Bächen- und Rienzenstock (2962m): R(e)ise ins Unbekannte


Publiziert von Alpin_Rise , 11. Juli 2013 um 21:50. Text und Fotos von den Tourengängern

Region: Welt » Schweiz » Uri
Tour Datum:10 Juli 2013
Wandern Schwierigkeit: T5+ - anspruchsvolles Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-UR   CH-GR 
Aufstieg: 1250 m
Abstieg: 2150 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Oberalppass
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Göschenen
Unterkunftmöglichkeiten:Allenfalls Treschhütte SAC

Es ist mittlerweile schwierig geworden, durch den Beschrieb nicht dokumentierter Berge einen Mehrwert für Hikr.org  zu schaffen. Insbesondere, wenn die Gipfel in der Deutschschweiz liegen und geografisch eine gewisse Prominenz haben sollten. Rienzen- und Bächenstock, die höchsten Punkte der gut 15km langen Kette zwischen Reusstal, Fellital und dem Oberalppass, sind solche Kandidaten; sie fristeten bislang ein ewiges Leben inmitten anderer Pendenzenbergen. Im Gipfelbuch auf dem Rienzenstock bestätigt sich dann, dass die Informationsdichte im WWW ziemlich genau die Besteigungsfrequenz abbildet. In den letzten knapp dreissig Jahren hat sich im Schnitt nur genau eine, meist einheimische Partie ins exklusive Log eingetragen!
 
Mit mangelnder Attraktivität kann das Mauerblümchendasein kaum begründet werden. Die Gipfel treten aus vielen Perspektiven prominent in Erscheinung und vom Oberalppass ist der Zustieg mit gut 1000 Höhenmetern auch nicht überaus langwierig. Und bei näherer Betrachtung offenbaren sich durchaus lohnende Aufstiege. Vielleicht liegt Ihre Einsamkeit schlicht und einfach daran, dass die Gipfel für den „richtigen“ Kletterer zu leicht und für den Durchschnittswanderer doch zu anspruchsvoll sind.

 
Geheimnislüften hoch überm Reusstal an Rienzen- und Bächenstock
 
 
Mit der ersten ÖV Verbindung starten wir kurz vor Neun auf dem Oberalppass. Bequem auf dem Wanderweg oder den noch ausgedehnten Schneefeldern zur Fellilücke. Nun folgt die Querung in Richtung Rienzen- und Bächenstock. Sie gestaltet sich dank einigen Schneezungen auf den mühseligen Schutthalden wie erwartet relativ bequem: ein Ausläufer des Unghürstöckli zwingt einen auf 2360m hinunter, der Ostausläufer des Bächenstocks, das Schneehüenerstöckli sograr bis auf 2280m.
Wir finden aber eine erstaunlich einfache Möglichkeit (T4), das Schneehüehnerstöckli auf etwa 2360 zu überqueren und steigen auf der Nordseite auf bequemen Bändern in den Kessel zwischen Bächen- und Rienzenstock. Dort liegen die Resten des Bächenfirns, der deutlich weniger gross ist, als die Landkarte nahe legt. Wie peilen den Sattel P. 2891 zwischen den beiden Wunschzielen an. Das Gelände ist alles andere als freundlich: steiler Schutt, loses Geröll, in den Kompakteren Zonen griffarmer Fels. Wir mogeln uns irgendwo im oberen T5-Bereich in den Sattel. Bei Ausaperung dürfte dieser Anstieg vom Gletscher weg kaum noch zu begehen sein, zu empfehlen ist er höchstens bei sehr guter Firnauflage.

Hingegen entpuppt sich der Schlussaufstieg entlang dem Bächenstock Nordgrat als genüssliche Kraxelei um T4/I, Blöcke in allen Formen und Lagen bescheren uns eine unterhaltsame Viertelstunde Blockgrat-Aerobic.
Zurück in den Sattel  folgt das Zückerchen am Südgrat zum Rienzenstock: excellente Kraxelei um T5 mit Stellen II in wunderbarem Fels. Im besagten Gipfelbuch tragen wir uns als 28. Partie seit 1986 ein, nicht überraschend als erste dieses Jahres.

Für den Abstieg wählen wir den Nordgrat, der laut Gipfelbuch auch schon von der Treschhütte (komplett?) begangen wurde. Nette Blockkletterei um T5 mit Stellen II. Vor dem auffälligen Turm unter dem LK-Schriftzug „Rienzenstock“ zieht ein markantes Couloir nach Westen, zu oberste schmal gut 45° steil, dann über knapp 200hm um 40°, bevor es in die Blockhalden oberhalb Murmetsplangg ausläuft. Ganz zuoberst noch aper und ein veritabler "Gschirrladen", verspricht die Schneeauflage einen bequemen Abstieg in Richtung Göschenen (möglich wäre auch die Nordostflanke, um 40°, felsdurchsetzt, in Richtung Fellital abzusteigen.)
Im steilen Teil liegt für uns ein Abrutschen nicht drin, zu dünn liegt die weiche Schneeauflage auf hartem Firn, ausserdem schränkt Quellbewölkung die Sicht ein. Ab 2700m geht’s dann flott etwas querend zu den Schafen im Murmetsplangg, bis auf 2300m können wir uns auf den letzten Schneeresten hinuntermogeln.
Bei mässiger Sicht queren wir nun die Rientalalp, die arg am verganden ist. Nach einigen unbequemen Intermezzos mit Alpenrosen und den sich ausbreitenden Erlen erreichen wir einen Pfad, der auf 1850m die Alp durchzieht. Wie die Alp selbst hat dieser auch schon bessere Zeiten gesehen und wird in einigen Jahren ganz verschwunden sein.
Bei P. 1828 erreichen wir den breiten, flachen Alppfad. Auf den Wanderkarten ist dieser als Bergweg Göschenen-Gütsch deklariert, Markierungen fehlen aber vollständig. Und prompt machen wir einen unfreiwilligen Abstecher: Bei P. 1616 darf man nicht zum Gaden absteigen und in der Sackgasse beim Picknickplatz (?) Holzboden landen... sondern dem kurz steigenden Alpweg oberhalb des Kreuzes folgen, er fällt dann wieder gemächlich bis nach Göschenen – oder beinahe, denn auf 1250m wird flächig Wald gerodet (?) und der Weg bekommt zur Zeit eine steilere, direkte Linienführung.
Im Verkehrsgeschwür Göschenen Ost zum Bahnhof gibt es eine längere, dafür legale Variante, die in die Schöllenschlucht ausholt. Oder eine kürzere, halblegale direkt aufs Perron. Wie sichs gehört, erreichen wir den Zielort pünktlich mit den ersten Tropfen!


Schwierigkeit: Der heikelste Teil unserer Route war der Aufstieg in den Sattel in "lebendigem" Gelände, dort könnte nur schwerlich gesichert werden. Anstatt der Alpinwanderbewertung T5 dürfte auch die Hochtourenbewertung WS zutreffen, vor allem wenn noch viel Firn liegt. Die Kletterstellen überschreiten II nicht.

Zeitbedarf: Ein Ausflug auf Bächen- und Rienzenstock ist in jedem Fall ein tagesfüllendes Erlebnis, wir benötigten für die Gesamttour inkl. ausgiebiger Pausen knapp 9 Stunden.  Die beste Jahreszeit dürfte der Frühsommer sein, wenn Schnee die Blockfelder bedeckt. Ebenfalls denkbar wäre eine Frühlingsskitour, was aber nur versierten Alpinisten zu empfehlen ist.

 Unsere Routenwahl mit Aufstieg durch die Ostflanke und Abstieg durch ein Couloir nach Westen liesse sich im Nachhinein gesehen optimieren: Die schönste Variante dürfte diese Komplettüberschreitung sein: Oberalppass – Fellilücke - Bächenstock Ostgrat (inkl. Überschreitung Schneehüenerstöckl) – Traverse zum Rienzenstock – Rienzenstock Nordgrat in der Länge je nach Gusto und Abstieg ins Fellital bis zur Bushatestelle Güetli. Zeitbedarf um 8 Std, Schwierigkeit Geschätzt T5 bzw. WS II-III.


Besten Dank an 360 für die humorvolle Begleitung ins Abenteuergelände dieser No-Go Gipfel!

Tourengänger: Alpin_Rise, 360


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Kommentare (3)


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Henrik hat gesagt: Wenn der Mehrwert .....
Gesendet am 11. Juli 2013 um 22:18
nicht zwingend über spezifische Peaks erreicht werden kann (uups), reicht er allemal in narrativer, sorgsam gewundener Sprache und Schrift und Stil, wie es die Gemeinde von dir gewohnt ist! So eben ein (k)risenfreier Geist inkl. nobler Begleitung.

CS

Silberquäki

Bergamotte hat gesagt:
Gesendet am 12. Juli 2013 um 12:11
Danke für diesen informativen Bericht, er schafft zweifellos Mehrwert.

Beste Grüsse

أجنبي hat gesagt: Nur wenige Stunden...
Gesendet am 13. Juli 2013 um 12:40
...vor deinem Bericht fragte mich Madame, was eigentlich da mit diesen Bergen zwischen Göschenen und Oberalppass los sei, die sähen doch interessant aus...
Da ich nicht wirklich eine sinnvolle Antwort geben konnte, erledigte dies dann dein Bericht.
Danke! Werden dort bei Gelegenheit wohl auch mal vorbei schauen...


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