Am Pilatus in der Vertikalen wandern (Galtigentürme)


Publiziert von Fico , 3. November 2013 um 23:10.

Region: Welt » Schweiz » Obwalden
Tour Datum:22 Oktober 2013
Wandern Schwierigkeit: T2 - Bergwandern
Klettern Schwierigkeit: 4+ (Französische Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: Pilatusgebiet   CH-NW   CH-OW 
Zeitbedarf: 6:30
Aufstieg: 800 m
Abstieg: 50 m
Strecke:Ämsigen - Mattalp - Galtigentürme - Pilatus Esel
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Ämsigen
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Pilatus Kulm

Was für die Ostschweiz der Säntis, das ist für die Zentralschweiz der Pilatus. Auf dem Säntis war ich schon oft – auf dem Pilatus noch nie. Gut möglich, dass es auch weiterhin nicht dazu gekommen wäre, hätte ich nicht kürzlich ein SMS mit diesem Inhalt bekommen: „Matthias fragt, ob wir Lust hätten, am nächsten Di ein paar Seillängen zu klettern, Jura oder Pilatus.“ Matthias ist der Bergführer, der Ende August auf der Gerstelflue bei uns den Appetit auf mehr geweckt hat. Wir – das sind Fabienne, Gerry und ich. Das „Kletterteam“, das sich am besagten Ort kennengelernt hat. Den Brüggligrat im Solothurner Jura hatten wir damals ins Auge gefasst. Und nun Klettern am Pilatus? Wie gut, dass es die Hikr-Seite gibt! So war ich bald einmal im Bilde, was mich erwartete und worauf ich mich einliess.
 
Mit der nostalgisch anmutenden Zahnradbahn fahren wir von Alpnachstad zur Mittelstation Ämsigen und wandern anschliessend voller Tatendrang, zuerst auf dem markierten Bergweg, dann über das Schotterfeld und das gut erkennbare Felsband, zum Einstieg. Dort rüsten wir uns aus. Die klettergewohnte Fabienne zieht ihre Kletterfinken an, Gerry und ich versuchen unser Glück mit den Bergschuhen. Im Sommer habe ich mir ein Paar neue, steigeisenfeste gekauft, die ich heute erstmals zum Klettern benütze. So müsste es eigentlich viel besser gehen als mit meinen alten Trekkingschuhen, denke ich mir. Matthias nimmt mich ans Seil, Fabienne und Gerry bilden die zweite Seilschaft. Sorgen brauche ich mir also keine zu machen und kann, stets am Seil gut gesichert, bequem nachsteigen.
 
Bereits bei der ersten Seillänge erlebe ich eine unangenehme Überraschung. Meine neuen Bergschuhe halten nicht so gut wie die alten. Mein linker Fuss rutscht ab, mit dem Knie schlage ich auf den Fels, während ich mich mit den Händen mit knapper Not festhalten kann. Als wir alle beim nächsten Stand angekommen sind, zeigt Matthias, wie man mit den festen Bergschuhen richtig hinsteht. Erst jetzt wird mir klar, dass ich bisher meine fast abgelaufenen Trekkingschuhe eigentlich wie Kletterfinken benutzt hatte und meistens auf Reibung geklettert war. Nun ist auf einmal alles anders und ich muss mich umgewöhnen. Auch das Selbstvertrauen in meine Trittsicherheit ist vorläufig dahin. Bei den nächsten Seillängen taste ich mich behutsam voran und prüfe sorgfältig jeden Tritt, bevor ich ihn belaste. Es ist hauptsächlich eine Übungssache, auch die Wadenmuskeln werden spürbar mehr in Anspruch genommen – aber es funktioniert, und zwar von Seillänge zu Seillänge besser! Dennoch tut es gut, stets das straff gespannte Seil zu spüren.
 
Matthias ist ganz Bergführer. Bei einer Querung zwischen zwei Türmen, in einer steilen Grasflanke, hält er mich am kurzen Seil und geht über der Wegspur auf den rutschigen, langen Grashalmen. „Willst Du nicht lieber auch mit mir zusammen den Weg benützen?“, frage ich ihn. Er verneint, er müsse unbedingt einen Meter über mir gehen, nur so könne er mich halten, falls ich ausrutsche. Ich lasse es mir gefallen und fühle mich so richtig verwöhnt. Wären doch alle Pfade, auf denen ich im Laufe des Jahres ganz alleine (aber möglicherweise mit einem Schutzengel, der mich am unsichtbaren Seil führte) unterwegs war, so harmlos gewesen wie diese Passage hier!
 
Die Galtigentürme sind eigentlich eher steile Gratfelsen als richtige Türme, wie man sich solche vorstellt. Doch der vierte und letzte Turm macht seinem Namen alle Ehre. Mächtig und Respekt einflössend steht er vor uns mit seinen fast senkrechten Wänden. Etwas ungläubig schauen wir Matthias an. Er lächelt und nickt: „Doch, doch, den machen wir auch noch.“ Vorher allerdings lassen wir uns am Wandfuss nieder, um uns zu stärken. Es ist bald halb eins und höchste Zeit für die Mittagsrast! Mehr als drei Stunden sind wir bereits herumgeklettert, an diesem wunderschönen Herbsttag. Es ist jedenfalls keine Selbstverständlichkeit, Ende Oktober, dazu auf dieser Höhe, im T-Shirt an der Sonne sitzen zu können.
 
Anschliessend klettert Matthias wieder vor und hängt die Expressschlingen ein. Mit ziemlich gemischten Gefühlen begebe ich mich als Zweiter in die steil aufragenden Felsen. Es geht dann erstaunlich gut und weit besser, als ich gedacht hätte. Es ist ein berauschendes Gefühl, in luftiger Höhe auf den ganz schmalen Tritten zu stehen und zu spüren, dass sie tatsächlich halten! Im Zweifelsfalle allerdings benütze ich lieber den Bohrhaken als Tritt und ziehe mich an der Expressschlinge hoch, als einen weiteren Abrutscher zu riskieren. Auch Gerry scheint auf Nummer sicher zu gehen: Als wir uns am nächsten Stand begegnen, bemerke ich, dass er inzwischen die Bergschuhe mit den Kletterfinken getauscht hat. Im Kletterführer ist die Schlüsselstelle mit 4c angegeben. Matthias findet, es sei eher ein 5b. Für mich jedenfalls ein Schwierigkeitsgrad, den ich mir im Vorstieg lieber nicht zumuten würde.
 
Noch sind wir nicht auf dem Gipfel des Turms, auch wenn das happigste Stück überstanden ist. Inzwischen ist die Sonne hinter den Wolken verschwunden und der Föhn bläst recht stürmisch. Nach der nächsten Seillänge, als ich bei Matthias ankomme, fragt er mich besorgt, ob ich nicht kalt hätte. Eigentlich schon, nur im T-Shirt und leicht verschwitzt. Doch mit soviel Adrenalin im Blut spürst du Kälte nicht. Obwohl sich weder Höhenangst noch andere unangenehme Gefühle bemerkbar machen, ist die Anspannung enorm. In dieser Umgebung, die, gelinde gesagt, etwas gewöhnungsbedürftig ist für einen Bergwanderer wie mich, der anfangs Jahr einfach mal, mehr aus Neugierde, einen Tageskletterkurs besucht hat...
 
Schon bald zeigt sich wieder die Sonne, die Wolken kommen und gehen. Es ist ein Merkmal der Galtigentürme, dass es nach jedem Turm einen fast horizontalen Übergang zum nächsten hat. Auch nach dem vierten und letzten Turm sind es nur wenige Meter, die man hinunterklettern muss, bis man sich auf einem breiten Grasrücken befindet. Dort halten wir an und verstauen die Kletterausrüstung im Rucksack, in der Überzeugung, diese nicht mehr zu benötigen. Dies trotz unserer Absicht, anschliessend über die Ostwand auf den Pilatus zu gelangen.
 
Da niemand genau weiss, wo die Route durchführt, bleibt es beim Versuch. Zuerst folgen wir einer Wegspur in nördlicher Richtung, bis unsere Zweifel stärker werden. Wir halten an, Matthias geht weiter und erkundet das Gelände. Als er zurückkommt, schüttelt er den Kopf. Wir kehren um und nehmen die andere Spur, die vorher links abgezweigt ist. Wir entdecken bald einmal eine blaue Markierung und glauben uns auf dem richtigen Weg, der allerdings immer steiler wird. Bei einem Beleuchtungskörper auf dem Grat, der westlich steil abfällt, halten wir wieder an und warten auf Matthias, der nochmals auf Erkundungstour geht. Es sei zwar nur eine kurze Kletterstelle, berichtet er, nachher sei der Weg wieder einfacher, aber ziemlich matschig und alles Weitere bis zum Gipfel sie nicht mehr überschaubar. Damit ist der Entscheid gefallen. Es wäre absurd, nachdem wir den ganzen Tag am Seil gut gesichert waren, uns zum Schluss – zwar mit einem Bergführer in der Gruppe, aber praktisch ohne Sicherungsmöglichkeiten – auf ein halsbrecherisches Abenteuer einzulassen. Vorsichtig steigen wir wieder hinab und queren dann im einfacheren Gelände auf den Bergweg, der gefahrlos auf den Gipfel führt.
 
Oben angekommen findet man sich, nach einem Tag in der unverfälschten Natur, in einer andern Welt wieder. „Pilatus City“ ist touristisch zweifellos sehr gut erschlossen... Es herrscht ein babylonisches Stimmengewirr: Englisch, Spanisch, Französisch und vor allem Chinesisch. Dennoch nehme ich diese so ganz andere Umgebung kaum wahr. Die Müdigkeit und die starken Emotionen während des Tages überwiegen und überlagern alles andere. Es ist vor allem auch ein Gefühl der Dankbarkeit für die schönen Erlebnisse und intensiven Momente in einer Bergwelt bizarrer Felskulissen, die ich früher nur von Weitem bestaunte und die ich stets als für mich unerreichbar gehalten hatte.

Tourengänger: Fico


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Kommentare (1)


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Felix hat gesagt:
Gesendet am 19. November 2013 um 06:10
wieder ein sehr persönlich geschilderter, eindrücklicher Bericht - Bravo!

lg Felix


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