir schon ein paar Tage auf Madeira, hatten uns mit Strassenqualität und -steilheit, mangelnder Zuverlässigkeit des verfügbaren Kartenmaterials, Hitze, Sonne und dem Konzept der Levadawanderungen vertraut gemacht. Einer der Reiseführer in unserem Ferienhaus "Casa Flores" malte uns in schillernden Farben die Levada dos Piornais vor Augen - nicht ganz einfach, etwas ausgesetzt und nicht zu lang. Anfängliche Bedenken wegen des Anspruchs konterten wir wie üblich mit dem selbstbetrügerischen "Wir gehen mal soweit, wie wir wollen".
Das erste Abenteuer war die Anfahrt. Wir waren vorher nur einmal so nah an Funchal herangekommen - beim Herflug. Jetzt galt es nicht nur, die madeirensische Art des Autobahnfahrens zu lernen, sondern auch, mehrere schlecht identifizierbare Abzweigungen zu finden und nach OpenStreetMaps zu navigieren. Im Endeffekt lief es halbwegs gut, wir verliessen die Autobahn an Ausfahrt 7 (Quebradas) und fuhren auf der Estr. da Vitória bis zur scharfen Kurve, wo wir rechts auf dem Caminho do Pinheiro das Voltas hochfuhren. Das kostete ein bisschen Nervenkraft, aber das Einparken am steilen Hang war für meine Frau der vorläufige Anspannungshöhepunkt. (Da wussten wir noch nicht, dass im Nachbardorf Strassen auf uns warteten, die so steil waren, dass man entgegenkommende Autos beim Einbiegen von unten sehen konnte.) Wir fingen hier an, weil der Reiseführer den tiefer liegenden Rest der Levada nicht empfehlenswert fand.
Die Levada ging dafür gemütlich los. Oberhalb von Bananenplantagen, immer mit dickem grün angestrichenem Geländer gesichert, schlängelt sie sich über Câmara de Lobos entlang, selten ausgesetzt und mit Ausblick auf den lustigen runden Hügel mit Kirche, die Brücke über die Ribeira dos Socorridos und den Cabo Girão. Wenig später wird das Gelände steiler, die ersten Tunnels und Brücken kommen und wir müssen, anders als bei anderen Levadas, fast auf die Knie runter, um die Tunnels zu durchqueren. Schnell, viel zu schnell kommen wir an die Stelle, die in unserem Führer als Ende der gesicherten Strecke beschrieben ist. Das Foto im Führer zeigt allerdings eine Levada ohne Geländer, wo bei uns dicke Streben für ein gutes Gefühl sorgen. Wir gehen weiter.
Und ab hier hören die Geländer auf. Die Levada wird nicht weniger ausgesetzt, im Gegenteil, und es braucht ordentlich Konzentration, um Fehltritte zu vermeiden. Manchmal ist auch ein Spreizschritt auf die bergseitige Levadamauer hilfreich, um die Nerven zu besänftigen. Speziell die kurze Strecke um den markanten Felskopf nach der kleinen Brücke im Seitental ist anspruchsvoll, weil die Felswand hier abdrängend vorspringt.
Wenig später ist leider schon alles zu Ende - ein grünes Metallgitter mit verschlossener Tür versperrt den weiteren Weg. Im Internet ist für den folgenden Abschnitt von "selbstmörderisch" und "lebensmüde" die Rede, auf OpenStreetMaps ist er mit "DANGEROUS" (in Grossbuchstaben) gekennzeichnet. Wir kehren auch ohne dieses Hintergrundwissen um, weil meine Frau sich weigert, um spitze Metallstacheln herum zu klettern.
Auf dem Rückweg bieten sich noch einmal schöne Tief- und Ausblicke. Wir erleben das "Levada-Phänomen": Wir gehen ebenerdig, der Körper sagt "alles easy" und der Kopf sagt "ich fall gleich runter". Wir müssen uns immer wieder zwingen stehenzubleiben, wenn wir schauen oder fotografieren wollen, aber gleichzeitig zu gehen würde sicher schiefgehen. Wir sind eigentlich ganz frhoh, als wir wieder den geländergesicherten Teil erreichen, und laufen zufrieden zum Auto zurück. Als Krönung schauen wir uns noch den Hafen von Câmara de Lobos an.
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