Hinterer Jamspitz (3156 m) und Scheitern am Piz Fliana (3281 m)


Publiziert von marmotta , 1. November 2013 um 00:34. Text und Fotos von den Tourengängern

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Unterengadin
Tour Datum:26 Oktober 2013
Wandern Schwierigkeit: T5- - anspruchsvolles Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: L
Wegpunkte:
Geo-Tags: Dreiländerspitz-Gruppe   CH-GR   A   Fliana-Gruppe 
Zeitbedarf: 2 Tage
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Guarda, cumün
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Guarda, cumün

Über dem Talschluss des Val Tuoi baut sich mit der Buingruppe das Kern- und Glanzstück der Silvretta auf. Piz Buin (3312 m) und Dreiländerspitze (3197 m) zählen zu den renommiertesten Gipfeln dieses Gebirges, sie erhalten sommers wie winters viel Besuch - ganz im Gegensatz zu den benachbarten Gipfeln, die -wenn überhaupt- nur als Skitourengipfel bekannt und beliebt sind: So bietet die eher unscheinbare, aber leicht zu erreichende Hintere Jamspitze (3156 m) prächtige Abfahrten ins Jamtal und ins Val Tuoi und auch der eher unbekannte Piz Fliana (3281 m), immerhin der Zweithöchste der gesamten Gruppe, wird hauptsächlich (bei sicheren Verhältnissen) von Skialpinisten bestiegen. Doch warum diese Gipfel nicht mal im Vorwinter besteigen, wenn es ruhig und einsam wird über dem Val Tuoi?
 
Wie es der Zufall so wollte, hatte ich beim Hikr-Treff 2 Wochen zuvor als Nachzügler beim Fondue neben Outdoorseiten-Legende Becks am Tisch Platz genommen. Wir hatten so ausgiebig Gelegenheit, uns über das eine oder andere Projekt auszutauschen und waren uns aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre einig, dass trotz des frühen Wintereinbruchs durchaus noch einmal was "Höheres" gehen könnte…
 
Und siehe da: Dank anhaltend milder Witterung und entsprechender Schneeschmelze standen an diesem letzten "Goldenen Oktober-Wochenende" die Vorzeichen günstig für eine Hochtour im Unterengadin - denn dort steht seit langer Zeit ein gewisser Piz Fliana ziemlich weit oben auf meiner Wunschliste!
 
Samstag, 26.10.2013
 
Nach kurzweiliger Zugfahrt starteten wir -mit schweren Rucksäcken beladen- gegen 10.30 Uhr im malerischen Guarda (1650 m), das mit seinen ursprünglichen und liebevoll gestalteten Steinhäusern wohl eines der schönsten Dörfer des Engadins, wenn nicht sogar der ganzen Schweiz sein dürfte. Um diese Jahreszeit ist das Val Tuoi eine wahre Pracht: in der satten Oktobersonne leuchten die Lärchenwälder im schönsten Goldgelb. Die dahinter im Schneekleid aufragenden Silvretta-Riesen bilden unter dem tiefblauen Himmel einen solch satten Kontrast, dass man sich fast in einem Traum wähnt. Wahrhaft eine Bilderbuchkulisse!
 
Klar, dass bei solch Verhältnissen das ein oder andere Foto geschossen werden "muss". Wir haben ja Zeit (dachten wir zumindest) und so bekommen auch die freilaufenden Pferde auf der Hochebene unterhalb der Alp Suot noch ihre Streicheleinheiten. Kurz vor der Alp Suot (2018 m) verliessen wir den zur Chamanna Tuoi führenden Fahrweg und überquerten auf der kleinen Holzbrücke den Bach. Unser Ziel war das auf der LK eingezeichnete Wegband, das die Ostabbrüche des Piz Champatsch auf einer Höhe von knapp 2500 m quert. Um dieses Band zu erreichen, stiegen wir zunächst -einer schwachen Viehspur folgend- den Ausläufer der steilen Ostflanke des Piz Champatsch nach Norden querend hinauf. Dort, wo das Gelände nach oben wieder offener wird, verliessen wir den Schafpfad und stiegen entlang einer markanten (auch auf der LK sichtbaren) Runse steil nach oben, bis sich die Runse nach oben hin gabelt. Wir wählten hier die nach rechts hinauf führende Rinne, in der wir anfangs einige Meter über etwas moosige Felsen kraxelten, bevor wir am nördlichen Rand der Rinne weiter aufstiegen. Irgendwann läuft die Rinne bzw. der Sporn daneben in Felsplatten aus, so dass wir gezwungen waren, abermals weiter nach Norden (rechts im Aufstiegssinne) auf eine schöne, begraste Rippe zu queren, über die wir effizient emporstiegen und wenig später das Wegband erreichten. Mit etwas Spürsinn für die beste bzw. die gängigste Linie (Gamsspuren!) bewegen sich die Schwierigkeiten bis hierhin im oberen T4-Bereich. Unsere ungefähre Route in diesem Abschnitt habe ich hier eingezeichnet.
 
Hatte mir die Tour bis jetzt mächtig Spass gemacht (klar, war ja auch das mir aus meinen Voralpenkraxeleien bestens bekannte und vertraute Gelände), fing es nun langsam an, ungemütlich zu werden.
 
War es schon nicht gerade angenehm, dass der durch die abschüssige und felsige Flanke führende Pfad nordseitig schneebedeckt war, verdarb mir das (schlecht) eingeschneite Blockgelände, das wir anschliessend erreichten, endgültig die Laune. Um den bereits mit einer dünnen Eisschicht bedeckten Lajet d'Anschatscha (ca. 2550 m) in direkter Querung zu erreichen, waren wir unmittelbar vor der markanten Bachrunse, wo der Pfad abfallend die Flanke weiter nach Norden traversieren würde, durch die Blockfelder nach Nordwesten gestiegen. Nach einer Pause in der Sonne oberhalb des Sees mühten wir uns mehr schlecht als recht noch bis in die Fuorcla d'Anschatscha (2848 m). Dabei heizte die fast hochsommerlich anmutende Sonne nicht nur dem Schnee, sondern auch uns mächtig ein.
 
Von der Fuorcla d'Anschatscha würde es nun auf der leichtesten Route westseitig etliche Meter in einen Kessel aus Blockfeldern und Geröll gehen, um von dort zunächst durch eine Schuttrinne und weiter oben in nordöstlicher Richtung über ein Firnfeld den Gipfel des Piz Fliana (3281 m) zu erreichen. In Anbetracht der äusseren Umstände (weicher, mühsamer Schnee, eingeschneite Blockfelder mit nicht unerheblichem Gefahrenpotenzial) und der zwischenzeitlich ziemlich weit vorangeschrittenen Zeit (es war bereits 14 Uhr) brachen wir vernünftigerweise die Übung an dieser Stelle ab. Wenigstens konnten wir von der Scharte einen fantastischen Blick auf die gewaltige Ostwand des Piz Linard geniessen.
 
Von der Scharte stiegen wir zunächst auf dem Aufstiegsweg bis zu der nach Süden und Osten in Felswänden abbrechenden Kuppe P. 2692 ab. Von dort nordostseitiger Abstieg durch eine Schneerinne und dem Bachlauf folgend, der von dem Hochplateau in einer steilen schluchtartigen Rinne ins Val Tuoi hinabschiesst. Wenngleich sie von oben betrachtet ziemlich steil und abweisend wirkt, stellt diese Bachrinne die offensichtliche und einzig sinnvolle Abstiegsroute vom Hochplateau der Foura d'Anschatscha ins Val Tuoi dar. Dank den Gämsen ist sie einigermassen gestuft und trotz des steilen Schutts verhältnismässig gut begehbar (T5-), an einigen Stellen müssen die Hände aus dem Sack genommen werden.
 
Unten im Talboden des Val Tuoi angkommen, war noch ein letztes Hindernis zu überwinden: Sämtliche Stege über den Bachlauf der Clozza sind um diese Jahreszeit  längst abgebaut, mehrere Versuche, das kühle Nass trockenen Fusses zu überqueren, scheitern. Glücklicherweise war es Becks gelungen, etwas weiter talauswärts ans "richtige" Ufer zu gelangen, so dass er mir durch Hinüberwuchten eines auf der anderen Seite gelagerten Holzsteges eine Brücke bauen konnte. Sonst wäre ich wohl heute noch am Herumirren entlang dieses Baches… :-)
 
Kurz zuvor hatten wir unseren Augen kaum getraut, als wir -bei fast schon hereinbrechender Dämmerung- eine ganze Karawane von Wanderern in Richtung Chammana Tuoi gehen sahen. Vor allem, weil wir den ganzen Tag keiner Menschenseele begegnet waren!
 
Insgesamt verbrachten dann tatsächlich 14 (!) Personen den Abend und die Nacht im engen Winterraum - vielleicht suche ich mir nächstes Mal doch wieder eine Hütte, die im (Vor-)Winter etwas schwieriger zu erreichen ist… :-/
 
Sonntag, 27.10.2013
 
Nach langer, aber wenig erholsamer Nacht (es war einfach zu warm und stickig im Schlafraum) weckte mich meine innere Uhr um 5 Uhr…gleichzeitig stellte ich fest, dass der Wecker meiner Armbanduhr nicht funktioniert…
 
Nach einer Tasse Tee (danke Becks für´s Feuer machen und Wasser kochen!) und einem kleinen Frühstück ging´s um 6 Uhr im Lichte unserer Stirnlampen von der Chamanna Tuoi in Richtung Jamspitzen. Wenigstens einen Gipfel wollten wir an diesem Wochenende dann schon noch erreichen! Obwohl die Nacht aussergewöhnlich mild gewesen war, trug der Schnee -soweit wir in der bis 2600 m (auf Schuttrippen teilweise noch höher) weitgehend ausgeaperten Südwestflanke überhaupt welchen antrafen- bis in das Hochkar zwischen Piz Tuoi und Piz Furcletta recht gut. Danach wiederum mühsames Einsacken, wie wir es bereits vom Vortag kannten - wenigstens war der Schnee nun am frühen Morgen nicht mehr ganz so weich, so dass der "Falltüren-Effekt" zwischen den Felsblöcken nicht so extrem war. Mit auffrischendem Südwestwind erreichten wir gegen 8 Uhr den kleinen Sattel auf ca. 3070 m zwischen den Jamspitzen und dem Piz Urezzas. Hier empfing uns eine einzigartige Szenerie: Im wechselnden Föhnlicht glänzte die schneebedeckte Fläche des völlig unberührten Jamtalferners, ringsherum reihten sich die 3000er der Silvretta auf, tief unten im dunklen Jamtal war die (verlassene) Jamtalhütte auszumachen.
 
Am oberen Rand des Jamtalferners (Vorsicht: In der Mitte weist auch dieser Gletscher einige grössere Spalten auf!) stiegen wir nordseitig entlang den Felsen der östlichsten Jamspitze (auf der LK nicht bezeichnet und kotiert) um das Massiv der Hinteren Jamspitze herum, um dann vom Jamjoch (3068 m) ohne Schwierigkeiten den Gipfel über die Nordwestflanke zu erreichen. 40 cm Pulver auf harter Unterlage - wer wünscht sich da nicht ein Paar Tourenski herbei?! :-)
 
Der letzte Eintrag im Gipfelbuch liegt über einen Monat zurück - und mit grosser Wahrscheinlichkeit waren wir auch die letzten Fussgänger bis zum Frühsommer nächsten Jahres…Wir genossen die Einsamkeit und die tolle Stimmung an diesem föhnigen Morgen und traten anschliessend zufrieden den Abstieg auf unserer Aufstiegsroute an.
 
Da wir noch einen Abstecher zum idyllisch gelegenen Lai Blau machen wollten, traversierten wir vom kleinen Seelein bei P. 2539 (Furcletta) in teilweise etwas mühsamem Blockgelände die Westausläufer des Piz da las Clavigliadas. Wenigstens war´s hier komplett schneefrei. Das Mikrogipfelchen Mot Ruderas südseitig auf Wildwechseln umgehend, gelangten wir bald zum Wanderweg, welcher von der Chamanna Tuoi her heraufführt und über diesen in wenigen Minuten zum Lai Blau (2613 m). Leider spielte das Wetter nicht ganz mit, düstere Wolken liessen das Seelein diesmal nicht ganz so bezaubernd aussehen wie letztes Jahr. Wenigstens riss der Föhn die Wolken immer wieder auf und bescherte uns auf dem Abstieg via Prada da Tuoi bis hinunter nach Guarda immer wieder sonnige Abschnitte.
 
Fazit:
 
Auch wenn wir am Samstag ein wenig enttäuscht über unser Scheitern am Piz Fliana waren, erlebten wir am Sonntag eine traumhaft schöne Bergtour auf einen inmitten der Silvretta-Prominenz gelegenen Gipfel, der für uns mehr als nur ein "Trostgipfel" war. Dieses Tourenwochenende brachte aber auch die Erkenntnis, dass die Hochtourensaison (zumindest für Fussgänger) nun doch langsam zu Ende geht…

Tourengänger: marmotta, Becks


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Kommentare (2)


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WoPo1961 hat gesagt:
Gesendet am 5. November 2013 um 09:37
Hoi Motte,
fast vergessen, hier noch ein paar Zeilen zu schreiben. Hatte den Bericht eigentlich direkt nach der Veröffentlichung schon gelesen. Verdammt schöne Bilder und verdammt einsam (mal abgesehen von der Völkerwanderung zur Tuoi Hütte). Das WoPo Herzken hat jedenfalls mal wieder ordentlich geblutet; in solchen Augenblicken wird mir dann bewußt, WIE weit entfernt vom "Geschehen" doch Flachlandhausen liegt, und WIE lange es nun dauert, bis ich wieder ins "Geschehen" eingreifen kann.
Wobei, momentan könnte ich selbst vor Ort wohnend nicht eingreifen.. hab schon wieder "Rücken" :-(
Wünsch dir noch einen schönen November (definitiv waren Tina und ich im Oktober in den falschen Wochen im Alpstein!!)

LG WoPo

marmotta hat gesagt: RE:
Gesendet am 5. November 2013 um 17:45
Danke, lieber WoPo! Und ja, echt schade, dass Ihr soo weit von den Bergen weg wohnt!!

Gute Besserung mit Deinem Rücken!

LG
marmotta


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