Potz Piz: Neun Piz ob St. Moritz


Publiziert von Tobi , 2. September 2012 um 16:06.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Oberengadin
Tour Datum: 3 August 2012
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GR 
Zeitbedarf: 12:00
Aufstieg: 2200 m
Abstieg: 2250 m
Strecke:23km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo St. Moritz
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Samedan

Auch in diesem Jahr spult mein Kollege wieder sein Höhentraining in St. Moritz ab, und wie schon im letzten Jahr (*Rosatsch-Überschreitung) darf ich sein Appartement als Basislager für meine Bergtour nutzen. Diesmal zieht es mich auf die andere Talseite und ich möchte mich den Gipfeln zwischen Piz Nair und Piz Ot widmen.
 
Früh will ich aus den Federn, um wieder einmal einen Sonnenaufgang in den Bergen zu erleben. Doch in der Nacht nehme ich im Halbschlaf Regen und Gewittergrollen wahr, keine guten Voraussetzungen. Um vier ertönt der Wecker, draussen ist es wolkenverhangen aber trocken. So gehe ich mich waschen. Aber als ich wieder vom Badezimmer zurückkomme, regnet es wieder in Strömen. So lege ich mich nochmals hin und verlasse das Appartement erst um viertel vor sechs. Für den Sonnenaufgang bin ich nun zu spät dran, aber dieser würde sich eh hinter den Wolken abspielen.
 
Ich lasse St. Moritz-Bad (1769m) hinter mir und schlängle mich auf Wanderwegen durch den Wald zur Alp Salastrainshoch. Erst beim Wandern über die Weiden der Alp Giop durchbreche ich erstmals die Wolkendecke. Von den Bergstationen bei Munt da San Murezzan steige ich weglos zur Mittelstation der Luftseilbahn Corviglia – Piz Nair auf. Von dort führt mich eine Eisentreppe in die Höhe. Zu welchem Zweck diese sonst noch dient, erschliesst sich mir nicht. Die restlichen Höhenmeter zum ersten Piz des heutigen Tages, dem Piz Nair Pitschen (2877m), werden wiederum weglos ohne Probleme überwunden.
 
Der folgende Gratabschnitt nach Westen dürfte eine hübsche T4-Gratkraxelei sein. Aber bei den angetroffenen Verhältnissen ist der Konjunktiv mehr als angebracht. Durch die Restfeuchte des nächtlichen Gewitters sind die von Flechten überzogenen Felsen extrem glitschig. Da hilft auch Vibram nicht weiter, wie mir ein zum Glück glimpflich verlaufender Ausrutscher demonstriert. Ich halte mich deshalb eher an das grasige Gelände und bin froh, als ich wieder den befestigten Bergweg unter den Schuhen habe. Auf diesem wäre der Piz Nair (3056m) schnell erreicht, doch der Schlussaufstieg verzögert sich wegen Kaffee und Nussgipfel im Restaurant der Bergstation etwas.
 
Auch von diesem Piz folge ich direkt weiter dem Grat. Das auffällige rötliche Gestein – dieses hat offensichtlich nichts zur Namensgebung des Gipfels beigetragen – bietet nun um einiges mehr an Grip. Vom Term da la Pêsch (2990m) steige ich surfend auf dem dafür bestens geeigneten Geröll – „champagne gravel“ sozusagen – auf den Bergweg zur Fourcla Schlattain (2873m) ab.
 
Von dieser Forcla über den von Skipisten vernarbte Hang – da kann man wohl nicht mehr von weglosem Wandern sprechen – zur nächsten Forcla. An der Bergstation auf der Forcla Grisch sind Arbeiter am Werk. Ich lasse die Baustelle links liegen und peile den nächsten 3000er an. Im Aufstieg zum Piz Schlattain (3004m) wähle ich direkt den Grat, welcher ein paar luftige IIer Kletterstellen zu bieten hat. Im Abstieg folge ich den Pfadspuren, welche in die Südflanke zurück zur Forcla Grisch führen. Diese Route ist wesentlich einfacher (T3).
 
Nun fliehe ich in nordwestlicher Richtung vor dem Baulärm. Pfadspuren führen durch den Geröllhang zum Grat, den man in einem Einschnitt etwa 50m westlich des Gipfels erreicht. Die restlichen Höhenmeter führen in angenehmer Kraxelei zum Piz Grisch (3098m).
 
Auch der folgende Abstieg zur Fuorcla Persa (2927m) bereitet keine Probleme, ebenso der folgende Aufstieg zu Pt. 3060. Kraxelspass im milden T5-Bereich. Der folgende Übergang auf der Gratschneide zum Piz Corviglia (3083m) sieht zunächst haarsträubend bis unmöglich aus. Doch wenn man rechts in der Flanke unter den Felsen traversiert, halten sich die Schwierigkeiten weiterhin in Grenzen. Das Gipfelbuch macht einen sehr neuen Eindruck, und auch die sieben Einträge täuschen darüber hinweg, dass es schon über zwei Jahr hier oben weilt. Ich bin sogar der Erste, der sich im 2012 einträgt.
 
Ich wandle nun weiter auf dem Grat nach Norden während Nebel immer mehr die Aussicht verhüllt. Nach etwa dreihundert Meter stehe ich vor einem Gipfelsteinmann. Unter den Steinen versteckt sich ein Gipfelbuch mit der Aufschrift „Piz Glüna“. Es ist am selben Datum und von den gleichen Personen wie das vom Vorgipfel deponiert worden. Zu meinem Erstaunen bin ich der Erste, der sich seit der Platzierung hier verewigen darf. Dies finde ich doch etwas seltsam, gebe mich aber dennoch mit dem Gipfelerlebnis zufrieden und beginne mit dem Mittagessen. Während ich friedlich kaue, lichtet sich plötzlich der Nebel und vor mir taucht keine 100 Meter entfernt ein noch höherer Schutthügel auf. Der richtige Piz Glüna (3106m)! Deshalb fristet wohl das Gipfelbuch ein solches Mauerblümchendasein. Für den Hauptgipfel muss zunächst wieder einige Höhenmeter in eine tiefe Scharte abgestiegen werden, anschliessend wird der höchste Punkt in angenehmer Kletterei bezwungen.
 
Ich folge weiter dem Grat nach Osten, doch leider geht es nicht mehr so harmonisch wie bisher weiter. Bald stehe ich vor einem unüberwindbaren Einschnitt. Dieser kann auch nicht mit einem beherzten Sprung überwunden werden. Zuerst versuche ich nach Norden vom Grat abzusteigen, doch nach etwa fünfzig Höhenmetern stehe ich vor einer senkrechten Felswand. Also wieder hoch zum Grat und ein Versuch auch der anderen Seite. Im Sattel vor dem unüberwindbaren Einschnitt zieht sich eine schuttige Rinne nach Süden. In dieser steige ich vorsichtig einige Höhenmeter ab. Da mir dieser Couloir aber etwas zu rutschig ist, quere ich nach rechts raus in die grasig-felsige Flanke. Ich lande im T6-Gelände, welches sich aber bald wieder von der freundlicheren Seite zeigt und in ein angenehmeres T5 übergeht. So mogle ich mich herunter ins Schuttfeld und traversiere auf diesem ohne grossen Höhenverlust knapp unter den Felsen zur Fuorcla Saluver (2957m).
 
Auch der Aufstieg auf den folgenden Piz sieht nicht gerade einfach aus. Doch wenn man sich an den Grat hält oder nach links von diesem ausweicht, entpuppen sich diese Höhenmeter als wahrer T5-Kraxelgenuss. Die folgende Querung von Pt 3146 zum höheren Nordgipfel des Piz Saluver (3161m) ist ebenso anregend.
 
Von diesem Gipfel weiter dem Grat über die unzähligen Zacken nach Osten zu folgen, hätte wohl mein Zeitbudget und meine klettertechnischen Fähigkeiten gesprengt. Also wählte ich den Abstieg über die schuttige Rinne. Auch im Winter wird diese Variante vorgezogen, wenn auch die Tourengänger auf ihren Skiern etwas eleganter hinuntergleiten als ich mit den Bergschuhen auf dem groben Geröll. Knapp unter der 2900m-Höhenlinie quere ich mühsam im Schutt unter den Ils Chejels Richtung Fuorcla Valletta. Ziemlich exakt auf der Gemeindegrenze steige ich hoch zum Piz da la Funtauna (3092m).
 
Von hier sieht der direkt Aufstieg zum letzten Piz des heutigen Tages alles andere als einladend aus. Und in der Tat haben es die ersten Abschnitte auf dem Abstieg nach Norden in sich. Dort wird eventuell das T5 überschritten und es sind einige kräftige Kletterzüge nötig. Aber im darauffolgenden Aufstieg lösen sich die unüberwindbar geglaubten Aufschwünge - wie so oft - in Wohlgefallen auf. Immer wieder eröffnet sich irgendwo eine Schwachstelle, durch die man sich in die Höhe „schummeln“ kann. Ich würde meinen, hierbei handelt es sich um ein klassisches T5 II, das man als „abgehärteter“ T6-Gänger absolut geniessen kann. Das Vergnügen ist leider viel zu schnell vorbei, schon stehe ich auf den Piz Ot (3246m).
 
Ein Blick auf die Uhr verrät mir allerdings, dass es schon ziemlich spät geworden ist. Mehr als zügig steige ich auf dem blau-weiss markierten Normalweg vom Gipfel ab. Doch im Talboden der Valletta muss ich mir eingestehen, dass ich noch so aufs Tempo drücken kann, der nächste Zug in cff logo Spinas würde wohl schon abgefahren sein. So disponiere ich um und schalte einen Gang zurück. Eine gemütlichere Gangart im Abstieg ist auch für Muskulatur und Gelenke gesünder. Statt nach Spinas wandere ich auf dem Wanderweg über die Alp Muntatsch nach Samedan (1706m) ab. Dort darf ich auf dem Bahnhof gerade noch dem abfahrenden Zug nach St. Moritz hinterherschauen. Doch mit etwas Einsatz meines Charmes darf ich ein paar Minuten später doch in den Glacier Express (hält normalerweise nur zum Aussteigen…) einsteigen. So bin ich doch noch fast pünktlich zum Nachtessen in St. Moritz.
 
 
Fazit: Eine fantastische Gratüberschreitung in einsamster Bündner Bergwelt. Die meisten Schwierigkeiten sind im Bereich von T5 II angesiedelt. Wahre Genusskraxelei in meist solidem Felsen. Nur bei einigen Stellen knappert man am T6. Doch vielleicht liessen sich diese durch eine geschicktere Routenwahl vermeiden, sofern man dies möchte…
 
 
Zum Schluss: Nochmals herzlichen Dank an meinen Trainingskollegen und seinen Trainer für die Gastfreundschaft in St. Moritz. Sorry, dass ihr mit dem Nachtessen wegen mir so lange warten musstet… ;-)

Tourengänger: Tobi


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