Überschreitung Cristallina 2912m

Nach meiner Traumtour auf Pizzo Pesciora und Pizzo Rotondo diesen Donnerstag fiel der Entscheid leicht, nochmals ins Bedrettotal zu pilgern. Heute wollte ich zum ersten Mal dessen Südseite erkundigen - und was liegt da näher als ein Besuch des Vorzeigegipfels Cristallina. Skitechnisch ist das ein äusserst vielfältiger Berg, die Tourenkarte nennt ganze sieben Varianten. Bei den sicheren Bedingungen heute konnte ich bei der Planung aus dem Vollen schöpfen und habe mir eine rassige Kombinationen gebastelt bestehend aus dem einsamen Aufstieg via Lago del Narèt (von Osten), einem steilen Intermezzo in der Nordflanke sowie der langen Schlussabfahrt durchs Val Cassinello zurück nach Ossasco.

Heute war im Val Bedretto ein rechtzeitiger Start angezeigt, wollte man bei der Parkplatzsuche nicht in die Bredouille geraten. Gut, dass nun endlich auch am Alpennordhang der grosse Schnee kommt. So geht's bereits um 7:45 los unten in Ossasco (1313m). Der Aufstieg durchs Val Torta Richtung Cristallinahütte dürfte fast immer gespurt sein, böte aber auch sonst kaum Orientierungsprobleme. Die enge Waldpassage zum Einstieg ist völlig ausgetreten und entsprechend rutschig, anschliessend geht's in sanfter Steigung weiter talaufwärts. In der Ebene verabschiede ich mich von der Normalroute und steige auf verblasener Spur zum Passo del Narèt (2438m) hoch. Wer mag (wie ich), schaut noch kurz auf dem Pizzo del Narèt (2588m) vorbei, ein Umweg von 150Hm - schöner Blick auf den See und die Cristallina.

Eine kurze Abfahrt bringt mich runter zum See, dann weiter über die Ebene nach Sasso del Corbo. Die Spur teilt sich, ich folge der linken. Ein Fehler, denn sie erweist sich als Abfahrtsspur. Die Quittung sind 300Hm Plackerei durch mühseligen Schnee bis in den Kessel vor der Cristallina. In deren gut 35° steilen Ostflanke kann ich dann wieder von Spuren der Vortage profitieren. Die obersten zehn Meter vor dem Grat sind übrigens über 40° steil, ich absolviere sie zu Fuss. Zuletzt direkt über den Grat oder leicht westlich davon zur Cristallina (2912m), wo bereits eine Handvoll Türeler pausiert. Das Panorama ist umfassend und atemberaubend, sei's auf den Basòdino, die Adula oder den Rotondo. Viel weiter reichen meine Gipfelkenntnise als Alpennordhang-Fanatiker nicht wirklich...

Eine schöne Pause später mach ich mich an die Abfahrt. Bei so stabilen Verhältnissen wie heute kann ich der Nordflanke nicht widerstehen, auch wenn die Normalroute skifahrerisch vermutlich lohnender gewesen wäre. Die obersten 100Hm sind durchgehend >45°, anschliessend läuft das Gelände angenehm aus. Wer noch etwas Saft in den Beinen hat, wählt nun den kurzen Wiederaufstieg zur Bassa di Folcra (2562m). Man gelangt so zu einer prächtigen 600Hm-Abfahrt durchs Val Cassinello bis zur Alp Folcra. Aber auch hier müssen die Bedingungen stimmen angesichts von NW-exponierten Hängen >35°. Die Schneeverhältnisse heute waren top: schon recht verfahren, aber trotzdem genug Platz für eigene Spuren im Pulverschnee. Zuletzt längere Querung zurück zur Normalroute und in wilder Rallye über den Waldweg zum Ausgangspunkt Ossasco.


Zeiten (kum)
2:20  Pizzo del Narèt
4:00  Cristallina
5:30  Ossasco