Türmlihorn (2490m) - von Norden


Publiziert von marvel , 1. November 2009 um 20:19.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Simmental
Tour Datum:15 August 2009
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE 
Zeitbedarf: 5:00
Aufstieg: 800 m
Abstieg: 800 m
Strecke:Chilei - Türmlihorn - Sattel - Chilei
Zufahrt zum Ausgangspunkt:auf taxpflichtiger Strasse bis zur Brücke über den Fildrich-Bach oberhalb der Alp Steibode, oder von Schwenden zu Fuss in ca. 2 Stunden
Zufahrt zum Ankunftspunkt:auf taxpflichtiger Strasse bis zur Brücke über den Fildrich-Bach oberhalb der Alp Steibode, oder von Schwenden zu Fuss in ca. 2 Stunden
Unterkunftmöglichkeiten:keine
Kartennummer:1247

Dieser Bericht wird etwas länger - da sich aber offenbar doch der eine oder andere für das Türmlihorn interessiert, lohnt sich vielleicht ein detaillierter Bericht.

Das Türmlihorn ist ein klassischer Berggänger-Gipfel, und somit kein Berg, der den alpinistischen Trends der letzten Jahrzehnte entspricht. Für Bergwanderer ist er meist zu schwierig und mühsam, für Kletter zu brüchig und für Hochtourengeher zu niedrig. Eine Direttissima kann man durch seine Felsen genauso schlecht legen wie eine moderne Sportkletterroute.

Schon Maurice Brandt konstatierte daher im SAC-Clubführer Berner Voralpen von 1981: "Die Türmlihörner wurden anfangs dieses Jahrhunderts eifrig besucht, heute fast nie." Martin Gerber zog dann bei seiner Neuauflage des Führers 1997 die Konsequenz und strich kurzerhand sämtliche Routenbeschreibungen.

Vieles mag zwar nicht den Wünschen des modernen Bergsportlers entsprechen, aber deswegen gleich einen ganzen Berg aus dem SAC-Führer streichen? Diese doch recht ungewöhnliche Massnahme weckte schliesslich, ungewollt, bei einigen auch gerade wieder das Interesse an diesem Berg. Die Wiederbegeher publizierten ihre Erfahrungen auf der eigens für diesen Zweck errichteten Website tuermlihore.ch. Seitdem trauen sich wieder ein paar Alpinwanderer pro Jahr auf das Türmlihorn. So auch ich.

Die Erstbesteigung des Türmlihorns wird Charles & Paul Montandon und Kameraden zugerechnet, allerdings sind frühere Begehungen wahrscheinlich. Die Ersteigung erfolgte über die Grashänge der Nordflanke. Fast auf den Tag genau 25 Jahre später kehrte Paul Montandon an den Berg zurück, um den Anstieg von Süden erfolgreich zu bewältigen.

Das Türmlihorn hat auch ein prominentes Todesopfer gefordert - den Pfarrer Paul Baumgartner aus St Stephan, seinerzeit ein namhafter Bergsteiger im Berner Oberland, der bis heute vor allem wegen seiner Erstbegehungen an den Spillgerten in Erinnerung geblieben ist. Über seinen Absturz 1913 am Türmlihorn-Ostgrat zwischen Türmliturm und Türmlispitz (zwei markanten Gendarmen) berichteten Zeitungen bis ins ländliche Neuseeland.

In den letzten Jahren scheint der Berg hauptsächlich durch die Süd-Couloirs erstiegen zu werden, die obengenannte Website propagiert auch vor allem diese Routen. Über den Nordflankenanstieg - die Route der Erstbegeher - konnte ich keinen Tourenbericht aus dem Internetzeitalter finden. Grund genug, einen Versuch zu wagen. Zumindest der Begeher des Paul-Baumgartner-Gedächtniswegs ist aber wohl über die Route abgestiegen, wie sich aus seinen Tourenfotos erkennen lässt.

Mit den Informationen aus dem alten SAC-Führer mache ich mich also auf ins Fildrich-Tal. Und tatsächlich, von der Strasse aus sieht der Grashang der Nordflanke sogar ziemlich begehbar aus. Er mag durchschnittlich so um die 40 Grad steil sein, allerdings sieht man auch von hier aus schon ein paar steilere Stufen.

Über die Alpweiden und den zunehmend steileren Geröllhang, der gegen den Sattel zwischen Türmlihorn und Landvogtehorn hinaufzieht, steige ich an zahllosen (hoffentlich) explodierten Minenwerfer-Granaten vorbei an den Fuss der Nordflanke heran. Von hier aus könnte man auch über den Sattel auf die Südseite zu den Couloirs queren - so zumindest mein Plan für den Fall, dass es mir hier zu heikel wird.

Der Hang selbst beginnt relativ steil und mühsam, aber nach Plan. Die Grasflanke ist zur linken durch eine Schuttrinne unterhalb der Felsen von Türmliturm und Türmlispitz (vermutlich auch zumindest teilweise begehbar), zur rechten durch die Abstürze der Nordwand des Hauptgipfels begrenzt. Nach einigen Höhenmetern, oberhalb einer Grasschulter über den Abstürzen zur rechten, kommt auch schon die erste Steilstufe - ich suche ein paar Minuten bis ich die beste Stelle zu deren Überwindung - eher links diagonal ansteigend - gefunden habe.

Höhenmeter um Höhenmeter steige ich nun das Steilgras empor.  Es folgen noch zwei oder drei weitere Stufen. Hier und da greife ich ins Gras um weiterzukommen. Die letzte Stufe, die von unten aus heikel erschien, lässt sich aber doch auch relativ gut begehen.

Was von unten nicht zu sehen war, ist, dass der Grashang ganz oben deutlich steiler und zum begehen ohne Hilfsmittel zu gefährlich wird. Hier quere ich deshalb nach links in die Schuttrinne, die wenige Meter weiter oben unterhalb der Scharte rechts des Türmlispitz endet. Auf einem Absatz mache ich eine kurze Pause. Hier merke ich, dass die Nerven allmählich etwas gelitten haben - weniger wegen der unmittelbaren Ausgesetztheit der Route als mehr wegen der andauernden Konzentration, die das Steilgras erfordert.

Die letzten Meter zur Scharte müssen überklettert werden (II). Eigentlich kein Problem, wenn nur der Fels nicht so brüchig wäre. Der Stein oberhalb der Schlüsselstelle, an dem man sich festhalten müsste, wackelt auch. Ich überwinde die Stelle durch plumpes Aufstützen - egal, geschafft! Die Nordflanke liegt hinter mir.

Auf dem Grat angekommen, erwartet mich eine andere Welt - weniger Gras, dafür ist die Landschaft dominiert von brüchigen Schutt- und Felsbändern sowie verschiedenen bizarr anmutenden Türmen. Zur linken der Türmlispitz, zur rechten der Türmlihorn-Hauptgipfel. Alles in allem erscheint es mir hier aber freundlicher als auf der Nordseite.

Ich entschliesse mich, wo ich schon einmal hier bin, für einen kurzen Abstecher auf den die Scharte nur wenig überragenden Türmlispitz. Dieser könnte wohl auch unmittelbar von der Scharte aus erklettert werden, leichter ist aber die Querung rechts auf einem Band auf die Rückseite (von hier schöner Blick auf den Türmliturm) und die Ersteigung von dort.

Zurück in der Scharte folge ich unschwierig dem Grat in Richtung Hauptgipfel. Die Traversierung des Geröllhangs (in den das 3. Couloir von Süden mündet) erfordert etwas Kreativität, er lässt sich aber leichter begehen als erwartet. Die kleine Felsschulter kurz vor dem linken Ende des Hangs überschreite ich dabei. So erreiche ich schliesslich die Scharte zwischen dem 3. und dem 5. Couloir, wo ich - endlich - einen Steinmann entdecke.

Die letzten Meter sind identisch mit den Südanstiegen, sie sind bereits anderswo beschrieben, beispielsweise im Bericht von Zaza. Es ist noch eine Stelle II (etwas ausgesetzt und brüchig) direkt oberhalb der Scharte, sowie eine weitere zwischen dem Hauptgipfel (den man zuerst erreicht) und dem Nebengipfel mit Steinmann, Fahne und Gipfelbuch.

Als ich das Gipfelbuch aufschlage, staune ich nicht schlecht: ich bin nicht der erste heute hier oben! Der andere Besteiger hat seine Tour ebenfalls kurz beschrieben, sein Abstieg nach Norden war aber nicht die gleiche Route wie meine, sonst hätte ich ihn sehr wahrscheinlich getroffen.

Nun wird die Zeit allmählich knapp, es ist schon bald fünf Uhr nachmittags. Meine Nerven haben sich vom Aufstieg immer noch nicht ganz erholt. Ich merke, dass ich mit einigen Begehern hier wohl nicht ganz mithalten kann (ich weiss nicht, wie jemand den Fahnenmast hier hoch bekommen hat, und Friends zur Absicherung von Routen im IV. Schwierigkeitsgrad anbringen möchte ich in diesem Scherbenhaufen schon gar nicht).

So mache ich mich auf den Weg, klettere die zwei IIer-Stellen vorsichtig ab und steige das 5. Couloir hinunter, es lässt sich einigermassen gut begehen. Am Fuss der Felsen angekommen, bin ich eigentlich ganz froh, wieder unten zu sein.

Und schliesslich: die Querung zum Sattel und der anschliessende Geröllhang hinunter ins Fildrich-Tal sind auch wirklich so mühsam, wie sie in anderen Berichten dargestellt werden.

Fazit:

Der Nordanstieg aufs Türmlihorn stellt eine mögliche Alternative gegenüber der Besteigung von Süden dar. Ob er nun leichter oder schwerer als letztere ist, hängt wohl davon ab, ob man sich in steilem Gras oder in steilem Schutt sicherer fühlt. Es ist eine zusätzliche IIer-Stelle zu bewältigen. Zu bedenken ist auch, dass das heikle Terrain länger anhält als auf der Südseite (an die 400 Höhenmeter - gegenüber gut 150 von Süden). Bei Nässe ist der Südanstieg unbedingt vorzuziehen.

Nachtrag:

Einen Monat später war dann das Türmlihorn plötzlich wegen des tragischen Absturzes einer Schafherde in den Regionalzeitungen. Ursache waren Wanderer, die offenbar dabei waren, einen Teil des Türmlihorn-Westgrats zu begehen, der sonst meines Wissens nach noch nirgends beschrieben ist - schade, dass es dazu wohl keinen Tourenbericht im Internet geben wird.


Tourengänger: marvel


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Kommentare (1)


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Zaza hat gesagt: Marvellous!
Gesendet am 2. November 2009 um 08:28
wirklich ein sehr guter und fundierter Bericht! Da hat das Türmlihorn im August in wenigen Tagen mehr Besuch erhalten als sonst in einem ganzen Jahr!

Gruess, zaza



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