Der Verlorene Zug
|
||||||||||||||||||||||
Ist rojosuiza Lokführer? - Nein, er arbeitet zwar bei der Bahn, aber Lokführer
ist er nicht. Ist er ihm dann einfach weggefahren, sozusagen, der Zug? - Nein,
weggefahren ist er ihm nicht. Was hat es also auf sich mit dem Verlorenen Zug?
rojosuiza marschiert von Poschiavo nach Alp Grüm, mit Wanderschuhen an den
Füssen, später verstärkt mit Schneeschuhen. Zur Orientierung dient die Landestopografie,
die rojosuiza immer viel mehr sagt, wenn er die Wanderung schon gemacht hat
als vorher. Aber auf dieser Strecke hilft ihm der Zug. Er ist immer um ihn,
entweder über oder unter ihm. Man sieht ihn immer wieder auftauchen. Sieht
man ihn nicht, so hört man ihn doch. So schafft rojosuiza es glücklich bis
nach Cavaglia; nur wenige Male ist er auf kleine Abwege geraten, verleitet
von anderen Spuren, die im Schnee ja nicht zu übersehen sind.
In Cavaglia trifft er einen alten Mann mit Hund, der einzige Mensch unterwegs.
Beim Bahnhof Cavaglia führt ein Weg quer weg von den Geleisen, eine sehr
schöne Schneeschuhspur. Sie ruft und lockt. rojosuiza gibt schliesslich nach
und folgt ihr. Alles, was den Talkessel von Cavaglia verlässt, muss unweigerlich
zur Alp Grüm führen, denkt er.
Es geht immer gemächlich hinan, meistens zwischen dichten Bäumen. Da sieht
man nur den Weg vor sich. Die Spur ist sauber und klar. Vom Zeitgefühl her kann
Alp Grüm bald nicht mehr weit sein. Aber der Zug, seltsam, der ist wie verschwunden.
Auch das Kraftwerk, das man vom Zug aus gleich über Cavaglia sieht, ist nicht
in Erscheinung getreten. Natürlich hängt über einem eine Hochspannungsleitung,
das ist doch gewiss ein sicherer Hinweis auf ein Kraftwerk, nicht wahr?
Da oben sind zwei Gebäude, da wollen wir kurz rasten, und vielleicht auf die
Karte... Was ist das? - Zuglaufgeräusche! Aber wo kommen sie denn nur her?
Das ist doch... der Zug ist auf der anderen Seite, auf der ganz falschen Seite!
Zwischen ihm und rojosuiza ist eine kleine Schlucht. Darum war der Zug weg
und verloren - rojosuiza ist aufgestiegen zur falschen Alp!
Am grössten Gebäude steht's: diese Alp heisst Dava. Alp Grüm ist gegenüber.
Dazwischen liegt die Schlucht, über die der Schienenweg führt. rojosuiza muss
irgendwie absteigen zu ihr, auf den Weg gelangen, der unter der Zugbrücke
hindurchführt. Alles, was er jetzt absteigt, darf er das sodann auf der anderen
Seite wieder hochsteigen? - Habe ich schon einmal gesagt, dass das Steigvermögen
auch schon einmal besser war, und demnach die Steigfreude auch?
Die Karte zeigt den Weg hinab. Leider gibt es hier jetzt keinerlei Spur. Also
geht man auf eigene Faust. Zuerst ist der Weg im verschneiten Gelände gut
auszumachen, aber bald geht's in den Wald. Dort gilt es, den Weg mehrheitlich
zu riechen. Während der Schnee immer tiefer wird, zweifelt rojosuiza immer
mehr, ob diese Routenwahl wohl so glücklich ist. Er muss jetzt genau über
der Bahnlinie sein. Er hört sie aber nicht, er sieht sie nicht. Doch jetzt,
ein Fingerzeig! Er entdeckt im Steilgelände an einem Baum einen kleinen Isolator
von einem elektrischen Weidezaun, und dort weiter vorne folgt gleich noch
einer. Das bestätigt es: unter seinen Füssen ist wahrscheinlich tatsächlich
der Weg. Jetzt sieht er die Eisenbahnbrücke - rojosuiza hat seinen Zug wieder!
- und in der Tiefe darunter kommt eine Schneeschuhspur daher.
rojosuizas Kartenlesekunst kommt zum Einsatz. Im spitzen Winkel schräg NNW-lich
nach unten würde er auf diese Spur treffen. Er muss über den Bach, denn der
Weg ist orographisch rechts. rojosuiza kommt glücklich nach unten, aber kein
Weg. Weiter in die Schlucht hinein mit eigener Wegfindung? Lieber nicht. Wie
kann es nur sein, dass die Spur, die er von oben so genau ausgemacht hat,
nun doch nicht hier ist? Er hat sie sich doch nicht etwa so lebhaft vorgestellt,
dass er sie 'gesehen' hat, obwohl sie gar nicht existiert?
rojosuiza setzt über den Bach - mit Yeti-Füssen nicht leicht. Aber wo ist
er denn jetzt, der versprochene Weg? Der Blick hinüber zur Brücke ist jetzt offen, dort muss
er hin, aber das Gelände verspricht nichts Gutes: hier verläuft kein Weg.
Hingegen dort drüben... Wieder wird die Karte ausgepackt: der Pfad ist orographisch
links! - Mühsam überquert der Bergheld sein Flüsschen erneut, mühsam erklimmt
er den kleinen Hang, der mit verschneitem Gebüsch dekoriert ist. Ja, dann
steht man wieder oben, wo man ohne Mühe schon längst hätte stehen können,
man sieht das kleine Brücklein, das genau unter der grossen Eisenbahnbrücke
den Bach überquert. Ist man erst einmal da, findet sich dort das Ende der
Spur, die vorgehenden Yeti gelegt haben.
rojosuiza darf wieder zurückmarschieren, Richtung Cavaglia. Nach etlicher
Zeit erscheint eine Abzweigung nach oben. rojosuiza kontrolliert dieses Mal ganz besonders aufmerksam die Karte. Ddann steigt er brav hoch auf vorgezeichnetem Pfad. So kommt er todmüde doch
noch auf die Alp Grüm und zu seiner Cappuccino-Quelle.
Will einer also im Winter auf Schneeschuhen wandern, von Pontresina nach Alp
Grüm, wende er sich für zuverlässige Führung vertrauensvoll an rojosuiza:
Abwege und Abenteuer garantiert inbegriffen...
W4 für die Abwege, die gespurten Teile eine angenehme W2.
Kommentare