Alle sechs Extrempunkte von Sylt NF


Publiziert von quacamozza , 8. September 2015 um 16:35.

Region: Welt » Deutschland » Norddeutsches Tiefland
Tour Datum:16 August 2015
Wandern Schwierigkeit: T1 - Wandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: D 
Zeitbedarf: 4 Tage
Aufstieg: 250 m
Strecke:Westerland-Hörnum-Südpunkt-Westpunkt-Hörnum (22 km); Kampen und Uwe-Düne-Runde (10 km); Morsum-Kliff-Ostpunkt-Westerland (27,5 km); Ellenbogen-Runde (14,2 km)
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Ewig lange Autofahrt oder ewig lange Zugfahrt: ICE nach Hamburg-Altona; weiter mit der NOB nach Westerland
Kartennummer:Baedeker Sylt / Amrum / Föhr 1:40 000

"Es ist zwar etwas teurer, dafür ist man unter sich..."

Auch über 25 Jahre nach Veröffentlichung des Ärzte-Kultsongs "Westerland", der alljährlich zu Ferienbeginn als Urlaubseinstimmung in vielen Radiosendern rauf- und runtergenudelt wird, hat diese Textpassage völlige Gültigkeit.

Das Lebensgefühl des ungezwungenen Lockerseins mit Stil in Verbindung mit der guten Meeresluft - das macht Sylt aus.
Neben der nördlichsten Stadt Deutschlands verbindet man vor allem die ebenfalls kultige Sansibar, im Grunde nur eine einfache Strandbude, den teuersten Ort Deutschlands (Kampen) und die seit Brigitte Bardot-Zeiten hohe Prominentendichte mit der Insel.

Natürlich braucht man für einen längeren Urlaub oder gar einen Wohnsitz den passenden Geldbeutel. Auch für ein angemessenes Kraftfahrzeug mit sechsstelligem Euro-Wert muss man sich hier nicht schämen. Aber ist man einmal auf der Insel mental und finanziell angekommen, steht dem "Dazugehören" nichts mehr im Weg.

Doch Sylt hat mehr zu bieten als Luxusboutiquen, Sternerestaurants und überhöhte Preise. Im AV-Führer Allgäuer Alpen wird das über 800 Kilometer Luftlinie entfernte Sylt zu Recht erwähnt, denn mit dem Allgäu hat es die Existenz eines Extrempunkt Deutschlands gemeinsam. Hier der nördlichste, dort der südlichste Punkt des Staatsgebietes.
Also müssen wir uns das doch alles mal aus der Nähe anschauen. Die Berge erreichen zwar keine schwindelerregenden Höhen, im Vergleich ist jeder Sauerländer Buckel eine Expeditionstour, aber dafür wird man bei unzähligen "hikr-Erstbesteigungen" (proll, protz...) nicht von der internen Konkurrenz gestört.
Auf der anderen Seite reichen die teils schier endlos erscheinenden Treppenstufen (nicht umsonst steht am Westerländer Strand die "Himmelsleiter") in Verbindung mit starkem Wind vollkommen aus, um den einen oder anderen gehörig ins Schnaufen zu bringen oder gar, etwa wegen akuten Schwindelanfällen, zur Umkehr zu bewegen. Es ist also ein ernstes Ambiente, in dem ich mich aufhalte. 



Kommen wir aber nun zum Thema, den sechs Extrempunkten der schönen Insel. Die sind zunächst mal von den Sex-Extrempunkten und von den sechs Ex-Extrempunkten (die Insel sah nämlich nicht immer so aus und wird sich, nebenbei bemerkt, auch in Zukunft rasch verändern) zu unterscheiden.


Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, die Extrempunkte überhaupt genau zu lokalisieren, denn zum Beispiel der westliche Extrempunkt befindet sich sehr nahe an der Südspitze. Das sehen die Tourismusmanager, die Sylt gerne eine aufrechte statt einer nach rechts abfallenden Form (wirkt negativ und depri, passt also nicht zum Image) verpassen, naturgemäß anders. Damit würde sich das begehrte Ziel viel weiter im Norden befinden. So syltig geht es in der Realität aber nicht zu.

Im Osten der Insel ist es schwer zu beurteilen, wo der zum Festland führende Hindenburgdamm aufhört und das Inselgebiet anfängt. Die feuchten Wiesen nördlich der Bahntrasse sind jedenfalls sowohl tatsächlich als auch rechtlich unzugänglich. Da bietet es sich eher an, in einer abgestimmten Sekunde aus dem Fenster der Nordostseebahn zu schauen, um diese bedeutende Stelle im Tourenbuch besinnlich-feierlich abzuhaken.

Da es auf Sylt keine Stellen gibt, die unter dem Meeresspiegel liegen, sind demnach alle (also unendlich viele) Punkte am Nordseeufer als zugängliche Tiefpunkte geeignet.
Der sozusagen tiefste Tiefpunkt im Landesinneren befindet sich im Rantumbecken, in das man aber leider nicht hinabtauchen darf, da hier wegen des Vogelschutzes nicht gebadet werden darf. Die Umrundung des Beckens ist freilich möglich, allerdings auf einem Damm, das heißt also nicht mehr auf Meeresspiegelhöhe. Warum pumpen die hier eigentlich nicht mal das Wasser ab, damit ich meinen Extrempunkt aufsuchen kann?



1.
Wir sind auf einer Bergsteigerseite, und da bietet es sich an, mit dem höchsten Punkt anzufangen, auch wenn ich an den ersten Tagen als Einstimmung aus Respekt doch lieber andere Ziele ansteuerte.
Die Uwe-Düne ist abschreckende 52,5 Meter hoch. Benannt ist sie nach Uwe-Jens Lornsen, dem Vorkämpfer für die Unabhängigkeit Schleswigholsteins, ja: richtig geschrieben, von Dänemark.....Die letzten 30 Höhenmeter sind mittels 110 steiler Stufen zu erreichen. Bei diesem friesisch-herben Aufstieg werden nach einem Anmarsch von mindestens einem Kilometer über den mühsamen Sand des Geestkerns konditionelle Defizite schonungslos offenbart.

Oben wird man mit einer nach allen Seiten abgesicherten Aussichtsplattform, Bänken und zumeist jeder Menge Leute konfrontiert. Für die lehrreichen geologischen Hinweise haben die meisten nichts übrig.
Häufig schieben sich beim Kameraauslösen im letzten Moment Gesichter oder Füße in das vermeintlich perfekte Foto, oder der Wind frischt plötzlich so stark auf, dass alles verwackelt.

Bei guter Sicht und während der allgemeinen Nahrungsaufnahmezeiten des Massentourismus ist das hier eine außergewöhnlich schöne Location. Letztes Jahr war ich zum Sonnenuntergang alleine oben. So schön, billig und natürlich kann Sylt sein. Westlich auf See in 32 Kilometern Entfernung liegt der große Offshore-Windpark Butendiek. Eine beeindruckende Silhouette. Das ist zwar natürlich nicht natürlich. Aber der Windpark soll ja wirklich nur ganz selten für "Sichtbeeinträchtigungen" sorgen. Und für Störungen der Schweinswale natürlich auch nicht.


2.
Das ehemals beschauliche Hörnum im Süden der Insel erreiche ich zünftig mittels eines gut 17 Kilometer langen Dauerlaufs von Westerland auf dem neben der Straße verlaufenden Radweg. Landschaftlich ein völlig uninteressanter "Anmarschweg". Es geht an Campingplätzen und zig Parkplätzen der Strandbuden vorbei. Zwischendrin kilometerlange schnurgerade Asphaltstrecken, auf denen man hin und wieder von hinten vom Geklingel der Leihfahrräder aufgeschreckt wird. Meistens fahren die dann ungefähr 2 Stundenkilometer schneller als ich laufe.
Aber da eine vorherige Anfahrt mit dem meist überfüllten Bus (mal abgesehen von der Notwendigkeit des krampfhaften Festhaltens an Haltegriffen, bei dem bestimmte Armmuskeln über Gebühr in die Mangel genommen werden) nicht gerade eine sportliche Alternative darstellt...auch wenn laufen ziemlich exotisch ist...aber dann in Hörnum...dann kommen die Attraktionen im Minutentakt.

Kegelrobbe Willi wartet am Hafen auf Heringe, die die Touristen ins Hafenbecken werfen. Es sind Berge von Heringen, die verfüttert werden. Berge...merkt Ihr was? Hier geht's um Berge...deswegen erwähne ich das am Rande.

Der Weg zur Südspitze der Hörnum-Odde (eine Odde ist eine schmale, ins Meer ragende Landzunge), also zum südlichsten Punkt von Sylt, ist 2 Kilometer lang. An Anfang riecht's noch nach Fisch, Fritten und Currywurst, später kommt dann der Geruch der eigenen Billigsonnencreme besser zur Geltung.
Am besten, man wandert entlang des Strandes und blickt auf den Horizont, wo die Nachbarinseln Amrum und Föhr liegen. Diese Sicht...das "macht was mit einem".
Nur wenige 100 Meter weiter wird an der Strandsauna der westliche Extrempunkt erreicht. Nichts deutet auf diese so wichtige Stelle hin. Ohne GPS würde man glatt vorbeilaufen. Das müsste sich doch auch noch irgendwie vermarkten lassen...man muss nur das Potenzial erkennen.

Stattdessen trifft man an der Westküste auf sogenannte Tetrapoden. Tetrapoden sind große Betonblöcke, die der Kraft des Wassers entgegenwirken sollen, welches sich immer mehr Land von der West- und Südseite nimmt. Allerdings ist ihr Einsatz nur auf festem Untergrund sinnvoll, also hier gerade nicht. Nun liegen sie eben herum. Für Bergsteiger bleiben sie aber interessant, weil sie bestiegen werden können. Und dafür sind mindestens eine gute Dreipunkthaltung und Schwindelfreiheit notwendig. Wer eine Tetrapode ersteigt, darf sich auch an hohe Dünen und steile Deiche heranwagen. Wobei bei Deichen noch Erfahrung im Steilgras und im korrekten Verhalten gegenüber Schafherden vorhanden sein sollte.


3.
Die vielen Tiefpunkte stehen einem effizienten Marketing nicht im Wege. Im Gegenteil: Ohne Meer(eshöhe) und Inselatmosphäre geht nichts.
Besonders schön sind die Kliffs, vor allem das Rote Kliff bei Kampen nahe der Uwe-Düne (vom Geestkern sehr anspruchsvoller Abstieg, T 3; auf Warnschildern wird vorsorglich auf die Absturzgefahr hingewiesen) und auf der Nordostseite der Insel das Morsum-Kliff mit drei verschieden farbigen Gesteinsschichten aus unterschiedlichen Erdzeitaltern (Glimmerton, Limonit und Kaolin), die an der Oberfläche zutage treten und in dieser Form in Deutschland nur hier vorkommen.

Eine Runde um das Rantumbecken ist 10 Kilometer lang, natürlich auch schon vermarktet ("Rantum-Run") und ideal zum Radeln oder Joggen, wenn man sich nicht von Hunderten Freizeitradlern abschrecken lässt.


4.
Wie erwähnt liegt der östlichste Punkt der Insel dort, wo der Hindenburgdamm anfängt, also gerade mal 10 Kilometer Luftlinie entfernt von der Westküste. Auf meiner Erkundungstour habe ich mich von der östlichsten Ortschaft Kleinmorsum nach Besuch des Morsum-Kliffs noch einige Kilometer weiter auf einem Feldweg in Richtung Hindenburgdamm vorgetastet. Hier ist Sylt total ausgestorben. Keine Ausflugslokale, nur vereinzelt Radler, die sich verfahren haben. Langsam fühle ich mich als Abenteurer.

Bis kurz vor Inselende befindet man sich mitten im "Nordic Walking Park Sylt". Dessen Ausstattung muss man allerdings als puristisch bezeichnen. Der ursprüngliche, überaus holprige Charakter der Wege wird auch durch kleine Schilder am Wegesrand nicht nennenswert aufgewertet. Und Wegepflege, Motivationshilfen oder gar Beleuchtung....Fehlanzeige. Das ist doch keine Luxusinsel. Nur Werbung (in diesem Fall von einem Herzfrequenzgerätehersteller), die geht immer. Doch auch die sylteigene Werbung polar isiert. "Auf Sylt werden die Höhenmeter in Sandtiefen gemessen". Was braucht man also als Bergsteiger Berge?

Nachdem man ein Dammwärterhaus hinter sich gelassen hat, erreicht man bald darauf eine Schranke mit Verbotsschild (Beginn des Hindenburgdamms). Es sind allerdings noch einige hundert Meter, die man parallel unter der Bahntrasse entlangwandern könnte, bevor die Insel endgültig in den Damm übergeht. Doch damit ist man immer noch nicht am östlichen Ende. Dieses liegt nämlich auf der nördlichen Seite der Bahntrasse am Ende feuchter Wiesen und Wasserkanäle etwa 800 Meter von meinem Umkehrpunkt entfernt. Zu Fuß unerreichbar. Ich muss kapitulieren. Dieses Projekt ist einfach zu ambitioniert. In Zukunft werden wieder kleinere Brötchen gebacken.


5.
Der Ellenbogen ist eine Halbinsel im Norden von Sylt und gleichzeitig der nördlichste Teil Deutschlands. Somit liegt dort auch der nördlichste Punkt von Sylt. Dieser liegt am schönen Strand und erfordert einen soliden Fußmarsch.

Über einen sogenannten Isthmus ist der Ellenbogen mit dem restlichen Teil der Insel verbunden. Auf der anderen Seite liegt nur vier Kilometer jenseits des Lister Tiefs entfernt die dänische Insel Römö.

Man kann auf einer gebührenpflichtigen Straße bis kurz vor die Ellenbogenspitze fahren. Sollte man aber nicht. Viel eindrucksvoller ist es, wenn man den Ellenbogen zu Fuß umrundet. Dabei kommt man mit dem an sonnigen Tagen starken Kfz-Verkehr nicht ein einziges Mal in Berührung.

Die komplette Ellenbogen-Runde dauert bei gemütlichem Tempo etwa 3 Stunden. Dabei sind knapp 15 Kilometer Wegstrecke zurückzulegen. Eine sehr empfehlenswerte Runde mit wechselnden Eindrücken von rauer See und Wattenmeer.

Die zwei Hauptgipfel von Sylt habe ich bestiegen. Die anderen gut 50 Gipfel über 15 Meter Höhe warten noch...das nächste Extremprojekt kann kommen.


  




Tourengänger: quacamozza


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Kommentare (2)


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stkatenoqu hat gesagt: Gratuliere!
Gesendet am 8. September 2015 um 17:05
Danke für den tollen Beschrieb dieser berühmten Insel! Irgendwann sollte ich auch dorthin, der nördlichste Punkt Deutschlands wartet.

Viele Grüsse

Gerhard

quacamozza hat gesagt: RE:Gratuliere!
Gesendet am 9. September 2015 um 10:58
Hallo Gerhard,

danke schön für Deine Zeilen.
Ich habe vor meinen Besuchen nicht gedacht, dass es auf dieser Insel so abwechslungsreich und chillig ist.

Beim Sammeln von Extrempunkten muss ich mir allerdings noch viel Erfahrung aneignen. Da bist Du schon wesentlich weiter...aber es gibt ja selbst in der Nordsee noch jede Menge Inseln, die erkundet werden wollen...

Grüße zurück
Ulf



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