Fümegna-Egotrip mit nassem Ausgang


Publiziert von 1Gehirner , 28. August 2022 um 00:40.

Region: Welt » Schweiz » Tessin » Locarnese
Tour Datum: 5 August 2022
Wandern Schwierigkeit: T5- - anspruchsvolles Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: Gruppo Poncione Rosso   CH-TI   Gruppo Cima di Gagnone 
Zeitbedarf: 8:15
Aufstieg: 1830 m
Abstieg: 1830 m
Strecke:18 km
Unterkunftmöglichkeiten:keine

Zwei Wochen Ferien mit Frau und Kindern in einem Weiler oberhalb von Lavertezzo. Zwei Wochen pausenlos aufeinander sitzen... das kann nicht gut gehen. Haben wir aber schon vor längerer Zeit gemerkt. Deshalb gewähren wir uns gegenseitig in solchen Ferien immer mindestens einen Egotrip. Lustigerweise sind wir diesmal beide denselben Weg gegangen - zumindest am Anfang... Das Ende war für uns beide eher "speziell".

Die Wanderung meiner Frau will ich nicht im Detail beschreiben - nur soviel: Wer von Lavertezzo aus einen Rundtrip im Val d'Agro, Val Pincascia und Val Carecchio plant, sollte wissen, dass der orografisch linksseitige Weg im Val Pincascia unterhalb des kleinen Weilers Pincascia selbst bis zur Brücke am P.673 nicht nur nicht mehr gepflegt wird, sondern teilweise (vermutlich durch die Regenfälle 2021) abgerutscht ist und ein gnädiges T4 verdient. Von T2 oder T3- kann keine Rede mehr sein. Falls jemand Infos zu diesem Weg sucht, habe ich die Wegpunkte Sambuco und Sprüia hinzugefügt, auch wenn sie nicht auf meinem Weg lagen. Man muss schon eine gewisse Freude für Gestrüpp und Tiefblicke haben, um daran Spass zu finden. Vermutlich ist der Niedergang der Capanna Fümegna zugunsten der "neuen" Capanna Cornavosa teilweise daran schuld...

Nun aber zu meiner Wanderung, die im ersten Teil identisch war: Von Verzuolo/Verzöö, wo wir in der Casa Esterina hausen, wandere ich nach dem Frühstück etwa um 9:15 Uhr gut gelaunt los in Richtung Cognera. Der gute Weg mit gemütlichem T2 trägt mich im angenehmen Halbschatten vorbei an vielen, vielen Eidechsen, die wir erstmals mit den Kindern zusammen zählen - getrennt nach Smaragd- und normalen Eidechsen. Ich erhöhe unsere in den 20ern stehende Zahl an Smaragdeidechsen kurz mal um acht, bis ich in Forno ankomme.

Dort überquere ich den Riale d'Agro auf der Brücke, schiesse - exakt wie meine Frau - ein schönes Foto vom grünen Wasser in der Tiefe und steige die steilen Treppen ins Val Pincascia hoch. (Später kommt mir im Gespräch mit ihr die Erkenntnis, warum mir der Weg bis zur Brücke von Pincascia so einförmig und wenig spannend vorkommt: Im Gegensatz zu den anderen Seitentälern des Verzascatals kommt man hier nirgends an einem alten Weiler oder ähnlichem vorbei, auch die dramatischen Wasserfälle, Gumpen oder steilen Abstürze ins Tal halten sich in Grenzen. Die alten Siedlungen liegen auf der anderen Talseite, das Gelände ist unwirtlich steil und erlaubt keine Gebäude.) Immer gleich geht es durch den Wald, bis ich knapp zwei Stunden nach dem Aufbruch am grossen Gebäude gegenüber von Pincascia vorbei komme. Endlich etwas Abwechslung für die Augen!

An der Brücke von Costa gehe ich links hoch - und verpasse völlig den verblichenen Wegweiser zum Aufstieg auf Tòr und Matarello, die eigentlich meine Ziele gewesen wären! Erst 100m höher erkenne ich meinen Irrtum und beschliesse zur Alpe Fümegna weiterzugehen. Der Weg ist deutlich weniger gut instand gehalten - wie mir der hilfsbereite Älpler später erklärt, sollte sich das Ente Turistico darum kümmern, das aber offenbar das Interesse daran verloren hat, seit die Capanna Cornavosa so beliebt geworden ist. Dennoch komme ich problemlos an der unteren Alp an (3h nach Aufbruch).

Der Älpler erkennt mich sofort (am Rucksack?) als Ehemann meiner Frau und wir quatschen ein bisschen. Dann fülle ich meine Wasserflaschen und mache mich wieder auf, hoch zur Capanna Fümegna auf 1822m. Problematisch ist jedoch, dass der Weg, die Munggenlöcher, -pfade und Kuhterrassen fast gleich aussehen. Bei einem besonders üppig ausgebauten Munggenloch auf ca. 1700m verliere ich den eigentlichen Wanderweg aus den Augen und kraxle/stolpere/stapfe ziemlich chaotisch kreuz und quer über die steile Wiese aufwärts, alle paar Minuten wieder fälschlich davon überzeugt, den Wanderweg wiedergefunden zu haben (bis er wieder an einem Loch endet...). Schliesslich finde ich ihn auf etwa 1750m wieder und erreiche wenig später die alte Capanna. Diese ist leider "chiuso", wie mehrere handgeschriebene Schilder verraten, und wirkt auch nicht so, als wäre sie zu Lebzeiten besonders heimelig gewesen. Der im Keller eingebaute Kuhstall macht auch einen etwas skurrilen Eindruck.

Ich schaue mich ein wenig um, bevor ich mir die Forcarella di Lodrino als nächstes Ziel aussuche. Und wieder unterläuft mir ein Fehler - ich gehe viel zu vorschnell davon aus, sie schon vor mir zu sehen. Wie sich später herausstellt, habe ich mir "optisch" die Bassa P. 2233 (ohne nähere Benennung) zum Ziel gesetzt... War wohl nicht gerade mein Glanztag als Navigator. Aber ich hab mir auch gedanklich einige Auszeiten gegönnt.

Ich steige also zum P.1976 auf, statt nach Süden zu gehen - was sich als unverhofft guter Einfall erweist, denn die Landschaft hier oben mit dem weiten Kessel unter der Bassa ist unglaublich beeindruckend und ich finde ausserdem zum ersten Mal in meinem Leben Edelweiss. Und nicht nur eins, sondern eine ganze Kolonie! Offenbar mögen sie stark verwitterten, abblätternden Gneis, denn auf einer solchen Platte wachsen sie - und sonst nirgends in der Umgebung.

Hinter dem einsamen Nutzgebäude bei P.1976 (das auf der LK 1:25000 drauf ist, auf der 1:10000 aber komischerweise nicht) würde nochmal ein Weg nach rechts abzweigen zur Forcarella - der gut und weithin erkennbar markiert, auf der LK aber nicht eingezeichnet ist. (Hier erkenne ich erst im Abstieg endlich meinen Forcarella/Bassa-Irrtum!) Ich bin etwas verwundert ob der unterschiedlichen Richtungen, beschliesse aber, den begonnenen Weg auch zu beenden. Zumindest, soweit möglich.

Gut markiert und immer zu erkennen geht der wbw Weg zur Bassa erst auf dem Moränenrücken, dann durch ein Schuttfeld aufwärts. Im Schutt rutscht einiges, das meiste ist aber fest (zumindest im Aufstieg). Dann geht es ein paar Meter nach rechts zum Einstieg in die auslaufende Flanke des Poncione Rosso, wo ich die Stöcke liegen lasse. Die brauche ich ab hier nicht mehr - zu sehr sind die Hände gefragt.

Bis hier ist der Weg vielleicht T3+, aber nun bin ich im steilen, absturzgefährdeten Gelände mit losen, abwärts geneigten Platten unterwegs - ich würde sagen, etwa T5-. Ehrlich gesagt habe ich mich im Aufstieg zum Piz Linard mit seinem rutschigen Schutt deutlich wohler gefühlt als hier - es gab einfach mehr zum Festhalten und Draufstehen, was sich nicht sofort verabschiedet hat. Nicht immer gibt es hier sichere Griffe oder Tritte, aber solange ich die Dreipunktregel im dynamischen Sinn sicher befolgen kann, gehe ich (definitiv etwas angespannt und sehr konzentriert) weiter. Trotzdem endet mein Exkurs schon bald auf etwa 2200m an einer Platte, auf die ich stehen müsste, ohne mich festhalten zu können oder ein Seil zu haben - und an der Platte sind in letzter Zeit offenbar schon Stücke abgebrochen, auch klingt sie ziemlich hohl beim Draufklopfen. Mir gefällt das nicht, immerhin hab ich Frau und Kinder. Also breche ich hier ab und steige vooooorsichtig, jeden Schritt und Griff prüfend, wieder zu den Stöcken zurück. Mittlerweile bin ich 5,5h unterwegs.

Der weitere Abstieg durchs Schuttfeld hält dann zwar noch den ein oder anderen überraschend losen Block für mich bereit, ist aber unproblematisch. Nahe P.1976 gönne ich mir die erste grössere Pause der Tour und geniesse ein kurzes Bad im Bach. Zwar will ich hier auch meine Wasservorräte auffüllen, finde aber, dass das Wasser einen merkwürdigen Geschmack hat. Es fliesst kurz vorher durch eine Art kleines Moorgebiet - vielleicht deshalb. Jedenfalls leere ich die Flaschen wieder aus, habe aber auch sonst keine Vorräte mehr dabei. Ich denke mir, dass ich ja jederzeit auf dem weiteren Abstieg auffüllen kann... ein weiterer Irrtum.

Als ich mich genüsslich nach dem Bad auf einer rötlichen Felsplatte mit schöner Aussicht von Sonne und Wind trocknen lassen will (15:00), bemerke ich, dass es plötzlich ungemütlich grau von rechts und links über die Bergketten herüberwolkt. Ich schaue zurück und sehe, dass sich eine dicke dunkelgraue Wolke über die Bassa ins Val Pincascia drückt. Es grummelt und blitzt plötzlich in den Nachbartälern.

Da geht mir dann doch der Arsch ziemlich auf Grundeis. Ich bin noch etwa 400m über der Waldgrenze, wo ich vor einem Gewitter immerhin halbwegs sicher wäre. Schnell packe ich all meine Sachen zusammen und laufe los - so schnell es der Weg zulässt. Ich renne, renne, renne (wobei ich zwar nicht erkenne, wo ich den Weg auf 1700m vorher verloren hatte, aber zumindest, wo er verlaufen wäre...), laufe an der unteren Alpe Fümegna vorbei, weiter ins Tal hinein, und immer weiter, weiter, weiter bis zur Brücke von Forno. Absurde 1100hm auf knapp 6km verbrenne ich im Dauerlauf in 1:15h, ohne einmal anzuhalten und ohne etwas zu trinken - getrieben von dem Gedanken, möglichst viel Weg hinter mich zu bringen, bevor das vermutlich die ganze Nacht anhaltende Gewitter mich erwischt. Bei der Alpe hätte ich zwar auffüllen können, war aber zu gehetzt, um daran zu denken. Immer wieder regnet es kurz - und hört dann nach wenigen Minuten wieder auf.

Kurz vor Forno erst, um 16:15 Uhr, geht dann der Regen richtig los. (Ich habe später den Verdacht, dass es im Val Pincascia fast gar nicht geregnet hat und sich alles im Val d'Agro gestaut und abgeladen hat.) Anfängliche Hoffnungen, es könnte ein kurzer Schauer sein, zerschlagen sich nach zehn Minuten Warten unter einem dichten Baum. Ich mache mein Gepäck regenfest (für mich selber habe ich nichts dabei) und werfe mich für die letzte Etappe in die senkrechten Fluten. In kürzester Zeit bin ich völlig durchnässt - jetzt kommt es auch nicht mehr drauf an... Ich lasse mir etwas mehr Zeit, auch um den Durst nicht noch schlimmer zu machen (und auf den unglaublich glitschigen Wegsteinen nicht ständig auszurutschen). Absurd, aber in einem Tal mit haufenweise Seitenbächen und einem Fluss, im strömenden Regen, habe ich nichts zu trinken. Die Seitenbäche sind noch trocken, der Fluss ist unerreichbar weit unten in der steilen Schlucht. In Cognera endlich gibt es einen Brunnen, wo ich auftanken kann.

Endlich komme ich eine Stunde später im Ferienhaus an. Meine Frau ist unendlich erleichtert - während ich nur die letzte Stunde wirklich im starken Regen unterwegs war, hatte sie in Sonogno mit den Kindern schon drei Stunden vorher einen Platzregen erlebt, der danach nicht mehr aufgehört hat, und hatte sich ziemliche Sorgen gemacht, was bei mir wohl los wäre. Dass im Val Pincascia fast kein Handyempfang ist und ich daher kaum Updates per SMS schicken konnte, vor allem nicht ab Forno, machte es für sie nicht einfacher.

Da bin ich einmal, ein einziges Mal, ohne Regencape im Gepäck unterwegs und es ist kein Regen angesagt... und dann sowas! Aber Ende gut, alles gut. Ein Abenteuer war's auf jeden Fall!

Tourengänger: 1Gehirner


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