Gut gesichert über den Grat (Gerstelflue 929 m)


Publiziert von Fico , 1. September 2013 um 21:51.

Region: Welt » Schweiz » Basel Land
Tour Datum:31 August 2013
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: IV (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BL 

T6-Gelände ungesichert zu begehen, schien mir stets eine halsbrecherische Angelegenheit, geeignet für Leute, die vermutlich innerlich mit dem Leben bereits abgeschlossen haben. Auf der Gerstelflue (929 m) habe ich meine Einschätzung überprüfen können. Doch wie komme ich überhaupt dorthin?
 
„Kletter-, Seiltechnik- und Seilhandhabungskurs für Bergsteiger, Alpinwanderer und Geocacher: Dieser Kurs bietet dir die Möglichkeit, im einfachen Gelände, die nötigen Techniken,  seiltechnischen Abläufe und Handlings zu erlernen, damit deine Alpinwanderungen, Bergtouren oder deine ‚Geocaching Touren’ sicherer werden“ – die Ausschreibung war wie auf mich zugeschnitten. Ohne zu zögern meldete ich mich an. Als ich dann erfuhr, wo genau im „Basler Jura“ der Kurs stattfinden würde, schaute ich sogleich die entsprechenden Hikr-Berichte an: T6 und Kletterschwierigkeit II, III oder sogar IV lauteten die Bewertungen.
 
Nun war ich erst recht neugierig und zugleich beruhigt, dass ich nicht alleine unterwegs sein würde. Kurzum, ich freute mich riesig auf die Tour. Das Eindringen in die mir bisher verschlossene T6-Welt, stellte ich mir vor, müsste einen ganz besonderen Reiz haben.
 
Von einem Parkplatz oberhalb von Waldenburg aus steigen wir - das sind Matthias, Kursleiter und Bergführer, Fabienne, Gerry und ich – auf den Sattel der Gerstelflue und gehen ein Stück westwärts bis zum Felsenfenster. Dort seilen wir uns an und klettern durchs Felsenfenster hindurch auf den kleinen Gratturm hinauf. Matthias nimmt Gerry, der seine ersten Erfahrungen im Klettern sammelt, ans Seil. Fabienne und ich bilden die zweite Seilschaft. Fabienne steigt voraus, ein faustdicker Stein, den sie als Tritt benützt hat, poltert an mir vorbei zu Tal. Ein ebenso grosser Brocken, an dem ich mich hochzuziehen versuche, folgt ihm nach. Wenn der ganze Grat so beschaffen ist, kann das ja heiter werden!
 
Nach diesem Kletter-Apéro gehen wir auf dem Wanderweg zurück zum Sattel und auf dem Grat bis dorthin, wo die Wege der Wanderer und der Kletterer auseinandergehen. Matthias gibt ein paar letzte Anweisungen und steigt dann wiederum voraus. Der Fels ist hier deutlich besser als vorher: griffiger, fester Kalk. Das ist auch gut so, denn schon bald wird es, obwohl es windstill ist, ziemlich luftig...  Die schroffen, in den Himmel ragenden Felsen verleihen diesem Grat im Basler Jura ein alpines Aussehen. Anschliessend wird das Gelände wieder sanfter und weitet sich zu einem mit Gras bewachsenen Rücken, auf dem etliche Föhren stehen. Die kräftige Grat-Vorspeise nach dem brüchigen Apéro hat den Appetit geweckt. Nicht nur aufs Klettern. Es ist Mittag. Zeit zum Essen und Zeit, uns zu stärken. Für alles, was uns noch bevorsteht.
 
Nach der Mittagsrast dauert es nicht lange, bis uns ein mächtiger Grataufschwung den Weg versperrt. Es ist besser, die Stelle nicht mit leerem Magen angehen zu müssen. Wie sich schnell zeigt, gibt es einen Schleichweg, der sehr ausgesetzt – mit einer Kette gesichert – auf einem fussbreiten Bändchen links an den Felsen vorbei führt. Eigentlich wäre ich lieber direkt über den Grat gekraxelt. Der Aufstieg scheint machbar, doch wie es oben weitergeht, kann ich nicht sehen. So lasse ich es bleiben und gehe ebenfalls unten durch. Die ersten paar Meter auf dem schmalen und obendrein etwas abfallenden Bändchen erfordern Konzentration. Nachher geht es einfacher weiter. Die Gratfelsen allerdings werden teilweise noch schmaler und luftiger.
 
Die Gratkante gleicht einem abgewetzten Messer. Gerry reitet beherzt über die Felsen. Auf allen Vieren folge ich ihm. Die Hände wollen einfach nicht loslassen. Auch dann noch nicht, als der Grat wieder knapp einen halben Meter breit wird. Auf einmal gelingt es mir, das Gehirn zu überlisten. Instinktiv greife ich vor der nächsten schmalen Stelle nach dem Seil hinter mir. So haben die Finger etwas, woran sie sich festhalten können – obwohl ich mich in Wirklichkeit nur an mich selbst klammere. Das allein bewirkt Wunder, das Gehirn gibt den Weg frei. Es ist unglaublich, aber es funktioniert! Nun laufe ich mit einem guten Gefühl, das dem eigentlichen Gelände (ohne Abgrund) entspricht, über den Grat. Für mich das Erfolgserlebnis des Tages!
 
Abwechslungsreich geht es weiter auf und ab. Bis zu der Stelle, die sich als die eigentliche Schlüsselstelle der Tour entpuppt – auch „Hang- und Springstelle“ genannt. Springen will ich nicht, das arg malträtierte Tännchen (bergseitig ist handbreit die ganze Rinde weg!) loszulassen, fällt mir ebenfalls schwer. Das ist der Fehler, denn unterhalb des Bäumchens hat es ein paar kleine, aber feine Griffe. Als ich mich endlich dort festhalte, ertasten die Schuhsohlen auch die entscheidenden Tritte – einen Schritt, bevor man wieder festen Boden unter den Füssen hat.
 
Die letzte Herausforderung, bevor wir zur roten Gamelle mit dem Gipfelbuch kommen, ist ein griff- und trittarmes, fast senkrechtes Wändchen (IV). Mit ein wenig Geduld lässt sich auch hier etwas finden, woran man sich mit Händen und Füssen festhalten kann. Nochmals die ganze Aufmerksamkeit dem Fels gewidmet, ein kurzer Adrenalinstoss und dann ist die Freude gross, als ich mich an der Gratkante hochziehen kann. Ein Stück weiter auf dem nun wieder breiteren Grat, auf dem höchsten Punkt der Gerstelflue (929 m), bedanken und beglückwünschen wir uns gegenseitig zum erfolgreich überschrittenen Grat. Anschliessend seilen wir über die nordseitigen Felsen auf den Wanderweg ab. 
 
Die Gratwanderung über die Gerstelflue ist faszinierend. Ein grossartiges Erlebnis! Die alpine Sicherungstechnik an Bäumen und Felszacken kenne ich nun und weiss auch, wie ich mich im Alleingang bei Bedarf sichern könnte. Dennoch hätte ich kein gutes Gefühl, wenn ich die gleiche Strecke nochmals alleine zurücklegen müsste. Erst recht nicht, wenn ich - wie normalerweise - ungesichert unterwegs wäre. Allzu riskant wäre ein solches Unterfangen. Oder täusche ich mich? Vielleicht sehen es Leute, die nur gesicherte Bergwege begehen, als genau so halsbrecherisch an, wenn ich neben den markierten Routen herumkraxle. Wahrscheinlich hängt es in erster Linie von den individuellen Voraussetzungen ab, welches Gelände als gefährlich einzustufen ist.

Tourengänger: Fico


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Kommentare (2)


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Felix hat gesagt:
Gesendet am 16. Oktober 2013 um 16:47
super!

Gratulation und lg, Felix

Fico hat gesagt: RE:
Gesendet am 3. November 2013 um 22:02
Danke, lieber Felix! Inzwischen waren wir nochmals zusammen unterwegs: gleiches Team, anderer Ort. Bericht folgt!


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