Zur Quelle der Töss und durch die Eishöhle in der Tüfelsmüli


Publiziert von Delta Pro , 28. Mai 2008 um 07:34.

Region: Welt » Schweiz » Zürich
Tour Datum:24 Mai 2008
Wandern Schwierigkeit: T5+ - anspruchsvolles Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: Zürcher Oberland   CH-SG   CH-ZH 
Zeitbedarf: 3:15
Aufstieg: 1150 m

 
Eine schnelle und abenteuerliche Tour im wildesten Winkel des Tössberglandes an einem grauen Morgen
 
Alpin-Begehungen im Tössbergland führen entweder durch Wände und über Grate oder durch die wilden Nagelfluhschluchten. Bis jetzt sind noch wenig reine Schluchtbegehungen auf hikr.org beschrieben – dies soll sich hiermit ändern! Routen durch Tobel sind nicht ganz so aussichtsreich wie Wandaufstiege und meist kommt man auch nicht ohne nasse Füsse durch. Dafür erlebt man die Welt der Wasserfälle und die Kraft der Erosion hautnah mit.
 
Das Tösstobel (inoffizieller Name) ist wohl eine der wildesten (begehbaren) Schluchten des Tössberglandes. Das Tobel führt vom Einstieg bei Pt. 857 hinter der Tössscheidi über eine Strecke von etwas mehr als einem Kilometer zur Quelle der (Hinteren) Töss und dann hinauf in den Sattel zwischen Dägelsberg und Schindelegg. Das Tobel kann in seiner ganzen Länge begangen werden, wobei man mit nassen Schuhen, Schlamm an den Händen und Schwierigkeiten im T5-Bereich rechnen muss. Die Wände treten teilweise so nahe zusammen, dass man nur mitten in den Wasserfällen selbst aufsteigen kann. Deshalb ist die Route nur bei relativ geringer Wasserführung der Töss zu machbar – oder wird sonst zur veritablen Canyoning-Erfahrung. Die Begehung des Tösstobels ist nicht ungefährlich, da es in den Tiefen der Schlucht keine Möglichkeit gibt, Hilfe anzufordern. Bei meiner Erstbegehung der Route am 31.5.2002 war es mir tatsächlich einigermassen unwohl und ich stellte anschliessend meine Touren im Tössbergland zwischenzeitlich ein.
 
Meine anschliessende Runde durch die unvergleichliche Tüfelsmüli erlaubte ein fürs Züri Oberland einmaliges Erlebnis – das Begehen eine Eishöhle. Der „Gletscher“ – der grosse Lawinenkegel am Grund der Tüfelsmüli – ist im letzten Monat stark zurück geschmolzen und der Wildbach hat einen rund 40 Meter langen Tunnel unter den verfestigten Schneemassen heraus gefressen. Das ganze Schneefeld konnte somit unterquert werden. Dies ist wohl nur während einiger Tage und wohl bei weitem nicht jedes Jahr möglich – ein unvergessliches Erlebnis!
 
Aufgrund weiterer Pläne an diesem Samstag starte ich schon um 5.00 in Chamm (beim Atzmännig). Der Einstieg zum Tösstobel kann von dort in zügig marschierten 20 Minuten erreicht werden; das ist viel schneller, als wenn man über die Tössscheidi kommt. Zuerst auf die Hand, der Pass, an dem sechs (!) Wege sternförmig zusammenlaufen (gibt’s sonst wohl nur am Arc de Triomphe in Paris). Kommt man von Chamm über den „Unterarm“ auf die Hand (Ortsbezeichnung), wählt man den Mittelfinger für den Weiterweg. Kurz darauf bei einer Verzweigung links und auf dem verwachsenen Forstweg gegen die idyllische Ebene des Ribelbodens. Auf einem steilen Sporn (guter Gemspfad) erreicht man direkt den Beginn des Tösstobels (Pt. 857, Kehrplatz des Forstweges von der Tössscheidi).
 
Ein Haupthindernis wartet gleich zu Beginn – und übernimmt somit die natürliche Selektion. Nach wenigen Metern versperrt eine nur 3 Meter hohe, aber durchgängig überhängende Nagelfluhstufe mit einem Wasserfall den Weiterweg. Bis ins Jahr 2003 war diese Passage über einen aufgestellten und mit einem Beil eingeritzten Baumstamm zu meistern. Nicht ganz unerwartet ist der Baumstamm jetzt weg und ich stehe wie der Esel am Berg. Auch mit Springen ereiche ich die herabhängenden Wurzeln nicht. Die Umgehung der Stufe ist über ein linksseitiges, abschüssiges Grasband möglich. Bei Nässe nicht trivial; Abrutschen ist hier zu vermeiden! Am oberen Rand des Bandes geht’s aber recht gut (Trittspuren, einzelne Wurzelgriffe, T5). Anschliessend alles im wunderschönen Bachbett aufwärts. Den zahlreichen, kleinen Wasserfällen weicht man abwechslungsweise links oder rechts aus. Nach wenigen Minuten erreicht man einen der idyllischsten Biwakplätze des Tössberglandes. Der Fluss hat eine geräumige Höhle unter einer Nagelfluhwand geschaffen. Diese ist mit einer Feuerstelle und allerlei Krimskrams ausgestattet. Hier lässt sich’s leben! Man erreicht die Höhle auch einfacher über den Ribelboden (Pfadspuren, der Einstieg ist von oben jedoch nicht einfach zu finden).
 
Weiter durch den Grund des eindrücklichen Tobels. Die Schwierigkeiten nehmen jetzt zusehends ab, die Schlucht öffnet sich immer mehr und man erreicht eine Verzweigung. Hier wählt man den linken Bachlauf, der sich bald durch eine rund 50 Meter lange, nur ca. einen Meter breite Felspassage zwängt. Diese war heute mit Schwemmholz gut verstopft, so dass man trockenen Fusses durchkam. Die anschliessenden Wasserfallstufen werden meist gegen rechts umgangen und man erreicht das Haupthindernis, eine rund 15 Meter hohe Wand. Links des Wasserfalls scheint es eine Möglichkeit für eine Durchsteigung zu geben (70°, seichte Graspolster auf Nagelfluhfels, nach ca. 7 Meter erste Griffe). Wahrscheinlich was für die wilderen Tössbergland-Begeher. Ich umgehe den Wasserfall grosszügig gegen rechts (Gemspfade).
 
Die nächste Felsstufe kann nicht umgangen werden und ist die Schlüsselstelle des Aufstiegs. Drei ca. 4 Meter hohe Stüfchen müssen direkt im Bach erstiegen werden, Ausweichmöglichkeiten gibt es in der engen Schlucht keine. Die Schwierigkeiten sind stark von den Verhältnissen abhängig. Bildet das Schwemmholz eine gute „Treppe“ ist man schnell oben, gibt es kein Schwemmholz ist es schwierig oder unmöglich. Vor sechs Jahren habe ich hier geraume Zeit aus Ästen Leitern gebastelt. Heute war alles perfekt; die Äste standen treppenförmig im Wasserfall. In der jetzt steileren, aber einfachen Rinne erreicht man einen Wanderweg, der gequert wird, und steigt zu den Ausstiegs-Aufschwüngen des Tösstobels hoch. Die Ähnlichkeit mit der Tüfelsmüli ist hier frappant. Ein mit Dreck gefüllter Riss in der mässig steilen Nagelfluhwand erlaubt den Aufstieg bis auf ein Erdband. Weiter gerade hoch scheint mir nur bei idealen Verhältnissen sinnvoll. Ich bin an guten Wurzelgriffen gegen links hinausgequert. Dann in wenigen Minuten auf den Schindelberg. Man plane genug Zeit für die Durchquerung des Tösstobels ein – ich habe mit Ortkenntnissen und zügigem Marschieren eine Stunde vom Einstieg benötigt.
 
Der zweite Teil der Tour folgt der Route vom 27. April dieses Jahres und wurde im Schnellzugstempo abgespult. Nach einer Viertelstunde bin ich über Schindelberg NW unten in der Tüfelsmüli und erfreue mich an den Resten des Schneefeldes. Das „Gletschertor“ schaut riesig aus und verschluckt jeden Wanderer! Ich habe die einzigartige Gelegenheit durch eine Eishöhle im Tössbergland zu wandeln! Wer hätte das erwartet? Da es eh gerade zu regnen beginnt, ducke ich mich in den ersten, rund 10 Meter langen Schnee-Tunnel, das vom Bach ausgehöhlt wurde. Der zweite Tunnel von über 40 Meter Länge ist schon abenteuerlicher. Es wird kalt, dunkel, nass und vor allem dreckig unter dem Tüfelsmüli-„Gletscher“! Ich folge alles dem „unterirdischen“ Bach, habe in der Dunkelheit einige Stufen zu überwinden und erfreue mich am teils mehrere Meter breiten und hohen Hohlraum unter dem Eis. Der Ausstieg aus dem Tunnel erfordert Kraxelei. Nachher geht es zügig durch die regennasse, aber trotzdem geniale Tüfelsmüli-Rinne in die Höhe. Ich verfolge sie diesmal bis ans Ende. Nach dem Ausstiegsband geht’s doch nochmals recht steil bergauf. Da es aber immer wieder passable Wurzelgriffe hat, liegt die Direktvariante im grünen Bereich. Vollgas rauf aufs Schnebelhorn und über Schindelberg, Rossberg und Habrütispitz in drei Viertelstunden zurück nach Chamm.

Tourengänger: Delta


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Kommentare (3)


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ossi hat gesagt: Hach......
Gesendet am 28. Mai 2008 um 18:50
Ich könnte heulen vor Glück!! Das mit dem Canyoning fiel mir auch schon ein, Du bist mir aber wiedermal eine Nasenlänge voraus. Traurig, denn auch bei meinem Projekt Palfries-Chammegg-Gauschla steht der Alpin Rise in den Startlöchern, und der hat sogar Heimvorteil.

Gruss Euch beiden
ossi

ullr hat gesagt: Erstmal...
Gesendet am 1. Juni 2015 um 19:56
ein Danke an Delta, Ossi und alle Anderen, welche hier auf hikr die 1A-Beschreibungen von genialen Touren publizieren. Ein wahrer Fundus, eine super Website...
Zur obigen Tour: Wir haben diese gestern nachgekraxelt, ein Traum! Zu den momentanen Verhältnissen: Im Tösstobel haben wir so ziemlich genau dieselben Verhältnisse angetroffen, wie Delta vor 8 Jahren ;) Sowohl die Verengung nach der Abzweigung als auch die Schlüsselstelle mit den 3 Stufen waren gut mit Schwemmholz gefüllt, sodass hier keine Probleme für den Aufstieg bestanden und es ein reiner Genuss war. Nach der Gipfelrast auf der Schindelberghöchi machten wir uns an den Abstieg in die Tüfelsmüli, dank der guten Beschreibung haben wir den Einstieg problemlos gefunden... Nun kommt jedoch der grosse Unterschied zu der Tour anno 2008: Vom Schneefeld, geschweige denn dem Gletscher, weit und breit keine Spur. Das liegt sicherlich an dem eher schneearmen Winter und auch, dass das Jahr schon etwas weiter fortgeschritten ist. Mit den zunehmend milden Wintern werden die Schneefelder wohl aber immer früher verschwinden. Trotz dieser Enttäuschung als Schneefan, ist die Tüfelsmüli nichtsdesttrotz sehr eindrücklich und immer einen Besuch wert! Der Aufstieg gestaltet sich jedoch etwas schwieriger durch die fehlenden Schneefelder. Bestimmt machbar, aber da wir nicht genau wussten, ob noch mehr, möglicherweise unüberwindbare Nagelfluhstufen weiter oben auftreten, sind wir nach ca. einem Drittel des Aufstieges nach rechts ausgestiegen. Dann am Schluchtrand im steilen Bergwald hoch zur Meiersalp (sehr zu empfehlen, ein Bijou!). Die Tüfelsmüli werden wir das nächste Mal bestimmt früher besuchen! Hoffentlich mit Gletschertor... ;)
Grüsse und nochmals besten Dank für die Inspirationen!
ullr

Delta Pro hat gesagt: RE:Erstmal...
Gesendet am 2. Juni 2015 um 12:41
Es freut mich, dass wieder mal jemand den Weg in die Tüfelsmüli gefunden hat - meiner Ansicht nach immer noch die schönste Trouvaille im Tössbergland. Dass dort bis Ende Mai Schnee liegt dürfte wohl schon nur in aussergewöhnlichen Jahren vorkommen.
Gruss Delta


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