Fluchtkogel (3500m) über die Südwand


Publiziert von Kris , 1. September 2012 um 22:03.

Region: Welt » Österreich » Zentrale Ostalpen » Ötztaler Alpen
Tour Datum: 9 August 2012
Hochtouren Schwierigkeit: ZS-
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A   A-T 
Zeitbedarf: 9:00
Aufstieg: 450 m
Abstieg: 450 m
Strecke:Brandenburger Haus - Kesselwandferner - Fluchtkogel Südwand - Fluchtkogel - Fluchtkogel Südwand - Kesselwandferner - alter Aufstieg Brandenburger Haus - Brandenburger Haus
Unterkunftmöglichkeiten:Brandenburger Haus (3277m)
Kartennummer:DAV 30/2 Weißkugel

Am fünften Tag des Eiskurses ging es ans Eingemachte - sowohl die erste Simulation einer ernsthafteren Spaltenbergung, als auch die Besteigung des Fluchtkogels stand auf dem Plan. Der Fluchtkogel an sich gilt als leichte Gletschertour. Aus Übungszwecken wollten wir aber ins Steilgelände - durch die dem Normalweg benachbarte Südwand. Auf etwa 120 Höhenmetern erreicht die teilweise vereiste Wand eine maximale Steilheit zwischen 42 und 46° - für mich und auch alle anderen ein Novum. 

Bei meinen Touren, beispielsweise an der Wildspitze oder dem Großen Möseler habe ich zwar bereits steileres Gelände erlebt, allerdings nicht in dieser Dimension. Bisher war ca. bei 35° Schluss. Dementsprechend ungewohnt die Situation an Eisschrauben gesichert - der Sicherheit zuliebe, eine vereiste Firnflanke emporzuschreiten.

 Doch ein Tourentag beginnt bekanntlich nicht in der Steilwand, sondern auf der Hütte. Wie jeden Tag wurde um 7 Uhr gefrühstückt - eine für Hochtouren ja durchaus äußerst humane Zeit, die wir uns angesichts der wenig weiten Wegstrecken aber leisten konnten. Nach dem immer wiederkehrenden Abstieg zum Gletscherplateau von der Hütte aus, seilten wir uns an und folgten der breiten Spur zum Fluchtkogel. Gleich am Anfang durchquert man ein auffälliges Steinschlaggebiet unterhalb der Ehrichspitze, hier sollte also zügig vorangeschritten werden.

Der Weg bleibt vorerst recht spaltenfrei, an diesem Tag angenehm zu begehen und fast eben. Nach etwa zwei Drittel Wegstrecke zum eigentlichen Aufschwung am Fluchtkogel queren wir links aus der Spur. Das Gelände wird spaltenreicher, die Konzentration nimmt zu. Wir erreichen erst einen riesigen Bergkolk, welcher der designierte Spaltenbergungsübungsplatz war. Dieser stellte sich allerdings als ungeeignet heraus - der Rand war durchgehend vereist - hier einen T-Anker zu setzen ein Ding der Unmöglichkeit.

Dementsprechend wendeten wir uns einem kleineren Bergkolk an einem Jöchl zurück Richtung Ehrichspitze zu. Dieser war nur etwa 5Min entfernt und quasi perfekt. Einzig seine nach 2 Metern Falllinie schräge Abbruchkante erschwerte die Simulation eines "echten" Sturzes. Zuerst stand allerdings auf dem Programm, das erste Mal alleine den T-Anker zu setzen.

Schnee ausschaufeln, Pickel tief vergraben, Bandschlinge per Ankerstich am Schwerpunkt verbinden, Tunnel im 45° Winkel aus dem Loch - ich werde die Einzelheiten unter den Tisch fallen lassen und an die einschlägige Literatur oder Eiskurse der Alpenvereine/clubs verweisen .. das gleiche gilt für die eigentliche Spaltenbergung, welche nicht unkomplex ist und dementsprechend von der Pike auf gelernt gehört. Ich kann nur jedem ans Herz legen dies nicht zu unterschätzen - auf Hochtouren steht immer, aber immer zur Debatte, einen Spaltensturz zu erleben. Mit einem vorbereitetem Gefühl, lässt sich die Tour gleich viel mehr genießen.

Wir übten die Bergung, wie am Tage zuvor bei der Trockenübung, in allen Positionen durch. Jeder war einmal das Spaltenopfer, derjenige der in der Seilschaft als nächster kam, und derjenige der ganz hinten zuerst die Last übernehmen muss. Ausgangspunkt war dabei immer eine typische 3er-Seilschaft. Das dauerte mangels Erfahrung und den vielen neuen Eindrücken natürlich eine Weile, sodass wir uns erst gegen 13 Uhr aufmachten, den Fluchtkogel zu besteigen. Aber ein nettes Gefühl, im Bergkolk zu hängen und darauf zu warten, bis jemand an den Abgrund tritt und erste Informationen zur Rettung austauscht. Bekanntlich ist die Akustik an Abbruchkanten quasi abgeschnitten.

Nachdem wir direkt auf den Einstieg des Normalweges am Fluchtkogel zugeschritten waren, querten wir abermals nach links heraus und befanden uns nun am Bergschrund der Südwand des Berges. Dieser war zwar nicht riesig, aber dennoch nur durch einen großen Schritt bzw. Sprung zu überwinden. Es gibt wohl deutlich schlimmere Verhältnisse. 


Die Ausbilder setzten zur Absicherung zwei Eisschrauben pro Standplatz, als Zwischensicherung dienten zwei beziehungsweise eine Exe. In der obersten Seillänge (Ausstieg) gab es keine Zwischensicherung mehr, nach etwa zwei Dritteln der Seillänge ist dieser besagte Ausstieg bereits erreicht. Jeder Einzelne sicherte sich dann selbst mit Prusikknoten am so gelegten "Fixseil" nach oben. 

Anstrengend war's - das lässt sich sagen .. die Waden haben aufgrund der durchgängigen Steilheit keine Verschnaufpause erhalten. Da heißt's Zusammenreißen und nicht aus der Wand rutschen. An den Standplätzen bestand dann die Möglichkeit sich per Bandschlinge und Karabiner einzuklinken um der Dinge die da noch kommen zu harren. Schließlich wurden die Fixseile/Standplätze fließend errichtet, das heißt während wir bereits in der Wand standen. 

Wir wollten die Wand auch wieder hinunterlaufen, die Fixseile blieben dementsprechend nach dem Ausstieg unangetastet. Nach dem Ausstieg wartet eine flache Querung im Firn, welche über ein stark geneigtes, vereistes Feld verlassen wird. Hier ist noch einmal Konzentration gefragt. Danach wartet nur noch ein weiteres Plateau und ein steilerer Firnaufschwung sowie eine Geröllpassage - Exposition aber = 0. 

Dann steht man oben, auf dem wohl am meist-frequentierten Gipfel mit dem Stützpunkt Brandenburger Haus (excl. Dahmannspitze). Die Aussicht ist weitläufig, bei uns aber stark eingeschränkt aufgrund der sich immer weiter verschlechternden Wetterverhältnisse. Es ist mittlerweile etwa 15 Uhr und schon im Morgengrauen konnten wir beobachten, wie sich Cirrus-Wolken am Himmel abzeichneten, wenig später Altostratus dazukamen, sich eine Halo um die Sonne bildete und gen Nachmittag der ganze Himmel wolkenverhangen war. Eine typische Ankündigung eines Tiefdruckgebietes in den Alpen, wie wir vor allem in der Theoriestunde am Abend noch ausgiebig lernen würden. 

Auf dem Fluchtkogel fühlte man sich deswegen wie eingesperrt, gefühlt wurde man von den Wolken erdrückt. Am Horizont zeichnete sich aber doch deutlich die Ortler-Gruppe ab. Bei den gegebenen Verhältnissen war das Bernina-Massiv hingegen nur noch schwer auszumachen. Nach den obligatorischen Gruppenfotos, dem Sektionseintrag in das Gipfelbuch und einer zünftigen Brotzeit folgte dann auch der Abstieg, da das Wetter im Begriff war, sich noch deutlich zu verschlechtern. 


Also das Geröll und den Firnabschwung hinunter, über die vereiste Querung zum oberen Ausstieg der Wand zurück. Dort wieder den Prusik an das Fixseil, und mit dem Gesicht nach vorn, leicht in die Knie gehend und nach vorne geneigt, mit harten Schritten die Wand hinab. Deutlich leichter als gedacht und ohne Probleme geht es hinab, vollendet mit zwei kleinen Sprüngen über den Bergschrund.

 Wir sehen nun Gestalten aus dem Nebel nachschreiten, sie steigen die Wand hinab. Bald sehen wir die Hütte nicht mehr, peilen vorher mit dem Kompass noch Ziele an und wollen uns so im Ernstfall orientieren. Wir bilden Seilschaften und nun geht in sehr flottem Schritt zurück zum Felsriegel unterhalb des Brandenburger Hauses. Mir wird es schon zu schnell, in der Seilschaft mit unserem Sektionsleiter überholen wir Seilschaften neben der ausgetreteten Spur, ich versinke mit jedem Schritt im aufgeweichten Firn. Die Größe der Schritte zu bringen, bin ich kaum in der Lage. Ich schleppe mich also in dem Tempo dahin und bin dann auch froh - erst recht mit der immer noch wütenden Bronchitis, am Felsriegel angekommen zu sein. Zwischendurch sah man wirklich nicht mehr viel außer weiß um sich herum. Aber alles im Rahmen des Möglichen, da es uns die Spur nicht wegschneite.

Statt um den Felsriegel herumzuschreiten, und den Normalweg zur Hütte zu nehmen, gehen wir auf den alten Hüttenaufstieg zu - dieser wartet am Einstieg mit IIer-Kletterei auf. Entschärft durch ein mittlerweile arg dürftiges Fixseil (nicht mehr gewartet), bietet diese Stelle Steigeisenkraxelei der gehobeneren Güte. Danach bewegt man sich im Gehgelände auf den neuen Normalweg der Hütte zu. 

 An der Hütte angekommen, wartete die bereits angesprochene Theorie auf uns. Dabei rekapitulierten wir noch einmal die Steilwand und die Spaltenbergung, kümmerten uns dann unter anderem um die Wetterkunde und Hochtourenvorbereitung mit Tourenskizze und genauer Planung per Kompass und Planzeiger & Spaltenumgehung. Eingesprenkelt immer wieder Bernds wahnsinnig interessante Anekdoten aus einem bewegten Bergsteigerleben. Dazu gehörte auch eine Notrettung in Südamerika, am extrem einsamen  Mercedario (6770m), dem vierthöchsten Berg des Kontinents. Mittlerweile wird dort wieder Bergbau in extremer Höhe betrieben, damals nicht. Dort traf die Expedition in großer Höhe einen allein gelassenen Bergsteiger, welcher nicht im Ansatz die Kontrolle über sich und alles was ihn betraf hatte. Er konnte nicht einmal mehr sitzen - die Expedition wusste sofort, was das bedeuten musste : Höhen-Hirn-Ödem und damit akute Lebensgefahr. Sie trugen den Polen in das Basislager und trafen unter anderem auf seine Bergsteigerkollegen, welche ihn seinem Schicksal überlassen hatten.. 

Die Polen waren sich keiner Schuld bewusst und verweigerten jede weitere Hilfe oder Dank für die vorrübergehende Rettung des Bergsteigerkollegens. Sie waren so auf den Gipfel fixiert, dass ihnen das Leben des Freundes egal war. Erst als die Berliner Bergsteiger mit dem Militär und Auslieferung drohten, lenkten die Polen um und holten einen berittenen Militärarzt zu Hilfe. Dafür brauchten sie nur eine Nacht - normalerweise ein unwegsamer 3-Tages-Marsch.. der erkrankte Pole hatte immer noch keinerlei Kontrolle über sich, musste auf dem Pferd festgeschnallt werden.. im Endeffekt überlebte er.. die Expedition traf diesen sogar in einer Militärstation Tage darauf wieder. Sie tauschten Kontaktdaten aus, er meldete sich allerdings nie wieder .. obwohl er ihnen das Leben verdankte. Wegen ihm verzichteten sie auch auf den Gipfel - Bergsteigerkodex, sicher. Trotz der ungeschriebenen Gesetze, dass ab einer gewissen Höhe jeder für sich selbst verantwortlich ist.. aber einen Dank würde ich erwarten..

Eine kleine Anekdote zum Schluss - es gibt auffällig wenige Bilder von der Besteigung, sonst bin ich ein Freund vieler Schnappschüsse. Das hat folgenden Hintergrund: 
Ich war bereits beeindruckt von der Qualität des Akkus meiner neu erworbenen Kamera.. durchgängig drei von drei Strichen, trotz Kälte, trotz hunderter Bilder. Am Tage des Fluchtkogels ging es dann plötzlich ganz schnell .. zwei Striche, fünf Bilder weiter einen Strich, kein Strich (rot blinkend) ..und schon war die Kamera aus.. gerade bei der Paradetour. Ich ärgerte mich schwarz! Man kann es im Endeffekt nicht ändern - ich werde sicher im Laufe der Zeit noch die Bilder aller anderen Teilnehmer erhalten, dies tröstet darüber hinweg. Vorerst stehen aber nur meine eigenen Bilder allein im Raum - ärgerlich!

Das erste Mal bleibt wohl immer in Erinnerung - auch wenn es sich dabei um die erste Steil- bzw. kleine Eiswand handelt. Durch die tolle Absicherung der Tourenleiter fühlte man sich dabei auch noch absolut wohl. Die Aussicht ließ leider an diesem Tag zu wünschen übrig, sonst toller Aussichtsberg!

Maximale Steigung : 45-46°


KONDITION 3/5 (Eiswand)
ORIENTIERUNG 3/5
TECHNIK 3/5
EXPONIERTHEIT 3/5



Ausrüstung:

Seil (50-60m)
Steigeisen
Eispickel/Eisgeräte
Bandschlingen
mehrere Schraubkarabiner
6 Eisschrauben
bei Bedarf Exen zur Zwischensicherung


Tour mit DAV Berlin (Sektion)

Noch eine Anmerkung zur Tourenzeit: diese bezieht sich selbstverständlich auf unsere Gehzeiten inkl. der Übungen etc. - eine normale Gehzeit läge deutlich darunter.





Tourengänger: Kris


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