Vogorno - Alpe Bardughè - Pizzo Vogorno - Capanna Borgna - Vogorno

Die Farbe Grau dominiert diesen Tag. Es ist nichts mit der geliebten herbstlichen Fernsicht und dem stahlblauem Himmel. Wenigstens regnet es nicht. Wir marschieren also in Vogorno los in Richtung Alpe Bardughè und begegnen keinem Menschen. Während des ganzen Aufstiegs ist es totenstill. Kein Vogel zwitschert, kein Kolkrabe krächzt, kein Hirsch röhrt. Es ist als ob die Welt still steht. 
Erst als wir oben auf der Alpe Bardughè ankommen ändert sich das schlagartig. Ein ganzer Tross (28 Personen) johlender freiburger Wandergesellen/Innen kommen zur gleichen Zeit von Odro her über die Ebene gezottelt. Ich spüre wie sich in mir Fluchttendenzen bemerkbar machen. Solche Situationen haben mich mitunter schon zu hikerschen Höchstleistungen angespornt, bei welchen ich mich jeweils im Nachhinein gewundert habe wie viel Energiereserven mein Körper besitzt und auch fähig ist umzusetzen. Der ganze Tross macht hier fast eine Stunde Rast. Ich zögere nicht lange Jemanden zu fragen ob sie alle hier Übernachten wollen. Gott sei Dank haben die keine solchen Pläne. Langsam entspanne ich mich wieder, bin dann aber doch recht froh als die muntere Schar weiterzieht.
Anbetracht des düsteren Wetters wollen wir nämlich hier auf Bardughè übernachten. Der nächste Tag soll herrlich prächtig werden. Es wäre jammerschade jetzt auf den Pizzo di Vogorno hochzusteigen und rein gar nichts von der Bergwelt zu sehen.
Wir teilen die Küche und das Schlafgemach mit vier strammen, freundlichen Holzhackerjungs welche hier seit bald drei Monaten fix einquartiert sind. Tagsüber wüten die mit ihren Motorsägen hinten im Wald. Das muss so sein .... Borkenkäferprophylaxe ....

Am nächsten Morgen zeigt sich der Tag - abgesehen von Kälte und bissigem Wind - von einer bedeutend freundlicheren, klareren Seite. Im Tal liegt Dunst. Oben in den Bergen weiteste Weitsicht. 
Wir steigen in der Kühle des herbstlichen Morgens auf und gewinnen schnell viel Höhenmeter und geniessen die Ausblicke. Auf dem Pizzo di Vogorno machen wir längere Rast bevor wir uns in Richtung Capanna Borgna aufmachen.

Die Capanna Borgna ist ein Juwel unter den Selbstversorgerhütten im Tessin und als wir ankommen sind wir allein. Wir sitzen an der Sonne, mischen uns mit Bier und Sprite unsere Panache's und studieren die Zeitschriften und Bücher die hier zur Hüttenbibliothek gehören. Besonders der schöne Bildband über den VAV nehmen mich völlig in Beschlag. Die Zeit verstreicht. Meine Geliebte wird langsam aber sicher vom Hunger geplagt - das gibt es bei ihr öfter als bei mir - und sie macht sich in der Küche zu schaffen. Plötzlich kommt sie entsetzt rausgerannt und erzählt mir, dass die Hütte heute 25. September 2014 besetzt ist. Ich lache und sage: "Klar Schatz wir haben die Hütte besetzt". Ich gehe mit in die Küche und tatsächlich hängt ein A4 Blatt an der Wand welches ankündigt, dass eine ganze Schulklasse die Hütte heute für sich reserviert hat.
Es ist schon bald 16.30 Uhr und ich wundere mich, dass noch niemand von den Leuten hier anwesend ist. Ich bezweifle, dass da heute noch grosse Scharen einmarschieren werden. Es müssten ja wenigstens Leute hier sein die Vorbereitungen für das kulinarische Wohl der Schüler treffen. 
Ich rufe den Verantwortlichen der Hütte Hr. Martinetti an der mich an seine perfekt deutsch sprechende Frau weiterleitet. Diese bestätigt mir, dass die Hütte heute für diese Schulklasse reserviert ist. Sie findet es aber offensichtlich auch komisch, dass um diese Zeit noch niemand da ist. 
Wir besprechen die Sache kurz und entscheiden uns jetzt noch ins Tal abzusteigen. Angegebene Gehzeit nach Vogorno 3 Stunden 20 Minuten. Aktuelle Zeit 17.00 Uhr. Ein knappes Zeitfenster Vogorno bevor es dunkel ist zu erreichen. Wir schaffen es schlussendlich in ca. 2 Stunden und 30 Minuten bei fortgeschrittener Dämmerung in Vogorno zu sein. 
Als wir unten angekommen sind schalte ich mein Natel wieder ein und sehe, dass mir Frau Martinetti drei Mal versucht hat anzurufen. Ich bin mir fast sicher, dass Sie inzwischen Abklärungen getroffen und erfahren hat, dass der Ausflug der Schulklasse auf die Capanna Borgna aus welchen Gründen auch immer heute nicht stattfindet.

Eine schöne Rundwanderung mit herrlichen Ausblicken, welche man je nach Ambitionen in einem (bei guter Kondition) zwei oder drei Tagen machen kann.