Vorderer Gufelkopf - dem Postkartenmotiv aufs Haupt gestiegen


Publiziert von gkraxler , 24. Juli 2017 um 18:24.

Region: Welt » Österreich » Nördliche Ostalpen » Lechtaler Alpen
Tour Datum:15 Juli 2017
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A   Parzinn 
Aufstieg: 1000 m
Abstieg: 1000 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Aufstieg von Boden an der Hahntennjochpassstraße zur Hanauer Hütte
Unterkunftmöglichkeiten:Hanauer Hütte 1922 m
Kartennummer:Alpenvereinskarte 3/3 Lechtaler Alpen - Parseierspitze

Oft fotografiert, aber fast nie bestiegen … der Vordere Gufelkopf in den Lechtaler Alpen hat schon ein ganz besonderes Schicksal. Kaum ein Gebietsführer übers Lechtal, der nicht das Postkartenmotiv mit Gufelsee und Vorderem Gufelkopf zeigt, kaum ein Buch über die Alpen, das nicht die markante Ostwand des Vorderen Gufelkopfs mit seinem einmaligen Fischgrätmuster als lehrbuchhaftes Beispiel für die Gebirgsfaltung nennt. Aber sucht man nach Tourenberichten zu diesem formschönen Berglein, das zugegebenermaßen etwas niedrig und unbedeutend in den westlichen Parzinnausläufern über der Hinter-Gufelebene thront, findet man … nichts. Kann es wirklich sein, dass dieses Postkartenmotiv fast nie bestiegen wird? Selbst in der aktuellen Auflage des AVF Lechtaler Alpen findet sich der Vordere Gufelkopf nur in einem Nebensatz beim Nachbarberg. Dort heißt es kurz und knapp: „Besteigungsmöglichkeit von Osten über Geröll und durch eine Rinne in die Südgratscharte und längs der Schneide zum Gipfel – vermutlich II“. Ober Dieter Seibert richtig liegt mit seiner Vermutung, das haben wir im Rahmen eines DAV-Ausbildungskurses mit unseren Teilnehmern versucht, herauszufinden.

Wege auf die Hochebene „Hinter-Gufel“ gibt es viele – der kürzeste ist sicherlich jener von Gramais über den Branntweinboden. Da wir aber eh auf der Hanauer Hütte für unseren Kurs stationiert waren, starteten wir von dort im morgendlichen Nieselregen in Richtung Gufelseejöchl. Der Weg ist von der Hütte ab markiert und sollte eigentlich keinem Bergwanderer ernsthafte Probleme bereiten. Nur bei Nässe wird es unangenehm schmierig – allerdings sorgt der Regen auch für eine zauberhafte Blumenwelt hier oben im Parzinnkessel. An den heute nur schemenhaft erkennbaren Felsgestalten von Dremelspitze, Schneekarlespitze, Spiehlerturm und Parzinnspitze vorbei zieht sich der Weg sanft und wenig exponiert hinauf in das Gufelseejöchl auf 2.373 m. Erst auf den letzten Metern zur Passhöhe darf der Bergsteiger kurz Hand an den Fels legen und sich langsam aufwärmen für die rustikalere zweite Etappe: die Besteigung des Vorderen Gufelkopfs.

Auf dem Gufelseejöchl werden wir für die ersten 450 Höhenmeter mit dem Parade-Postkartenblick belohnt: 100 Meter unter uns der türkisblaue Gufelsee, und dahinter lugt keck das Fischgrätmuster von unserem Gipfelziel herüber. Hier auf dem Joch zweigen die meisten Wanderer nördlich zur Kogelseespitze ab, manch verwegener Abenteurer sucht auch sein Glück in südlicher Richtung in den Kletterfelsen der Parzinnspitze. Wir hingegen entfliehen dem kalten Schartenwind geradeaus nach Westen und folgen dem Wanderweg die wenigen Meter hinunter zum wirklich schön gelegenen Gufelsee auf 2.281 m. Von hier aus bieten sich instruktive Nahblicke in die Ostwand des Vorderen Gufelkopfs, und man kann die Route schön studieren. Die dürren Sätze aus dem AVF klingen, von hier aus gesehen, logisch: die linke Seite der Ostwand wird von einer deutlichen Rinne durchzogen, die recht gut gangbar zu sein scheint und oben direkt auf den kurzen Grat zum Gipfel führt.

Bevor wir aber in die Rinne einsteigen, folgen wir dem markierten Wanderweg noch ein Stück weit in Richtung Gramais – die Hinter-Gufel-Hochebene ist auch zu schön, um sie links liegen zu lassen. Auf ca. 2.150 m zweigen wir schließlich nach links in den Karhintergrund ab und queren möglichst ohne Höhenverlust in Richtung der großen Rinne, die vom Vorderen Gufelkopf schräg herabzieht. Hier beginnt der kernige Teil der Tour, die den klassischen Bergsteiger fordert. Über Blockfelder, später steile Graspleisen und Geröllrampen schrauben wir uns Höhenmeter um Höhenmeter nach oben zum Rinneneinstieg. Die Rinne selbst bietet dann Lechtal-Hauptdolomitbruch vom Feinsten. Es ist dieses berüchtigte Gelände, das man in Kletterschwierigkeiten nur unzureichend ausdrücken kann – ja, wirklich „Klettern“ muss man in der Rinne eher selten. Vielmehr schleicht man über viel loses, steiles Geröll nach oben – an schwierigeren Stellen findet man an den seitlichen Begrenzungsfelsen ausreichend Halt. Aber nicht zu sehr festhalten, es ist eben echter Lechtalbruch, der vor jedem Anfassen sorgfältig geprüft werden will!

Hat man die Rinne geschafft, ist es bis zum Gipfel nur noch ein Katzensprung. Nach dem Ausstieg aus der Rinne hält man sich rechts und steigt „von der Südgratscharte auf die Schneide zum Gipfel“, wie es der AVF so schön formuliert hat. Wobei „Schneide“ für diesen Grat doch ein sehr scharfes Wort ist – der Südgrat zum Gipfel schnürt sich nur an einigen Stellen eng und luftig zusammen. Gehgelände wechselt sich mit einigen Kraxelstellen im I. Grad ab, zwei kurze Stellen erreichen dann tatsächlich den II. Grad, bevor wir unverhofft schnell auf dem Gipfel des Vorderen Gufelkopfs auf 2.426 m stehen.

Große Fernblicke können wir heute nicht genießen, die Restwolken vom Morgen hängen noch zäh über den Tälern. Aber dafür haben wir den Vorderen Gufelkopf ganz für uns alleine. Und das scheint wohl oft so zu sein: am Gipfel findet sich keinerlei Zeichen früherer Besteigungen. Seit unserem Besuch gibt es zumindest ein kleines Steinmanndl auf dem Postkartenberg.

Vom Gipfel steigen wir zunächst wieder in die Südgratscharte hinunter. Von dort leiten Pfadspuren verführerisch in die Westflanke – sie führen jedoch in eine Rinne, die nach unten hin immer steiler und enger wird. Das Risiko, hier in die Falle zu tappen, war uns dann doch zu groß. Vielleicht führt ja wirklich ein alter Insider-Steig von der Vorder-Gufel mit der Gufelhütte über die Westflanke hier hoch? Wir entscheiden uns jedenfalls für den Abstieg über die schon bekannte Rinne auf der Ostflanke. Mit etwas Umsicht kann man sogar ein Stück weit übers Geröll abfahren, wobei einige felsige Passagen und Abbrüche stetige Vorsicht abfordern. Brüchig bleibt es obendrein – der Steinschlaghelm sollte in diesem Gelände selbstverständlich sein.

Nach der Rinne und dem Blockfeld darunter gelangt man wieder zurück in sicheres Wandergelände. Für unseren Kurs geht es auf demselben Weg über den Gufelsee zurück zur Hanauer Hütte – nicht ohne den einen oder anderen Fotostopp und Nahblick auf unseren „Postkartenberg“, dem wir gerade erfolgreich aufs Haupt gestiegen sind.

Auf jeden Fall hatte Seibert im AVF richtig „vermutet“, die kurze Beschreibung stimmt exakt. Sicher ist der Vordere Gufelkopf keine klettertechnische Genussfahrt. Hallenkletterer und Alpinkletterer werden über diesen Fels und dieses Gelände sicher fluchen, und Bergwanderer haben hier oben eh nix verloren. Aber wer als typischer Lechtal-Genussbruch-Bergsteiger seine einsamen, ursprünglichen und wilden Ecken sucht, wird den Fischgrät-Berg sicher in schöner Erinnerung behalten.

Tourengänger: gkraxler


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Kommentare (6)


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Andy84 hat gesagt:
Gesendet am 24. Juli 2017 um 19:17
Tolle Tour und sehr schöne Fotos.
Den Vorderen Gufelkopf und den Grat zum hinteren Gufelkopf haben wir uns auch schon als Tourenziel auserkoren.
VG Andy

gkraxler hat gesagt: RE:
Gesendet am 24. Juli 2017 um 20:06
Servus Andy,
freut mich, wenn es noch Gleichgesinnte gibt :) Wenn ihr auf den Vorderen Gufelkopf geht, nehmt ein Gipfelbuch für den Steinmann mit ;-) Den Gratübergang haben wir auch noch als Projekt stehen ...
VG Stefan

Kommunist hat gesagt:
Gesendet am 24. Juli 2017 um 21:53
Kann man scho au nach Westen absteigen. Ist vielleicht sogar - je nach Geschmackssache a weng angenehmeres Gelände.

gkraxler hat gesagt: RE:
Gesendet am 24. Juli 2017 um 22:08
Servus Kommunist,
danke für die Info. Sind ja doch mehr am Gufelkopf unterwegs, als man meint ;-) Ist in der Westflanke aber wahrscheinlich au recht brüchig?

ReinerD hat gesagt:
Gesendet am 25. Juli 2017 um 11:17
>Vielleicht führt ja wirklich ein alter Insider-Steig von der Vorder-Gufel mit der Gufelhütte über die Westflanke hier hoch?

Das ist kein Insider Weg, sondern vermutlich der bisherige Normalweg welcher über die Westflanke ( Schuttflanke) hochgeht und u.a. in der 4. Auflage (Groth), R1176 "Vordergufelkopf von Westen, III und II ", mit nur einem Satz erwähnt ist
( da quasi freie Routenwahl in der Westflanke).
Im Abstieg, und vor allem bei dem Wetter, sicher sehr mühsam.

Als neuen Normalweg würde ich nun aber diesen Zustieg von Osten ansehn. Glückwunsch hierzu.

Weiterhin gibt's neben der Übergangsbeschreibung zum Hintergufelkopf
(IV , sofern die Gratzacken mittlerweile beim Anlangen nicht wegbrechen)
noch die Beschreibung zu "Vordergufelkopf, Nordwand, V"
und ein Hinweis auf die markante fischgrätenförmig geschichtete Ostwand,
(ohne nähere Angaben hierzu).

gkraxler hat gesagt: RE:
Gesendet am 25. Juli 2017 um 11:42
Servus ReinerD - Du hast natürlich Recht, im 1989er Groth-AVF ist die Route über die Westflanke erwähnt, hatte ich überlesen.

Kurioserweise ist dort auch die Ostwand mit einem brüchigen IIIer beschrieben (Route 1178) - was auch immer er damit meint. Unsere Ostflankenroute wars sicher nicht. Die von uns gewählte Route über die Rinne taucht eigentlich erst im aktuellen Seibert-AVF (2. und ja nun leider auch letzte Auflage 2008) auf.

Es gibt noch viel zu Tun im Lechtalbruch ...


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