130 let sklářské lokálky*


Publiziert von lainari , 19. Juni 2016 um 15:48.

Region: Welt » Tschechien » České středohoří
Tour Datum:18 Juni 2016
Wandern Schwierigkeit: T2 - Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CZ 
Zeitbedarf: 2:15
Aufstieg: 200 m
Abstieg: 200 m
Strecke:11 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Auto oder Zug der ČD bis Horní Kamenice
Kartennummer:1:50.000, KČT Nr. 12 České a Saské Švýcarsko

Ein Lokalbahnjubiläum - Zum Feste das Beste
 
Bevor sich zwischen den Zehen Schwimmhäute bilden, ist mal wieder etwas Bewegung angebracht. Erneut soll jedoch das Wochenendwetter suboptimal feuchtwarm und gewittrig werden. Da aber am heutigen Tage ein wichtiger Termin ansteht, mache ich mich trotzdem auf den Weg in den Nordosten des Böhmischen Mittelgebirges.
 
130 Jahre Glasmacher-Lokalbahn*
Steinschönau (Kamenický Šenov) erhielt ausgehend von Böhmisch Kamnitz (Česká Kamenice) 1886 Bahnanschluss durch die Böhmische Nordbahn (BNB). Die Lokalbahn Böhmisch Leipa-Steinschönau stellte 1903 die weiterführende, topografisch anspruchsvolle Verbindung über die Passhöhe in den Bezirkshauptort her. Die Gesamtstrecke ging im Verlauf 1919 durch Verstaatlichung an die ČSD über. 1979 wurde der spärliche Reiseverkehr eingestellt sowie die Passstrecke von Kamenický Šenov bis Česká Lípa (Böhmisch Leipa) stillgelegt und abgebaut. Die Reststrecke zwischen Česká Kamenice und Kamenický Šenov wurde bis 1992 im Güterverkehr (hauptsächlich Glasindustrie) bedient. Heute gehört die 4,5 km lange Strecke der Firma KŽC doprava, die bislang einen kurzen saisonalen Museumsbahnverkehr sowie Fahrten an Einzelterminen durchgeführt hat. Seit diesem Jahr befindet sie sich als touristische Ausflugsstrecke T1 des Verkehrsverbundes DÚK (Doprava Ústeckého kraje) zwischen April und Oktober mit einem historischen Triebwagen im regelmäßigen Wochenend- und Feiertagsbetrieb.
 
Der KŽC (Klub železničních cestovatelů) würdigt das Jubiläum der Strecke mit einem artreinen 9-Wagen-Schnellzug im Stile der 1980er-Jahre im Zulauf von Praha nach Česká Kamenice, 10 verstärkten Lokalzugpaaren nach Kamenický Šenov und einem Bahnhofsfest im Glasmacher-Ort. Die tschechische Bahn ČD lässt aus diesem Anlass alle Regelpersonenzüge zwischen Děčín und Rumburk mit lokbespannten historischen Garnituren verkehren - viel zu entdecken also. Auf der Anreise stoppe ich zunächst in Benešov nad Ploučnicí (Bensen). Rechtzeitig eingetroffen, schaue ich mich zunächst um. Der ungünstige Lichtstand und ein parkender Sattelzug stören das Eisenbahn-Idyll. Ich gehe auf eine Anhöhe an der Bahnhofsausfahrt und beschließe von dort aus einen Fotoversuch auf den Schnellzug zu unternehmen. Nach und nach tauchen im Bahnhofsgelände von Fachportalen und Webseiten bekannte Fotografen, Filmer und Experten auf und laufen hektisch und unschlüssig umher. Die Automobile der Zugverfolger werden dabei teilweise rücksichtlos abgestellt, um eine rasche Weiterfahrt zu ermöglichen. Zwei deutsche Eisenbahnfreunde, eine Trittleiter und zwei Tschechen bevölkern im Verlauf „meinen Logenplatz“. Etwas verspätet und gut besetzt, erscheint der erwartete Zug. Die stilechte Garnitur aus Bautzener Schnellzugwagen begeistert mich, so etwas kennt man von deutschen Vereinen kaum, hier wird hinter die meist speckschwartenglänzende (teure) Dampflok alles drangehangen was Fenster hat - Bauart, Epoche, Anschriften und Bahngesellschaft egal, Hauptsache es pufft und zischt vorne. Mit einem Stakkato von lauten Auspuffschlägen beschleunigen die Dieselloks den schweren Zug aus dem Bahnhof heraus und die Fotokarawane hastet weiter. Ich lasse es gemütlich angehen und fahre nach Kytlice (Kittlitz). Am Ende einer Wiese haben sich hier zahlreiche Eisenbahnfreunde postiert, um den nächsten bergfahrenden Personenzug aufzunehmen. Ich überquere eine Feuchtwiese, erklimme eine Anhöhe und postiere mich außerhalb des Bildbereiches für den Talfahrer. Zwei deutsche Fans und ein tschechischer Nachwuchsfotograf leisten mir später Gesellschaft. Der Zug ist leicht verspätet, fährt aber in bestem Licht vorbei. Wolken bestimmen zunehmend das Geschehen. Den wenige Minuten später folgenden Bergfahrer nehme vom anderen Ende der Anhöhe aus auf. Die dort unterhalb anwesenden Vater und Bruder des Nachwuchsfans treten freundlicherweise aus dem Bildbereich, der Vater fordert den Fotografen sogar auf, seinen in tschechischen Nationalfarben leuchtenden Hut abzunehmen. Das kann man in Deutschland nicht erwarten, dort steht jeweils nur „ICH“ im Vordergrund. Eine just bei der Vorbeifahrt des Zuges die Sonne verdeckende „Fotowolke“ trübt die Qualität etwas. Auf dem Rückweg gehe ich bei der Familie vorbei und bedanke mich für ihre gezeigte Rücksichtnahme. Nun begebe ich mich zur eigentlichen Tour.

Die geniale Zusammenfassung des Tages in bewegten Bildern von: MPHvideoLBC
 
Wanderung
Ich parke in Horní Kamenice (Ober Kamnitz) auf einem kleinen Parkplatz. Vorbei am Sandsteinfelsen Hrnčíř (Töpferstein) laufe ich am Talrand hinter dem Gelände der einstigen Papierfabrik entlang. Teilweise wurden schon einige Ruinen entfernt und mit einem Solarpark überbaut. In der Ortslage Dolní Prysk (Nieder Preschkau) treffe ich auf die Straße. Ein Grund meines gewählten Ausfluges ist der Besuch des Kammes, der sich zwischen den Tälern des Pryský potok (Preschkauer Bach) und des Šenovský potok (Steinschönauer Bach) ausgebildet hat. Dieser sollte auch von Dolní Prysk her zugänglich sein und ich sehe unterwegs zwei erfolgversprechende Wege. Schlamm, hohes Gras und zunehmend feuchtwarmes Ambiente bremsen jedoch meinen Forscherdrang. Von einer (lokalen) WW-Markierung ist nichts zu sehen. So gehe ich ab der Kreuzung entlang der Straße nach Kamenický Šenov über den Kamm. Auf der anderen Seite führt ein Fußpfad zu einem Pavillon und zu einem bergführenden Kreuzweg. Dieser verbindet zwei Kapellen und einen Aussichtspunkt. Oben führt ein Pfad auf dem Kammrücken weiter über den eigentlichen bewaldeten Gipfel des Stráž (Hutberg/Mühlberg). Der Berg gehört ausweislich des Namens zur großen Gemeinde der einstigen Wach- und Postenstellen, die zu unterschiedlichsten historischen Anlässen entstanden sind. Der größtenteils aus Sandstein bestehende Rücken wurde an seiner Spitze von Basalt durchdrungen. Hier kehre ich um und lege an einem Bänklein eine kurze Mittagspause ein. Mittlerweile ist es gewitterhaft und erstes Donnergrollen ist vernehmbar. Wieder abgestiegen, laufe ich hinauf zum Festgelände Kamenický Šenov - nádraží (Steinschönau - Bahnhof). Einige Oldtimer sind hier zu besichtigen, es gibt Stände von vier Kleinbrauereien und die lokale Damenwelt ist schwer mit Einkaufstüten und Schuhkartons bepackt, da man nach einer Modenschau das Gezeigte wohl gleich kaufen konnte. Musik spielt aus dem Lautsprecher. Nun ertönt offenbar eine heimliche Hymne, da Jung und Alt aus voller Kehle mitsingen. Ich rette mich ins Bahnhofsgebäude und erwerbe beim KŽC-Stand das avisierte Buch zum Festanlass. Man will mir noch ein größeres (teureres) Werk empfehlen, aber im Hinblick auf Laufstrecke und Wetter lehne ich dankend ab. Wieder draußen, kommt es zum Auftritt einer Cheerleader-Gruppe. Auf der anderen Stirnseite des Bahnhofsgebäudes ist ein Militärcamp errichtet und wird von Darstellern in historischen Uniformen besetzt. Ich sehe einen Rotarmisten, ein paar Tschechen und der große Rest will böser Deutscher sein. Und niemand nimmt daran Anstoß. Ich blicke prüfend zum Himmel und auf die Uhr und beschließe dem nächsten Zug über den grün markierten Wanderweg entgegenzulaufen. Es donnert links, es donnert rechts und erste Tropfen fallen. Über eine feuchte, schlammige Wiese (Modder hinterher bis auf Kniehöhe an den Hosenbeinen) komme ich zum Bahnübergang und warte auf eine Fotomöglichkeit. Der Zug ist verspätet und links und rechts wird es dunkler. Momentan scheint die Sonne. Beim Auftauchen des Zuges nicht mehr so richtig, sie wird vom Rand der Gewitterzelle verdeckt. Nun beschleunige ich meine Schritte. Der geplante Genuss-Abstecher zum/zur Zámecký vrch/Kamenický hrad (Schlossberg/Burg Kempnitz) muss aus Sicherheitsgründen ausfallen. Ich erreiche Česká Kamenice (Böhmisch Kamnitz), orientiere mich nach rechts und folge einer roten Markierung über eine Anliegerstraße. Blitze zucken und es kracht bedrohlich. Eine Einheimische mittleren Alters kommt mir halb rennend entgegen und beklagt sich angsterfüllt über das Gewitter - das kenne ich doch irgendwo her. Als sie sich ihres Verhaltens gewahr wird, müssen wir Beide lachen. Ich überquere die Hauptstraße und erreiche den Parkplatz in Horní Kamenice, bis auf den Schweiß, mit trockener Haut. Fünf Minuten später herrscht Weltuntergang und die himmlischen Schleusen sind geöffnet - ein Wetter wie es im Buche steht (Bibel, Noah)…
 
Die pausenbereinigte Gehzeit betrug 2 h 15 min.
Die Strecke ist mit überwiegend mit T1 zu bewerten.
Der absolvierte Zugang zum Stráž ist unmarkiert (T2).
Die Webseite www.luzicke-hory.cz       ist eine wahre Fundgrube für Informationen und ist aufwändig mehrsprachig gestaltet.
 
*Es handelt sich hierbei um einen Spitznamen, bei dem eine sinnvolle Übersetzung schwierig ist.

Tourengänger: lainari


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