Wildes Gamseck, Winterbegehung


Publiziert von Saxifraga , 22. Dezember 2005 um 19:33.

Region: Welt » Österreich » Nördliche Ostalpen » Rax, Schneeberg-Gruppe
Tour Datum:28 Dezember 2002
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A 

Die Idee einer Winterbesteigung des Wilden Gamseck schwirrte mir schon länger im Kopf herum, also warum nicht einmal mit den Steigeisen auf dem sonst so einfachen und schönen 1-2er, der die letzten 150 Höhenmeter vom Nasskamm auf die Rax-Hochfläche führt? Gesagt, getan! Mein langjähriger Kletterpartner Christopher ist von der Idee genauso begeistert wie ich. Am nächsten Tag sitzen wir schon im Auto und fahren Richtung Hinternasswald. Der stille und einsame Ort könnte wirklich keinen passenderen Namen tragen: Er liegt tatsächlich „hinten“, nämlich ganz am Ende eines Talschlusses, wo es zumindest mit dem Auto kein Weiterkommen mehr gibt. Und es ist auch immer recht „nass“ in Hinternasswald. Das Klima im Tal der ehemaligen Holzknechte rund um den „Holzmeister“ Georg Hübmer ist meist ein feuchtes – saftige Wiesen, eine üppige und prächtige Flora verdeutlichen dies. „Wald“ gibt es schließlich auch genug rund um das Dörfchen zwischen Rax und Schneealpe. Der niederösterreichische Anstieg von Hinternasswald ist zwar bedeutend länger als der von der steirischen Seite von Altenberg aus, war uns aber immer lieber, da er landschaftlich und von der Bergkulisse her sehr beeindruckend ist. Das Reisstal vormarschierend hat man immer die gesamte Wand der Kahlmäuer vor sich. Der Anblick ist von Mal zu Mal ein Genuss. Hinternaßwald ist außerdem die ruhige Seite der Rax. Hierher verschlägt es noch nicht so viele Bergsteiger und Wanderer wie ins Höllental oder auf die Preiner Seite.

Wir trödeln ein bisschen herum, machen uns gemächlich auf den Weg und werden am Nasskamm von einem wunderbaren Naturschauspiel überrascht. Die Bäume, Gräser und jeder Stengel, der irgendwo weg steht, sind mit 5-6 cm dickem Reif überzogen. Vom Wind allesamt gleich ausgerichtet zeigen sie wie am Reißbrett geplant in dieselbe Richtung. Ein Spiel der Kontraste, außer Hell und Dunkel gibt es nichts. Nur glitzernde Baumbehänge, von Wind und Wetter in die Landschaft gemalt. Wir gehen frohen Mutes durch den Märchenwald, rasten kurz bei der Gamseckerhütte und erreichen schon bald den Einstieg vom Wilden Gamseck. Die ansonsten so zahlreich vertretenen Gämsen lassen sich an diesem Tag nicht blicken. Nur eine steigt vorsichtig hoch oben in den Felsen umher. Es liegt gerade soviel Schnee, dass der Standhaken am Einstieg nicht zu sehen ist. Die Felsen sind von einer ca. 40cm dicken Schneeschicht eingehüllt. Das Wilde Gamseck präsentiert sich in einem weißen Kleid, so wie wir es bis dahin noch nicht gekannt haben. Wir „gschirrln“ uns an, binden uns ins Seil ein, legen die Steigeisen an und kurz darauf stehe ich in der ersten Querung. 20 bis 30 Meter Seil, eine Zwischensicherung ist nicht möglich, dann ein Felsköpfel, bei dem ich Stand mache. Christopher kommt nach einigem Seil ziehen nach – die Seilkommandos verweht der Wind. Irgendwie ist es nicht sein Tag und Christopher entscheidet sich noch vor Vollendung der ersten Seillänge für einen Abbruch der Tour. Die Sache ist ihm zu unsicher, er fühlt sich einfach nicht fit genug. Wir beschließen an den kleinen Wänden und Hängen rund ums Gamseck ein wenig Steigeisen-Technik zu üben, anders gesagt, wir klettern spaßhalber herum und freuen uns über die tolle Fernsicht, die uns hoch über dem Nebelmeer zu Teil wird.

Nur drei Tage später stehe ich mit Reinhold in Altenberg. Auch für ihn ist es die erste Winterbegehung. Auch er freut sich, endlich wieder einmal raus zu kommen, den Berg zu erleben. Am Parkplatz treffen wir auf drei Eiskletterer. Wir erzählen uns kurz gegenseitig über unsere Vorhaben, dann ziehen wir weiter. Ich frage mich, ob die drei ihre Tour überhaupt durchführen können. In den letzten Tagen sind die Temperaturen stark angestiegen. Der Föhn treibt uns schon nach den ersten paar Metern die Schweißperlen ins Gesicht. Ob da oben überhaupt noch Schnee liegt? Der Gedanke, dass aus unserer Winterbegehung eine Sommertour wird, stimmt mich nicht gerade positiv. Und während ich mir so meine Gedanken mache, befinden wir uns auf einmal auf Blankeis. Der Weg durch den Wald ist eine einzige Eisrinne! Und so kommen wir in die kuriose Situation uns nach den ersten Schritten am Zustieg die Steigeisen anzuziehen. Rund um uns ist alles grün und braun, nur unter uns, auf dem schmalen Pfad führt eine Eislaufbahn zum Nasskamm! Wir scherzen und gelangen bald an jene Stelle, wo ich vor drei Tagen eine herrlich verzauberte Winterlandschaft vorfand. Der gesamte Reif ist abgetaut, es liegt kein Flöckchen Schnee, wir gehen über braune Erde. Ein wenig enttäuscht gehen wir weiter. Wie es wohl da oben aussieht? Die Frage geht mir die ganze Zeit durch den Kopf. Endlich erreichen wir gespannt die ersten Felsen. Es hat viel Schnee weggetaut, die Markierungen am Einstieg sind gut sichtbar, auch der weitere Verlauf der Route. Der Schnee ist nass und schwer. Zu unserer Freude liegt aber noch genügend von der weißen Pracht auf den Felsen um von einer Winterbegehung sprechen zu können.

Die Querung zu Beginn ist diesmal einfacher, auch der erste Haken ist sichtbar und wird natürlich benutzt. Nach der ersten Seillänge sehen wir drei Gestalten den Kamm hinaufwandern. Sind das vielleicht die drei „arbeitslosen“ Eiskletterer vom Parkplatz? Wenig später haben sie uns eingeholt, da sie seilfrei unterwegs sind. Mit dem Eis war nichts zu machen, erzählen sie uns. Hohl und nass, das macht keinen Spaß... Also haben sie unsere Idee vorgezogen, um doch noch etwas zu unternehmen. Wir lassen die drei vorbei und sehen bereits die nächsten zwei Gamseck-Anwärter heraufkommen. Wir schauen uns verdutzt an und denken beide dasselbe: Da ist ja mehr los als im Sommer - die reinste Autobahn... Wir lassen auch die beiden vorbei, machen uns aber nichts daraus, dass wir anscheinend die einzigen mit Seil sind. Schließlich soll das ja unsere erste Winterkletterei werden – und nicht unsere einzige. Der Föhnsturm bläst recht ungemütlich und am Horizont leuchtet der Himmel goldgelb. Es ist Mittag und wieder einmal liegt unter uns ein Nebelmeer. Ich steige weiter vor, da Reinhold die Tour noch nie gegangen ist. Die erste kleine Steilstufe ist kein Problem, mit den Steigeisen am Felsen bin ich aber noch nicht ganz vertraut. Bei der zweiten Steilstufe habe ich schon zwanzig Meter Seil hinter mir, aber keine Zwischensicherung in Sicht. Zum Glück findet sich eine kleine Sanduhr, auf einer schneefreien Stelle. Schnell durchgefädelt denke ich mir, aber mit den Handschuhen ist die Bandschlinge nicht so leicht durch die kleine Öse im Fels zu stecken. Wieder folgt ein kurzes Band, von dem man wunderbar zu den Kahlmäuern und zum Habsburghaus hinüber sieht. Am Wilden Gamseck wechseln sich immer wieder kleine, ein- bis zwei Meter hohe Steilstufen mit kurzen Bändern im Zickzack ab. Jetzt, da unsere „Vorgeher“ eindeutige Spuren hinterlassen haben, ist die Wegfindung kein Problem. Bei mehr und vor allem unberührtem Schnee ist die Orientierung auf dem Steig sicher nicht so einfach, denke ich mir. Nach gut drei Viertel des Weges stehe ich vor der „Schlüsselstelle“ des Wilden Gamseck: dem kurzen Kamin. Im Sommer niedlich, erscheint er mir heute gar nicht so leicht. Ich spreize mit den Steigeisen aus - das geht gut. Nur Griff finde ich keinen. Alles unter Schnee. Ich schaufle ein wenig zur Seite, finde aber nichts. Für eine Zwischensicherung war bis dahin wieder einmal keine Gelegenheit, aber hier kann ich den einzigen Friend auf der ganzen Route legen. Der hält dafür sicher, wie Reinhold beim nachkommen anmerken wird. Mir gibt der „Freund“ ein gutes Gefühl, Reinhold flucht wenige Minuten später, weil er ihn nicht gleich raus bekommt. Ab hier geht es leicht weiter bis zum Steigbuch. Ich öffne die Metalldose und finde ein vollkommen durchnässtes Etwas. Schade, dass das so aussieht, denke ich mir, während ich mit dem beiliegenden Bleistift unsere Namen notiere. Das obligatorische Durchblättern entfällt also diesmal, da die Seiten mehr Wasser enthalten als ein Buch verträgt. Die letzten Meter legen wir auf dem besonders schönen und ausgesetzten Grat zurück. Unter uns steil abfallend und völlig in weiß gekleidet die Kahlmäuer. Ein toller Anblick. Wir sind begeistert von der alpinen Winterlandschaft und auch, dass wir nicht mehr weit haben. Der starke Wind und die durchnässten Handschuhe lassen uns Wörter wie „Badewanne“ oder „Sauna“ aus dem Mund entweichen. Ein Blick zur Schneealpe verstärkt die Lust auf die heiße Glut, da man dort oben auf der Hütte den Luxus einer Schwitzkammer vorfindet! Wir beschließen also, das nächste Mal die Seiten zu wechseln, und unsere geliebte Rax einmal im Stich zu lassen.

Während wir die Tief- und Weitblicke am Grat genießen, kommt noch ein ganz schneller „Gamsecker“ dahergelaufen. Während ich das Seil einhole, verschwindet er schon über die Hochfläche Richtung Gamsecksteig, dem einzig leichten Abstieg auf dieser Seite der Rax. Wir trödeln dann aber auch nicht lange herum, denken wir doch mittlerweile an den Kräuterwirt in Prein. Bereits am Abstieg fällt mir auf einmal ein, dass wir etwas vergessen haben: Reinholds Brutfläschchen! Vor lauter Gedanken an Schweinsbraten und Knödel haben wir doch glatt auf den Gipfelschluck vergessen! Nichts wie her damit! Köstlich, wirklich einer von der exquisiten Sorte. Nach dem dritten Schluck lass ich es dann aber sein, da mir ein leises Gefühl sagt, dass Reinhold nicht bereit sein wird, mich bis zum Auto zu tragen. Außerdem wird es bald dunkel. Beim Abstieg wird mir wieder bewusst, dass auch dieser bei größerer Schneelage und nicht vorgespurt zu erheblichen Problemen führen kann. Viel fehlt nicht mehr und auch die letzten Reste der Versicherungen des an sich leichten Gamsecksteiges wären unter Schnee. Wenn sich alles nur unter einer einzigen weißen Decke befindet, muss man schon über gute Gebietskenntnisse verfügen um sicher den Weg zum Kamm zu finden. Außerdem sind einige Abschnitte des Gamsecksteiges bei den entsprechenden Neuschneemengen äußerst lawinengefährdet.

Bei der Gamseckerhütte machen wir kurze Rast, trinken unseren letzten Tee „on the rocks“, also mit Schneestückchen – gerührt, nicht geschüttelt, versteht sich. Mit nicht mehr ganz festem Schritt erreichen wir unsere heiß geliebte Eisrinne! Eigentlich hab ich keine Lust mehr mir die Steigeisen anzuziehen. Ich teste kurz die Lage, während Reinhold schon herumwerkt. Nach einem Meter ist mir klar, dass ich da entweder in weniger als fünf Sekunden unten sein kann, oder gemächlicher mit den Eisen an den Füßen. Also, Rucksack runter, auspacken, umschnallen und weiter geht´s. Mit Stirnlampen erreichen wir nach insgesamt acht Stunden unseren Ausgangspunkt. Müde und ein bisschen stolz auf unsere erste Winterkletterei. Noch beim Verstauen der Rucksäcke schmieden wir den nächsten Plan. Aber vorher gibt’s erst mal Topfenstrudel für uns. Für mehr reicht das Geld leider nicht. Express- und Bandschlingen sind in ausreichender Menge dabei, aber die nötigen Euro für die Einkehr bei der Kräuterwirtin haben wir zuhause gelassen...

Tourengänger: Saxifraga


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