Marmolada - Moderne Zeiten / Tempi Moderni


Publiziert von ChrisJung , 29. September 2019 um 12:25.

Region: Welt » Italien » Trentino-Südtirol
Tour Datum:16 September 2019
Klettern Schwierigkeit: VIII (UIAA-Skala)
Aufstieg: 850 m
Abstieg: 1500 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Malga Ciapela, dann Forstrasse Richtung Failer-Hütte.
Unterkunftmöglichkeiten:Rifugio Failer, 1:15h zum Einstieg (alternativ im Ombretta-Biwak, 20min Zustieg)

Mit Antonio meinem Kletter-Freund aus Uster (Zürich) wollte ich die nächsten zwei Wochen in den Bergen verbringen. Auf der Suche nach bleibenden Eindrücken haben wir uns für die Dolomiten entschieden; im Osten, weil das Wetter dort meistens stabiler ist aber vor allem weil die Dolomiten jede Menge genialer Kletterlinien versprachen. Der Wetterbericht sagte für die nächsten 3-4 Tage im Tal warme Temperaturen um die 25° und keine Gewitter voraus. Ist es zu riskant als erste Tour ne grosse Tour wie die Marmolada Südwand zu probieren? Antonio und ich kennen uns lediglich von einer alpinen Route im Rätikon, in der halt mit Bohrhaken stecken. Die Routen an der Marmolada und in den Dolomiten sind nicht zu vergleichen mit den meisten Routen in der Schweiz. Keine Bolts, oft alte Haken und Schlingen, auch an den Ständen. Viel Spürsinn für die richtige Linie ist gefragt, dazu Erfahrung mit Rückzug in alpinem Gelände. Von Antonio wusste ich, dass er diese Erfahrung auch mitbringt, v.a. von seinen unzähligen Bigwalls am El Capitan, ich selbst brachte Erfahrung aus vielen Alpentouren, davon ca. 10 Dolomiten-Routen mit. Die Entscheidung war dann relativ schnell gefallen: Es sah so aus, dass wir ab Mittwoch keine Chance mehr haben werden so ne Route überhaupt noch zu probieren. Und: Es gab da eine Traumroute, die wir beide schon lange machen wollten, die „Moderne Zeiten“, 28 Seillängen, max. 7a, viel 5c-6a, 6 Längen 6a+-6c.  
 
Wir haben uns schnell entschieden die Route in zwei Tagen zu klettern mit ein Biwack in Wandmitte. Nach Recherche im Internet und ein paar Telefonaten hatten wir die nötigen Informationen zusammen, um gut vorbereitet zu starten: Antonio konnte die italienischen, ich die deutschen Quellen anzapfen. Ergebnis war ein Routentopo, welches Infos und Kommentare aus verschiedenen Routenbeschreibungen vereinte. Mit dem Auto um 11:00 Uhr von Uster los, erreichten wir ca. 18:30 Uhr die Malga Ciapela. Nach Auskunft von locals an der Talstation sind wir mit dem Auto noch 2-3 km die Waldstrasse in Richtung Rifugio Falier (eigentlich Fahrverbot) hochgefahren um möglichst nahe an der Hütte zu parken, was viele wohl so machen und auch toleriert wird. Im Schweinsgalopp auf die Hütte empfing uns die Hütttenchefin dann auch noch gegen 20:30 mit einem leckeren Abendessen, Polenta mit frischen Pilzen mit geschmolzenem Käse als Beilage, davor eine reichhaltige Minestrone Verdura - für einen tiefen Verdauungsschlaf war gesorgt. 
 
Auf der Failer Hütte trafen wir zwei Bergsteiger- Seilschaften, die auch tags drauf an die Marmolada wollten, Don Quichotte und Weg durch den Fisch waren ihre Ziele. Die letzten Informationen konnten ausgetauscht bzw. bestätigt werden: die Seilbahn fährt nicht mehr und wenn ist die letzte Talfahrt um frühe 16:15 Uhr, Abstieg über den Gletscher, Abseilen über den Bergschrund von der Punta Rocca nicht nötig, wohl aber über eine Felswand (20m). Die wenigsten schaffen den Ausstieg in einem Tag bis 16:15 Uhr, Abstieg über den Gletscher oder Biwak an der Seilbahnstation, wir waren für beides vorbereitet. Wecker um 5:00 Uhr, Aufbruch um 5:45 Uhr mit gefülltem Wasserbeutel. 4.5 l Wasser, die uns später noch zu schaffen machen sollten. Auf dem Rücken mein grüner 40L EXPED, Antonio mit einem 15L Rucksack - letzterer für den Vorsteiger. 
 
Der erste Tag in der Wand erwies sich dann widererwartend als ziemlich zäh und langwierig: am Einstieg erwartete uns eine schwere Seillänge die normalerweise mit 7A bewertet ist. Es hat sich aber herausgestellt dass ab 15 m Höhe eine grössere Platte (1x1m) ausgebrochen war, was den Durchstieg für einen Moment wirklich ins Unmögliche rückte. Als Antonio (brave heart ) dann den letzten verbliebenen Untergriff in gelbem, porösen Fels noch kurzerhand herausriss, war erst einmal Totenstille. Irgendwie half sich Antonio im Aid-Stil in den linken Fingerriss und kletterte die verbleibenden 20m, 6b+. Er entschied noch die zweite dranzuhängen (6A+), um anschliessend den schweren Rucksack mittels Mini Traction und T-Bloc nachzuziehen. Wir haben danach in Blocks geklettert: Ich habe die nächsten sieben Seillängen im Bereich 5c-6b geführt: wunderschöne ausgesetzte Kletterei meist im oberen sechsten Grad mit tollen Kletterstellen. Allerdings war schnelles Klettern quite tricky: in der Route stecken nur wenige Normalhaken, meist versteckt in Rissen oder Löchern, dazu garniert mit Sanduhrschlingen - mehr oder weniger gut sichtbar. Sprich, die optimale Kletterlinie zu finden braucht Gespür für den Weg des geringsten Widerstands und Einfühlungsvermögen für den Stil des Erstbegehers. Antonio hat die letzten etwa fünf Längen bis zum Band übernommen inklusive der technisch kniffligen „Rigola“, eine 6c Länge mit moralisch anspruchsvoller Plattenstelle gefolgt von einer ausgesetzten 6m langen Wasserrinne die am besten in klassischer Piaztechnik überwunden werden musste. Nach gegenseitigem Mut-Zu-Sprechen konnte Antonio die Länge all-free überwinden, mit grossem Friend (Camelot 3, blau) in der Rigola/Wasserrille. Nach ca. 11 h erreichten wir das grosse Band, wo wir es uns „gemütlich“ machen wollten. Zuvor hiess es noch die erste schwere Seillänge im Grad 6c+ zu fixieren. Morgens früh an Fixseilen aufzusteigen versprach einen effizienten Start in den zweiten Teil der Wand (14 SL), die nochmals mit 3 schweren SL am Ende aufwartete. 
 
Das Biwak war durch unsere Leichtgewicht-Schlafsäcke recht komfortabel, wir verzichteten aber auf den Kocher und knabberten an Salami, Käse und Schweizer Schokolade. - Wecker um 5:45. Tatsächlich stiegen wir nach der Jümar-Länge schnell weiter und erreichten ca. 14 Uhr die oberen SL (6a+, 6b+, 6a+, 6a). Die ursprünglich 4 Seillängen konnte ich zu zwei langen SL verbinden, dank verlängerten Express-Schlingen und guten Sanduhren. Orientierung war schwierig, irgendwie half die richtige Intuition, so dass wir plötzlich bereits um 17 Uhr auf dem Gipfel standen. Wow. Der Pfeiler erwies sich als wirkliches Sahnehäubchen der Tour:  Tolle senkrechte, rauhe Lochkletterei in gelb-grauem Fels, alles in allem gut abzusichern (4-8m Abstände). Im Nachhinein war das Biwak taktisch klug. Wir mussten nicht extrem stressen und konnten die obere, ausgesetzte Kletterei noch mal so richtig geniessen. Ehrlich gesagt hätten wir aber auch nicht viel schneller klettern können, 1-Tages-Begehungen gelten meine Bewunderung. 
 
Nach kurzem Abendbrot sind wir anschliessend in Turnschuhen den Gletscher runtergerannt, mussten steile Gletscherschliff-Passagen absteigen, sind der Gletscherzunge am kurzen Seil gefolgt um am Ende die steile Skipiste runter-zu-traben. Der Meniskus quietschte regelrecht!! Um 20:00 Uhr kamen wir auf dem Passo Fedaia an, Restaurant geschlossen und kein Auto in Sicht. Unser Glück: das erste Auto steuerte ein deutsches Ehepaar aus Lörrach, welches Mitleid mit uns hatte. Egoistisch haben wir die Marmolada Südwand-Geschichte ausgepackt und nach 30min sass ich wieder in unserem Marco Polo an der Malga Ciapela.
 
Routen Facts & Figures
Route: Moderne Zeiten
Exposition: Süd (Mitte September Sonne ab 9:00 am Wandfuss, 19:00 Sonne weg)
Länge: 800m, 28 SL (können auf 20-24 SL reduziert werden durch verlinkte SL)
Gestein: Vorwiegend kompakter, wasserzerfressender Kalk 70-90 Grad steil, unten grau ganz oben gelb mit Löchern. Teilweise brüchige Passagen (stört nicht).
Bewertung: Frei ca. 7a+/7b nach Felsausbruch in 2. Seillänge, 6b+ obligatorisch. 7a Niveau in alpinem Fels nötig, 6a mit 10m runout.
Stände: meist 1-2 Haken, Friend extra.
Material: 60m Doppelseil, Friends 0.2-3 (Camelot-Grösse), 1 Satz Nuts, 6 Kevlars, 5m Kevlar für sicheren Standbau (Cordelette Anchor), TBlocs, evtl. Hammer, 4-5 Schlaghaken (Titan) für potentiellen Rückzug.
Wasser: 1.5 L pro Kopf und Tag.
Zeit: Sehr schnelle Kletterer 12-14h, normal Schnelle eher 14-16h.
Gutes Biwak auf grossem Band in 4 m überhängender Grotte (evtl. Schmelzwasser) schon eingerichtet mit Steinen und einer Mauer - Garant für eine unvergessliche Nacht, Schlafsack nicht vergessen.
Zustieg: 1.5h von Malga Ciapela zur Falier Hütte, Hütte->Einstieg 1:15min
Abstieg: Vom Gipfel Punta Rocca bis Passo Fedaia ca. 2.5h (1 x Abseilen am Gipfelabstieg)
Topo: Kombination aus 3 Topos, Planet Mountain (frz. Bewertung) und zwei italienischen Routen-Topos (UIAA Bewertung, siehe Anhang)
Für Wiederholer (sehr empfohlen!):
https://drive.google.com/uc?export=view&id=1S2CuOJCYo1oAV6CXA6b3MAfoDt1CMoji
 
Historisches:
Moderne Zeiten wurde zwischen Juli (unterer Teil) und September 1982 (oberer Teil) von Heinz Mariacher und Louisa Iovane in freier Kletterei eröffnet, ohne die Wand vorher zu erkunden, Wandfotos hatten sie verwendet. Für Mariacher damals der einzig wahre Stil. Sie haben dementsprechend die Haken im On-Sight Kletterstil geschlagen und sind weiter ins Ungewisse geklettert. Sturz oder Hakenhilfe war ein No-Go, was das Abseilen zur Folge hatte. Nur in der schweren Einstiegslänge hatten sie einen Sturz zu verzeichnen, im sofortigen 2. Versuch gelang der Durchstieg. Aus meiner Sicht mit unglaublichem Spürsinn für den Verlauf der Route haben sie die ideale Linie in dieser sehr unstrukturierten Wand gefunden. 
Heute fordert Moderne Zeiten trotz geschätzter doppelter Anzahl an Schlaghaken immer noch den versierten Alpin-Kletterer heraus. Kein Bohrhaken steckt auf 800m! Ergo: Langzeit-Erinnerungen an eine einzigartige Tour garantiert.
Die erste Wiederholung glenag übrigens den Pfälzern Wolfgang Güllich und Norbert Sander an zwei Tagen im Juni 1983.

Tourengänger: ChrisJung


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Kommentare (1)


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bergteufel hat gesagt:
Gesendet am 5. Oktober 2019 um 21:43
Servus ChrisJung,

ganz starke Leistung. Gratuliere Dir zur Tour. Ihr Beide seid klasse Kletterer.
Auch dein Topo, Respekt, daß du das freigibst.
Erinnert mich an meine jungen Jahre, wenn man viel riskiert und erst in der Situation eine Lösung sucht...
Pass auf dich auf, alles Gute
Rudi


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