Val Codera - auf der Südseite des Bergell
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Anlässlich unserer diesjährigen gemeinsamen Tourenwoche fiel die Wahl aus drei angedachten Gebieten heraus völlig pragmatisch gemäß der güstigsten Wetter- und Neuschneesituation auf zwei Täler im südlichen Bergell. Da das angekündigte sensationelle Hochdruckwetter im Süden zwei Tage hinterherhinken würde, beschlossen wir einen Vorab-Aufenthalt in Liechtenstein. So erklärt sich, warum eines der beiden von uns erforschten Täler ohne die Garnitur eines Gipfelziels blieb. Die Zeit fehlte eben …
Zum Valle dei Ratti und dem von uns dort bestiegenen Pizzo Ligoncio habe ich bereits auf gipfelbuch.ch berichtet. Noch bevor wir zu dieser Tour starteten, galt unser Augenmerk dem zum Valle dei Ratti 3 km nördlich benachbarten Val Codera. Im Vergleich kann das Val Codera als das größere, bekanntere und erschlossenere der beiden Täler betrachtet werden. Darüber sollte nicht hinwegtäuschen, dass das Val Codera kompromisslos von ganz unten und zu Fuß angegangen werden muss, denn weder Straße, noch Seilbahn führen dort hinauf, und die angeblich 2000 Steintreppenstufen zur Überwindung der sperrigen Schlucht am Taleingang wäre mit keiner Art von Fahrrad vorstellbar.
Dennoch ist das Val Codera gut erschlossen. Besser gesagt, es lebt wieder auf. Die Vereinigung „Amici della Val Codera“ hat dies die letzten Jahre möglich gemacht, denn wie so viele Südalpentäler, war auch das Val Codera von Abwanderung betroffen. In der am Ufer des Lago di Mezzola gelegenen Ortschaft Novate Mezzola (200 m) öffnet sich am oberen Ortsausgang (ca. 300 m, Parkmöglichkeit) eine Schlucht, von der bei der Draufsicht kaum mal vorstellbar ist, dass diese auf einem gut ausgebauten Wanderweg überwunden werden kann.
Auf der treppenartig angelegten Mulattiera nehmen wir die steilen Serpentinen, und sind froh, hier nicht etwa im Hochsommer unterwegs zu sein. Trotz der üppigen Bewaldung geizt dieses Teilstück an mehreren lichten Stellen nicht mit vorzüglichen Aussichten zum dem Comersee nördlich vorgelagerten Lago di Mezzola. Hinter diesem schimmert bereits das Nordufer des eigentlichen Comersees, welcher mit dem Lago di Mezzola mittels eines kurzen Flußarmes verbunden ist.
Bei einer Kapelle ist der kreislaufanregende Anstieg geschafft. Weiter nun durch das sich jetzt sachte weitende Hochtal auf den verkehrsfreien, aber dennoch inzwischen wieder belebten und bewohnten Ort Codera zu. In der Locanda neben der Kirche kehren wir gerne zu Kaffee und Kuchen ein. An diesem Traumtag sind auch andere Wanderer unterwegs, und wir treffen die nette Familie aus Calw vom Agriturismo in Novate Mezzola wieder. Die Häuser dieses schnuckeligen Bergdorfes sind inzwischen wieder gut im Schuss, und auch aktuell wird hier gerade viel gearbeitet und renoviert. Wir verlassen den in den steilen Hang über der Schlucht gekrallten Ort und wandern tiefer ins Tal hinein.
Ganz 100 Prozent motorfrei ist es hier oben dann doch nicht. Gelegentlich finden wir von den Einwohnern benutzte Fahrzeuge geparkt am Wegesrand, überwiegend geländegängige Quads, aber auch ein paar Bau- und Landwirtschaftsmaschinen. Diese müssen allesamt mit dem Hubschrauber hierhergebracht worden sein, es gibt keine andere Möglichkeit. Im Tal finden sich daher zwei Wege, die entweder in geringer Entfernung zueinander verlaufen, oder auch mal identisch gehen. Der eine ist der alte Säumerweg für die Wanderer, der andere ist ein breiter, ruppiger Fahrweg. Über allzu großes Verkehrsaufkommen braucht man sich hier oben dennoch keine Sorgen zu machen.
Mit Codera haben wir den Hauptort bereits hinter uns gelassen. Es folgen aber noch weitere kleinere Weiler, wie etwa Corte (839 m), Tiune (945 m), La Salina (1085 m); Piazzo (1133 m), Stoppadura (1190 m), Brasciadiga (1214 m), sowie Coeder (1330 m), welches sich schon etwas oberhalb des Rifugio Brasca (1304 m) befindet. In Brasciadiga gibt es eine Unterkunftsmöglichket, und auch in Codera gibt es neben der erwähnten Locanda noch die Osteria Alpina. Im Vorfeld war der Versuch gescheitert, mit dem tief im Tal gelegenen Rifugio Brasca zwecks Übernachtung Kontakt aufzunehmen. Wir waren deshalb davon ausgegangen, dass das Rifugio sich bereits in den Winterschlaf verabschiedet hat, gleichwohl wie das bereits im um diese Jahreszeit sehr schattig gelegenen Rifugio in Brasciadiga der Fall ist. Deshalb sind wir heute mit Biwakausrüstung unterwegs.Nun, das Brasca hätte tatsächlich nochmal geöffnet gehabt, doch jetzt haben wir schon den ganzen Schmarren hinaufgetragen und bleiben bei unserem Plan, zu biwakieren.
Bereits zwei Schilder , die auf ein Zeltverbot hinweisen, haben wir passiert. Wir tun somit gut daran, unser Biwak in den oberen, unbewohnten Teil des Tales hinaufzuschieben, wo zuvor auch der Fahrweg endet. Hierzu müssen wir vom Rifugio Brasca aus gar nicht allzu weit gehen, zumal uns die Zeit auch langsam davon läuft. Ein Waldstück bietet, wenngleich keine Aussicht, doch zwei Bäche plus eine Wasserquelle, sowie einen weichen und flachen Untergrund. Das Ufer des Torrente Codera ist nicht weit. Mit dem allerletzten Tageslicht schaffen wir es noch, das Zelt aufzubauen. Kochen und Essen werden wir bereits in der Dunkelheit.
2. Tag
Biwaknächte sind lang um diese Jahreszeit. Schließlich hatten wir uns bereits nach 18.30 h zur Ruhe gelegt und aufgestanden wird erst wieder gegen 7.30. wenn es bereits hell ist. Derweil sind die Nächte ja noch nicht kalt, die frühen Morgenstunden eher etwas klamm, dennoch verspüren wir einfach keine Lust, schon in der Dunkelheit aufzustehen.
Unsere Erkundung gilt nun dem obersten Val Codera. Die Bergkette im Talabschluss trägt die Landesgrenze zur Schweiz. Das Tal verengt sich hinter Coeder, und es kommen keine Hütten mehr, allenfalls ein paar verlassene Ruinen. Der Weg wird blockig, auch schon im Bereich des Flussufers. Im Talabschluss finden wir uns von steilen Felswänden umringt, Nicht sehr wasserreich, aber teils im freien Fall ergießen sich dort Wasserfälle über Felskanten hinweg.
Wir wollen noch die erste Felsstufe im Talabschluss überwinden. Dort finden sich ein paar kettenversicherte Passagen, ein Wasserfall rauscht neben uns die Schlucht hinab. Weit oben würde der Passo della Trubinsaca (2701 m) einen alpinen Übergang in den Schweizer Bergell ermöglichen, und ganz sicher würden bei mir dabei Erinnerungen aufleben, als ich im September 2012 zusammen mit Kumpel Haydar, vom Rifugio Gianetti herkommend, zurück zur Sasc Furä durch eben diesen Pass gestiegen war - Tag 3 unseres großen Kletterabenteuers Badile Nordkante.
Doch heute noch hinauf zum Passo della Trubinasca zu gehen, dazu wird uns die Zeit nicht reichen. Wir kommen bis auf 1870 m, unmittelbar vor der Bachquerung, welche hinüber zu den Ruinen von Sevigia führen würde. Somit haben wir uns bis etwa zur Baumgrenze erhoben. Von unserem erklärten Umkehrpunkt aus haben wir eine schöne Aussicht, ein idealer Platz für ein Vesper. Besonders beeindruckend ist die jetzt an ihrem Höhepunkt angelangte Lärchenverfärbung in Kombination mit dem hellgrauen Bergeller Fels, ein natürliches Farbenspiel der Superlative. Keine Menschenseele ist hier, wir genießen die Ruhe. Um 12 Uhr machen wir uns schließlich auf den Rückweg.
Nochmals sammeln und festigen wir unsere Eindrücke bei der Rückkehr über den gekommenen Weg. Einer der bemerkenswertesten Standorte im Tal ist sicher der des Rifugio Brasca. Dort ragen helle, ungemein steile Bergellwände in die Höhe, deren Kare mit kleinen, glitzernden Eisresten gesäumt sind, darunter stürzen Wasserfälle über eine bewaldete Steilstufe zu Tale.
Einen Berg sollten wir hier genau fokussieren, da wir ihn zwei Tage später über seine bei weitem einfachere und weniger spektakuläre Seite vom Valle dei Ratti aus besteigen werden: der 3032 m hohe Pizzo Ligoncio wird im Val Codera "Lis d´Arnasca" genannt, was soviel bedeutet, wie "der Glatte von Arnasca". Durch die West-Nordwestwand führt die "Via Vinci", welche, wie auch immer, mit der legendären Nordostwand des Badile verglichen wird.
Es wird spät. in Novate Mezzola treffen wir mit dem allerletzten Tageslicht ein, faszinierende abendliche Lichtstimmungen über dem Lago di Mezzola waren uns zuvor im steilen Knieschnacker hinab über die bereits bekannten 2000 Treppenstufen vergönnt.
Nach unserer Wiederankunft am Agriturismo besuchen wir das benachbarte Verceia. Wir wollen uns dort bezüglich des Rifugo Volta im Valle dei Ratti schlau machen und nehmen dies zum Anlass, uns im Hotel Saligari ein leckeres 3-Gänge-Menü angedeihen zu lassen. Ein trefflicher Abschluss unserer 2-tägigen Erkundung des Val Codera.
Neben den im Text erwähnten Unterkünften existieren im Val Codera drei Biwakschachteln. Diese wurden in erster Linie für Kletterer errichtet, welche die teils spektakulären alpinen Führen in den Wänden über dem Tal angehen wollen. Es sind dies Bivacco Pedroni del Pra (2577 m) für die Punta Trubinasca, Bivacco Valli (1920 m) für Sfinge- und Ligoncio-Nordanstiege, und Bivacco Casorate-Sempione (2100 m) für den Sasso Manduino-Westgrat.
Eine Vorübernachtung für Camper empfiehlt sich auf der Wiese des Agriturismo Val Codera mit wunderbarem Blick zur Eingangsschlucht des Val Codera. Vom Agriturismo aus kann über einen ausgeschilderten Pfad unmittelbar ins Val Codera losgewandert werden. Hinkommen: Abzweigung von der Hauptroute am südlichen Ortsausgang von Novate Mezzola, rotes Schild "Agriturismo"
P.S.: die Uhrzeit auf den Bildern stimmt nicht - alles eine Stunde früher!
Tourengänger:
Günter Joos (gringo)

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