Monte Antelao 3264m - nach dem Felssturz


Publiziert von Cubemaster , 8. März 2018 um 16:14.

Region: Welt » Italien » Venetien
Tour Datum:30 Juli 2016
Hochtouren Schwierigkeit: WS+
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: I 
Zeitbedarf: 12:00
Aufstieg: 2000 m
Abstieg: 2000 m

Vorbemerkung: Etwa 1,5 Jahre nach meiner Besteigung des Antelao habe ich mich nun entschieden, diesen Bericht zu veröffentlichen, um anderen Bergsteigern eine Informationsquelle über die neu entstandene Situation an diesem Berg zu liefern. Über 3 Jahre nach dem Felssturz ist die Informationslage nämlich immer noch recht dürftig, es ist also weiterhin durchaus möglich, dass jemand diesen Berg angeht, der nichts von diesem Ereignis weiß. Genauso ist es mir nämlich ergangen und ich hoffe, mit diesem Erlebnisbericht dazu beitragen zu können, anderen Bergsteigern eine solche Erfahrung zu ersparen!

Als Grundlage für meine Tour sollte der hikr-Bericht von gero dienen. Seine Berichte sind für mich eine Instanz auf hikr. Sie haben immer Top-Qualität und vermitteln einen ausführlichen Eindruck der Tour und ihrer Schwierigkeit. Es kam mir gar nicht in den Sinn, andere Quellen zu suchen, denn wo sollte ich etwas Besseres finden? Eine oberflächliche Suche (auf deutsch) nach aktuellen Verhältnissen am Berg war ergebnislos, die Wettervorhersage war gut. In der Annahme also, dass die Tour auf den Antelao im Vergleich deutlich einfacher sein würde als meine Besteigung des Monte Cristallo am Vortag, freute ich mich auf einen tollen Bergtag im Genussbereich ohne viel Stress.

Noch niemals vorher habe ich am Berg mit einer Einschätzung derart danebengelegen. Denn geros Besteigung hat im Jahr 2012 stattgefunden und zwischendurch war folgendes passiert: Am 12 November 2014 gab es eine gewaltigen Felssturz, der große Teile des alten Normalwegs zerstört hat (weitere Details folgen später). Vor allem diese fehlenden Informationen haben an diesem Tag zu großer Verwirrung, damit verbundenem Stress und letztlich auch zu Fehleintscheidungen geführt.

Zuerst einmal hatte ich 400 hm mehr Aufstieg als geplant, denn weder mit dem Lift, noch mit dem Auto war es möglich, zum Rifugio Scotter hinaufzufahren. Na ja, ich war ja fit und in der frischen Morgenluft war es nicht allzu anstrengend. Der Aufstieg verlief dann soweit normal, bis ich auf der Nordschulter des Berges, der sogenannten "La Bala" angekommen war und erstmals einen Blick auf die Plattenschüsse der "Laste" werfen konnte. Natürlich hatte ich mir die Bilder eingeprägt, aber was ich dort sah, konnte eigentlich nicht sein, da passte was nicht.

Immer mehr Leute kamen mir entgegen (viel zu früh, die konnten unmöglich schon alle oben gewesen sein). Kurz nach der ersten Felsstufe traf ich dann die ersten deutsprachigen Bergsteiger. Sie sagten mir, es hätte irgendwann einen Felssturz gegeben, sie wären aber am Gipfel gewesen und man müsste sich jetzt durchgängig links auf den Platten halten. Die meisten schienen aber umgedreht zu sein, mit einigen habe ich auch kurz gesprochen. Ich stieg weiter an der linken Seite der Platten auf und begutachtete den nächsten Abschnitt.

Der große Felsriegel sah irgendwie seltsam aus, außerdem war er offensichtlich instabil, mehrmals brachen dort Felsen ab und rollten donnernd über die Laste nach unten. Da die Platten leicht nach rechts geneigt sind, besteht an der linken Seite keine Gefahr. Ich reimte mir zusammen, dass dort oben wohl der Felssturz gewesen sein müsste und man wegen der Steinschlaggefahr jetzt linksherum gehen müsse. Aber warum waren die Platten viel glatter als ich es in Erinnerung hatte? Auch ohne die herabfallenden Felsen hätte man niemals nach rechts hinüber queren können. Und warum gab es keine roten Markierungen? Steinmännchen hätte ja vielleicht der Felssturz abräumen können, aber die Markierungen?

Heute weiß ich, dass ich  zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage war, die richtigen Schlüsse zu ziehen, was eine zunehmende Verwirrung und Stress zur Folge hatte. Die Erklärung ist, dass zwischen dem Ausmaß des wirklichen Felssturzes und meiner Vorstellung Welten lagen. In Wirklichkeit ist die komplette obere Schicht der Platte (tausende Quadratmeter Fläche!) mitsamt einiger Teile des Felsriegels abgerutscht. Dieser Teil des alten Normalwegs existiert schlicht und ergreifend nicht mehr. Außerdem sind weiter oben ebenfalls Teile des Berges abgebrochen (und haben das Bivacco Cosi zerstört). All dies hat mein überfordertes Gehirn gar nicht in Betracht gezogen, so dass eine große, unerklärliche Diskrepanz zwischen Realität und meiner Wegbeschreibung entstand.

Die neue Platte ist sehr glatt und es kostete mich viel Überwindung die erste steilere Stelle zu überwinden. Es ging dann erstmal etwas einfacher weiter aber kurz vor dem Felsriegel wird es noch einmal sehr steil. Diese Stelle ist psychisch äußerst unangenehm, denn unterhalb ist nur die endlose, steile, glatte Platte. Ein Rest erdiger Schutt lag noch dort und eine Steigspur führte genau hindurch. Tasächlich war es diesem Umstand geschuldet, dass ich überhaupt hinaufgekommen bin. Auch wenn teilweise schon die blanke Platte durchkam gab mir der Schutt genug Halt, um hinaufzukrabbeln. (Dies war für mich, besonders im Abstieg, die Schlüsselstelle, obwohl man wahrscheinlich mit genügend Mut hinauflaufen könnte.)

Heute ist mir klar, dass ich spätestens hier angesichts meiner schlechten mentalen Verfassung (ich war innerlich viel zu aufgewühlt) hätte umdrehen müssen. Warum traf ich diese im Nachhinein so naheligende Entscheidung nicht? Nun, einerseits hatte ich immer den unmittelbaren Vergleich mit der Vortagstour, die definitiv schwieriger war, also war doch alles in Ordnung!? Andererseits war diese Option auch irgendwie nicht vorgesehen. Umdrehen wegen schlechtem Wetter, ja natürlich... Aber ich hatte doch im Vorfeld geklärt, dass der Schwierigkeitsgrad kein Poblem darstellt!? Solch eine fürchterliche Logik muss sich hintergründig in meinem Kopf abgespielt haben, denn tatsächlich dachte ich nie wirklich über eine Umkehr nach... Vielleicht war mein Gehirn auch zu sehr damit beschäftigt, über die seltsamen Diskrepanzen nachzudenken, um mal einen klaren Gedanken zu fassen.

Am Felsriegel angelangt  kraxelte ich durch eine Rinnenstruktur aufwärts (II). Da diese wahrscheinlich erst durch den Felssturz neu entstanden ist, war sie sehr instabil und voller losem Schutt. Oberhalb wird der Grat dann schmaler und man steuert auf den Gipfelaufbau zu. Irgendwann stieß ich aber wieder auf eine ordentlich schwierige Kletterstelle, die ich nicht umgehen konnte (II+). Verzweifelt dachte ich noch, dass gero sie doch hätte erwähnen müssen... Kurz danach musste ich eine unfassbar brüchige und sandige Stelle hinaufkrabbeln. Das raubte mir dann die letzten vorhandenen Nerven und als ich den Kamin mit den Seilen erreichte war ich nervlich nicht mehr in der Lage, ihn hinaufzuklettern.

Aber hier war endlich mal eine Stelle, die in geros Bericht beschrieben war und auch wirklich existierte. Dort stand, dass man den Kamin links über ein Band umgehen könnte. Dies gelang mir dann auch und ich erreichte völlig erschöpft den Gipfel. Erst jetzt realisierte ich, dass es entgegen der Wettervorhersage ziemlich dunkel geworden war. (Ich war wohl schlicht zu überfordert, um darauf zu achten, ein weiter Schritt in der Kette von Fehlern an diesem Tag.) Doch da war nun auch nichts mehr zu machen, ich konnte nur hoffen, dass es wenigstens, wie angekündigt, trocken bleiben würde. Ich blieb also nicht lange oben und stieg in dichtem Nebel die gleiche Route wieder ab.

Als ich die obere steile Stelle auf den Platten erreichte, waren meine Nerven restlos aufgebraucht. Wie sollte ich da wieder herunterkommen? Ich klammerte mich an die obere Kante und rutschte mit dem ganzen Körper langsam unterhalb der Kante entlang hinunter. Das ging aber irgendwann nicht mehr, da die Kante immer steiler wurde, und mit dem Mut der Verzweiflung rutschte ich schließlich langsam auf dem Hintern die Steigspur hinab. Völlig fertig kam ich an der unteren steilen Stelle an. Obwohl diese nicht so ausgesetzt ist wie die obere, versuchte ich gar nicht mehr, dort hinunterzukommen, sondern kletterte ausgesetzt rechts (in Abstiegsrichtung) daran vorbei. Als ich schließlich alle schwierigen Stellen hinter mir hatte war ich wirklich unendlich erleichtert, dass alles gut gegangen war.

Schlussbemerkungen:
1. An diesem Tag ist eine ganze Menge schief gelaufen! Auslöser war die mangelhafte mentale Vorbereitung aufgrund fehlender Information. Die hohen Schwierigkeiten am Antelao trafen mich völlig unvorbereitet und führten, wie oben beschrieben zu einer Kette von Fehlern und einer recht heiklen Situation. (Schwere Konsequenzen hätte es gehabt, wenn es angefangen hätte zu regnen, denn dann hätte ich oberhalb der Platte festgesessen!) Wohlgemerkt war der entscheidende Fehler natürlich, nicht mal kurz innezuhalten und sich in Ruhe die Zeit zu nehmen, die Situation im Ganzen zu analysieren. So etwas hatte ich noch nie zuvor erlebt und habe leider nicht schnell genug umdenken können. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass ich daraus gelernt habe!

2. Im Sommer 2015 hat der CAI eine Mitteilung (natürlich nur auf italienisch) herausgegeben, dass die Normalroute auf den Antelao gesperrt ist. Diese Warnung besteht meines Wissens nach immer noch. Abgesehen von offiziell markierten Wegen ist der Antelao natürlich weiterhin ein Berg, der Bergsteigerträume weckt. Ist es verwerflich oder leichtsinnig, den Gipfel besteigen zu wollen? Ich denke, das muss jeder selbst entscheiden. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass sich der Charakter des Normalwegs durch den Felssturz verändert hat. Der Schwierigkeitsgrad ist höher und es ist gefährlicher geworden, da ja anscheinend eine Instabilität im Gipfelbereich und auf den Plattenschüssen der Laste besteht. Auch sollte man sich immer vorher gut über aktuelle Entwicklungen erkundigen.

Der Monte Antelao war Gipfel Nr. 110 / 163 meines großen Projekts "Alle 3000er der Ostalpen mit mindestens 400m Schartenhöhe". Mehr Infos auf meiner Homepage.

Tourengänger: Cubemaster


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Kommentare (4)


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bergteufel hat gesagt: Der Berg...
Gesendet am 8. März 2018 um 21:38
Da haben sie ihn markiert, salonfähig gemacht und schwubs, da hat er ihnen die Platte geklaut! Nein, das ist zu böse. Der Berg ist immer noch im Normalbereich besteigbar, aber die alten Berichte stimmen nur noch bedingt. Vielleicht kommt jetzt nicht mehr jeder zum Gipfel. Haben sie ihn in der Zwischenzeit wieder markiert? ..oder gar ein Drahtseil?... Du bist ein klasse Bergsteiger, deshalb hat es für dich gereicht. Ist nicht so schlimm, wenn Hinz und Kunz nicht auf dem Antelao sitzen. Gratuliere Dir zu dieser Besteigung,
Gruß Der Bergteufel

Cubemaster hat gesagt: Danke schön!
Gesendet am 9. März 2018 um 00:11
Ja, der Schwierigkeitsgrad liegt immer noch im WS-Bereich. Ist man gut vorbereitet (und hat entschieden, das geringe aber immer noch latente Risiko weiterer Felsstürze einzugehen) ist das natürlich für erfahrene Bergsteiger gut machbar, da muss man kein Profi sein. Für reine Wanderer ist es aber eher nix mehr, es sei denn jemand entschärft die Platte mit einem Stahlseil... Aktuelle Infos aus der Zeit nach meiner Besteigung habe ich leider auch nicht!

gero hat gesagt:
Gesendet am 25. Juli 2018 um 12:02
Servus cubemaster

vielen Dank für Deinen tollen Bericht - hast Du ja super geschildert, man leidet mit dir mit, diese nervliche Anspannung ist manchmal schon enorm, speziell wenn man damit nicht gerechnet hat und die Verhältnisse umständehalber ganz anders sind als erwartet.

Hinterher ist die Erleichterung umso größer, wenn man das Abenteuer gut überstanden hat!

Dankbar und bescheiden neige ich mein Haupt aber über Deine einleitenden Worte, was meine Berichte angeht! Und füge hinzu: genau diese Informationen zu geben ist meine Absicht, und ich freue mich, wenn jemand damit etwas anfangen kann. Vielen Dank!

Unbekannterweise Dein Bergkamerad gero

Cubemaster hat gesagt: RE:
Gesendet am 19. August 2018 um 11:19
Lieber gero, vielen Dank für deinen Kommentar und deine netten Worte!

Genau wie du möchte ich nachfolgenden Bergsteigern alle Informationen geben, die ich gesammelt habe. Bei diesem Bericht ist es mir besonders schwer gefallen, weil es eben kein so schönes Erlebnis war, was man gerne zu Hause am Computer nochmal durchlebt. Dennoch hielt ich es in diesem Fall für wichtig und freue mich daher besonders über positves Feedback.


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