Versuch Madom Gröss (2741 m) - Grössenwahn hoch über dem Valle Verzasca
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Die Überschreitung des Madom Gröss (2741 m) gilt als eine der Schlüsselpassagen der Via Alta della Verzasca - bekannt als die vielleicht wildeste und schwierigste markierte Mehrtageswanderung der Schweiz und klassische T6-Referenztour. Doch auch für sich allein betrachtet, bildet der vorgenannte Gipfel ein lohnendes und aussichtsreiches Tourenziel, das von Frasco im Verzascatal via Rifugio Alpe Costa ohne Schwierigkeiten erreicht werden kann. Ja, wenn man denn die richtige Route wählt und keinen Seich macht…
Mein Gipfelziel habe ich weit verfehlt, die Verhältnisse haben nicht gepasst, zudem habe ich mich hinsichtlich der Routenwahl ziemlich blöd angestellt. Und doch bin ich glücklich! Glücklich darüber, dass alles gut gegangen ist und ich lebendig und mit intakten Gliedmaßen am PC sitzen und diesen Text schreiben kann. Aber der Reihe nach…
Bei wunderschönem Spätherbstwetter in Frasco (885 m) gestartet, folgten wir dem vorbildlich markierten Alpweg zum Rifugio Alpe Costa (1941 m), T2-T3. Der Wanderweg führt zunächst durch üppigen Wald, später an Lichtungen mit schön hergerichteten Rusticis vorbei und zuletzt durch lichte Lärchenwälder, deren Nadeln in den herrlichsten goldgelben Farben in der Sonne leuchteten.
Kurz vor Erreichen des Rifugio Alpe Costa überholte uns ein einzelner Tourengänger. Im kurzen Gespräch mit dem sympathischen Italiener aus Luino erfuhr ich, dass er eine Rundtour über die Capanna d´Efra mit Abstieg über das Val d´Efra geplant hatte. Im Hinblick auf die Verhältnisse mit bereits reichlich Schnee in den Schattenlagen nach einem frühen Wintereinbruch überzeugte ich ihn jedoch schliesslich, dass ein rein südseitiger Aufstieg in den ausapernden Flanken des Madom Gröss evtl. die bessere Alternative sei. Und so schloss sich Guido mir an, während es sich nevada am Rifugio Alpe Costa gemütlich machte.
Bereits am Rifugio lag eine geschlossene Schneedecke, die in der unglaublich warmen Sonne vor sich hinschmolz und dadurch rutschig wie Schmierseife wurde. Wir folgten zunächst den weiss-blauen Markierungen des Wanderwegs Richtung Alpe della Costa, um diese Route wenig später gegen Nordwesten zu verlassen. Über der Mulde der (ehemaligen) Alpe Laghetto (2050 m) baute sich eine gewaltige Felsarena über unendlichen Block- und Geröllfeldern auf. Da wir beide keine Ahnung hatten, wo genau sich nun eigentlich der Gipfel des Madom Gröss befand und wie lange die eingeschneiten und damit äusserst mühsam und vorsichtig zu begehenden Blockhalden gegen Nordosten zu queren waren (ich hatte nur eine vage Routenbeschreibung im Kopf), steuerten wir kurzerhand den langen Grat an, den der Madom Gröss nach Südwesten entsendet. "Wird schon irgendwie bis zum Gipfel des Madom Gröss begehbar sein" dachte ich mir und sprach uns so selber Mut zu. Doch bereits im Zustieg wurde die Sache immer mühsamer: Konnten wir uns anfangs noch über Grasrippen und Zwergsträucher mogeln, wo der Schnee bereits wieder abgeschmolzen war, gab es bald keinen anderen Ausweg, als in zunehmender Steilheit über riesige Urgesteinsblöcke zu krabbeln, da das dünn und tückisch eingeschneite Geröll daneben noch unangenehmer zu begehen war. Und dann passierte es plötzlich: Ein eigentlich stabil wirkender, mehrere hundert Kilo schwerer Block löste sich, als ich einen Felsbrocken daneben mit dem Fuss belastete. Eine Horrorvorstellung! Ich weiss nicht, wie ich es geschafft habe, dem Ungetüm noch so auszuweichen, dass er mich lediglich streifte und nicht grad erschlug oder meine Gliedmaßen zermalmte. Ich war derart geschockt, dass ich während Minuten kaum weiterzusteigen vermochte. Ich halte solche Blockhalden mit riesigen, losen Granitbrocken mit für das Gefährlichste, was einem auf alpinen Wanderungen begegnen kann. Und tatsächlich hätte sich dies beinahe bewahrheitet.
Eigentlich hätte dies eine ernsthafte Warnung sein müssen, dass dies wohl nicht mein Tag werden würde. Dennoch stiegen wir weiter und bald hatten wir auch eine steile Grasrippe erreicht, auf der der Schnee bereits abgerutscht war und über die wir so problemlos zum Fuss der steilen Schrofen- und Felsflanke aufsteigen konnten, in die der (durch einige tiefe Scharten unterbrochene) Südwestgrat des Madom Gröss abbricht. Ein schattiges Couloir, welches linkerhand zu einer tief eingeschnittenen Gratscharte hinaufführte, sah zwar einfacher aus, war aber mit Schnee von undefinierbarer Qualität gefüllt. Trittfirn war es jedenfalls keiner, soviel war bei den vorherrschenden Temperaturen klar! Also wählte ich die direkte, steile Linie durch eine feuchte, aber weitgehend schneefreie Schrofenrinne (T6). Diese war zwar einigermassen gestuft, die zu überkletternden Felsstüfchen jedoch nass und somit heikel. Neben den Felsen boten mir nur einige Zwergsträucher und Grasbüschel etwas Halt - das Gelände war zudem um einiges steiler, als es noch von unten den Anschein gemacht hatte.
Schon nach wenigen Metern wurde mir klar, dass ich gerade sträflichst den obersten Grundsatz jeglichen Treibens in den Bergen verletzt hatte, der da hiess: Klettere nie irgendwo auf einer Route hinauf, auf der Du nicht wieder absteigen kannst, es sei denn, Du kennst eine alternative Abstiegsroute. Kannte ich natürlich nicht…
Guido war die Sache bereits am Einstieg nicht mehr geheuer und kehrte um. Zum Glück. Sonst hätte ich ihn auch noch in meinen Schlamassel hineingezogen.
Für mich gab es hingegen nur noch die Flucht nach oben, auf den Grat. Dann würde man weiter sehen, ob der Grat überhaupt in irgendeine Richtung begehbar war bei den vorherrschenden Verhältnissen. Vorsichtig und konzentriert arbeitete ich mich nach oben. Das Gelände gab sich noch nicht geschlagen und wollte sich nicht zurücklegen. Dies zwang mich zu Anstrengungen, die ich zu diesem Zeitpunkt eigentlich noch gar nicht eingeplant hatte. Weder die dünne, rutschige Neuschneeauflage noch mein schwerer Rucksack mit der kompletten Alpinausrüstung, die mir bei diesen Verhältnissen jedoch überhaupt nichts brachte, waren dabei besonders hilfreich.
Entsprechend froh war ich, als ich endlich den Grat auf einer Höhe von ca. 2300 m erreicht hatte, zuletzt über eine ziemlich heikle Schneeflanke. Die Aussicht, die ich von hier oben genoss, war umwerfend. Die 4000er im Wallis und im Berner Oberland waren zum Greifen nah - doch ich hatte andere Sorgen: Wie komme ich von diesem verdammten Grat wieder runter? War allenfalls eine Begehung bis zum Gipfelkopf des Madom Gröss möglich? Falls nicht, musste ich ein gangbares Abstiegscouloir finden. Seltsamerweise traf ich auf dem Grat auf mindestens zwei grosse Steinmänner, die ich bereits von unten gesehen hatte und die mit dafür verantwortlich waren, dass ich überhaupt hier (viel zu weit westlich) auf den Grat gestiegen war, wähnte ich mich doch durch die Steinmänner auf einer gängigen Route! Aber offenbar bauen die Tessiner einfach gerne Steinmänner, wo es ihnen gerade passt - im Flussbett der Verzasca hat es ja bekanntlich auch diverse Exemplare, obwohl dort überhaupt kein Wanderweg durchführt…
Ich stieg nun dem Grat entlang auf. Was unter normalen Umständen eine genussvolle Kletterei in herrlich festem Urgestein gewesen wäre, gestaltete sich mit dem Schnee in den zu beiden Seiten steil abfallenden Flanken, nicht besonders angenehm. Zudem rätselte ich bei jedem Grataufschwung von neuem, ob dieser jetzt einfach überklettert oder besser in der Südostflanke umgangen werden sollte. Schliesslich musste ich ja auch immer an einen möglichen Rückweg denken. Wenigstens waren die zahlreichen Gamsspuren eine kleine Orientierungshilfe und irgendwann erreichte ich dann auch die markante Graterhebung P. 2465 - eigentlich auch nur ein Haufen riesiger, aufeinandergeschichteter Gesteinsbrocken. Dem Grat weiter in östlicher Richtung folgend -nun wieder etwas absteigend- wurde es dann extrem mühsam: Zwischen den haushohen Urgesteinsblöcken taten sich gewaltige Löcher und Abgründe auf - das ganze noch nett eingeschneit, versteht sich. Also, ich muss schon sagen: Ein solches Gelände bzw. einen solchen Grat wünscht man seinem ärgsten Feind nicht!
Nach dem zweiten senkrechten Abbruch, den ich mich weder abzuklettern noch auf den schneebedeckten Simsen in der Südostflanke (die andere, senkrecht ins Val Vegorness abfallende Flanke stand eh nicht zur Debatte) zu umgehen traute, strich ich die Segel. Zähneknirschend kehrte ich um und stieg bzw. kletterte den gesamten Gratabschnitt wieder zurück. Auf dem Rückweg stellte ich fest, dass der Grat praktisch auf dem gesamten Abschnitt direkt begehbar ist, was zwar einige kurze Klettermanöver erfordert, aber aufgrund des trockenen und guten Felses weitaus weniger heikel als die Umgehungen in der Flanke war. Ich folgte dem Grat über meinen Ausgangspunkt hinaus, in der Hoffnung, die Scharte, in der das (mutmasslich begehbare) Schneecouloir ansetzt, ohne senkrechten Abbruch zu erreichen. Und siehe da: ein Abstieg in die schmale Scharte, aus der sich der Grat jenseits wieder in einer eindrücklichen senkrechten Wand erhebt, war (zum Glück) möglich!
Nun galt es nur noch, das zwar nicht extrem steile, dafür aber durch die dünne Neuschneeauflage sehr rutschige Couloir abzusteigen. Hinsichtlich des Untergrunds, in den man bei nahezu jedem Schritt durchstiess, hatte man die Wahl zwischen rutschigem, kaum gestuften Gras und glatten Felsplatten. Na ja, wenigstens dort, wo sich unter dem Schnee Gras befand, griff mein Pickel…
Erst als ich wieder in die Nähe der Blockhalden im Ausläufer der Flanke kam, bemerkte ich, dass Guido die ganze Zeit dort auf mich gewartet hatte. Auch er schien froh zu sein, dass ich wieder heil von diesem "Grat des Horrors" zurückgekommen war.
Durch entsprechende Recherchen weiss ich nun, wo die Normalroute auf den Madom Gröss von der Alpe Laghetto aus verläuft: Auf keinen Fall steige man wie ich auf den langen Südwestgrat, dessen komplette Überschreitung zwar bei schneefreien Verhältnissen sicher nicht ohne Reiz ist, jedoch unter diesen Umständen einfach nur extrem mühsam und gefährlich war und niemals zum Ziel geführt hätte. Vielmehr quert man unter dem Felsriegel solange nach Nordosten, bis man sich unter der Südflanke des Madom Gröss befindet, von wo man über ein Couloir unschwierig in die Flanke und über diese auf den Gipfel gelangt. Ein anderes Mal…
Der Rest ist schnell erzählt: In der noch immer warmen Nachmittagssonne stiegen wir auf dem Wanderweg ab, bis wir bei A coo der Preda (1561 m) die ersten Rusticis erreichten. Unsere bewundernden Blicke ob der feudalen Hüttchen blieben nicht unbemerkt: Wir wurden unverhofft auf einen Kaffee (und Schnaps!) eingeladen - grazie mille!
Der restliche Abstieg ging dann umso besser - herzlich verabschiedeten wir uns in Frasco von Guido. Vielleicht bis irgendwann mal wieder im Ticino?!
Mein Gipfelziel habe ich weit verfehlt, die Verhältnisse haben nicht gepasst, zudem habe ich mich hinsichtlich der Routenwahl ziemlich blöd angestellt. Und doch bin ich glücklich! Glücklich darüber, dass alles gut gegangen ist und ich lebendig und mit intakten Gliedmaßen am PC sitzen und diesen Text schreiben kann. Aber der Reihe nach…
Bei wunderschönem Spätherbstwetter in Frasco (885 m) gestartet, folgten wir dem vorbildlich markierten Alpweg zum Rifugio Alpe Costa (1941 m), T2-T3. Der Wanderweg führt zunächst durch üppigen Wald, später an Lichtungen mit schön hergerichteten Rusticis vorbei und zuletzt durch lichte Lärchenwälder, deren Nadeln in den herrlichsten goldgelben Farben in der Sonne leuchteten.
Kurz vor Erreichen des Rifugio Alpe Costa überholte uns ein einzelner Tourengänger. Im kurzen Gespräch mit dem sympathischen Italiener aus Luino erfuhr ich, dass er eine Rundtour über die Capanna d´Efra mit Abstieg über das Val d´Efra geplant hatte. Im Hinblick auf die Verhältnisse mit bereits reichlich Schnee in den Schattenlagen nach einem frühen Wintereinbruch überzeugte ich ihn jedoch schliesslich, dass ein rein südseitiger Aufstieg in den ausapernden Flanken des Madom Gröss evtl. die bessere Alternative sei. Und so schloss sich Guido mir an, während es sich nevada am Rifugio Alpe Costa gemütlich machte.
Bereits am Rifugio lag eine geschlossene Schneedecke, die in der unglaublich warmen Sonne vor sich hinschmolz und dadurch rutschig wie Schmierseife wurde. Wir folgten zunächst den weiss-blauen Markierungen des Wanderwegs Richtung Alpe della Costa, um diese Route wenig später gegen Nordwesten zu verlassen. Über der Mulde der (ehemaligen) Alpe Laghetto (2050 m) baute sich eine gewaltige Felsarena über unendlichen Block- und Geröllfeldern auf. Da wir beide keine Ahnung hatten, wo genau sich nun eigentlich der Gipfel des Madom Gröss befand und wie lange die eingeschneiten und damit äusserst mühsam und vorsichtig zu begehenden Blockhalden gegen Nordosten zu queren waren (ich hatte nur eine vage Routenbeschreibung im Kopf), steuerten wir kurzerhand den langen Grat an, den der Madom Gröss nach Südwesten entsendet. "Wird schon irgendwie bis zum Gipfel des Madom Gröss begehbar sein" dachte ich mir und sprach uns so selber Mut zu. Doch bereits im Zustieg wurde die Sache immer mühsamer: Konnten wir uns anfangs noch über Grasrippen und Zwergsträucher mogeln, wo der Schnee bereits wieder abgeschmolzen war, gab es bald keinen anderen Ausweg, als in zunehmender Steilheit über riesige Urgesteinsblöcke zu krabbeln, da das dünn und tückisch eingeschneite Geröll daneben noch unangenehmer zu begehen war. Und dann passierte es plötzlich: Ein eigentlich stabil wirkender, mehrere hundert Kilo schwerer Block löste sich, als ich einen Felsbrocken daneben mit dem Fuss belastete. Eine Horrorvorstellung! Ich weiss nicht, wie ich es geschafft habe, dem Ungetüm noch so auszuweichen, dass er mich lediglich streifte und nicht grad erschlug oder meine Gliedmaßen zermalmte. Ich war derart geschockt, dass ich während Minuten kaum weiterzusteigen vermochte. Ich halte solche Blockhalden mit riesigen, losen Granitbrocken mit für das Gefährlichste, was einem auf alpinen Wanderungen begegnen kann. Und tatsächlich hätte sich dies beinahe bewahrheitet.
Eigentlich hätte dies eine ernsthafte Warnung sein müssen, dass dies wohl nicht mein Tag werden würde. Dennoch stiegen wir weiter und bald hatten wir auch eine steile Grasrippe erreicht, auf der der Schnee bereits abgerutscht war und über die wir so problemlos zum Fuss der steilen Schrofen- und Felsflanke aufsteigen konnten, in die der (durch einige tiefe Scharten unterbrochene) Südwestgrat des Madom Gröss abbricht. Ein schattiges Couloir, welches linkerhand zu einer tief eingeschnittenen Gratscharte hinaufführte, sah zwar einfacher aus, war aber mit Schnee von undefinierbarer Qualität gefüllt. Trittfirn war es jedenfalls keiner, soviel war bei den vorherrschenden Temperaturen klar! Also wählte ich die direkte, steile Linie durch eine feuchte, aber weitgehend schneefreie Schrofenrinne (T6). Diese war zwar einigermassen gestuft, die zu überkletternden Felsstüfchen jedoch nass und somit heikel. Neben den Felsen boten mir nur einige Zwergsträucher und Grasbüschel etwas Halt - das Gelände war zudem um einiges steiler, als es noch von unten den Anschein gemacht hatte.
Schon nach wenigen Metern wurde mir klar, dass ich gerade sträflichst den obersten Grundsatz jeglichen Treibens in den Bergen verletzt hatte, der da hiess: Klettere nie irgendwo auf einer Route hinauf, auf der Du nicht wieder absteigen kannst, es sei denn, Du kennst eine alternative Abstiegsroute. Kannte ich natürlich nicht…
Guido war die Sache bereits am Einstieg nicht mehr geheuer und kehrte um. Zum Glück. Sonst hätte ich ihn auch noch in meinen Schlamassel hineingezogen.
Für mich gab es hingegen nur noch die Flucht nach oben, auf den Grat. Dann würde man weiter sehen, ob der Grat überhaupt in irgendeine Richtung begehbar war bei den vorherrschenden Verhältnissen. Vorsichtig und konzentriert arbeitete ich mich nach oben. Das Gelände gab sich noch nicht geschlagen und wollte sich nicht zurücklegen. Dies zwang mich zu Anstrengungen, die ich zu diesem Zeitpunkt eigentlich noch gar nicht eingeplant hatte. Weder die dünne, rutschige Neuschneeauflage noch mein schwerer Rucksack mit der kompletten Alpinausrüstung, die mir bei diesen Verhältnissen jedoch überhaupt nichts brachte, waren dabei besonders hilfreich.
Entsprechend froh war ich, als ich endlich den Grat auf einer Höhe von ca. 2300 m erreicht hatte, zuletzt über eine ziemlich heikle Schneeflanke. Die Aussicht, die ich von hier oben genoss, war umwerfend. Die 4000er im Wallis und im Berner Oberland waren zum Greifen nah - doch ich hatte andere Sorgen: Wie komme ich von diesem verdammten Grat wieder runter? War allenfalls eine Begehung bis zum Gipfelkopf des Madom Gröss möglich? Falls nicht, musste ich ein gangbares Abstiegscouloir finden. Seltsamerweise traf ich auf dem Grat auf mindestens zwei grosse Steinmänner, die ich bereits von unten gesehen hatte und die mit dafür verantwortlich waren, dass ich überhaupt hier (viel zu weit westlich) auf den Grat gestiegen war, wähnte ich mich doch durch die Steinmänner auf einer gängigen Route! Aber offenbar bauen die Tessiner einfach gerne Steinmänner, wo es ihnen gerade passt - im Flussbett der Verzasca hat es ja bekanntlich auch diverse Exemplare, obwohl dort überhaupt kein Wanderweg durchführt…
Ich stieg nun dem Grat entlang auf. Was unter normalen Umständen eine genussvolle Kletterei in herrlich festem Urgestein gewesen wäre, gestaltete sich mit dem Schnee in den zu beiden Seiten steil abfallenden Flanken, nicht besonders angenehm. Zudem rätselte ich bei jedem Grataufschwung von neuem, ob dieser jetzt einfach überklettert oder besser in der Südostflanke umgangen werden sollte. Schliesslich musste ich ja auch immer an einen möglichen Rückweg denken. Wenigstens waren die zahlreichen Gamsspuren eine kleine Orientierungshilfe und irgendwann erreichte ich dann auch die markante Graterhebung P. 2465 - eigentlich auch nur ein Haufen riesiger, aufeinandergeschichteter Gesteinsbrocken. Dem Grat weiter in östlicher Richtung folgend -nun wieder etwas absteigend- wurde es dann extrem mühsam: Zwischen den haushohen Urgesteinsblöcken taten sich gewaltige Löcher und Abgründe auf - das ganze noch nett eingeschneit, versteht sich. Also, ich muss schon sagen: Ein solches Gelände bzw. einen solchen Grat wünscht man seinem ärgsten Feind nicht!
Nach dem zweiten senkrechten Abbruch, den ich mich weder abzuklettern noch auf den schneebedeckten Simsen in der Südostflanke (die andere, senkrecht ins Val Vegorness abfallende Flanke stand eh nicht zur Debatte) zu umgehen traute, strich ich die Segel. Zähneknirschend kehrte ich um und stieg bzw. kletterte den gesamten Gratabschnitt wieder zurück. Auf dem Rückweg stellte ich fest, dass der Grat praktisch auf dem gesamten Abschnitt direkt begehbar ist, was zwar einige kurze Klettermanöver erfordert, aber aufgrund des trockenen und guten Felses weitaus weniger heikel als die Umgehungen in der Flanke war. Ich folgte dem Grat über meinen Ausgangspunkt hinaus, in der Hoffnung, die Scharte, in der das (mutmasslich begehbare) Schneecouloir ansetzt, ohne senkrechten Abbruch zu erreichen. Und siehe da: ein Abstieg in die schmale Scharte, aus der sich der Grat jenseits wieder in einer eindrücklichen senkrechten Wand erhebt, war (zum Glück) möglich!
Nun galt es nur noch, das zwar nicht extrem steile, dafür aber durch die dünne Neuschneeauflage sehr rutschige Couloir abzusteigen. Hinsichtlich des Untergrunds, in den man bei nahezu jedem Schritt durchstiess, hatte man die Wahl zwischen rutschigem, kaum gestuften Gras und glatten Felsplatten. Na ja, wenigstens dort, wo sich unter dem Schnee Gras befand, griff mein Pickel…
Erst als ich wieder in die Nähe der Blockhalden im Ausläufer der Flanke kam, bemerkte ich, dass Guido die ganze Zeit dort auf mich gewartet hatte. Auch er schien froh zu sein, dass ich wieder heil von diesem "Grat des Horrors" zurückgekommen war.
Durch entsprechende Recherchen weiss ich nun, wo die Normalroute auf den Madom Gröss von der Alpe Laghetto aus verläuft: Auf keinen Fall steige man wie ich auf den langen Südwestgrat, dessen komplette Überschreitung zwar bei schneefreien Verhältnissen sicher nicht ohne Reiz ist, jedoch unter diesen Umständen einfach nur extrem mühsam und gefährlich war und niemals zum Ziel geführt hätte. Vielmehr quert man unter dem Felsriegel solange nach Nordosten, bis man sich unter der Südflanke des Madom Gröss befindet, von wo man über ein Couloir unschwierig in die Flanke und über diese auf den Gipfel gelangt. Ein anderes Mal…
Der Rest ist schnell erzählt: In der noch immer warmen Nachmittagssonne stiegen wir auf dem Wanderweg ab, bis wir bei A coo der Preda (1561 m) die ersten Rusticis erreichten. Unsere bewundernden Blicke ob der feudalen Hüttchen blieben nicht unbemerkt: Wir wurden unverhofft auf einen Kaffee (und Schnaps!) eingeladen - grazie mille!
Der restliche Abstieg ging dann umso besser - herzlich verabschiedeten wir uns in Frasco von Guido. Vielleicht bis irgendwann mal wieder im Ticino?!
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