Über Stock und… noch mehr Stöcke


Publiziert von Tobi , 20. September 2012 um 23:00.

Region: Welt » Schweiz » Schwyz
Tour Datum:18 September 2012
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-SZ   CH-UR 
Zeitbedarf: 9:00
Aufstieg: 1500 m
Abstieg: 2400 m
Strecke:18km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Riemenstalden, Chäppeliberg, oder cff logo Sisikon und anschliessend Autostopp ;-)
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Muotathal, Post

Bevor der Schnee in den Bergen dominiert, will ich nochmals alpin unterwegs sein. Die vielen mir unbekannten Muotathaler-Gipfel östlich des Chaiserstocks sind mein Ziel. Aber fast macht mir ein dilettantischer Fehlstart einen Strich durch die Rechnung…
 
Der Start verläuft gar nicht ideal: In berglurchischer Manier verpasse ich in Luzern um wenige Minuten meinen Zug. Für die nächste Verbindung ins Muotatal müsste ich eine Stunde warten, deshalb disponiere ich um. Mit Voralpenexpress und S-Bahn reise ich nach Sisikon. Dort steige ich zunächst zu Fuss 200 Höhenmeter auf und versuche auf der Fahrstrasse ab Ried mein Glück als Autostopper. Lange muss ich nicht warten, bis mich ein Paar mitnimmt und fast bis nach Chäppeliberg chauffiert. Bald darauf schwebe ich mit der Seilbahn in die Höhe und sitze kurz nach halb Zehn gemütlich bei Kaffee und Nussgipfel in der Lidernenhütte (1727m). Der vergeigte Start ist vergessen, jetzt beginnt das Geniessen.
 
Mein erster Gipfel soll das  Schmal Stöckli sein. Auf Hikr gibt es keine guten Berichte zu diesem Felsklotz, die mir weiterhelfen könnten: Nur ein Kurzbericht über eine Klettertour, bei den anderen hat sich der Wegpunkt wohl irgendwie auf die Liste gemogelt. Oder die Verfasser haben das Gefühl, sie haben den Berg bestiegen, wenn sie nur daran vorbei wandern oder mit den Skiern an dessen Flanke kratzen (dann lasse ich noch eher *das gelten). Aber zum Glück gibt mir der Hüttenwart breitwillig Auskunft zur alpinen Route auf den Gipfel. Ich scheine doch etwas bergsteigerische Gewandtheit auszustrahlen.
 
So quere ich kurze Zeit später beim Ober Hüttli über das Geröllfeld und stosse auf die beschreibenen Pfadspuren. Die orangen Markierungen sind nur schwach erkennbar. Es empfiehlt sich aber, strikt diesen zu folgen. Einige Male führen abzweigende Pfade in die Irre. Nach der einzigen richtigen Kletterstelle (ca. 3m II) erreiche ich über einen Riss in der grossen Kalkplatte das grasige Pult, welches zum höchsten Punkt des Schmal Stöckli (2012m) führt. Im Abstieg auf der gleichen Route bestätigt sich mein erster Eindruck der Schwierigkeit, welche ich mit T5 II bewerten würde.
 
Kaum zurück auf dem Bergweg verlasse ich diesen schon wieder und quere weglos auf ca. 1920m Richtung Osten. Auch hier treffe ich wieder auf einige blasse orange Markierungen. Unterwegs begegne ich wieder einem Jäger. Der zweite am heutigen Tag. Sicherheitshalber mahne ich sie jeweils, nicht auf den Steinbock mit dem roten Rucksack zu schiessen. Den Schnüerstock (1993m) versuche ich direkt über die Südkante zu gewinnen. Aber als ich an der zweiten brüchigeren Felsstufe den dritten Griff in den Händen halte, breche ich diesen Versuch ab. Der nächste Versuch über die Ostflanke ist von mehr Erfolg gekrönt. In der Schlüsselstelle (T5-) sind auch wieder deutliche Trittspuren zu erkennen.
 
Nach dem Abstieg über die gleiche Route traversiere ich weiter über das Geröllfeld nach Osten. Kurz nach dem Betreten der Gemeinde Muotathal steige ich über die Felsstufen der Nordflanke (T4, I) auf den langgezogenen und von Karstfeldern übersäten Rücken des Chli Chaiser (2360m).
 
Der höchste Punkt dieses Felsrückens wird wohl eher vom Chaisertor aus bestiegen, jedenfalls sind beim folgenden Abstieg in diesen Sattel deutliche Spuren zu erkennen. Aber vielleicht stammen diese von den Geissen, welche zu meiner Überraschung hier herumlümmeln. Von der kaiserlichen Lücke steige ich vorsichtig nach Osten auf das Geröllfeld ab (T5). Mühsam quere ich unter den imposanten Felsen des Chaiserstocks zu meinem nächsten Gipfelziel. Während die aufgeschreckten Gemsen mühelos über das feine Geröll davonschweben, rutsche ich fast bei jedem Schritt ab. Zum Glück habe ich die Stöcke dabei, mit diesen gelingt auch das Überqueren der mit Schnee gefüllten Runsen ohne Zwischenfälle. Schon von weitem ist mir die deutliche Rinne in der Westwand des Chronenstock (2451m) aufgefallen. Über diese Schwachstelle in der Felswand wird der höchste Punkt ohne grössere Probleme (T4, I) erreicht.
 
Auf dem Gipfel gönne ich mir eine kurze Mittagsrast. Die Fernsicht ist grandios. Der blaue Himmel wird nur von kleinen Wolken verziert, die angekündigte Regenfront ist noch nicht in Sicht. Der alpine Genuss geht weiter. Ich setzte meine Tour gegen Nordosten fort. Der direkte Abstieg über die gestufte, felsige Nordostflanke verlangt etwas Vorsicht (T5, I). Nicht nur wegen der Steilheit setze ich meine Schuhe behutsam auf, auch weil ich die ruhende Steinbockfamilie im Sattel bei Pt 2348 nicht stören will. Erst als ich mich auf vierzig Meter nähere, beginnen sie zu fauchen. Langsam möchte ich die Tiere umgehen. Doch sie interpretieren meinen kläglichen Versuch falsch, und statt ins Geröllfeld nach Norden zu flüchten, ziehen sie sich in die steile und brüchige Rinne gegen Süden zurück. Noch lange ist das Poltern der losgelösten Steine zu hören. Jedem sein Lieblingsgelände.
 
Schon im Abstieg vom Chronenstock sind mir die Eisenstangen in der Flanke des Blüembergs (2405m) aufgefallen. Ich habe zuerst an Sicherungsstangen gedacht, doch dass diese ein Geländer mit Eisendrähten mitten in diesem einsamen und wilden Gelände bilden, kommt mir etwas suspekt vor. Insbesondere, da dies der bisher leichteste Aufstieg (T3) des heutigen Tages ist.
 
Nun ist erstmals ein Richtungswechsel angesagt. Im Slalom um die Doline wandere ich über das messerscharfe Karstfeld auf dem Rücken des Blüembergs. Die Aufstiegsrinne auf den Nordwestgipfel fällt schon von weitem auf. Doch die Südkante lockt mich mehr. Mit dem Wissen um eine andere, einfacher Route, kann ich beherzt zupacken. Der Fels ist von guter Qualität, die ersten Meter sind fast senkrecht (III), anschliessend neigt sich die Kante immer mehr zurück und schon stehe ich auf dem Nordwestgipfel des Blüembergs (2166m).
 
Statt nun direkt in der vorgemerkten Rinne abzusteigen, balanciere ich weiter über die Karstformationen zum Nordrand der Felsburg. Die blauen Markierungen führen in einen breiten Spalt, der sich fast senkrecht in die Tiefe stürzt. Bohrhacken sind vorhanden. Ich klettere die ersten Meter ab, gebe mich aber bald geschlagen. Die Schwierigkeiten dürften sich mindestens im III Grad (eher IV) bewegen, das ist mir zum Abklettern definitiv eine Nummer zu gross. Da ziehe ich den Abstieg in der bereits erwähnten Rinne (T4, I) vor. Auf Pfadspuren schleiche ich direkt unter den Felsen nach Norden und gelange so wieder auf den Grat. Der erste (braune) Felsturm sollte umgangen werden. Beim Versuch ihn zu überklettern ist er fast unter meinen Schuhen zusammengebrochen. Der nächste (weisse) Zacken besteht aus einem völlig anderen Gestein. Dabei dürfte es sich um das Höreli (2081m) handeln, welches ohne Furcht eines baldigen Zusammenbruchs bestiegen werden kann.
 
Mehr Furcht kommt aber beim folgenden Abstieg nach Osten auf. Von oben sieht es nach einer durchgehenden, wenn auch steilen, felsdurchsetzten Grasflanke aus. Doch dieser Eindruck täuscht: Kein Deluxe-Steilgras sondern ein Graspolster-Teppich, der nur schwach mit dem Untergrund verbunden ist. Auch auf den Fels ist nicht mehr Verlass, ziemlich brüchig. Und „durchgehend“ ist auch nur eine Illusion gewesen: Etliche Felsstufen zwingen mich auszuweichen und nach geeigneten Schwachstellen zum Abklettern zu suchen. Zwar verliere ich dabei an Höhe, doch da ich nach Norden ausweiche, kommt das sichere Geröllfeld nicht wirklich näher. Doch irgendwie schaffe ich es doch, mich durch dieses heikle Gelände (T6, II) zu mogeln. Im Abstieg definitiv nicht empfehlenswert, im Aufstieg nur bedingt.
 
Über die hügligen Weiden versuche ich ziemlich direkt und ohne grossen Höhenverlust auf den Chli Achslenstock (2020m) zu gelangen. Keine einfache Aufgabe, in diesem Gelände die Übersicht zu behalten. Vielleicht kommt daher der Gipfelname, weil die Frage nach dem höchsten Punkt einen mit den Achseln zucken lasst. Ich gehe auf Nummer sicher und wandere über den gesamten grasigen Rücken bis zum vordersten Punkt und werde mit einer tollen Aussicht belohnt.
 
Auch wie ich nun auf den grossen Bruder dieses Gipfels komme, ist mir ziemlich unklar. Aus der Ferne entdecke ich eine Schwachstelle im Felsgürtel, von welcher ein Grasband zu einem breiten Grastrichter führt. In diesem könnte der Gipfel erreicht werden. Ob es sich dabei um den höchsten Punkt handelt, wird sich aber erst oben zeigen.
 
Mein Routen-Gespür hat mich auch diesmal nicht enttäuscht. Die Schwachstelle entpuppt sich als gut gestuft, das Grasband ist durchgehend und führt in einen steilen, aber gut gestuften Grastrichter. An dessen rechtem Rand werden die letzten Höhenmeter zum felsigen Gipfelaufbau überwunden. Diese letzten Felsen können an verschiedenen Stellen in einfacher Kletterei (II) bestiegen werden. Vom Gipfel des Gross Achslenstock (2175m) erkenne ich auch, dass der nördliche Gipfel mit Kreuz doch um eine paar Meter tiefer sein dürfte. Auch der Felszacken, welcher dem Gross Achslenstock seine markante Erscheinung von Süden her gesehen verleiht, scheint kleiner zu sein. Im Abstieg auf der gleichen Route kann ich nochmals die Schwierigkeiten bewerten. Meiner Meinung nach ein T5+ mit IIer-Kletterstellen, beim Einstieg kurze T6- Einschüsse.
 
Obwohl die Temperaturen angenehm sind, gehen meine drei Liter Wasser langsam zu neige. Zum Glück zimmern drei nette Arbeiter gerade oberhalb des Seeleins (Pt 2067) eine neue Hütte für den Schäfer zusammen. Den Liter Sinalco trinke ich dankend in kürzester Zeit leer. Als Nebeneffekt werde ich so auch noch das schwere „Münz“ los. Derart gestärkt wende ich mich dem Rupperslauistöckli (2232m) zu. Auch hier ist schwierig zu sagen, welcher der beiden Gipfel höher ist. Macht nichts, dann besteige ich eben beide. Der Südlichere ist etwas felsiger und brüchiger, der Nördliche eher grasiger. Von Südosten her sind beider relativ einfach zu besteigen (T4-T5).
 
Nun nähere ich mich wieder der eindrücklichen Kante, welche jäh zur Seenalp abbricht. An dieser ragen noch einige namenslose Erhebungen in die Höhe, da sind wohl den Muoterthaler die lustigen Namen ausgegangen. Ich bin diesbezüglich aber nicht so pragmatisch und besteige nur Gipfel mit Namen. So erhält auch der markante Pt 2267 Besuch von mir. Ein anderer Bezwinger hat sogar schon einen Steinhaufen aufgeschichtet.
 
Gemütlich wandere ich über den Misthufen (2232m); unangenehme Gerüche bleiben glücklicherweise aus. Die Weiden enden und bald schon nagt wieder der rassierklingenscharfe Karst am Vibram. Knapp bevor der Schuh auseinanderfällt, erreiche ich den Wiss Nollen (2155m). Den auf der Landkarte eingezeichnete Weg durchs Chalberband verpasse ich, so schlage ich mich weglos aufs Stöckli (1976m).
 
Auch danach kann ich im Gelände keinen durchgehenden Pfad erkennen. Vermeintliche Wege verlaufen sich plötzliche wieder im Nirgendwo. Ich schummle mich von einem Pfadabschnitt zum nächsten Wegsegment und umgehe dabei die gröbsten Felsabschwünge. Auf 1700m stosse ich auf den markierten Bergweg. Ich bleibe allerdings auf dem besser erkennbaren Weg und statte darüber noch dem Chäül (1698m) einen Besuch ab. Dieser Abstecher lohnt sich alleweil, da nicht sicher ist, wie lange dieser Block noch am Felsen kleben bleibt. Der tiefe Riss, den ihn vom „Festland“ trennt, sieht jedenfalls ziemlich bedrohlich aus.
 
Von der Alp Ochsenblätzli (1644m) hat das Wegsuchen ein Ende. Ich kann nur noch den rot-weissen Markierungen folgen. Ab Frutt spaziere ich unspektakulär die Fahrstrasse entlang. Kurz vor Flüelen kommt endlich ein Auto, mein gestreckter Daumen bringt es zum Halten. Und dies, obwohl die netten Leute sogar noch die Kindersitze auf die Seite räumen müssen, um mir eine Mitfahrgelegenheit zu bieten. Und während mich die letzten zwanzig Minuten kein Auto überholt hat, staut sich nach dieser Umgestaltung der Rückbank der Verkehr hinter uns…
 
 
Fazit: Trotz Fehlstart durfte ich die geplante Tour in ihrer ganzen Pracht erleben. Zwar in geänderter Reihenfolge, aber nicht minder schön! Abseits des Mainstream-Dreigestirns im Lidernengebiet gibt es noch einige einsame alpine Perlen zu entdecken. Falls nun der Schnee kommt, wäre dies ein würdiger Saisonabschluss gewesen. Aber die Hoffnung auf einen langen goldigen Herbst stirbt zuletzt…
 

Tourengänger: Tobi


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Kommentare (10)


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Berglurch hat gesagt: Heeeee!
Gesendet am 21. September 2012 um 07:21
... berglurchischer Manier..... tssss!

Tobi hat gesagt: RE:Heeeee!
Gesendet am 23. September 2012 um 12:16
Jetzt wo's du sagst, so ganz berglurchisch war das ganze dann doch nicht. Immerhin hatte ich das Portemonnaie und eine Kamera mit Speicherkarte und vollem Akku mit dabei... ;-)

MaeNi hat gesagt: Ganz coole Runde!
Gesendet am 21. September 2012 um 08:15
Schon dort oben, gell?!

LG

Tobi hat gesagt: RE:Ganz coole Runde!
Gesendet am 23. September 2012 um 12:19
Absolut traumhafte Gegend. Werde sicherlich auch noch die Gipfel weiter östlich in eurem Muotatal erkunden.

Gruss Tobi

kopfsalat hat gesagt:
Gesendet am 21. September 2012 um 09:59
> Oder die Verfasser haben das Gefühl, sie haben den Berg bestiegen, wenn sie nur daran vorbei wandern oder mit den Skiern an dessen Flanke kratzen (dann lasse ich noch eher das gelten).

ich mach einfach alle auf die wegpunktliste, die ich unterwegs sehe.

Tobi hat gesagt: RE:
Gesendet am 23. September 2012 um 12:20
Diese Methode muss ich mir für meinen nächsten TuTen-Ausflug nach Zermatt merken... ;-)

kopfsalat hat gesagt:
Gesendet am 21. September 2012 um 10:07
> statt ins Geröllfeld nach Norden zu flüchten, ziehen sie sich in die steile und brüchige Rinne gegen Süden zurück.

anhand deiner beschreibung weiss ich zwar nicht wie die topographie vor ort war, aber die meisten tiere flüchten bergauf.

Tobi hat gesagt: RE:
Gesendet am 23. September 2012 um 12:22
Die Tiere befanden sich in einem Sattel. Doch statt auf den Blüemberg (aufwärts) oder einfach ins flache Geröllfeld zu fliehen, stürzten sie sich bergab in das brüchige Rinnensystem in der Südost-Flanke.

Alpinist hat gesagt:
Gesendet am 22. September 2012 um 22:08
gratuliere zu dieser Tour, lange Tour!!!

Tobi hat gesagt: RE:
Gesendet am 23. September 2012 um 12:23
Danke für die Gratulation, aber die Tour hätte noch ruhig länger sein dürfen. Absolut traumhafte Gegend dort oben!


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