Zweimal - und doch Keinmal


Publiziert von rojosuiza , 1. Mai 2016 um 16:15.

Region: Welt » United States » California
Tour Datum:18 April 2016
Hochtouren Schwierigkeit: L
Wegpunkte:
Geo-Tags: USA   US-CA 
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Mount Shasta City, Bunny Flats auf 2100 mit dem Auto erreichbar
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Bunny Flats
Unterkunftmöglichkeiten: Mount Shasta City


Was mit vierzig nicht zu schaffen war, ist  es wohl mit sechzig. Vor etwa zwanzig Jahren versuchte ich, den Mount Shasta in einem Anlauf zu besteigen - und blieb auf 3750 Metern stecken. Jetzt, bevor ich das sechzigste Lebensjahr abschliesse, will ich es noch einmal versuchen. Warum aber soll jetzt gelingen, was damals nicht gelang? - Durch mehr Ortskenntnis - ich war schliesslich schon einmal da - und durch den mit den Lebensjahren immer weiter zunehmenden Verstand - in zwanzig Jahren bringt einer viel zusammen!
 
Der Tag beginnt früh um vier. Das hat die Erfahrung gelehrt; ausschlafen kannst Du am Folgetag. Um fünf steht der Bergheld in Dunkel und Kälte oben auf Bunny Flats, 2100m, abgeliefert von seinem treuen Lebensgefährten und Taxifahrer. Es ist April, in der Ebene kündigt sich schon der kalifornische Sommer an. Bunny Flats ist auf mehr als zweitausend Metern Höhe, aber in welchem Zustand ist der Schnee?
 
Der Schnee zeigt ein paar Stadien. Wir beginnen mit steinhartem Hartschnee. Es geht sich herrlich darauf, bei mässiger Neigung ist das Aufsteigen für rojosuiza eine Kleinigkeit. Dann gibt es Harschschnee. Auch der macht wenig zu schaffen. Ab und zu gibt es Eisschnee. Hier haben Skifahrer ihre Bögen gezogen - und bis rojosuiza gelernt hat, die Zeichen zu lesen und gut aufzupassen, ist er zwei Mal zu Boden gegangen. Glatt ist der Eisschnee, glatt wie Glatteis. Später gibt es den Leicht-Einsack-Schnee, und noch später folgt der Sulzschnee und der Tief-ins-Loch-Schnee.
 
Was fiel mir vor zwanzig Jahren am meisten auf: je höher man steigt, desto weniger ist zu sehen. Zuerst begleitet mich ein einsamer kleiner Vulkan, die Black Butte, dann fállt der zurück, und ich bin allein an meinem Hang. Verstärkt wird alles durch einen Dunstschleier, der bald nur noch den Blick nach oben freilässt. Also sieht man: immer ein Stück Vulkan, rechts und links, und oben, und weiter ist alles weiss. Es bläst ein kalter Wind. Voilà!
 
Was fällt mir jetzt auf? - Wegen der unklaren Schneestabilität habe ich den Grat östlich neben dem 'Avenlanche Gully' gewählt - man will das Schicksal ja nicht gerade herausfordern! - und dieses Mal sehe ich: einfach alles! Denn wer in einem Schlauch läuft, sieht nur den Schlauch; wer aber oben auf einem Grat läuft, der sieht die ganze Welt. Nicht nur gibt es um mich Bergketten sonder Zahl. Aus weiter Ferne grüsst ein mächtiger Vulkan herüber, Mount Lassen wohl - und komme ich einmal oben an, werde ich im Norden noch mehr von den ganz Grossen sehen... Ich blicke nicht nur in den Schlauch des 'Avelanche Gullys', sondern bald auch in die grosse Kuhle des 'Motorschlittenspielplatzes'
 
Das Wetter ist prachtvoll, klare Sicht auf meinen Berg allerweilen.
 
Das letzte Mal bin ich auf 3750 Metern steckengeblieben. Ausrede: gerade Erkältung gehabt, zu spät angefangen, keine Ortskenntnis. Wie geht es dieses Mal? - Ortskenntis für dieses kleine Stück: passabel; Startzeit am Berg: 5 Uhr früh; die letzte Erkältung aus Europa vom kalifornischen Klima längst ausgetrieben. Alles in Butter, gelingt es also jetzt?
 
Gerechnet habe ich mit der Faustregel der 300 hm pro Stunde. Verrechnet habe ich mich damit. Mehr als 200 hm sind nicht drin. Um 12 Uhr etwa stecke ich auf 3350 Metern, also nicht einmal so hoch wie das letzte Mal. Wenn ich in diesem lahmarschigen Tempo weiter hinauf will, noch 1000 Meter hinauf, wird es fünf Uhr, bis ich oben bin. Das ist zum rechtzeitigen Absteigen viel zu spät.
 
Vernunft und Trägheit finden sich, und beschwingt steigt rojosuiza ab. Hier trifft er langsam auf mehr und mehr Triebschnee, auch Lochschnee genannt, und manchmal rutscht er ein schönes Stück ab. In ein tiefes Loch gerät er, als er neugierig ein Moos fotografieren will; die Wärme des Steins hat ihm eine Falle gelegt. Unten verhaut er sich ein wenig mit der Richtung. Während oben alles sonnenklar ist, die Richtung zum Gipfel immer dem Grat nach, und nach unten auf Sicht Richtung 'Bunny Flats', gerät man im Abstieg schliesslich in ein Gewirr von Bäumen - und nur das moderne Telefon behütet einen davor, ganz vom Kurs abzukommen.
 
Vor drei ist rojosuiza unten beim Parkplatz von 'Bunny Flats'. Er steht mitten zwischen amerikanischen Autobergsteigern, ein Besucher aus einer anderen Welt.
 
Was hat es nun aber mit  dem Motorschlittenplatz auf sich? So habe ich die grossen Kuhle im Gelände getauft, in der Skifahrer tausend Bögen gezogen haben. Skifahrer? Skifahrer, die auch Bergauf fahren können. Beim zweiten Blick auf die Spuren erschliesst sich das Geheimnis: hier ist ein Lustrennplatz für Motorschlitten. Hinauf und hinab, herum und herüber geht's, manches abenteuerliche Manöver mit den Geländeformen hat hier stattgefunden. rojosuiza ist kein wahrer Freund der Montorisierung der freien Wildbahn, aber lächeln muss er doch beim Anblick der Spuren des homo ludens mechanicus. Später, am Nachmittag bekommt er dann ein Muster der Gattung zu sehen. Stecknadelkopfklein zieht der seine Bahnen, mit Geratter und Geknatter. In Stille war die Sache poetischer...
 
Misslungen ist Mount Shasta also auch im zweiten Versuch. Ist also alles vergebens gewesen? Was soll's, sagt sich der Bergheld, und er ist glücklich. Er hat viele neue Bilder im Kopf,  und durch den rechtzeitigen Abbruch ist er keineswegs zu erschöpft, um im Dorf  'Mount Shasta' auf Jagd nach den Cappuccino-Quellen zu gehen...

Bewertung der Schwierigkeit: L. Das wäre es wohl auch, wenn man es denn wenigstens nach oben geschafft hätte. Die 2200 hm sind nicht zu unterschätzen, in Schnee und Eis. Später im Jahr ist mit einer Affenhitze zu rechnen.
 

Tourengänger: rojosuiza
Communities: Alleingänge/Solo


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Kommentare (6)


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lampbarone hat gesagt:
Gesendet am 4. Mai 2016 um 16:48
Na 17 Uhr am Gipfel, da wärst Du doch in guter Gesellschaft ;)

Grüße vom Taschenlampenbiwakbaron

rojosuiza hat gesagt: RE:
Gesendet am 4. Mai 2016 um 22:51
Haha, Taschenlampenbiwakbaron!

In guter Gesellschaft, oder allein, wie auf dem Teide...

Nein, dieses Mal ist die Klugheit bei mir eingerissen - und den Taxifahrer böse, machen, ich kann's mir nicht leisten...

lampbarone hat gesagt: RE:
Gesendet am 4. Mai 2016 um 23:19
OK, an den Taxifahrer hab ich nicht gedacht, den muss man natürlich respektieren. Meine Pferde im Tal warten geduldig auf mich und machen sich nicht einmal Sorgen, wenn ich erst nach 3 Tagen wieder unten bin ;)

Aber zugegeben, es wäre da oben wohl auch recht ungemütlich kühl geworden. Und 2200 m Aufstieg sind ein hartes Brett.

rojosuiza hat gesagt: RE:
Gesendet am 5. Mai 2016 um 00:01
Ja, Biwakbarone,

ein Biwak wäre kein Zuckerschlecken gewesen...

Aber immerhin: die Stirnlampe war wenigstens dabei, da hätte man auch nachts marschieren können.

lampbarone hat gesagt: RE:
Gesendet am 21. Januar 2020 um 00:24
Wo ich das gerade wieder lese und gefühlte 30 mittel- bis eiskalte Gipfelbiwaks später (inzwischen häufiger als die Stirnlampenvariante), hätte es denn im Aufstieg einen vor Lawinen und Maschinenskifahrern gesicherten flachen Platz gegeben, wo man seinen Schlafsack entrollen kann?
Gab es zu dem Zeitpunkt andere Wanderer, die vom Gipfel entgegen kamen?

Ich würde sagen, in weiteren 20 Jahren, mit dann noch mehr Weisheit und Erfahrung packst Du es.

rojosuiza hat gesagt: RE:
Gesendet am 23. Januar 2020 um 10:56
Ein Platz im Tiefkühlraum dort oben? - Kein Problem. Keine anderen Leutchen oben gesichtet, ausser die eine wilde Hornisse - aber dieser Motorschlittenfahrer war schon tiefer... Ob der Achtzigjährige sich aber einmal hinaufschwingt, wo der Vierziger und der Sechziger scheiterten...


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