Wer hat Angst vor'm Saykogel 3355m im weißen Kleid? Eine alternative Überschreitung


Publiziert von alpensucht , 14. September 2013 um 11:22.

Region: Welt » Österreich » Zentrale Ostalpen » Ötztaler Alpen
Tour Datum: 1 Juli 2013
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A 
Zeitbedarf: 10:30
Aufstieg: 1100 m
Abstieg: 1900 m
Strecke:Hochjochhospiz - Saykogel - Brücke Rofenache - Rofen - Vent - ca. 20km

Einmal bin ich wegen der Kälte aufgewacht, musste mir noch etwas anziehen hier oben auf 2700m. Meine Zeltinnenwand ist von einer dünnen gefrorenen Kondensschicht überzogen und außen liegt dicker Reif auf dem Dach. Gestern habe ich die Guslarspitzen 3100m mit Zugang über den veschneiten Südostgrat besucht. Heute möchte ich den Übergang ins Niedertal über den Saykogel erkunden. Dazu muss ich zunächst 400Hm absteigen...

 

Einmal bin ich wegen der Kälte aufgewacht, musste mir noch etwas anziehen hier oben auf 2700m. Meine Zeltinnenwand ist von einer dünnen gefrorenen Kondensschicht überzogen und außen liegt dicker Reif auf dem Dach. Gestern habe ich die Guslarspitzen 3100m mit Zugang über den veschneiten Südostgrat besucht. Heute möchte ich den Übergang ins Niedertal über den Saykogel erkunden. Dazu muss ich zunächst 400Hm absteigen...

 

Auftakt zur Erkundungstour mit kernigem Abstieg T4, 45min

6:30 Uhr. Schnell baue ich ab, packe zusammen und marschiere schweren Herzens von diesem herrlichen Biwakplatz zurück zum Hochjochhospiz und weiter hinab Richtung Saykogel. Der Steig zur Brücke über die Rofenschlucht ist häufig versichert und verlangt gut Trittsicherheit (T4). Kurz vor der Brücke traue ich meinen Augen kaum, als ich zwei größere Zelte an einem von der Hütte einzusehenden Platz stehen sehe. Deren Besitzer sollten sicherlich schnell verschwinden, falls sie keine Absprachen mit der Familie Pirpamer gemacht haben.

Am tiefsten Punkt (P.2289m) im Rofentaleinschnitt führt der Steig über den Schmelzwasserbach vom Hintereisferner über eine große Metallbrücke.

 

Auf ins Ungewisse – Aufstieg Teil 1 (T3, 1h 45min)

Mehrere Kehren (T2) führen am Fuße des Rofenbergs hinauf bis zu einem Steinmanndlgarten, wo ich um 7:35 Uhr eine Frühstückspause einlege.

Kurz danach kommt die kleine Brücke über das Schmelzwasser vom Hochjochferner, wo Schilder auf die sich nun trennenden Wege hinweisen. Noch recht nahe der Talsohle führt diesseits ein Weg zur Schönen Aussicht über den Hochjochferner, und jenseits etwas links davon in Aufstiegsrichtung der Steig über den Saykogel (T4) der gleichzeitig den Übergang ins Niedertal bildet.

Unerwarteterweise führt der knapp markierte Weg noch länger, langsam ansteigend, hinter in Richtung Hochjochferner. Typisches Moränengelände bildet hier die Umgebung. Bei Nebel kann es in diesem Gebiet sicher schnell zu Orientierungsschwierigkeiten kommen. Kurz bevor das Gelände von einer geschlossenen Schneedecke überzogen wird (bis hierher T3), lege ich etwa um 9:30 Uhr mein Gepäck ab, stecke nur einige Riegel ein und gehe nun weg- und weitgehend markierungslos weiter.

 

Der winterliche Westgrat – Aufstieg Teil 2 (T5, WS, 1h 30min)

Die Schneedecke trägt mich zum Glück noch, es ist noch früh genug. Aber nun ist der ganze Routensinn und eine gute Geländebeurteilung gefordert. Ich bin unsicher, wo der Grat genau beginnt. Alles ist hier irgendwie relativ flach, sehr weitläufig und z.Zt. noch unter einer dicken Schneedecke verborgen. Nach einem Geländebuckel sehe ich deutliche Spuren rechts von mir, die allerdings komplett am Nordgrat vorbeizuführen scheinen. Hier lässt sich kaum feststellen, bis wohin sich etwa das Eis des Hochjochferners und das des südlichen Kreuzferners zurück gezogen hat.

Für einige Hundert Meter korrigiere ich meine Route (weiter südlich) und gehe auf der Spur, bis ich sehe, dass diese direkt ins Joch führt. Das wäre mir viel zu wenig anspruchsvoll. Also steige ich links von mir in die aufsteilende Flanke ein und gelange über eine Rinne (guter Firn bis 40°) auf den Westgrat. Hier nun gibt es mit Schnee durchsetzten, brüchigen Fels I-II und seltener Gehgelände (insgesamt T5/WS bei diesen Verhältnissen).

An der ersten Gratecke schaue ich auf meine Rückroute, auf welchen Schneefeldern ich am besten weit hinunter abfahren könnte.

Ein echter Trümmergrat. Einige spitze und scharfe Platten ragen scheinbar solide heraus, wackeln aber bei leichter Berührung gewaltig. Ausgesetzte Traversen bis II sind zu bewältigen. Auch einige kleinere (nicht weniger gefährlichere!) Wechten brechen über den Grat manchmal nach West, manchmal nach Osten. Einige Male verschwinde ich bis zur Hüfte im noch frischen angewehten Tiefschnee. Ein herrliches alpines Abenteuer.
 

Gipfelerlebnis und Abstieg Teil 1 (T4, 1h 30min)

Als der Gipfel in Sicht kommt, überkommt mich Freude. Zwei Seilschaften beobachte ich am Hauslabkogel und an der Finailspitze. Am Gipfel, den ich kurz vor 11 Uhr erreiche, halte ich mich wegen des stärker werdenden Durstes nur kurz auf, esse etwas Schnee, schaue noch in Ruhe die Abstiegsroute über die südliche Rippe ins Niedertal an und steige über die Normalroute ab.

 

Durch die weiten Firnfelder bin ich im flotten Laufschritt und durch Abfahrten in den steileren Passagen schnell wieder an meinem Rucksack, wo das ersehnte Wasser wartet. Schnee ist auf Dauer ecklig und man dehydriert mit der Zeit...

 

Je weiter ich hinab komme, desto weicher wird der Schnee. Inzwischen brennt die Sonne regelrecht, also beschließe ich, eine längere Badepause am Gletscherbach einzulegen. 12:30 Uhr. Eine kleine seichtere Badewanne ist schnell gefunden. Die Abkühlung tut unbeschreiblich gut, sobald man sich in das kaum 6°C kalte Nass getraut hat! Eine anschließende Regenerationsphase lässt mich wieder frisch und voller Energie werden, beinahe so als bräche der Morgen gerade erst an.

 

Der perfekte Ausklang – Abstieg Teil 2 (T4+, 3h)

Zugegeben – bei den ersten Schritten spüre ich schon ein wenig meine Beine, habe jedoch noch einen längeren Marsch in konzentrationsfordernden Gelände zu bewältigen. Der Abstieg, den ich um kurz vor 14 Uhr antrete erfolgt über den kleinen, teilweise unterbrochenen (Murenabgänge) Schäfersteig (öfters bis T4+!) auf der Südostseite der Rofenschlucht. Das schöne daran ist, man bleibt völlig einsam mit den Schafen und das Gelände ist deutlich wilder als drüben. Dort sehe ich meist mehr als 20 Wanderer auf einmal auf dem Cyprian-Granbichler-Weg. Mehr als einmal verliere ich die Wegspuren und muss die Route leicht korrigieren wegen großer Seiteneinschnitte, die von Muren oder Lawinen in den Hang gerissen wurden. Im späteren Sommer bei großer Hitze dürfte es gewagt sein, diese Route zu wählen. Es zieht sich ziemlich lange hin. Die Rofenhöfe sind schon längst zu sehen und die ersten Bäume kommen immer näher.

 

Um 15:50 Uhr muss ich einen Sturzbach überqueren, der für zwei Bergziegen nicht zu überwinden ist. Sie versuchen es mehrmals beinahe, trauen sich aber offensichtlich nicht. Sie bleiben also zurück. Einiges an Mut kostet mich das Überschreiten auch. Als ich endlich die große Hängebrücke erreiche, glotzen irgendwie ungewohnt viele Menschen auf einmal auf mich und mein schweres Gepäck, als gäbe es die herrliche Bergwelt rundherum nicht. Schnell hole ich meine schwere Tragetasche aus dem Seilbahnhäusschen und gehe wieder jenseits zurück nach Vent, wo ich ein wenig einkaufe und auf meine Freunde warte. Sie wollen heute Abend ankommen.

 

Fazit und Ausblick auf die nächsten Tage

In den nächsten Tagen führe ich drei sehr unterschiedliche junge Leute aus der Berliner Region in die Ötztaler Bergwelt ein. Es sollen sehr erlebnisreiche, naturnahe und anstrengende Tage werden. Wir wollen einige hohe Gipfel besuchen und im hochalpinen Gelände biwakieren. Dies alles sind Dinge, die keiner von denen je zuvor erlebt hat.

 

Die Saykogelüberschreitung war für mich heute ein Maximum an erfüllten Erwartungen und mit dem Abstieg eine echte 5*-Tour. Außer einer richtigen Gletscherbegehung, war bei dieser Bergtour wirklich alles dabei! Steile Firnflanken, ausgesetzte Gratstellen, unschwierige Felskraxelei (fast nur Traverse), ein hoher Gipfel mit Prachtaussicht, bedrohliche Wechten, knieschonende Abstiege, ein kaltes Bad uvm. So wünsch ich mir das. Und den geneigten Lesern :)

 

Mir hat er jedenfalls keine Angst gemacht der Saykogel, wie alle aufmerksamen Leser wohl bestätigen können. Respekt jedoch sei für einen solchen Berg nie fehl am Platze. Den haben hoffentlich alle, die auf eine ähnliche Tour gehen!


Tourengänger: alpensucht


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