Chräzerentobel: Dem Wetterkalk auf der Spur
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Ich quere den Tobelarm, der auf der Karte als „Waldholz“ bezeichnet wird, auf dem eingezeichneten Feldweg. Der Weg endet kurz danach, führt dann aber als Pfad an der Tobelkante weiter. Wenig später erreiche ich Brennholzstapel mit einem Waldarbeiterwohnwagen und einer Holzbank mit Holztisch. Von dort gehe ich direkt an die Tobelkante und steige in der Rinne ab. Die Rinne führt geradewegs auf die Oberkante des Wasserfalls bei 616 m, falls die Höhenangaben so stimmen.
Ich halte mich etwas rechts, um im Falle eines Ausrutschers nicht über die Kante zu rutschen. Unten angekommen, werfe ich einen Blick in die Runde. Das Gebirgsstelzen-Pärchen kommt angeflogen, um mich zu begutachten. Das knallige Zitronengelb des Männchens fällt auf. Ich drehe mich um. Die helle Wand in der Böschung, aus der ich vor fünf Tagen ein Stückchen ausklopfen wollte, steht jetzt vor mir. Mit Hammer und Meissel gelingt es rasch, eine Probe auszuschlagen. Die Höhe schätze ich auf 617-618 m. Es ist Sandstein, an der Körnung gut zu erkennen. Die spätere Behandlung einer 3-Gramm-Probe mit Salzsäure ergibt: 46% Sandstein, 54% Kalk. Laut Definition enthält Sandstein mindestens 50% Sand – meist Quarzsand. Hier überwiegt der Kalk.
Ich gehe noch die fünf Meter im Bach, an die Oberkante des Wasserfalls, und schaue vorsichtig nach links und rechts. Da ist doch was. In der Wand links, also in der Westböschung, ist deutlich eine gebankte Schicht zu erkennen, die über der Nagelfluhwand herausragt. Die Stelle ist für mich nicht erreichbar, sie liegt etwas über Augenhöhe, also bei ca. 618 m. Ich merke mir die Höhe, drehe mich langsam um und schaue mir die Tobelwände bachaufwärts an. Dort, wo ich den Sandstein rausgehämmert habe, ist nur einen Meter höher auf der gesuchten Höhe ebenfalls ein Felsband bei 618-619 m zu sehen, etwas verdeckt durch abgerutschtes Erdreich. Ich setze den Meissel an und schlage. Siehe da: im Ausbruch ist die rot-weisse Farbe des Wetterkalks zu sehen, wie ich sie aus den Handstücken im Heldtobelarm und im Chräzerentobel kenne. Die spätere Behandlung von zwei 3-Gramm-Proben mit Salzsäure ergibt 71% und 78% Kalk. Zurück bleibt ein rötlicher Schlamm, aus dem sich mit konzentrierter Salzsäure gelbes Eisenchlorid lösen lässt.
Ich verfolge die Höhe des Bandes in der Böschung bachaufwärts und sehe wenige Meter weiter erneut Fels. Auch hier zeigt der Hammerschlag: darunter liegt Wetterkalk. Nun suche ich auf der rechten Seite, also in der Westböschung – ich gehe ja gegen die Strömung.
Da sehe ich vor mir eine kleine Stufe im Bachbett, kaum 30 Zentimeter hoch. Die Schicht ist hart und liefert mit Hammer und Meissel ein weisses Pulver. Weiter unten ist Nagelfluh sichtbar, als wäre hier der Übergang von Nagelfluh zu Wetterkalk. Der Kalk ist an der Oberfläche der Stufe gelb gefärbt. Ich lege an einer Stelle das Bachbett frei, hier unter Wasser ist der Kalk weiss. Ein kleines Bruchstück, das nur schwer herauszuschlagen ist, enthält ein noch kleineres Stückchen Kiesel. Eine 3-Gramm-Probe von diesem Stück ergibt bei Behandlung mit Salzsäure 75% Kalk. Durch die eingestreuten Fremdgesteine sieht das auch hier aus wie ein Übergang von Nagelfluh zu Kalk. In der Westböschung wenig unterhalb dieser Stufe im Bach steht ein Stück Fels aus dem Erdreich hervor. Ein Hammerschlag zeigt: rot-weisser Wetterkalk mit eingestreuter Nagelfluh.
Der inzwischen verstorbene Geologe Franz Hofmann schreibt in Eclogae Geologicae Helvetiae, Band 68 (1975), Heft 2, Seiten 311-318 in seinem Aufsatz „Vulkanische Tuffe auf dem Wellenberg E von Frauenfeld und neue Funde auf dem thurgauischen Seerücken“ Folgendes:
„Chräzerentobel
Im tiefeingeschnittenen und schwer zugänglichen Chräzerentobel (zwischen Heldhof und Wittobel) konnten wohl der Wetterkalk-Horizont des Heldhofs gefunden werden, nicht aber die rötlichen Tufflagen. Die Nagelfluhbänke sind in diesem Tobel wesentlich mächtiger entwickelt, und es ist wahrscheinlich, dass die Tufflagen nach der Ablagerung wieder erodiert wurden. Immerhin konnten am Steilhang der linken Tobelseite auf 615 m Höhe die grauen Mergel des Niveaus gefunden werden, die auch an dieser Stelle sehr geringe Mengen an Magnetit und vor allem Apatit enthielten. In der kritischen Zone sind die Aufschlussverhältnisse im Chräzerentobel schlecht.“
Das könnte bedeuten, dass die Wetterkalk-Schicht, die im Thurgauer Geotopinventar laut den Koordinaten wohl am Gratweg gefunden wurde, durch die kräftigere Nagelfluhschüttung im Zentralbereich des Tobels erstens wegen der späteren Erosion dünner sein könnte und zweitens auch höher liegen könnte, falls die Wetterkalkbildung in eine Phase zwischen den Nagelfluhschüttungen fiel. Das sind aber nur Spekulationen.
Zumindest ist jetzt ein Aufschluss mit Wetterkalk für mich greifbar, und zwar für mich überraschend oberhalb des zweiten Nagelfluh-Wasserfalls.
Spannend ist für mich, wie der Wetterkalk hier entstanden ist. Mit google-Suche komme ich von Wetterkalk auf terrestrischen Krustenkalk, aber dann fehlt mir das Wissen, um beurteilen zu können, wie sich solche Gesteine wie hier gebildet haben. Auffällig ist ja, dass Sand und Geröll stellenweise richtig im Kalk einbetoniert sind. Wer mehr weiss oder hilfreiche Literaturhinweise kennt, bitte Notiz hinterlassen.

Kommentare (4)