Haute Route Imperiale


Publiziert von MReitmeier , 16. April 2009 um 08:19.

Region: Welt » Schweiz » Wallis » Mittelwallis
Tour Datum: 4 April 2009
Ski Schwierigkeit: ZS-
Zeitbedarf: 6 Tage

Den Klimawechsel von Spanien zum Ausgangspunkt am Ende der Skiliftkette Bela Tola auf 3025m überstehe ich hervorragend gut. Der preis für die Bergfahrt hält sich mit 20 Schweizer Franken erfreulicherweise sehr in Grenzen. Das Wetter ist sprichwörtlich ideal, nach kurzer Abfahrt fellen wir an und steigen unweit zum Meidsattel auf. Von hier fahren wir bis ins Turtmanntal hinab, wobei wir dabei im unteren Teil schon mit ziemlich durchfeuchtetem Schnee kämpfen müssen. Konkret heißt dass: Zweimal gut 100cm tief graben, um Ski aus den Schneemassen zu bergen und Vorsicht vor bereits abgegangenen und kurz vor dem Abgang stehenden Grundschneelawinen. Nachdem wir diese anfänglichen Stolpersteine überwunden haben, steigen wir langsam aber dafür durch sichereres Gelände wieder hinauf zur Turtmannhütte, wo wir den restlichen Nachmittag gemütlich auf der sonnigen Terrasse verbringen. Fließendes Wasser gibt es auf keiner der Hütten, Trinkwasser schon gar nicht. Lediglich auf der Turtmannhütte wird zumindest zum Waschen abends Wasser in ein paar gebrauchten PET-Flaschen zur Verfügung gestellt. Ansonsten heißt es standardmäßig: mit Schnee waschen.

Die zweite Etappe führt uns auf das Barrhorn mit 3610m. Doch dazu müssen wir zunächst zu Fuß mit Ski am Rücken durch das "Gässi" steigen. Dieses schmale Couloir wirkt aus der Ferne wesentlich heikler, als es tatsächlich ist. Der weitere Aufstieg gestaltet aufgrund des abwechslungsreichen Geländes als sehr schön. Am Gipfelhang schließlich bekommt es Deta mit schwerer Übelkeit und Kopfweh zu tun. Auch die anderen und ich bekommen Kopfweh, aber nur leichtes. Kurz vor Mittag stehen wir schließlich ganz alleine am Gipfel und genießen zum ersten Mal die wunderschöne Aussicht über ein gutes Stück Wallis. Als Teil der absolut lohnenden Abfahrt bis ins Turtmanntal zurück wartet ein breites, steiles und rinnenartiges Couloir auf uns, dass zunächst ins Pipijtälli führt. Wir entscheiden uns, nicht direkt zur Hütte zurückzukehren, sondern weiter isn Turtmanntal abzufahren. Und es hat sich gelohnt, die Schneeverhältnisse sind ideal und die Abfahrtsstrecke ist sehr schön, sodaß wir gerne die etwa 300 Höhenmeter Gegenanstieg zurück zur Turtmannhütte in Kauf nehmen, obwohl es dabei schon ziemlich heiss wird. Um 14:30 sind wir wieder bei der Hütte und genießen erneut kühles Rivella auf der Terrasse.

Auf der dritten Etappe geht es zum Brunegghorn mit 3833m. Wir stehen schon früh auf, so dass wir um 6 Uhr abmarschbereit sind. Noch ist es dunkel udn auch das Gässli steigen wir erneut auf, nur diesmal mit aktivierter Stirnlampe. Noch ist es etwas windig und kalt, erst fast am Ende der langen Strecke über den Brungegggletscher schaffen es die ersten Sonnenstrahlen durch das Bruneggjoch und wir genießen die ersten Sonnenstrahlen des Tages. Am selben Platz deponieren wir Proviant und Gegenstände, die wir nicht am Brunegghorn mitbrauchen. Bei der Abfahrt zur nächsten Hütte werden wir sie wieder einpacken. Der Aufstieg zum Brunegghorn führt zum Teil über Gelände, dass Harscheisen unbedingt notwendig machen. Die letzten 100 Höhenmeter gehen wir zu Fuß. Einige Wolken verhüllen die umliegenden Gipfel zeitweise, dass macht den Blick zum benachbarten, herausragenden Bishorns umso faszinierender. Auch heute haben wir alle vier wieder ganz leichtes Kopfweh, da die Akklimatisierungsphase noch nicht vorbei ist. Die Abfahrt mit dem zurückgelassenen Gepäck über den Brunegg¬gletscher machen wir sicherheitshalber angeseilt. Wir queren den Turtmanngletscher im unteren Teil zwischen zwei abenteuerlichen und riesigen Gletscherbrüchen und steigen in der Nachmittagsglut über einige Spitzkehren schwitzend und stöhnend zur Cab. de Tracuit auf. Diese Hütte liegt bildhübsch am westlichen Ende des Turtmanngletschers direkt an einer steilen Felsstufe und bildet den Ausgangspunkt für das Bishorn, unser nächstes Etappenziel. Wir sind nicht die einzigen, als wir um 5:50 Uhr mit Stirnlampe die Hütte in Richtung Bishorn verlassen. Zunächst ist der Gletscher noch flach. Wir erreichen den vergletscherten Sattel am Nordgrat des Bishorns gerademal wenige Sekunden vor dem dahinter phänomenal schön aufgehendem Sonnenaufgang. Dies ist sicherlich einer der schönsten Momente während dieser Tourenwoche, zumal Wetter- und Konditionszustand dafür sprechen, in Kürze auf einem herrlichen Viertausender zu stehen. selbst die fünf anderen Seilschaften, die hier mit uns unterwegs sind, stören mich angesichts dieser Aussichten kaum. Und in der Tat, nachdem wir vom Skidepot unweit des Gipfels losgestapft sind, den Gipfel um 10 Uhr erstiegen sind und die anderen bereits im Absteigen begriffen sind, stehen wir für eine Weile sogar ganz alleine da oben. Was für ein Gefühl! Auch die Abfahrt zurück zur Cab. de Tracuit gestaltet sich als so genussreich, wie es in keinem Outdoorprogrammheft beschrieben hätte werden können. Bei der Hütte machen wir dann eine knappe Stunde Pause, ehe es durch das Col de Tracuit (erstes Stück mit Ketten versichert, dann steil über Schneeflanke hinabfahren) zum nächsten Stückspunkt geht. Die Kulisse auf dem Weg zum Col de Milon ist besonders eindrucksvoll. Etwa 300 Höhenmeter Anstieg sind notwenig, um auf das Col de Milon zu kommen. Auf der anderen Seite sind es deutlich weniger, dafür muss hier zwingend 25m abgeseilt (oder eben etwas heikler: abgeklettert) werden! Der Rest der Tagesetappe zur bald sichtbaren Cab. d´Arpitetta ist unschwierige und genussreiche Abfahrt. Die Cab. d´Arpitetta ist unbewirtschaftet, aber sämtliche Räumlichkeiten (Küche, Gaststube, Matratzenlager) sind in gewohnter Art und Weise vorhanden und zugänglich. Wir sind etwa 20 Personen, die hier gemeinsam Nächtigen. Automatisch stellt sich so etwas wie eine "Hütten-Arbeitsgemeinschaft" ein: Es wird gemeinsam für alle Schnee geschmolzen, gekocht und abgewaschen. Das vereinfacht sich nicht zuletzt dadurch, dass ohnehin alle Gruppen als Verpflegung für diesen Abend dasselbe mithaben: Nudeln und Tomatensosse. Einer der beiden Bergführer deklariert sich selbst als Koch für alle und wirft sämtliche Nudeln in einen Topf. Ergebnis: Genügend essen für alle und eine hervorragende, gut gewürzte Tomatensosse! Am Abend diskutieren wir die nächste Tagesetappe, die sicherlich als komplizierteste anzusehen ist, weil sie durch den sehr zerrissenen Glacier de Momin zum Blanc de Moming führt. Als Alternative wäre es schon möglich gewesen, weit ins Tal hinabzufahren und über den Glacier de Zinal zur Cab. de Mounet aufzusteigen. Doch diese Alternative nimmt keine der fünf Gruppen in die engere Auswahl. Stattdessen wird diskutiert, welche Linie durch den Glacier de Momin die Bessere sei. Von der Terrasse der Hütte jedenfalls sieht die Sache eher steil und gefährlich aus.

Die fünfte Etappe führt uns und die anderen Seilschaften also über den zerrissenen Glacier de Moming knapp vorbei an der Ostwand des Besso leichter als erwartet hinauf zum Blanc de Moming. Aufgrund der Geländeeigenschaften und der gut 20 Personen, die hier in insgesamt fünf Seilschaften unterwegs sind, ist das Tempo diesmal sehr unregelmäßig, besonders für das Schlusslicht aller, wie ich es bin. Der Gletscher selbst sollte nur bei sicheren Verhältnissen begangen werden und selbst dann benötigt es viel Erfahrung, hier die richtige Spur zu finden, falls keine vorhanden ist. Während wir am Blanc de Moming die einzigen sind, und Andri und ich auch noch den felsigen Hauptgipfel mit 3661m ersteigen, sind die anderen Seilschaften längst schon am langen, schmalen Grat in Richtung Osten unterwegs, um an dessen Ende eine Möglichkeit zu finden, über den Glacier du Mounet zur gleichnamigen Hütte zu gelangen. Auch wir
entscheiden uns später für diesen Weg, da die Alternative (SW-Grat des Blanc de Moming und Abfahrt über einen Bogen von Norden zur Cab. du Mounet) als nicht so angenehm einschätzen. Nur zwei Tourengeher wählten diese Alternative und bestätigen uns später, daß unsere Entscheidung die Bessere war. Nachdem also auch wir den langen, schönen und teilweise recht schmalen Grat in Richtung Gipfelaufbau des Zinalrothorns gefolgt sind und an geeigneter Stelle auf den Glacier du Mounet gelangen, steht uns nur noch eine herrliche Abfahrt über "Edelfirn" entlang von mehreren, aneinander gereihten pistenähnlichen Abschnitten, immer dicht entlang der nördlichen Seitenmoräne des spaltenreichen Gletschers haltend, bevor. Um 14 Uhr erreichen wir die Cab. du Grand Mountet, eine geräumige und sehr saubere, neue Hütte. Am Nachmittag dösen wir wie fast jeden Tag ein paar Stunden im ruhigen Matratzenlager herum. Diesmal haben Sabine und ich beim Abendessen das große Los gezogen, Andri und Deta schmeckt die Ihre Mahlzeit nicht besonders. Das liegt nicht an der Qualität, sondern vielmehr daran, es schon zum zweiten Mal dasselbe ist.

Der Wecker läutet um 4:45 Uhr. Die letzte Etappe steht bevor. Wir gehen um 5:30 Uhr los. Um 8:30 Uhr stehen wir nach einer kurzen, aber steilen Eisstufe am Col Durand. Die Eisstufe wird für die meisten mittels Eissanduhr und Seil gesichert. Kurz danach stehen wir an der vermutlich überwältigten Stelle der ganzen Tour: auf einem Sattel zwischen Obergabelhorn und Dent Blanche, mit niemand geringerem als dem Matterhorn von seiner schönsten Seite direkt vor uns - und dazu noch die ersten Sonnenstrahlen des Tages! Wir befinden uns auf einer Höhe von 3443m, also höher als die gegenüberliegende Hütte am Hörnligrat. Als letzter begehbarer Berg steht uns nun nur noch der Mont Durand, 3611m bevor. Mit Ski am Rucksack stapfen wir zunächst über den flachen Westrücken bald über eine Felsstufe und einer darauf folgenden steilen Schneeflanke hinauf zu einem Grat und von hier aus unschwierig in kürze zum Gipfel des Mont Durand, wo wir um 9:45 Uhr zum letzten Mal die gewaltige Kulisse des zentralen Teils der Walliser Alpen von oben sehen dürfen. Die Abfahrt über den Hohwänggletscher verläuft glimpflich, da die Sonne wieder einmal gnadenlos den Schnee aufweicht und vor allem im unteren Teil des Gletschers Naßschneelawinen nicht auszuschließen sind. Wir erreichen ein kleines Kraftwerk, wo unsere Tour vorläufig zu ende ist. Ein paar hundert Meter müssen wir nun die Ski entlang einer geräumten Zufahrtsstraße tragen, dann können wir schließlich entlang eines Skiweges nochmals 250 Höhenmeter direkt bis nach Zermatt abfahren. Ankunft in Zermatt um 12 Uhr mittags. Wir genehmigen uns jeder noch ein Eis in einem ausgewählten Restaurant und feiern damit unsere erfolgreiche Tour. Um 13:39 Uhr bringt uns der Zug nach Visp, wo ich genau drei Minuten Zeit habe, mich zu verabschieden und in den Zug einzusteigen, der mich direkt nach Zürich bringt.
Zürich selbst wartet mit viel saftigen grünen Wiesen, Hitze und einer guten Pizzeria in der Weinbergstrasse auf mich. Während ich auf den Nachtzug um 22:40 Uhr warte, bin ich noch lange im Gedanken am Berg. Die Zugfahrt von Zürich nach Wien dauert statt 9:23 Stunden gute 12 Stunden. Grund für die Verspätung ist ein kurz zuvor zwischen Wels und Linz entgleister Güterzug bzw. Gerüchten zufolge auch ein Selbstmörder (oder vielleicht auch beide Gründe gleichzeitig). Nun, alleine die Verspätungsinformation selbst wurde freilich in keiner Weise an die Reisenden Weitergegeben, da es sich schließlich um einen ÖBB Zug handelt. Die ÖBB führt auch erstmals die 3. Klasse ein, indem sie einen Zug drei Minuten früher von Zürich nach Wien einplant, für den gebührenpflichtige Sitzplatzreservierung verpflichtend ist. Der etwas spätere Zug wird dann absichtlich mit Wagen geführt, die keinerlei Schlafmöglichkeiten durch verstellbare Sitze oder zuziehbaren vorhängen bietet, außer man zahlt extra für einen Liegewagen. Entsprechend entnervt komme ich daher also erst um die Mittagszeit des nächsten Tages in Wien an. Am Jonasplatz quatscht mich ein Vulgär-Floridsdorfer unaufgefordert an: "Nau, woar´ma Graßschifoan oder wos?". Ich entscheide mich, darauf lieber nicht zu antworten.


Etappen-Kurzbeschreibung:

1. Etappe:

Zustieg zur Turtmannhütte von St-Luc aus: mit den Skiliften zuoberst auf Bela Tola (3025m), Abfahrt über Borterpass und Meidtälli nach Gruben (1818m), Aufstieg zur Turtmann-Hütte (2519m). Dies ist die beste Zustiegsmöglichkeit zur Turtmannhütte um diese Jahreszeit, weil die Strasse von Oberems nach Gruben erst Ende Mai öffnet und man sonst 15km flach das Tal reingehen müsste. So hat man doch 1200hm Abfahrt und auch 700hm Aufstieg. Total etwa 700hm Aufstieg, 1200hm Abfahrt.

2. Etappe:

Skitour von der Turtmannhütte aufs Üsser Barrhorn (3610m), 1100hm Aufstieg. Abfahrt durch die steile Nordrinne ins Pipijtälli und weiter ins Turtmanntal von wo aus wieder zur Turtmannhütte aufgestiegen wird.
Total etwa 1450hm Aufstieg, 1410hm Abfahrt.

3. Etappe:

Skitour von der Turtmannhütte aufs Brunegghorn (3833m), Abfahrt und Wiederaufstieg zur Cabane de Tracuit (3256m). Total etwa 1750hm Aufstieg, 1000hm Abfahrt.

4. Etappe:

Skitour von Cabane de Tracuit aufs Bishorn (4153m), Abfahrt und Wiederaufstieg über Col de Milon zur unbewirtschafteten Cabane d´Arpitetta (2786m). Total etwa 1100hm Aufstieg, 1500hm Abfahrt.

5. Etappe:

Aufstieg von Cabane d´Arpitetta über den sehr zerissenen Glacier de Momin zum Blanc de Moming (3661), Abfahrt zur Cabane du Grand Mountet. Total etwa 900hm Aufstieg, 800hm Abfahrt.

6. Etappe:

Aufstieg von Cabane du Grand Mountet zum Col Durand, von da mögliche Besteigung von Mont Durand (3611), Abfahrt über Hochwänggletscher runter nach Zermatt. Total etwa 750hm Aufstieg, 2000hm Abfahrt.


Mehr Infos zu dieser Tour auf folgenden Seiten:

http://marco.tix.at/index.php?a=Event&id=508
http://www.haute-route-imperiale.ch

 

Tourengänger: MReitmeier


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