Munro-Aufgalopp im schottischen Sauwetter: Ben Lui (1130m) und Beinn a‘ Chleibh (916m)


Publiziert von highpointa , 31. Mai 2013 um 23:26.

Region: Welt » United Kindom » Schottland
Tour Datum:10 Mai 2013
Wandern Schwierigkeit: T3+ - anspruchsvolles Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: GB 
Zeitbedarf: 5:30
Aufstieg: 1152 m
Abstieg: 1152 m
Strecke:10,3 Km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Von Glasgow über die A82 bis nach Crianlarich, weiter über die A85 nach Tyndrum und ins Glen Lochy. Der Parkplatz ist etwa zehn Kilometer von Tyndrum entfernt.
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Siehe Ausgangspunkt.
Unterkunftmöglichkeiten:Crianlarich Youth Hostel, Station Road, Crianlarich FK20 8QN, Tel.: 01838 300260, email: crianlarich@syha.org.uk. Die Youth Hostels der SYHA sind in Schottland generell empfehlenswert. Mehr Info unter: http://www.syha.org.uk

Ein gemütlicher erster Tag in Schottlands faszinierender Bergwelt sollte es werden, mit zwei der begehrten Munros (in Fuß gemessene 3.000er, entspricht 914,4 Metern) zum Preis von nicht mal 11 Kilometern Strecke bei knapp 1.150 Höhenmetern. So billig kriegt man die nicht überall. Aber typisch schottisches Sauwetter verwandelt den vermeintlichen Spaziergang schnell zur unerquicklichen Asselei.
 
Bewölkt war es schon seit unserer Abfahrt am Morgen vom Flughafen in Glasgow, wo wir den Mietwagen aufgesammelt haben. Ben Lomond, der südlichste Munro, grüßte nur kurz in voller Pracht und ward dann nicht mehr gesehen – ebenso wenig wie die zahlreichen anderen Munros, die sich nahe Crianlarich um die A82 scharen, dem Einfallstor in die südlichen Highlands. Von hier lässt sich üblicherweise schon durchs Autofenster so manche imposante Berggestalt bewundern. Heute aber nicht. Die Wolken hängen tief. Graue Ursuppe, wohin man auch schaut.
 
Am Parkplatz im Glen Lochy angekommen dasselbe Bild. Wir sind nicht mal richtig aus dem Auto gestiegen, als sich prompt die beeindruckenden Nordabstürze des Beinn a‘ Chleibh und der Gipfelaufbau des Ben Lui gemeinsam in den Nebel verabschieden, noch ehe wir ein aussagekräftiges Foto schießen können. Und zu allem Überfluss fängt es just im selben Moment auch noch wie bestellt zu nieseln an.
 
Das Glen Lochy als Ausgangspunkt hat gegenüber der Ben Lui-Standardroute von Dalrigh zwei enorme Vorteile: Zum einen ist die zu bewältigende Wegstrecke gerade mal halb so lang. Und weil zum anderen der Beinn a‘ Chleibh die westliche Verlängerung seines großen Bruders bildet und damit in entgegengesetzter Richtung von Dalrigh liegt, lässt er sich von dort auch nur mit weiteren sechs Kilometern Aufschlag und reichlich Backtracking mitnehmen.
 
Zwei substantielle Nachteile gibt’s freilich auch, und zwar gleich zu Beginn der Tour: Erst einmal will unmittelbar hinter dem Parkplatz der namensgebende River Lochy überquert werden. Das geht auch bei moderatem Wasserstand wie heute nicht gänzlich trockenen Fußes. Hier bewähren sich Plastiksandalen, die wir extra zu diesem Zweck eingepackt haben und vorübergehend gegen die Bergstiefel tauschen. Knietief waten wir durch eiskaltes Wasser und stehen sogleich vor dem nächsten Hindernis, der durchs Glen Lochy führenden Bahnstrecke. Einfach rüber machen ist nicht: Der Schienenstrang ist umzäunt und ein Warnschild informiert, dass das Betreten der Gleise illegal ist und mit Geldstrafen von bis zu 1.000 Pfund Sterling geahndet werden kann. Rechterhand, wo die Trasse den von den Hanglagen abfließenden Eas Daimh an seiner Mündung in den Lochy überquert, führt der "offizielle" Weiterweg unter der kleinen, arg niedrigen Bahnbrücke durch, aber das scheint uns angesichts zu starker Strömung, zu tiefen Wassers und offenbar sehr rutschigem Untergrunds ein bisserl zu tricky. Wir ziehen die Boots wieder an und klettern statt dessen sehenden Auges in die Ordnungswidrigkeit und über den Zaun.
 
Im Wald auf der anderen Seite beginnt der eigentliche Aufstieg in Richtung des Talkessels Fionn Choirein. Ein Trampelpfad zieht zunächst gemächlich Höhe gewinnend nach oben. Objektiv ist das leichtes Terrain, aber wir lernen schnell, dass es dennoch volle Aufmerksamkeit erfordert. Alles im erweiterten Umfeld des Trails ist komplett wasserdurchtränkt und aufgeweicht, einmal nicht aufgepasst und wir stehen bis über die Stiefeloberkante im Sabber. Es gilt, eine halbwegs trockene Route durch einen großen Sumpf zu finden, und in diesem Sinne ähnelt unser Gang durch den Wald bald einer Gletschertour – nur dass wir keinen Spalten ausweichen, sondern immer wieder riesigen Pfützen, Schwemmflächen und Schlammlöchern.
 
Nach 400 ziemlich mühseligen Metern stehen wir oberhalb einer Flussgabel, an der sich ein vom Fionn Choirein abfließender Bergbach in den Eas Daimh entwässert. Die rauschende Flut muss an dieser Stelle gequert werden. Dank eines schon leicht verwitterten Nylonseils, das irgendeine gute Seele an überhängenden Ästen fixiert hat, ist das jedoch nicht annährend so heikel, wie es sich auf den ersten Blick darstellt. Der Weiterweg ist allemal die größere Herausforderung, mit noch mehr und noch tieferem Morast. Gelegentlich führt die Spur durch enge Nadelöhre, wo dichte Vegetation kaum Umgehungsmöglichkeiten bietet und zu spannenden Balanceakten über die Pampe zwingt. So zieht es sich zäh bis zu einem etwa zwei Meter hohen Drahtzaun am Waldrand, wo das Gelände zwar übersichtlicher wird, wir aber sprichwörtlich von der Traufe direkt in den Regen stapfen. Im Schutz der Bäume hatten wir gar nicht bemerkt, dass es inzwischen heftig schüttet. Dazu weht ein kräftiger Wind, natürlich von vorne. Wie sollte es an einem Tag wie diesem auch anders sein?
 
Am Zaun ist man etwa auf halber Höhe angekommen und hat nun zwei Optionen: Geradeaus das Fionn Choirein hoch lässt sich der Bealach (= Sattel) zwischen Ben Lui und Beinn a‘ Chleibh direkt ansteuern. Eine (unsere) interessantere Alternative hingegen führt linkerhand am Zaun entlang; dort lässt sich ohne nennenswerten Mehraufwand über steile Grasflanken querend der Nordwestgrat des Ben Lui gewinnen. Für beide Routen muss man zunächst auf die andere Seite des Zaunes gelangen, und smartere Zeitgenossen als wir erledigen das vorteilhafterweise gleich unten nach Erreichen der Baumgrenze bequem durch ein Tor, das augenscheinlich der einzige Durchgang weit und breit ist. Wir wollen‘s nicht wahrhaben und müssen deshalb nach etwa 200 Metern fühlen, als der Zaun unvermittelt im spitzen Winkel zurück in den Talgrund abknickt. Weil wir nicht zurücklaufen möchten, bleibt als einzige Alternative, uns durchaus beschwerlich über die wackeligen Drähte zu wuchten. Zur Nachahmung nicht zu empfehlen.
 
Über klatschnasse, aber rutschfeste Grasmatten gewinnen wir nun rasch an Höhe und steigen alsbald in die Wolke. Größere Schneefelder lassen sich problemlos umgehen, aber zunehmender Niederschlag und Wind machen uns Probleme. Als wir oberhalb von 900 Metern am Nordwestgrat ankommen, begrüßen uns kräftige frontale Böen und horizontales Dauergeschiffe. Die bewährte Regenkleidung bekommt innerhalb weniger Minuten ihre Grenzen aufgezeigt, und während wir uns über eine gut sichtbare Trittspur rechts der steil ins Coire Gaothach abfallenden Wände nach oben kämpfen, fließt uns immer mehr Wasser am Körper und durch die Hose hinab, um sich merklich im Schuhwerk zu sammeln. Würde der Sturm nicht so laut pfeifen, könnte man sicher bei jedem Schritt ein schmatzendes Pitsch-patsch hören.
 
Das Coire Gaothach ist die wilde Sahneseite des Ben Lui und der Weg über den üblicherweise berauschend tiefe Blicke gestattenden Nordwestgrat gilt deshalb als besonders schön und aussichtsreich. Wir können das aus eigener Anschauung nicht bestätigen, denn unsere Sicht reicht heute gerade mal zehn Meter weit. Es lässt sich nur erahnen, dass es linkerhand an den verwächteten Abstürzen ordentlich nach unten geht. Wir halten ausreichenden Sicherheitsabstand und gelangen schließlich an zwei unkomplizierte Felsstufen, eindeutige Indizien dafür, dass wir kurz vor dem Ziel stehen. Der erste Rockstep ist wetterbedingt ziemlich rutschig, erfordert letzten Endes aber nicht mehr als leichte Kraxelei; beim zweiten indes braucht’s zudem etwas Umsicht, weil sich an seinem Ausstieg reichlich matschiger Schnee aufgetürmt hat. Aber auch das ist kein wirkliches Hindernis.
 
Oben angekommen stapfen wir durch den Nebel schnurstracks auf den Steinhaufen zu, der den Nordwestgipfel markiert, und stehen unvermittelt vor zwei deutschen Studenten, die fälschlicherweise annehmen, am höchsten Punkt angekommen zu sein. Surely some mistake. Aber kein Problem, der drei Meter höhere Südost- / Hauptgipfel liegt in Schlagdistanz, nur zwei Minuten später sind wir da, posen im weiterhin unbarmherzigen Regensturm für zwei schnelle Beweisfotos und malen uns imaginär aus, welch grandiose Sicht wir wohl hätten, wenn heute ein Sonnentag wäre. Dass wir real das exakte Gegenteil dessen erleben, signalisiert ein spontanes Chillgefühl. In kürzester Zeit lässt der Stillstand bedenklich frösteln, weshalb wir umgehend wieder auf Bewegungsmodus schalten und rasch über eine ausgeprägte Trittspur die 370 Höhenmeter Richtung Bealach runterhasten.
 
Unterhalb der 900er-Marke wird’s fast schon kuschelig: Erstmals seit bestimmt zweieinhalb Stunden lässt sich wieder so was wie Windschatten genießen, dem Beinn a‘ Chleibh sei Dank. Aber er ist mit seinen gerade mal 916 Metern alles andere als ein Gigant – nur die Nummer 281 auf der 283 Munros umfassenden schottischen Höhenrangliste - und das Ende der Komfortzone deshalb schnell erreicht. Nach nur 160 Metern Wiederanstieg über einen moderat geneigten Hang bläst uns die Gischt wieder mit voller Wucht ins Gesicht. So schnell wie möglich queren wir über das ziemlich flache Gipfelplateau zum Cairn, drehen uns einmal um die eigene Achse, sehen dabei, dass wir nichts sehen, und treten stante pede den Rückweg in den Windschatten an. Im Bealach folgen wir dann linkerhand einer Trittspur, die uns an unangenehm steilem Terrain vorbei über den Weg des geringsten Widerstandes hinunter ins Fionn Choirein führt. Nur eine heikle Stelle über ein abschüssiges Schneefeld sorgt vorübergehend für erhöhten Puls, dann stehen wir auch schon vor dem Tor am Zaun und freuen uns tierisch auf die erneute Matschpartie der finalen Kilometer.
 
Die hat’s nochmal in sich, und wir sauen uns unter lautem Geschimpfe ordentlich ein. Anfangs lassen wir dieselbe Vorsicht wie beim Aufstieg walten, testen penibel jeden Schritt darauf, ob er auf soliden  Untergrund oder in ein verdecktes Wasserloch führt. Aber irgendwann stellt sich von selbst die Sinnfrage. Was bringt der ganze Scheiß noch, wenn man bereits so eingenässt ist, dass man nasser nicht werden kann?! Yessir, überhaupt nüscht. Also Augen zu und durch, auch und vor allem in Sichtweite zum rettenden Auto am River Lochy. Die Plastiksandalen bleiben im Rucksack, die Boots an, wir krempeln für die erneute Flussquerung nicht mal mehr die Hosenbeine hoch. Wofür auch? Es steht nicht zu befürchten, dass es einen Unterschied macht - oder zumindest keinen großen. Und in der Tat wird’s in den Stiefeln nach der Frischwasserzufuhr allenfalls etwas kälter. Das „alte“ Wasser hatte zwischenzeitlich wohl ordentlich Körpertemperatur schmarotzt.
 
Blick zurück ins Fionn Choirein, während wir uns im nach wie vor prasselnden Regen unter dem Schutz der Autoheckklappe trockene Klamotten gönnen: Der Ben Lui ist nach wie vor nicht zu sehen und der Beinn a‘ Chleibh inzwischen ebenfalls komplett in den Dunst entfleucht. Zum Glück haben wir eine 3-Liter-Bombe Cider an Bord, um die Trostlosigkeit zu kompensieren …
 
NACHSCHLAG: 16. Mai, selber Ort, aber besseres Wetter. Am ersten echten Sonnentag unserer Schottlandreise kriegen wir unsere Debüt-Munros tatsächlich auch mal zu sehen. Nice to meet you …

Tourengänger: highpointa


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Kommentare (2)


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bulbiferum hat gesagt:
Gesendet am 1. Juni 2013 um 11:13
Der Bericht passt bestens zum Dauerregenwetter, dass wir jetzt gerade haben. In 3 Wochen ist es für uns auch soweit. Nach 2011 gehen wir zum 2. Mal für drei Wochen nach Schottland. Die Tourenplanung ist bereits erledigt ;-)

rojosuiza hat gesagt:
Gesendet am 11. November 2021 um 21:17
Von solchem Wetter kann man nicht genug bekommen... Nein, pardon, ich meine von solchen Berichten kann man nicht genug bekommen...


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