Ruchsitenstöckli - Heustock - Bützistock - Rottor: Voralpen-Grattour der Extraklasse


Publiziert von marmotta , 30. September 2014 um 07:34.

Region: Welt » Schweiz » Glarus
Tour Datum:27 September 2014
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GL   CH-SG   Spitzmeilengruppe 
Aufstieg: 2100 m
Abstieg: 2100 m
Strecke:Engi - Üblital - Mülibach Oberstafel - Gutentalegg - Ruchsitenstöckli/Goggeien - Huet - Tristelhörner - Heustock - Einstieg Bützistock SE-Grat - Bützistock/Rottor NE-Flanke - Rottor - Bützistock - Rottor - Schattenchamm - P. 2137 - Widersteiner Loch - Widersteiner Hüttli - Üblital - Engi
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Engi, Weberei
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Engi, Weberei

Zwischen Magerrain und den Murgseen erstreckt sich ein stellenweise erstaunlich wilder Voralpengrat, dessen Höhepunkt der zu beiden Seiten nahezu senkrecht abfallende Bützistock (2496 m) bildet. Die Überschreitung der insgesamt 6 (benannten) Gipfel wurde auf Hikr.org bereits mehrfach beschrieben, allen hier dokumentierten Begehungen haftet jedoch der "Schönheitsfehler" an, dass der Bützistock SE-Grat jeweils (in der Südflanke) umgangen wurde. Dies kommt nicht von ungefähr, braucht es doch für die direkte Überschreitung entlang der schwindelerregenden Kante eine gehörige Portion Mut und starke Nerven. Der stellenweise brüchige Fels trägt ebenfalls nicht zur Steigerung des Wohlbefindens bei. Ein weiterer "weisser Fleck" stellt die Nordostflanke unter Bützistock und Rottor dar - angesichts der jäh abfallenden, schattigen und feuchten Graswände drängt sich eine Umgehung auf dieser Seite nicht gerade auf. Die gesamte Flanke ist ein Tummelplatz für Gämsen, zahlreiche Wildwechsel führen hier in teilweise abenteuerlicher Routenführung hindurch, menschliche Spuren sucht man vergebens…
 
Auf der nachfolgend beschriebenen Tour haben wir einige Zeit damit verbracht, sowohl den SE-Grat als auch die NE-Flanke des Bützistocks zu erkunden.
 
Nach dieser Tour im Frühsommer letzten Jahres war die Überschreitung des Grates zwischen dem Ruchsitenstöckli/Goggeien (2351 m) und den Murgseen bzw. der Widersteiner Furggel auf meinem Wunschzettel gelandet. Zwischenzeitlich zählt das Glarnerland bekanntlich zum Gebiet des Ostwind-Tarifverbundes, so dass eine Reise dorthin längst mal wieder fällig war. Der Anmarsch von Engi (812 m) im Sernftal ist zwar etwas länger als der aus dem Gebiet der Flumserberge, doch ich persönlich ziehe das reizvolle Üblital der etwas öden Gegend zwischen Maschgenkamm und Magerrain vor.
 
Vom Kraftwerk der Weseta Textil AG in Engi führt eine gute Alpstrasse in´s Üblital hinauf, nach der Plättlihütte geht es auf einem Wanderweg weiter, welcher entlang des Mülibachs zum Talende führt, wo ein gewaltiger Wasserfall und der darüber aufragende Magerrain (2524 m) mit seiner charakteristischen Gesteinsfaltung eine schöne Kulisse bilden. Um diese Jahreszeit verläuft der Aufstieg durch das Tal vollständig im Schatten, worüber wir angesichts der an diesem Tag zu erwartenden Temperaturen allerdings nicht traurig sind. Erst im Aufstieg zu den Alphütten von Mülibach Oberstafel (1949 m) treten wir ins gleissende Sonnenlicht. Weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen, nur aus der Ferne ist das Gebimmel von Kuhglocken zu hören. Wie bereits auf meiner Tour auf den Magerrain steigen wir in direkter Linie über die Guetentalegg zum Gipfel des Ruchsitenstöcklis/Goggeien (2351 m) auf. Der Südgrat ist zwar zu Beginn ziemlich steil, dort aber durchwegs sehr gut gestuft, so dass der erste Aufschwung problemlos (am besten etwas nach Westen ausholend) überwunden werden kann (T4). Anschliessend folgt man mit Ausnahme einer Felsstufe, die am besten ostseitig auf schmalem Band umgangen wird (kurz ausgesetzt, T5) immer der Gratschneide und erreicht so ohne nennenswerte Schwierigkeiten den höchsten Punkt mit mickrigem Steinmännchen (2,5 h ab Engi).
 
Nach einer Stärkung und Geniessen der prächtigen Aussicht konnte die Grat"wanderung" nun also beginnen! Zunächst folgt man dem breiten Rasenkamm bis in die nächste Senke vor P. 2347. Diese Erhebung umgehen wir auf schwach ausgeprägten Wildspuren in der Südflanke, anschliessend weiter zum Huet (2295 m), den wir gar nicht als eigentständigen Gipfel wahrnehmen. Auf dem Abstieg ist ganz unten eine Felsstufe abzuklettern (T5, I), es hat jedoch ordentliche Stufen und der Fels ist solide.
 
Wieviele und welche der folgenden Gratzacken zu den Tristelhörnern (2287 m) zählen, ist uns nicht ganz klar. Auf jeden Fall lassen wir den letzten, steilen und felsigen Zacken unmittelbar vor dem Heustock aus und umgehen diesen Abschnitt südseitig auf Schutt und schiefrigen Platten. Zuvor begegnen wir noch zwei Jägern, die sich auf einer der exponierten Erhebungen der Tristelhoren auf die Lauer gelegt haben. Sie sind nicht gerade gesprächig - wen wundert´s, haben wir ihnen doch den Sonntagsbraten vermasselt: Das Rudel Gämsen unter der Bützistock-Nordostflanke, auf das sie es abgesehen haben, ergreift die Flucht, als wir in Richtung Heustock weitergehen…
 
Der Aufstieg auf den Heustock durch die Ostflanke sieht von weitem leichter aus als er dann tatsächlich ist. Allerdings wählen wir auch eine unnötig steile Linie entlang des Nordostgrats (T6). In der Mitte der Ostflanke wäre das Gelände weniger steil und einfacher zu begehen (T5). Zudem liegen in der schattigen Nordostflanke ab einer Höhe von ca. 2400 m auch noch Reste des letzten Schneefalls von vor 2 Tagen.
 
Auf dem Gipfel des Heustocks (2471 m), der auch für sich allein betrachtet ein hübsches Tourenziel abgäbe, sind wir beim Anblick des respekteinflössenden SE-Grates des Bützistocks gar nicht mehr sicher, ob wir die direkte Überschreitung überhaupt wagen sollen. Doch die Neugier siegt - wir folgen weiter dem Kamm, bis vor einem ersten Türmchen ein deutlicher Gamspfad in die düstere und schmierige Nordostflanke leitet. Auf dem Gamspfad umgehen wir das Türmchen und steigen anschliessend durch das nasse Gras und über Schrofen zum Einstieg des SE-Grates empor. Da wir unserer Sache gar nicht sicher sind, deponiere ich hier meinen Rucksack und erkunde den Grat, während mein Tourenpartner erst einmal wartet. Zunächst klettert man in etwas brüchigem Fels südseitig 2 m auf ein Band (II), über das ein Absatz erreicht wird. Von dort in gutem Fels ca. 4-5 m senkrecht (II), dann auf schmalen Leisten -einen Überhang umgehend- nach links queren, um anschliessend über Schrofen und steiles Gras gut gestuft den breiten Absatz unter der eigentlichen SE-Kante zu gewinnen (T6). Diese wird über eine sehr schmale und ausgesetzte Scharte erreicht. Nun müsste man äusserst exponiert und schwierig einige Meter überhängend zur Kante hinauf- bzw. hinüberklettern, an der ostseitig die steile Grasflanke ansetzt. Hier kehre ich um - mein Rucksack liegt sowieso noch unten in der Scharte und ich habe keine Ahnung, ob weiter oben überhaupt noch ein Rückzug möglich wäre.
 
Als ich noch kurz ein Band, das in die Südwand hinausleitet, erkunden will, scheuche ich überraschend einen Fuchs auf, der erstaunlich gewandt über das Band vor mir flüchtet! Wenig später springt auch noch eine Maus vor uns über die Felswand und verschwindet in einem Felsloch - zoologisch hat der SE-Grat also einiges zu bieten…
 
Etwas frustiert steigen wir vom Einstieg in den SE-Grat wieder nach Norden zu dem Gamswechsel hinab, in der Hoffnung, dass dieses Band uns irgendwie halbwegs höhehaltend durch die Nordostflanke des Bützistock führt. Diese Annahme ist natürlich naiv, denn der ohnehin schon schmierige und rutschige Wildwechsel endet bald in jäh abfallenden Wänden und Grasflanken, wo ein Weiterkommen aussichtslos erscheint. Nun wollen wir aber auch nicht mehr auf dem heikel über dem Abgrund entlang führenden Band zurück, also beschliessen wir, über die aus nassen Schrofen, Geröll und kurzem Gras bestehende Flanke nach Nordosten abzusteigen. Unter den Nordostwänden des Bützistocks arbeiten wir uns also vorsichtig zu den Geröllausläufern hinunter - einen zweiten Versuch, etwas tiefer auf einem Band die Graswände auf Gamsspuren zu queren und direkt zum Rottor aufzusteigen, brechen wir ab. Es scheint, dass durch diese extrem steilen Gras- und Schrofenwände tatsächlich nur die Gämsen kommen.  
 
Immerhin müssen wir nur ca. 100 Hm preisgeben, bis wir unmittelbar unter den Felsabbrüchen mühsam auf Schutt und Gras queren können. Wenig später finden wir dann tatsächlich eine für uns gangbare Route, um auf den Grat zwischen Rottor und P. 2387 zu gelangen. Zwar ist auch dieser Aufstieg eher was für Gämsen, doch mit etwas Gespür gelingt es uns, die Wand auf einem System aus schmalen Grasbändern nach oben zu durchsteigen (T6). Ca. 80 Hm klettern wir also wie die Affen -an guten Grasbüschelgriffen hinaufziehend- nach oben, bis sich das Gelände allmählich zurücklegt. Von der Sonne geblendet, erreichen wir den Grat etwas südlich von P. 2387. Wer die Umgehung des Bützistocks in dessen Nordostflanke etwas entspannter gestalten möchte, steigt bereits vom Heustock nach Norden bis auf eine Höhe von ca. 2250 m ab und quert den Kessel über den Chamm-Seeli soweit, bis über einen Ausläufer zum Nordgrat des Rottor wieder aufgestiegen werden kann.
 
Positiver Nebeneffekt unserer ganzen Aktion war, dass uns der folgende (Normal-)Aufstieg zum Rottor (2489 m) und weiter zum Bützistock via NW-Grat (T5, kurze Kletterstellen im Abstieg vom Rottor und am Gipfelgrat des Bützistocks) wie ein Spaziergang vorkommt. Schon erstaunlich, wie sich die Perspektiven verschieben können…
 
Das Gipfelbuch auf dem Bützistock ist leider noch immer so nass, dass wir unseren Eintrag nur mit Mühe setzen können. Der letzte Eintrag stammt übrigens von Delta vom 08.06.
 
Da ich wissen will, wie der SE-Grat von oben aussieht, gehe ich noch über den (sehr luftigen) Gipfelgrat und steige bis zum obersten Absatz des SE-Grats ab. Von hier sieht der eigentliche Grat zwar extrem steil, aber (zumindest im Aufstieg) machbar aus. Die Crux scheint somit tatsächlich die überhängende Felsstufe zu sein, an der ich Stunden zuvor umgekehrt war.
 
Vom Bützistock geht es auf gleichem Weg über den kleinen Vorgipfel zurück in die Scharte vor dem Rottor und über dessen gut gestufte Südostflanke ein zweites Mal auf den "kleinen Bruder" des Bützistocks. Vom Rottor steigen wir nun zuerst ein Stück über den Südwestgrat ab, bis wir in die grosse Schuttrinne hinüberqueren können, in der es sich bestens zu den Weiden des Schattenchamms abfähren lässt. Angesichts der weit fortgeschrittenen Zeit und der dadurch verminderten Chancen, vom Wanderparkplatz oberhalb Merlen per Anhalter nach Murg zu gelangen, verwerfen wir unseren ursprünglichen Plan, zu den Murgseen abzusteigen. Stattdessen queren wir Richtung Widersteiner Furggel, stechen aber bereits von P. 2137 durch die steile Grasflanke ins Widersteiner Loch hinab. An der Quelle des Widersteiner Bachs können wir dann auch (endlich) unsere längst aufgebrauchten Getränkevorräte wieder aufstocken - selten war frisches Bachquellwasser so wertvoll!
 
Nach ziemlich zähem Ausmarsch durch das Üblital erreichen wirEngi kurz vor 19 Uhr. Eine lange und fordernde Tour in einer spannenden und einsamen Ecke entlang der Kantonsgrenze SG/GL liegt hinter uns.

Tourengänger: marmotta
Communities: T6


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