Fletschhorn - Nordwand "Wienerroute"


Publiziert von Peter K. , 31. Mai 2012 um 19:49.

Region: Welt » Schweiz » Wallis » Oberwallis
Tour Datum:25 Mai 2012
Hochtouren Schwierigkeit: S
Ski Schwierigkeit: AS
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VS 
Zeitbedarf: 5:00
Aufstieg: 870 m
Abstieg: 870 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Simplon Dorf, Eggen
Unterkunftmöglichkeiten:Biwak Piero de Zen SAC
Kartennummer:Landeskarte Schweiz 1309 Simplon

Fletschorn - Nordwand „Wienerroute“

Die Fletschhorn Nordwand, stellt eine gewisse Kuriosität in den Walliser Alpen dar. „Eispapst“ Erich Vanis schrieb zu dieser Wand: „Wenn man über den Simplonpass nach Süden fährt, erblickt man zur Rechten eine gewaltig aufragende Eisflanke, welche von vereinzelten Felszonen und Seracs unterbrochen ist. Sie beherrscht ganz eindeutig die Szenerie der Passhöhe. Eigentlich müsste man annehmen, dass es sich hier um eine Standardeistour handelt, doch weit gefehlt.“
Als Vanis mit seinen Wiener Kameraden am 17. Juli 1960 zum ersten Mal die rechte Wandseite durchsteigt, ist dies gerade Mal die Dritte Begehung der Nordwand überhaupt – die Vierte folgt dazu erst im Jahre 1978. Dies lässt sich vor allem auf die Abgeschiedenheit der Tour zurückführen. Vor dem Bau des Biwaks Piero de Zen an der Schulter zur Nordostflanke der Senggchuppa waren über 2.000 Höhenmeter von der höchsten Alp bis zum Gipfel einzuplanen – oder wahlweise ein Biwak an der ausgesetzten Gratschulter, wo sich nun die Biwakhütte befindet.  Selbst heutzutage erhält die Wand vergleichsweise wenig Besuch, wird aber immer mehr von guten Skifahrern entdeckt. So ist im Hüttenbuch des Biwaks ein Großteil der Frühjahrsbegehungen mit nachfolgender Abfahrt durch die Wand verzeichnet. Für mich sollte eben diese Unternehmung einen eindrücklichen Saisonausklang in diesem „vergessenen Tal“ der Walliser Alpen darstellen. Und es hat sich vollauf gelohnt!

Zustieg

Von Simplon Egga (1.580m) aus über die Forststraße in Serpentinen in einer Stunde bis zur Rossbodestafel hinauf. Über Wanderwege lässt sich der Weg hier bequem abkürzen und erlaubt darüber hinaus idyllische Einblicke in die hiesige Alpenflora. Nach einer Stunde ist die letzte Serpentine vor Rossbodestafel erreicht (ca. 1.920m), von wo der Weg nun dem Senggibach folgt. Ab dieser Höhe wäre ein Aufstieg über die Altschneefelder möglich. Da der nasse Schnee zum Nachmittag hin nicht sonderlich einladend wirkt, ersteige ich gen links den Moränenrücken und folge hier einem mäßig ausgeprägten Steig. Zu Fuß geht es bis auf rund 2.300m hinauf, vor die erste Steilstufe zum Kessel des Griessernu Gletschers. Auf die Ski gewechselt geht’s nun über durchfeuchteten Schnee weiter. Oben im Kessel stellt man fest, dass sich das Steilstück auch weiter rechts eleganter umgehen ließe - so ist’s halt manchmal. Am Griessernu Gletscher (ca. 2.600m) wendet sich die Route nun dem Nordhang zum Biwak zu und steilt hier ein zweites Mal auf. Der Aufstieg zeigt sich hier als mühsames Labyrinth über älteren Lawinenschnee. Mit dem letzten Sonnenlicht absolviere ich dann endlich die finalen Meter zum Bivacco Piero den Zen (3.014m) und werde mit einem eindrücklichen Blick auf die Nordwand belohnt, der schon einiges für den morgigen Tag verspricht. Die kleine Biwakhütte des SAC Brig bietet Platz für 9 Personen, ab Vieren wird es hier sicherlich schon kuschelig. Da ich heute alleiniger Gast auf dem Biwak bin, kann ich den Platz großzügig nutzen, schmeiße den Kocher an und packe den Rucksack für den Folgetag um. Eine gute Stunde später stoßen dann allerdings doch noch zwei weitere Nordwand-Aspiranten aus Fribourg hinzu. So wird es zumindest noch etwas geselliger.

     
 
Aufstieg: 1.430 hm
Gehzeit: 4:30 Std
Exposition: N - O
 
     

Aufstieg

Der Wecker klingelt uns drei um 4:30 Uhr nach erstaunlich geruhsamer Nacht aus dem Schlaf. Ein Blick hinaus bestätigt die Erwartung einer sternenklaren Nacht und so können wir mit perfekten Verhältnissen im Aufstieg rechnen. Nach einem kleinen Frühstück verlasse ich um 5:15 Uhr das Biwak und beginne die Querung zum Plateau des Rossbodegletschers. Über die harte Schneefläche geht es im ersten Licht des Tages in direkter Linie auf die Wand zu.
Der Bergschrund (ca. 3.200m) ist wenig ausgeprägt, der Einstieg erscheint mir im linken Wandteil leichtgängiger, wenn auch etwas mehr im Schatten der Seracs. Die Ski wechseln gegen Steigeisen und der Anstieg beginnt. Alsbald folgen die beiden Fribourger und wählen einen Einstieg weiter rechts, der zwar sicherer erscheint, aber etwas ruppig über die Lawinenreste der Senggchuppa Ostflanke hinwegsteigt. Unsere Wege kreuzen sich allerdings noch unterhalb der markanten Felsinsel, die die Wand in zwei Hälften teilt. Über harten Firn geht es bis hier problemlos und nicht sonderlich steil hinauf (40°). An der Felsinsel (ca. 3.420m) zeigt sich aber erstmals ein gewisser Anspruch der Wand und so werden Skistöcke gegen Eisgeräte getauscht. Die Flanke erreicht an dieser Engstelle rund 50°, kurzzeitig sicherlich auch etwas mehr. Der Himmel erstrahlt zu diesem Zeitpunkt bereits in hellem Blau und bildet einen spektakulären Kontrast zum blendenden Weiß der Wand. Zur rechten schließen die Begrenzungsfelsen der Senggchuppa Ostflanke das Schneefeld ein, links säumen die Felsabbrüche der zentralen Nordwand den Weg, obenauf thronen eindrücklich die Seracs, die das Ende der Wand signalisieren - eine atemberaubende Arena aus Fels, Schnee und Eis.
Im oberen Wandteil geht der Schnee immer mehr in teils verfestigten Pulver über, der Aufstieg wird hier mit jedem Meter anstrengender. Mit dieser Tatsache konfrontiert müssen sich auch die letztmaligen Begeher gesehen haben – auf rund 3.550m ist eine Ski-Aufstiegsspur auszumachen – bei rund 50° eine durchaus sportliche Angelegenheit. Etwas zögerlich wechsle ich die Steigeisen gegen die aufgefellten Ski, die Fribourger scheinen auf den ersten Metern allerdings gute Erfahrungen mit dieser Aufstiegsmethode gemacht zu haben. Und so zeigen sich die aufsteigen Traversen erstaunlich leichtgängig, die Spitzkehren fallen bei dieser Steilheit jedoch durchaus abenteuerlich aus. Jedes Mal aufs Neue fühlt sich hier der Gleichgewichtssinn gefordert und das Herz schlägt doch ein wenig schneller. Auf den Ski gewinne ich so weitere 200 hm in der oberen Wandhälfte, bevor die Wand abermals aufsteilt und wieder auf Steigeisen gewechselt wird. Hier beginnt nun der Schlusssprint der Führe – mit jedem Tritt sinkt man teilweise bis zu den Knien ein und jeder Meter ist leidlich zu erkämpfen. Die Ausstiegswächte rückt nur zögerlich näher und so fühlt sich diese letzte Passage nochmals wie eine Ewigkeit an. Als ich die Felsen am Ausstieg erreiche, machen sich die beiden Fribourger gerade zur Abfahrt bereit. Ich verfolge gebannt ihre ersten Abfahrtsmeter, zu Beginn noch von Vorsicht geprägt, kurz darauf bereits schön fließend. Dieser Anblick stachelt durchaus den Ehrgeiz an und die letzten Aufstiegsmeter werden mit einem Ruck genommen. Der Ausstieg aus der Wand zeigt sich entlang der Felsen als steil aber erstaunlich freundlich.
Auf dem Nordwestgrat (ca. 3.850m) angekommen öffnet sich zugleich ein überwältigendes Panorama über das Saastal. Der Blick reicht hier vom Monte Rosa Stock über die Mischabelkette bis an Viertausender des Berner Oberlandes. Am Grat angekommen verstehe ich schnell wieso meine Vorgänger hier bereits kehrt machten, ohne den Schlussaufstieg zum Fletschhorn Gipfel anzugehen. Der Grat zeigt sich noch tief eingeschneit, die weiche Schneeschicht ist oberflächlich windgepresst. Ein paar Schritte bei diesen Konditionen lassen mich schnell resignieren – der weitere Endanstieg zum Gipfel würde sicherlich noch über eine Stunde kosten, wo sonst 20 Minuten angebracht sind. Und so lasse ich heute den Wandaustieg als meinen persönlichen Gipfel zählen und genieße hier meine „Gipfelrast“.

Abfahrt

Nach kurzer Pause steige ich für die Abfahrt auf die Ski, doch der rechte Skischuh will nicht so recht in die Bindung. Zum ersten Mal wage ich mich mit einer rahmenlosen Bindung in solch steiles Gelände und bringe dieser Leichtbaukonstruktion noch nicht alles Vertrauen entgegen. Gute 10 Minuten mühe ich mich rum bis das Eis aus der hinteren Bindungsaufnahme des Schuhs entfernt ist – ein gutes Gefühl habe ich hierbei irgendwie nicht. Sollte die Bindung bei der Abfahrt auslösen, bin ich wohl schneller unten als mir lieb ist – oder es wäre die erste Monoskiabfahrt dieser Wand. Also nochmals ein wenig rumgehüpft und vergewissert, dass alles hält – Glück auf!
Vom Einstieg quere ich verhalten nach rechts, der Schnee zeigt sich etwas härter als gedacht, aber alles hält erstaunlich gut. Die innerliche Anspannung fällt spätestens mit dem ersten Schwung: den Stock in den Schnee gestützt und nach links umgesprungen, rutsche ich die erste Kurve großzügig aus, bis sich die Kanten wieder fangen. Die folgenden Kurven werden immer gewagter, es macht durchaus Spaß sich in diesem unwirklichen Gelände nach vorne auf die andere Kante zu stürzen. Das Schöne an Steilabfahrten ist, dass es oft mehr einem kontrollierten Sturz nahe kommt, als dem Fahren – hier merkt man die Schwerkraft richtig arbeiten. Mit jedem Schwung rutscht ein Teppich aus Pulver und Harsch mit hinunter – es scheint als gleite man auf einer fließenden Welle aus Schnee hinab. Mit breitem Grinsen genieße ich nun diese Abfahrt.
Wo man im Aufstieg mit dem Auge noch nach dem „einfachsten Weg“ mit der geringsten Steigung für die Abfahrt gesucht hat, treibt es mich nun motiviert in die steilsten Passagen der Wand. Auf Höhe der Felsinsel geht es nach einem prüfenden Blick zu den Seracs noch weiter nach rechts, wo das Gelände etwas mehr hergibt als direkt im zentralen Wandteil. Nach ein paar Minuten ist auch schon wieder der Bergschrund erreicht. Den Auslauf der Wand nutze ich um genug Schwung für die Querung über den Gletscher zu sammeln. Mit wenig Höhenverlust geht es auf dem Plateau in Richtung Biwak hinüber und auf den letzten Metern nochmals leicht ansteigend, jedoch ohne Felle. Um 10:25 Uhr erreiche ich wieder das Biwak, packe meine restliche Ausrüstung ein, hinterlasse einen Eintrag im Hüttenbuch und fahre nach einer halben Stunde weiter ins Tal hinab.
Unterhalb des Biwaks geht es über schöne Firnhänge in Richtung Rossbodestafel hinab. Entlang des Senggibachs suche ich einen Weg über die verbliebenen Schneeflecken und kann so mit nur kurzen Tragepassagen die Serpentine (ca. 1.920m) vor der Rossbodestafel erreichen. Mit den Skiern auf dem Rücken geht es nun noch den Wanderweg nach Simplon Egga hinunter und von da aus nach Simplon Dorf, um am Hotel Post die Hüttentaxe zu zahlen und sich am Dorfbrunnen aufs Postauto wartend in der Sonne zu entspannen.

Fazit

Eine eindrückliche Tour in einer wildschönen, einsamen Umgebung. So nah an den touristischen Epizentren des Wallis findet man hier noch eine urtümliche Landschaft, die mit angemessenem Engagement ein überaus lohnendes Ziel darstellt. Das Fletschhorn steht zu Unrecht im Schatten seiner südlichen Nachbarn. Auch wenn ihm noch 15 Meter zu den magischen Viertausend fehlen,  kann es mit einer der interessantesten Routen dieser Kette aufwarten.

     
 
Schwierigkeit: S 55°, AS- 5.2 E2
Aufstieg: 870 hm (650 hm Wandhöhe)
Gehzeit: 4:00 Std
Abfahrt: 0:30 Std
Exposition: N - NO
Gefahren: Zwei Steilstufen beim Zustieg zum Biwak (2.500m & 2.900m), teilweise Spalten auf dem Rossbodegletscher, Seracs im zentralen Wandteil, Steinschlag im rechten Wandteil von der Senggchuppa her, Ausstieg zum Grat oft verwechtet.
Niedriger Türrahmen am Biwak.
Verhältnisse: Firn, gepresster Pulver und Trittschnee in der Wand. Optimal für Aufstieg, als auch Abfahrt. Kein Blankeis. Keine Schneerutsche, kein Steinschlag, marginal Eisschlag im linken Wandteil. Lawinengefahr mässig. Mehr Details zu den Verhältnissen hier.
Mit dabei: Alleinbegehung
Wertung: Top!
 
     

Wissenswertes

eine Möglichkeit zum Parken findet sich an der letzten Serpentine vor Rossbodestafel, hier Platz für ein bis zwei PKW
für den Zustieg eignet sich die Moräne bestens um bei feuchtem Schnee die unteren Hänge entlang des Senggibachs zu umgehen
in der Biwakhütte vorhanden:
Matratzen, Kissen und Decken für 9 Personen, zwei Kocher, Töpfe, Geschirr und Besteck.
Nicht vorhanden:
Ofen, Gaskartuschen (Camping Gaz C 206) und Feuer
Hüttentaxe (CHF 15,- oder EUR 10,-) ist per Einzahlungsschein oder am Hotel Post in Simplon Dorf zu zahlen
die Sonne ist ab Sonnenaufgang in der Wand
Webcams in der Nähe: Simplon Dorf, Simplonpass Hospiz

Tourengänger: Peter K.


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Kommentare (3)


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WoPo1961 hat gesagt:
Gesendet am 1. Juni 2012 um 08:52
toller Bericht, spannend geschrieben; Glückwunsch zu dieser grandiosen Tour!! und das die Bilder sehr eindrücklich sind, brauch ich wohl kaum noch erwähnen. Ein gezogener Schweizhut von mir ist dir sicher!!
Grüße aus Flachlandhausen
WoPo

ADI hat gesagt:
Gesendet am 1. Juni 2012 um 10:07
das nenn' ich a Skitour!
meine Hochachtung!
OBERLÄSSIG!!

VLG, ADI

eugen hat gesagt: Fletschhorn
Gesendet am 1. Juni 2012 um 11:18
Gratuliere zu dieser ausserordentlichen Tour. Vor allem die Abfahrt ist doch etwas ganz Ausserordentliches. Was mich auch erstaunt, ist, dass du einen Teil sogar mit Skis aufgestiegen bist. Ich habe die Tour am 16.05.1998, nachdem ich die Verhältnisse ein paar Tage zuvor vom Breithorn aus begutachten konnte, mit einem Kollegen auch gemacht. Wir sind aber natürlich nicht mit Skis abgefahren. Der Abstieg über den Grat zur Senggchuppa war aber auch nicht so angenehm. Wir haben die Tour als Tagestour von Egga aus gemacht. Am Schluss war man total müde. Vor allem der letzte Teil und vor allem der Ausstieg war sehr steil.

Nochmals herzliche Gratulation und immer schön vorsichtig bei solchen Aktionen sein.

Gruss aus dem Wallis

Eugen


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