Rothaarsteig - einmal längs durchs Rothaargebirge


Publiziert von Günter Joos (gringo) , 21. November 2020 um 21:20.

Region: Welt » Deutschland » Westliche Mittelgebirge » Sauerland
Tour Datum: 7 November 2020
Wandern Schwierigkeit: T2 - Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: D   Rothaargebirge 
Zeitbedarf: 8 Tage
Strecke:154
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Brilon verfügt über Bahnanschluss
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Dillenburg verfügt über Bahnanschluss
Unterkunftmöglichkeiten:Siehe etwa im Rothaarsteig-Führer des Conrad-Stein-Verlages

                                In Lockdown-Zeiten vom Sauerland ins Sieger-  und Wittgensteinerland

Zwischen dem südlichen Nordrhein-Westfalen und dem nördlichen Hessen erstreckt sich das Rothaargebirge in grober Nord-Südrichtung. Der Hauptkamm bildet dabei oft die Ländergrenze. Alte Grenzsteine erinnern zudem an historische Grenzen einstieger Fürsten- und Herzogtümer. Das in vieler Hinsicht typische deutsche Mittelgebirge gehört zum Rheinischen Schiefergebirge und weist viel Bewaldung auf. Diese wird immer wieder abwechslungsreich von Heide- und Wiesenmatten unterbrochen. Lothar- und neuerdings auch Borkenkäferschneisen sorgen für zusätzliche Aussichten. Der Norden des Rothaargebirges weist sowohl die höchster Erhebungen von über 800 m, als auch die ausgebautere touristische Infrastruktur auf, wenngleich die vielen Ski- und Langlaufstationen inzwischen und in Zukunft wohl mehr und mehr dem Klimawandel zum Opfer fallen dürften. Der Süden ist mit unter 700 Metern nicht mehr so hoch, es ist dort stiller und einsamer, mit merklich schwächerer Infrastruktur. Das Gebirge ist verhältnismäßig wasserreich, es entspringen dort viele Quellen, wie etwa die der Ruhr, der Lahn, oder der Dill. Neben den Höhenzügen entzücken auch wildromantische Wald- und Wiesentäler. Hin und wieder werden kleine, verschlafene Ortschaften gestriffen oder durchwandert.

Der Rothaarsteig wurde 2001 eröffnet und weist eine Länge auf der Grundstrecke von 154 km auf. Der Steig ist sowohl als Premiumwanderweg, als auch "Qualitätsweg wanderbares Deutschland" zertifiziert und gehört zu den 14 "Top Trails of Germany".

Dass unsere Rothaarsteigbegehung ausgerechnet in den Lockdown fallen musste, sorgte für einige Besonderheiten bei Planung und Ausführung. Die Erfahrung hierfür hatte ich ja bereits im Frühjahr etwa auf dem Rennsteig oder dem sächsischen Forststeig gesammelt. Eine nahezu vollständige Autarkie war gefragt, denn bis auf Lebensmittelkäufe stand uns keinerlei Infrastruktur zur Verfügung. Übernachtungen also draußen, in unserem Fall fast ausschließlich in offenen Schutzhütten am Weg, in denen wir die Nächte am Boden liegend mit Schlafsack und Isomatte zubrachten. Selbstredend waren wir mit schweren Trekkingrucksäcken unterwegs. Eine zusätzliche Erschwernis im Vergleich zum Frühjahr waren jetzt im November die sehr kurzen Tage. Mit dem Wetter hatten wir Glück. Es blieb weitestgehend trocken und war für die Jahreszeit recht mild. Ein Wintereinbruch, wie ich ihn auf dem Rennsteig überstehen musste, blieb uns diesmal erspart.

Der Rothaarsteig ist zwar hervorragend markiert, doch allein schon der Fülle an kulturellen, botanisch-faunistischen und praktischen Informationen zu Liebe empfiehlt sich die Mitnahme einer Karte, bzw. eines Wanderführers. Uns waren sowohl der Rothaarsteigführer aus dem Conrad-Stein-Verlag, als auch die 1:25.000er Karte mit Zusatzinfos des Verlages publicpress überaus dienlich.
                                                                             

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07.11.2020  Am frühen Nachmittag treffen wir in Brilon ein. 2 bis 3 Stunden verbleiben uns, ehe es dämmring, bzw. dunkel wird. Das einstige Glockengießerstädtchen empfängt uns mit weiß verputzten Fachwerkhäusern. Das Fachwerk ist hier fast ausschließlich rechtwinklig verbaut, durchaus also schon anders, als bei uns im Südwesten. Wir werden derartigen Baustil, wie auch Verkleidungen aus dunklem Schiefer, entlang des Rothaarsteigs noch oft antreffen. 

Bald schon steigen wir aufwärts, Wald und offenes Wiesenland wechseln,  hin und wieder bieten sich Rückblicke ins in einen Talkessel geschmiegte Brilon. Ein strahlend blauer Himmel ist uns zum Auftakt vergönnt, wir wandern kurzärmelig. 

Borbergs Kirchhof ist die erste große Sehenswürdigkeit auf dem Rothaarsteig. Wir betreten eine Wallanlage aus merowingischer Zeit und gehen weiter zur Kapelle, hinter der sich an einer Abbruchkante eine herrliche Aussicht sowohl auf die Ortschaft Olsberg, als auch auf den gleichnamigen Berg ergibt. Fledermäuse flattern umher. Fast sind wir versucht, die Nacht hier am Aussichtspunkt unter freiem Himmel zu verbringen, entscheiden uns aber dann doch für ein Dach über dem Kopf und beziehen das Unterstandshüttchen unweit des Wallportals. Abergläubisch sollte man hier nicht sein, schließlich diente der Kirchhof im Mittelalter als Bestattungsort für die Pesttoten …
 
08.11.2020: Nach Durchschreiten einer abgeholzten Fichtenplantage erfordern Habberg (654 m), Ginsterkopf (657 m) und eine weitere, namenlose Bergkuppe in einem Auf und Ab einen kleinenKonditionstest.Der Beginn des Trails ist bezüglich der Höhenmeter der anspruchsvollste Teil des Rothaarsteiges. Vorbei am Kunstwerk der Feuereiche geht es jetzt auf die Bruchhauser  Steine zu. Die Felsformationen sind vulkanischen Ursprungs und weisen Wandhöhen bis zu 92 m auf. Der höchste Punkt mit Gipfelkreuz ist erwanderbar. Wir lassen uns dies nicht nehmen, trotz des regen Publikumsverkehrs ob des wetterprächtigen Sonn(en)tages. Wer den Berg hinab geht, muss schließlich auch wieder hinauf. Das Groß des Wiederanstieges ist am Richtplatz geschafft. Bis zum 843 m hohen Langenberg ist es nicht mehr weit. Der höchste Berg des Rothaarsteigs und NRWS ist am Gipfelkreuz ohne Aussicht erklommen.  Die Hochheidehütte erreichen wir in der anbrechenden Dämmerung. So können wir uns die nordisch anmutende Heidelandschaft, welche hinter der Hütte beginnt, ohne sonntäglichen Menschentrubel zu Gemüte führen. Clemensberg und Hoppeckequelle erwandern wir noch, bis wir die Unterstandshütte am Streit (785 m) zu unserem Nachtlager bestimmen.

09.11.2020: Auf Küstelberg zu geht´s vornehmlich über Waldpfade durch moosgrüne Wälder hindurch, es öffnen sich aber auch Aussichten über offenes Weideland hinweg. Wir erreichen die Ruhrquelle. Hier darf durchaus mal besinnlich innegehalten werden, denn schließlich ist die Ruhr Hauptstrom und Namensgeber für die mit Abstand größte Agglomeration Deutschlands.
 Nach einem wolkigen Start ist es inzwischen wieder wunderbar sonnig geworden. Der Ski- und Ferienort Winterberg hält uns für eine Weile. Der Kocher hat den Geist aufgegeben, und wir stocken unsere Verpflegung auf. Außerdem schickt Udo seine schweren Bergstiefel nach Hause und tauscht sie gegen leichte Trekkingschuhe. Hinter Sommerbobbahn und Sprungschanze werden wir wieder vom Wald verschluckt. Hatten wir Winterberg zuvor durch eine idyllische Waldklamm erreicht, so verlassen wir den Ort über eine weitere Klamm.  Weit soll´s nicht mehr gehen, es ist inzwischen schon recht dämmrig geworden. Eine Unterstandshütte am Biatlonstadion kommt uns gerade recht. Gut so, denn das etwa 1 km weiter entfernte Unterstandshüttchen wäre für eine Übernachtung zu klein gewesen.
 
10.11.2020: Wir starten zeitig und wollen unser Frühstück auf dem Kahlen Asten einnehmen, zumal uns Petrus bereits in der Früh einen strahlend blauen Himmel genehmigt. Der Kahle Asten ist mit 842 m knapp nicht der höchste, dafür aber der bekannteste und vielleicht auch der schönste Berg des Rothaargebirges. Selbstredend, dass dort droben meist der Bär steppt, doch heute scheint der Berg nur uns zu gehören. Wir zelebrieren buchstäblich unseren Morgenkaffee in der langsam wärmenden Morgensonne bei den verlassenen Tischen und Bänken unterm Gipfelturm, inklusive Frühstücks-Fern-Sehen über die ausgedehnte, mit Heidematten überzogenen Gipfelkuppe hinweg. Weit und breit keine Menschenseele ...
Die Fortsetzung des Weges über Langewiese zur Hoheleyerhütte bleibt kurzweilig. Offenes Wiesenland garantiert Weitblicke über Täler und Bergkuppen hinweg. Dazwischen fügen sich attraktive Waldstücke. Der Gang durch die sich anschließenden Weihnachtsbaumkulturen ist hingegen monoton. Sonnige Mittagspause auf einem Picknickareal in Schanze. Wir beenden die Etappe in einem wildromantischen Bachtal, gerade mal 500 m vom Ortseingang Latrop entfernt, an einer gut ausgestatteten Grillhütte. Ein erfrischend kaltes Bad im Bach erweckt bringt nochmals den Kreislauf in Schwung und beugt dem Muskelkater vor.
 
11.11.2020:  Latrop, ein herausgeputztes, kleines Bergnest, fügt sich längs ins schmale Tal hinein. Millionenbank heißt der Rastplatz, wo sich unsere Tal- mit der Kammvariante wiedervereinigt. Jagdhaus kann zu anderen Zeiten den Wanderer mit einem noblen Resort im Landhausstil empfangen. Jetzt ist dieses natürlich geschlossen. Zur Mittagsrast treffen wir am Rhein-Weser-Turm ein. Dann geht´s hinab ins idyllische Schwarzbachtal. Auf der heutigen Etappe durchwandern wir ein Gebiet, in dem gelegentlich frei lebender Wisente anzutreffen sind,. Diese tun uns allerdings nicht den Gefallen, sich irgendwie für uns blicken zu lassen. 

Am  Unterstand Hochheide beschließen wir den Tag, der wettermäßig der bislang schlechteste war. Zwar blieb es nahezu niederschlagsfrei, dafür aber war´s kühl, windig und nebelfeucht. Inzwischen stecken wir in dichtem Nebel, die moorige Umgebung mit Birken und Heidekraut wirkt gespenstisch. Der Unterstand bietet zwar ein Dach, aber kaum Windschutz. Den Kopf tief in den Schlafsack vergraben, Augen zu, und durch ...

12.11.2020: Der trübe Wettereindruck bleibt in der ersten Tageshälfte bestehen. Wir unternehmen heute einen Abstecher nach Hilchenbach, da wir unsere Vorräte auffüllen müssen. Abstieg dorthin ab der Ferndorfquelle. Und wer hätte das gedacht? Unter den mild wärmdenden Strahlen einer goldenen Herbstsonne kehren wir am späteren Nachmittag auf unseren Steig zurück! Am Waldrand oberhalb der Ortschaft Lüzel wird die Etappe beendet. Mangels Unterstand kommen jetzt die Zelte zum Einsatz. Unser abendliches Lagerfeuer ruft zuerst den Wald- und kurz danach den Wiesenbesitzer auf den Plan. Mit beiden kommen wir zu netten Gesprächen und holen uns somit auch posthum die Erlaubnis für unser eigentlich verbotenes Tun ...

13.11.2020: Es ist noch dunkel, als bereits unser Morgenkaffee dampft. Die Lichter der Stadt Siegen leuchten in der Ferne, und am Firmament des in ein verhaltenes Blau übergehenden Nachthimmels glitzern  Neumond und Sterne. Mit folgender Umleitung geht uns leider ein Teil des Naturschutzgebietes Ederbach verloren. Wenigstens dürfen wir die Eder auf ihrem letzten Kilometer bis zu ihrer Quelle begleiten. Es ist heiter bis wolkig, doch ein kalter Wind pfeift -  besonders gemein über die aussichtsreichen Weideflächen außerhalb des Waldes.

Heute ist der Tag der Quellen: auf die Siegquelle folgt die Ilmquelle. Die Lahnquelle befindet sich auf dem Territorium des Lahnhofes, den wir knapp umgehen. Auch ist heute der Tag der Umleitungen. Diesen fällt  die Ilsequelle zum Opfer. Der Fichtenkahlschlag hat hier seinen Höhepunkt, wir werden an unsere jüngst zurückliegende Tour durch den Harz erinnert. Anders als im Harz scheint im Rothaargebirge aber ein weitgehend intakter Mischwald  für einen gewissen Ausgleich zu sorgen.
Die Unterstandshütte an der Dillquelle befindet sich inmitten eines Kahlschlags mit  Endzeitstimmung. Dennnoch wird die Hütte von uns ob ihres Zustandes und ihrer Ausstattung  zum besten Übernachtungsplatz auf dem Steig gekürt.
 
14.11.2020: Stimmungsvoller Morgen mit Bodennebel. Es ist bedeckt, mit Wolkenlücken. Über Gernsbacher- und Tiefenrother Höhe geht´s zum Pavillon am Haubergspfad, wo u.a. das traditionelle Köhlerhandwerk anhand von zwei Kohlenmeilern besehen werden kann. In der Folge werden die Hügel sanfter, die Ortschaften links und rechts des Steiges größer. Der Zielort Dillenburg in Hessen gerät zum ersten Mal ins Blickfeld. Mit der Struth wird der letzte Ausläufer des Rothaargebirges überschritten. Doch der Anstiege ist damit noch nicht genug: nach Durchschreitung von Obstwiesen wird zuerst der Galgenberg, und danach der Adolfsberg erstiegen. Am Pavillion mit Blick zur Burg mit Wilhelmsturm, dem Wahrzeichen von Dillenburg, beschließen wir den Tag. Just bei unserer Ankunft versinkt die Sonne hinter den Höhen des Westerwaldes.

15.11.2020: Hinab ins geschichtsträchtige Dillenburg. Der Rothaarsteig führt durch die sehenswerte Innenstadt. Dillenburg ist  die Geburtsstätte von Wilhelm von Oranien. Kein Wunder, dass Stadt und Region zu normalen Zeiten regen Besuch von unseren niederländischen Nachbarn erhält.
Auf dem Weg noch schnell in der Bäckerei vorbei, dann geht´s zum Bahnhof zur Rückfahrt in die Heimat.

P.S.: Leider sind die Wegepunkte Benfe, Ederquelle und Rodenbach beim Eintragen aus ihrer korrekten Reihenfolge gefallen. Sind aber auf der Karte gut auffindbar.

Tourengänger: Günter Joos (gringo)


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