Pulvrige Verhältnisse am Pizol


Publiziert von rhenus , 19. Dezember 2020 um 22:14.

Region: Welt » Schweiz » St.Gallen
Tour Datum:19 Dezember 2020
Ski Schwierigkeit: WS
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-SG 
Zeitbedarf: 3:30
Aufstieg: 700 m
Abstieg: 1800 m

Nachdem ich diesen Donnerstag am Sichler besten Pulverschnee vorgefunden hatte, gings heute mit Ersatz-Skischuhen erneut ins herrliche Pizolgebiet. In der Gondel  traf ich eine ehemalige Mitarbeiterin an, die ich mit ihrer Maske nur auf mein Nachfragen hin mit Sicherheit erkannte. Dieses Erlebnis zeigte mir einmal mehr auf, dass der freundschaftlich-spontane Austausch, der mit viel Emotionen verbunden ist, als Folge der coronabedingten "Maskerade" zu kurz kommt und ein grosser Verlust für die Gesellschaft darstellt. Bei der Pizolhütte kläfften mich dann 8 Hunde an, die mit ihren Führern am Muggerchamm eine Lawinenortung durchführten; auch sie scheinen sich möglicherweise noch nicht an maskierte Menschen gewöhnt zu haben?

Bei erneut milden Temperaturen stieg ich anschliessend maskenlos vom Twärchamm und dem quellreichen Bölli zur Wildseeluggen. Über den gefrorenen Wildsee bei leichtem Föhn dann gemächlich bergan, flankiert von lauter Hörnern, nämlich den 12 Lavtinahörnern zur Rechten und den 6 Wildseehörnern zur Linken. Im Oktober 2020 ereignete sich vom Grat  2810m südöstlich vom Pizol zum Wildsandhorn ein Felsabsturz grösseren Ausmasses, der möglicherweise auch den Sommerweg beschädigte, der vor einigen Jahren östlich des Pizols erstellt wurde ("Sarganserländer" vom 29. Oktober 2020). In den vergangenen Jahren kam es in diesem Gebiet infolge des absterbenden Pizolgletschers und dem auftauendem Permafrost immer wieder mal zu Felsstürzen. Das blockige Gesteinsmaterial des neuesten Felssturzes lagerte sich am Hang bis auf eine Höhe von ca. 2620m ab und war trotz ca. 80 cm Schneehöhe gut zu erkennen. Genau durch diese Felssturzzone war nun die ansonsten tadellose Aufstiegsspur angelegt; die Kantonspolizei St. Gallen empfiehlt einen Aufstieg westlich vom Felssturzgebiet, denn Felsstürze können sich erfahrungsgemäss zu jeder Jahreszeit ereignen. Vom Pizolsattel kraxelte ich dann in wenigen Minuten bei besten Verhältnissen hinauf zum Gipfelkreuz. Das Stahlseil als Sicherungshilfe ist derzeit überall freigelegt. Oben genoss ich die weitreichende, wunderschöne Aussicht, bevor ich in herrlichem Pulverschnee ohne jeden Steinkontakt abfuhr. Erstaunlicherweise zählte ich heute trotz prächtigem Wetter und besten Schneeverhältnissen "nur" 6 Besteiger des leicht erreichbaren Gipfels, was mich doch überraschte. Über die harte Skipiste rutschte ich zur Mittelstation und fuhr von dort mit der Gondel wieder zurück ins Tal.

Der Skiliftbetrieb im ganzen Kanton St. Gallen und in den Innerschweizer Kantonen wird ab dem 22. Dez. 2020 aufgrund der epidemiologischen Lage bis auf Weiteres komplett eingestellt. Auch wenn man als Tourenskifahrer von dieser Massnahme nicht stark tangiert ist, für die betroffenen Gebiete bedeutet dies eine grosse Herausforderung, wird doch ca. ein Drittel des jährlichen Umsatzes jeweils über Weihnachten und Neujahr erwirtschaftet.

Der Pizol ist eine heikle Skitour bei "erheblicher Lawinengefahr"
Der Pizol gilt zurecht als wunderschöne, einfache Skitour. Bei der Lawinengefahrenstufe "erheblich" kann eine Skitour auf den Pizol aber sehr heikel sein. Seit dem Aufkommen des Skitourismus dürften tragischwerweise schon etliche Tourenfahrer von einer Lawine begraben worden sein. Heikle Passagen sind der Aufstieg zur Wildseeluggen, die Querung hinunter beim Wildsee, der steile Schlusshang unter dem Pizolsattel und bei ungünstigen Verhältnissen (bei Vereisung ohne Steigeisen) der Fussaufstieg zum Gipfel.

Als erstes Lehr-Beispiel sei das tragische, nur teilweise geklärte Lawinenunglück vom 8.1.2007 aufgeführt, bei dem 2 Menschen ihr Leben verloren. Retrospektiv dürfte sich der Unfall wie folgt ereignet haben: Eine  Skitourengängerin und ein mit ihr befreundeter Skitourengänger stiegen am 8.1.2007 bei "erheblicher Lawinengefahr" von der Pizolhütte zur Wildseeluggen. Die beiden liefen in Abstand zueinander. Im steilen Westhang oberhalb des Wildsees löste der spurende Tourengänger eine Schneebrettlawine aus, welche ihn in Richtung Wildsee mitriss und ganz verschüttete. Die nachfolgende Frau wurde von der Lawine nicht erfasst und versuchte beim Lawinenkegel Kameradenhilfe zu leisten. Da ihr Rettungsversuch misslang, stieg sie wieder zur Wildseeluggen hoch. Dort muss sie an Erschöpfung gestorben sein. Die von ihren Angehörigen vermisste Frau wurde in der Folge erst am 10.1.2007 von zwei weiteren aufsteigenden Skitourengängern leblos aufgefunden. Diese alarmierten die REGA. Erst 2 Tage später, d.h. am 12.1.2007 galt auch ihr Tourenpartner als vermisst. Die von der Alpinen Rettung Ostschweiz gestartete aufwändige Suchaktion auf dem Lawinenfeld und im Wildsee verlief vorerst erfolglos, trotz dem Einsatz von Tauchern. Erst nach der Schneeschmelze am 13.6.2007 konnte die Alpine Rettung den leblosen Körper des verschütteten Tourengängers aus dem Eis des Wildsees bergen (Verwendete Quellen: SLF, Schnee und Lawinen in den Schweizer Alpen Winter 2006/2007; Alpine Rettung Schweiz, Zone 1 Ostschweiz, Jahresbericht 2007).

Schon etwas länger zurück liegt das schwere Lawinenunglück vom 24. Febr. 1957. Es forderte 3 Todesopfer und ereignete sich oberhalb des Gebiets "Bölli" nordöstlich der Wildseeluggen. Auf eine instabile Schneedecke wurden am Vortag bedeutende Neuschneemengen abgelagert. Trotz Warnungen des  Hüttenwarts der damaligen SAC-Hütte Piz Sol (diese Hütte wurde vor einigen Jahren abgebrochen) stiegen rund 50 Skifahrer auf den Pizol. Die letzte Skifahrergruppe verliess (ohne angebundene Lawinenschnüre, wie damals bei erhöhter Lawinengefahr üblich) am frühen Nachmittag die damals neu erstellte Teehütte auf der Wildseeluggen, die früher ohne Bahnanlagen bei der langen Tagestour von Wangs aus gut frequentiert war. Als die 5-er Gruppe den sehr steilen SSE-Hang unterhalb der Felsköpfe des Schottenseehorns querte, wurde sie von einer verhältnismässig kleinen Lawine erfasst. Diese verschüttete eine Frau vollständig. Nach der Befreiung eines teilweise Verschütteten (drei Personen wurden nicht erfasst), fuhr eine Person zwecks Alarmierung zur SAC-Hütte ab, während die anderen drei nach der Verschütteten suchten. Von der SAC-Hütte stiegen sofort vier Mann zur Unfallstelle auf und begannen mit Sondierstangen und Lawinenschaufeln nach der verschütteten Frau zu suchen. Etwa um 15.30 Uhr stürzte eine weitere und bedeutend grössere Lawine vom Schottenseehorn herab und verschüttete die aus fünf Personen bestehende Suchmannschaft; auch diese Personen hatten sich keine Lawinenschnüre angebunden. Drei Personen der Suchmannschaft konnten sich selbst befreien, doch von zwei weiteren Personen fehlte nun jede Spur. Aufgrund möglicher weiterer Lawinenabgänge und ungünstiger Witterungsverhältnisse wurde die Rettungsaktion abgebrochen. Erst an den folgenden drei Tagen konnte eine bis 50-köpfige Suchmannschaft mit Lawinenhunden alle drei Todesopfer bergen. Die drei Opfer waren nur 22- bis 28-jährig. Die Schneehöhe der insgesamt vier niedergegangenen Lawinen betrug im Ablagerungsgebiet bis 7m. Der Bericht des EISLF bemängelte neben dem damals fehlenden Rettungsdienst am Pizol insbesondere den Umstand, dass die Sucharbeit am Nachmittag des 24.2.1957 eingestellt wurde, wodurch die Überlebenschance der Verschütteten stark sank (Eidg. Inst. für Schnee- und Lawinenforschung, Schnee und Lawinen in den Schweizeralpen Winter 1956/57, Nr. 21, S. 70 - 73).  

Tourengänger: rhenus


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