Über unbekannte Gipfel auf wilder Route zum Vorstegg


Publiziert von Tobi , 4. Oktober 2012 um 22:28.

Region: Welt » Schweiz » Obwalden
Tour Datum:28 September 2012
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: Westliche Melchtaler Alpen   CH-OW 
Zeitbedarf: 4:30
Aufstieg: 1200 m
Abstieg: 1050 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Melchtal, Durrenbach
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Stöckalp

Gipfel im Schatten von bekannten Graten fristen meist ein Mauerblümchendasein. Und Gipfel auf Kreten, welche zu solchen alpinistisch uninteressanten Bergen führen, erhalten noch weniger Besuch. Dieses Schicksal erleiden auch das Chnebelhorn und der Rämisgütsch im Melchtal. Diese werden sogar von Gipfelsammlern verschmäht und hier auf hikr.org noch mit keinem Wort erwähnt. Zeit dies zu ändern…
 
Geplant war TuTen mit Henrik. Doch dieser braucht noch etwas mehr Erholung als geplant von der gestrigen Zügelaktion. Gut, wenn man in solchen Situationen rasch umdisponieren und eine schon länger geplante Tour aus der Schublade ziehen kann. So reise ich mit dem Postauto ins Melchtal bis zum Barackendorf (949m). Über den markierten Bergweg (T2, Überquerung einer Runse abgerutscht: T3) zur Alp Flüelibalm (1313m) und weiter hoch zur Alp Chnebel (1468m). Ab da verlasse ich den rot-weiss markierten Pfad und folge weiter dem Sporn.
 
Kaum im Wald treffe ich schon auf schmale Wildwechsel. Die Gamsen beweisen wieder einmal mehr guten Routensinn. Die Spuren führen ausgesetzt aber zuverlässig durch die steile, bewaldete und felsdurchsetzte Flanke. In einem eher felsigen Kamin muss etwas geklettert werden, könnte ein IIer sein. Aber bei so viel Dreck zwischen den Steinen wird die Kletterskala der Sache wohl nicht gerecht. Eine T6 ist hier, wie auch teilweise im restlichen steilen Gelände, eher angemessen. Im Aufstieg entdecke ich einen abgesägten Ast, da bin ich wohl nicht der erste Mensch in dieser wilden Gegend.
 
Gerade als die Spuren ausgeprägter werden, stehe ich vor einer Felsbarriere. Diese ist senkrecht bis überhängend und geht erst nach etwa zehn Meter wieder in Steilgras über. Wenigstens lässt das breite Grasband davor eine ruhige Ausschau nach Schwachstellen zu. Nach links zieht sich das Felsband weit hinunter, eine Umgehung nach Süden wäre mit einem enormen Höhenverlust verbunden, sofern sie überhaupt erfolgreich wäre. Direkt auf dem Sporn sind einige Schwachstellen erkennbar, doch unter einer III-Klettereinlage in wenig solidem Fels läuft hier nichts. Ohne Gewissheit, dass nach dieser Barriere keine Sackgasse lauert, gebe ich nach ein paar herausgerissenen Griffen und Kletterzügen an verschiedenen Stellen auf.
 
So folge ich dem Felsen nach rechts (Norden). Nach etwa 50 Metern und etwas Höhenverlust geht der Felsen immer mehr in ein Stein-Dreck-Gemisch über. Hier stosse ich auch wieder auf einen Wildwechsel. Auf diesem gelange ich in die nächste steile Grasflanke. Der Baumbewuchs ist hier etwas weniger ausgeprägt, aber dafür ist das lange Gras griffig (T6). Leicht rechts haltend gewinne ich immer mehr an Höhe und das Gelände legt sich immer weiter zurück. Auf dem Grat muss der höchste Punkt des Chnebelhorns (1717m) nicht lange gesucht werden, dieser versteckt sich in einer kleinen Baumgruppe. Damit allfällige nachfolgende Besucher ihn leichter finden, habe ich einen Steinmann gebaut. Von Nordwesten würde sich der Gipfel wohl um einiges einfacher erreichen lassen (T4-T5).
 
Auf dem weiteren Weg nach Südwesten senkt sich der flache Gratrücken kurz ab, bevor er sich wieder verbreitert und steil zur nächsten Erhebung hoch schwingt. Auch hier führen etliche Gamsspuren durch die Flanke. Das Gras ist lang, die Erde feucht und die Bäume rar. Nach etwa 150 Höhenmetern ist das moderate T6-Vergnügen vorbei und ich stehe beim Gipfelkreuz des Rämisgütsch (1862m). Obwohl eine Fahrstrasse in den Sattel kurz vor dem Gipfel führt, und man also fast mit der Karre hochfahren kann, weisst das kleine Gipfelbüchlein nur wenige Einträge auf. Diese stammen wohl vor allem von Einheimischen und Älplern aus der Gegend.
 
Der folgende Abschnitt nach Südwesten sorgt zunächst für etwas Verwirrung. Nach dem breiten und flachen Rücken scheint sich der Grat zu teilen. Während er links steil zu einer Erhebung führt, geht nach rechts ein ebenfalls ausgeprägter Sporn weiter in die Höhe. Von hier scheint die linke Variante auf einen Gratzacken zu führen und darauf abzubrechen. So entscheide ich mich für flachere Alternative nach rechts. Nach einigen Metern löst sich die Verwirrung auf: Beide Grate führen um einen imposanten Trichter von etwa fünf Metern Tiefe. In diesem beachtlichen Felskessel finde ich Etwas, was ich schon lange nicht mehr erleben durfte: absolute Stille! Nur das Rauschen des Blutes in den Ohren ist zu hören. Nach einiger Zeit wird mir das weit entfernte Tröpfeln eines Rinnsals gewahr. Später brummt ein Insekt in einiger Entfernung an mir vorbei. Ich geniesse einige Minuten diesen Ort und Moment.
 
Nur ein paar Schritte nach dieser spektakulären Landschaftsformation folgt der nächste Höhepunkt: Der Grat bricht nach rechts steil ab. Durch die dünne Schichtung des Felsens entsteht eine bizarre Skulptur. Aber nicht nur für die Augen, sondern auch für die Hände und Füsse hat dieser Gratabschnitt etwas zu bieten. Auf dem breiten Grat können beliebige Routen gewählt und die Schwierigkeit entsprechend variiert werden (ca. T5). Auf dem Vorstegg (2082m) lege ich mich ins Gras und geniesse die angenehm wärmenden Sonnenstrahlen. Wieder ein traumhafter Herbsttag inmitten einer herrlichen Bergwelt!
 
Doch bald ist Schluss mit Geniessen und Faulenzen: Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass schon in einer Stunde das letzte Postauto aus dem Melchtal fährt! Deshalb steige ich ziemlich direkt zur Alp Innenbach (1822m) ab und marschiere von dort äusserst zügig auf dem markierten Bergweg über Stepfen zur Stöckalp (1073m). Den letzten Kilometer auf der Fahrstrasse jogge ich und erreiche knapp vor der Abfahrt das Postauto. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich eine Stunde später ebenfalls noch eine Verbindung gehabt hätte…
 
 
Fazit: Statt dem geplanten TuTen ein T6-Abenteuer. Auch wenig attraktiv erscheinende Gipfelziele haben ihren Reiz und bescherten mir einen abwechslungsreichen und ruhigen Nachmittag (keine Menschenseele angetroffen) in wildem Gelände.
 

Tourengänger: Tobi
Communities: T6


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Kommentare (11)


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Henrik hat gesagt: Das ist beinahe schon
Gesendet am 4. Oktober 2012 um 23:00
sensationell!

> absolute Stille! Nur das Rauschen des Blutes in den Ohren ist zu hören.

Unsere Ohren sind ge"twittert" voll, überall Rauschen, nicht nur beim Fotografieren, bald kein Raum ohne Geräusche, egal von wem oder was.

Danke für diese Beschreibung.

Ciao

Henrik

Tobi hat gesagt: RE:Das ist beinahe schon
Gesendet am 8. Oktober 2012 um 20:36
> bald kein Raum ohne Geräusche, egal von wem oder was.

...schon gar nicht im SBB-Ruheabteil...

Felix hat gesagt:
Gesendet am 4. Oktober 2012 um 23:41
da warst ja wieder mal echt wild unterwegs - wir wenige Tage später ganz konform ...

Frech und schön - Bravo!
Und lieber Gruss

Felix

Tobi hat gesagt: RE:
Gesendet am 8. Oktober 2012 um 20:39
So ganz konform ist ja der Arnigrat nun auch wieder nicht. Der hat auch ziemlich wilde Stellen.

Weiterhin schöne Tour, egal ob im Melchtal oder sonst wo,

Gruss Tobi

Gelöschter Kommentar

Henrik hat gesagt: RE:
Gesendet am 5. Oktober 2012 um 08:06
Ja, der Tobi macht auch Fortschritte beim Bahnfahren! Und TuTen, das kann er schon.

> seit du regelmässig mit mir in die Berge kommst

Was wird denn aus uns, wenn wir drei mal alles unter einen Hut bringen dürften?

GlG

silberquäki

Gelöschter Kommentar

Tobi hat gesagt: RE:
Gesendet am 8. Oktober 2012 um 20:43
An der Stelle wieder einmal herzlichen Dank an euch beide für eure tolle Begleitung. Egal ob mit Bahn oder Karre, TuTen oder Kraxeln, gemütlich oder zügig!
Und natürlich auch dass ich so viel von euch lernen durfte ;-)

Bis hoffentlich bald mal zu dritt, Gruss Tobi

Winterbaer hat gesagt:
Gesendet am 6. Oktober 2012 um 10:17
>In diesem beachtlichen Felskessel finde ich Etwas, was ich schon lange nicht mehr erleben durfte: absolute Stille! Nur das Rauschen des Blutes in den Ohren ist zu hören. Nach einiger Zeit wird mir das weit entfernte Tröpfeln eines Rinnsals gewahr. Später brummt ein Insekt in einiger Entfernung an mir vorbei.
Dazu muss ich jetzt auch noch meinen "Senf" dazu geben:-)
Ich fühle mich mit meiner ständigen Meckerei wegen des Lärms am Berg schon etwas exotisch und denke, ich bin alleine mit diesem "Beschallungsproblem" und einfach für die heutige Zeit viel zu empfindlich. Sollte es doch noch andere "Leidensgenossen" geben?
Das Rauschen des Blutes in den Ohren...dazu kommt bei mir, den eigenen Herzschlag zu hören und den Atem, den Wind, das Krächzen eines Vogels und mal eine vorbeikommende Fliege oder eine Hummel etc... Das ist das, was wir am Berg brauchen, aber ich habe zunehmend den Eindruck, nur wir und die anderen gar nicht:-(

Viele schöne, ruhige Fleckchen und Touren!

Uschi

Tobi hat gesagt: RE:
Gesendet am 8. Oktober 2012 um 20:50
Wir sind sicher nicht alleine...

Zum Glück gibt es neben all den alpinen Vergnügungspärken noch genügend stille Ecken in der Bergwelt. Und ab und zu muss man sich dem lauten Treiben aussetzen, um die Ruhe wieder zu schätzen. Denn die Stille an sich gibt es nicht, es ist vielmehr die Abwesenheit von Lärm.

Auch dir viele stille Oasen. Und beglücke mich bitte weiter mit deinen tollen Fotos!

Gruss Tobi

Winterbaer hat gesagt: RE:
Gesendet am 8. Oktober 2012 um 21:25
Hi Tobi!
Wir sind nicht alleine und ich will auch prinzipiell gar nicht alleine sein. Ich habe gerne nette Freunde und noch lieber gute Gespräche! Aber das selbstdarstellerische Gerede, möglichst laut, dass es jeder hören kann, das regt mich wahnsinnig auf. Das muss nämlich nicht sein!

>Und beglücke mich bitte weiter mit deinen tollen Fotos!

Wie schön, dass ich damit jemanden "beglücke" statt zu nerven:-)))))

Viele Grüße und doch lieber ruhige Touren. Um die Ruhe nach Lärm wieder schätzen zu können, reicht es, einmal in die Stadt zu gehen oder, wie heute morgen bei uns, stundenlang die warmlaufenden Motoren der Transall am nahegelegenen Militärflughafen hier dröhnen zu hören. Die Rasenmäherzeiten sind ja bald vorbei aber halt, das gibt es ja einen Ersatz: den Laubsauger:-)

Viele Grüße und allzeit schöne Touren!
Der Hikr. eigene "Meckerbaer":-)


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