Sommer im Winter (Mattstock, 1936 m)


Publiziert von Fico , 26. Dezember 2014 um 14:50.

Region: Welt » Schweiz » St.Gallen
Tour Datum:23 Dezember 2014
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-SG   Speer-Mattstock   Zürcher Hausberge 
Zeitbedarf: 8:00
Aufstieg: 1300 m
Abstieg: 1300 m
Strecke:Amden - Mattstock - Oberfugglen - Berggasthaus Walau - Amden (12 km)
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Amden
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Amden
Kartennummer:1134 (Walensee)

Man soll die Feste feiern, wie sie fallen, sagt das Sprichwort. Das bezieht sich weniger auf das Weihnachtsfest, das alle Jahre wieder auf dasselbe Datum fällt. Es sind die unverhofften Ereignisse, viele kleinere und manchmal grössere, die das Salz in der Suppe sind und das Leben bereichern. Das Glück kann man nicht erzwingen, aber wenn die Gelegenheit sich bietet, sollte man sie beim Schopf packen. Das gilt auch für die Berge und das Wetter.

Als „Wintermuffel“, der nicht Ski fährt und sich auch noch keine Schneeschuhe angeschafft hat, hatte ich mich eigentlich, als ich Ende Oktober bei prächtigem Herbstwetter im Urserental unterwegs war, für dieses Jahr bereits von den Bergen verabschiedet. Der Wintereinbruch wenige Tage später schien diesen Abschied zu bestätigen. Doch der Winter und vor allem der Schnee liessen sich wieder einmal Zeit – Kalender hin oder her. Die freien Tage, die gute Fernsicht und vor allem der kaum vorhandene Schnee veranlassten mich dann, kurz vor Jahresende den Rucksack zu packen und nochmals einen Ausflug in die Berge zu wagen.

Es ist noch Nacht und sternenklar, als ich morgens um sechs zum Bahnhof marschiere. In Wattwil, wo ich auf den Anschlusszug warte, wird es langsam hell. Messerscharf zeichnet sich die Silhouette der Churfirsten vom Himmel ab. In Uznach auf dem Bahnsteig atme ich, bis die S-Bahn kommt, die frische Morgenluft ein. Die Schleierwolken über dem Mürtschenstock sind in ein zartes Rosa getaucht. Wenig später, im Bus nach Amden, leuchtet das Vrenelisgärtli in der Morgensonne. An einem solchen Tag ist bereits die Anreise ein Genuss. Über zwei Stunden dauert die Fahrt, fünfmal muss ich umsteigen. Früh aufzustehen hat sich gelohnt, um auch die allerersten Strahlen der Wintersonne einfangen zu können.

Wie von gigantischen Scheinwerfern wird der Mattstock von der Sonne erhellt, als ich mich kurz vor halb neun auf den Weg mache. Der Boden ist leicht gefroren und angenehm trittfest. Die Zäune sind alle abgebaut und die Kühe im Stall. Die Weiden gehören um diese Jahreszeit ganz dem Wanderer. Es dauert nicht lange, bis auch in Amden die Sonne scheint. Windjacke und Pullover sind nun zu viel, nur im Hemd, die Ärmel hochgekrempelt, gehe ich weiter – und bald darauf nur im T-Shirt. In zwei Tagen ist Weihnachten, aber es ist so mild, als wäre bereits Frühlingsanfang. Da und dort liegen letzte Schneeresten, alles andere ist dahingeschmolzen.

Das ändert sich erst weiter oben bei den Lawinenverbauungen. Bis dorthin steige ich in direkter Linie auf und treffe ungefähr auf 1700 m Höhe wieder auf den Bergweg, auf dem der Schnee länger liegengeblieben und das Schmelzwasser über Nacht zu Glatteis gefroren ist. Allein deshalb ist es angenehmer, solange es nicht allzu steil wird, weglos auf den apern Hängen zu gehen. Bei der Hütte setze ich mich hin. Es ist inzwischen winterlicher geworden. Nicht allein wegen des Schnees, der nun stellenweise etwas höher liegt und durchgehend den Weg bedeckt. Kalte Windböen machen klar, dass es nicht der Frühling ist, der sich ankündigt. Schnell ziehe ich mich wärmer an und montiere auch die sechszackigen Fusseisen. Warum sollte ich sie nicht benützen, wenn ich sie schon bei mir habe? Auf dem Gipfelgrat und bei den steilen, mit Drahtseilen gesicherten Stellen leisten sie gute Dienste. Es hat zahlreiche Spuren, darunter bestimmt auch jene von PStraub, der hier zwei Tage vorher weniger Glück mit dem Wetter hatte.

Als ich kurz vor halb zwölf den Gipfel des Mattstock (1836 m) erreiche, sitzt bereits ein anderer Wanderer auf der Bank und geniesst die Fernsicht, die heute schlechthin fantastisch ist. Dass ich an einem solchen Tag hier oben nicht allein sein würde, war zu erwarten gewesen. Und dann kommen sie von allen Seiten. Auch von den Kletterrouten her sind einige hinaufgekraxelt. Es ist ein gutes Dutzend, das sich um die Mittagszeit versammelt hat. Die meisten bleiben nicht lange. Es weht ein eisiger Wind, die gefühlte Temperatur scheint trotz des strahlenden Sonnenscheins deutlich unter Null zu liegen. Eine Weile noch harre ich aus, bis ich mich – ziemlich durchfroren – ebenfalls auf den Abstieg begebe.

Wieder bei der Hütte angekommen, setze ich mich hin. Um mich aufzuwärmen und um zu essen. Wenn es windstill ist, brennt die Sonne so stark, dass ich Sonnencrème einschmiere. Frisch gestärkt, die Fusseisen brauche ich nun nicht mehr, schlendere ich gemütlich hinab. Diesmal ohne Abkürzungen, alle Wegkehren auskostend. Bei diesem Wetter kann es gar nicht lange genug dauern. Und statt weiter dem markierten Wanderweg zu folgen, der direkt hinunter geht, nehme ich beim Föhrenwäldchen auf etwa 1560 m den Fahrweg, der von rechts einmündet. Ein Biker kommt mir entgegen, dann noch ein Wanderer. Nachher wird es einsamer. Wenig später muss ich mich entscheiden: weiter auf dem Fahrweg links den Wald hinab oder rechts wieder hinauf zu den Felsen. Oben angekommen wird mir bewusst: Hätte ich vorher die Karte besser studiert, wäre mir aufgefallen, dass ich – statt den Fahrweg zu benützen – einen Weg, der auf gleicher Höhe direkt unter dem Schibenchnölli durchführt, hätte nehmen können. Macht nichts, der Tag ist so schön!

Auf der Anhöhe begegne ich einer Frau, die ihren Hund spazieren führt. Vor zwei Wochen, erzählt sie mir, sei auch sie auf dem Mattstock gewesen. Da sei der Gipfelgrat noch schneefrei gewesen. Vor Jahren - sie lebe in Amden - habe sie einmal, zusammen mit ihrem Mann, von Westen her den ganzen Grat gemacht. Eine ziemlich luftige Angelegenheit sei das gewesen und nicht ungefährlich. Heute würde sie das nicht mehr tun. Ein junger Mann aus dem Dorf sei dort vor ein paar Jahren auf einem Schneefeld ausgerutscht und zu Tode gestürzt.

Mein nächstes Ziel ist die Alp Oberfurgglen (1498 m). Eine genussvolle Höhenwanderung auf markiertem Bergweg. Ich folge den vereinzelten Fussspuren im Schnee, der an schattigen Stellen liegen geblieben ist. Allmählich werden die Markierungen seltener, bis sie auf einmal ganz ausbleiben. Könnte es sein, dass ich vom Weg abgekommen bin? Ich steige etwas hinauf. Als ich auf 1600 m Höhe bin und ein Geröllfeld queren muss, verrät mir ein Blick auf die Karte, dass der Weg fast 100 m weiter unten verläuft. Von nun an halte ich nach unten und schon bald sehe ich den Weg wieder. Dazwischen allerdings liegt eine kleine Felsstufe, der ich sorgfältig ausweichen muss. So komme ich ungewollt zu meinem kleinen Abenteuer, ohne das es offenbar nicht geht.  

Verschiedenen Wegspuren folgend peile ich den von weitem sichtbaren Wegweiser an. Dort angekommen, wirft die Sonne bereits längere Schatten, obwohl es erst halb drei ist. Nach einem kurzen Stück im Schatten geht es gemütlich auf dem sonnendurchfluteten Wanderweg zum Bergrestaurant Walau. Längst wieder bin ich nur im T-Shirt unterwegs. Gefühlsmässig ist es deutlich über 20 Grad warm. Der Wirt in der Walau wird mir das, als ich später dort einkehre, bestätigen: An der Sonne auf der Terrasse habe er heute 28 Grad gemessen – Sommer im Winter!

Den Rückweg nach Amden richte ich mir so ein, dass es für den Bus reicht, der um halb fünf zum Bahnhof Ziegelbrücke fährt. Auf halbem Weg, bei einem Kuhstall, lasse ich mich nieder und warte, bis um Viertel nach vier die Sonne hinter den Bergen verschwunden ist. 7 ½ Stunden Sonnenschein im Dezember, zwei Tage vor Weihnachten! Ein unverhofftes Geschenk der Natur, auf das ich in den Sommermonaten vergeblich gewartet hatte. Bis die S-Bahn kommt - die Sonne ist bereits untergegangen - ist zwischen den Strommasten hindurch der Blick frei bis zu den schneebedeckten Hängen von Hausstock und Kärpf. Von herbstlichem Nebel keine Spur! Auf der Heimfahrt betrachte ich im Westen das intensive Farbenspiel der Natur, während als ganz schmale Sichel am Nachthimmel der Neumond zu sehen ist. Ein wunderbarer Tag ist zu Ende gegangen.

Tourengänger: Fico


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